Neubeginn

Wie in meinem letzten Post angekündigt bin ich nach meiner Rückkehr aus Deutschland bei einer mexikanischen Freundin eingezogen, die ich zufälligerweise kurz vor meiner „Mexiko Pause“ kennengelernt habe.

Was für manch eine/n vermutlich etwas beängstigend klingt, schließlich ist Mexiko wie viele andere lateinamerikanische Länder mit dem Vorurteil „niemandem trauen zu können“ behaftet.

Ich stimme dem teilweise zu. Ich habe mich oft bei einer gewissen Misstrauenshaltung ertappt und auch viele Mexikaner/innen haben mir empfohlen, zunächst nicht allem Glauben zu schenken.

Aber wie bei so vielem, bin ich der Meinung immer eine gewisse Balance zu haben. Ja, Mexiko befindet sich auf der Liste der Länder mit hohem Sicherheitsrisiko. Trotzdem ist es nicht wie in der Netflix-Serie „Narcos“, wo an jeder Ecke wilde Schießereien stattfinden und du im Minuten Takt Drogen angeboten bekommst.

Ich möchte immer so offen wie möglich sein und Gegenden, Menschen, Essen, Tieren und vielem mehr eine Chance geben.

Um die Sorge allerdings aus dem Weg zu räumen: Die Familie zu der ich zog, waren Bekannte meiner (ehemaligen) Gastfamilie.

Auf den ersten Blick schien diese neue Situation nicht ganz so toll. Mein Zimmer war deutlich kleiner, ich teilte mir Bad und Kleiderschrank mit meiner Freundin, von der Wand bröckelte Farbe und Tapete ab und das Zusammenleben mit Ana (meiner Freundin) und ihrem Vater glich eher einer WG als einem klassischen Familienleben.

Es entpuppte sich aber als das Beste, was ich mir hätte wünschen können.

Hatte mich meine ehemalige Gastfamilie bei allem unterstützt, musste ich nun durch häufiges Erfragen selber die neue Bus Route zur Schule herausfinden. Dadurch bemerkte ich auch, was für Fortschritte ich beim Spanischsprechen gemacht hatte!

Nachdem ich also die ersten male noch mit dem Uber (einer Art Taxi) zur Arbeit fuhr, nahm ich bald jeden Morgen und Nachmittag den Schulbus. Danach kam ich nach Hause, aß etwas, schaute mit meiner Freundin etwas fern und hatte sogar Zeit nochmal ins Fitnessstudio zugehen, bevor ich 22 Uhr ins Bett ging und tatsächlich angenehme acht Stunden Schlaf bekam bevor ich um 6 Uhr aufstehen musste.

Es war also Schluss mit ewigen Familientreffen und Vorwürfen, nicht genug zu sein und ich konnte endlich wieder aufatmen.

Wer sich fragt, ob es nicht komisch war zu Bekannten der Familie zu ziehen. Ja, war es. Und auch meine heimliche Angst, mein ehemaliger Gastvater könnte Rufmord betreiben, erfüllte sich.

Schneller als ich gucken konnte, erzählte er dem Vater meiner Freundin beim Schwimmen, über ihre Erfahrungen mit mir und ich bekam einige Regeln aufgesetzt.

  1. Keine Jungs im Haus. Niemals.
  2. Unter der Woche musste ich spätestens um 23 Uhr zu Hause sein, am Wochenende um 0 Uhr (nach verhandeln aber um 1 Uhr)
  3. Ich musste mein Geschirr immer abwaschen und wegräumen.
  4. Mein Zimmer aufgeräumt halten.
  5. Falls ich gegen eine dieser Regeln auch nur einmal verstoßen würde, müsste ich meine Koffer packen.

Was für die meisten erstmal nicht so schlimm klingt, schließlich wusste ich, wo ich bei ihm stand, störte mich zu Beginn sehr.

Ich fühlte mich in meiner Freiheit eingeschränkt. Denn ich wollte das Land kennenlernen. Ich war jung. Ich wollte auch mal eine Nacht feiern gehen. Und was sollte die Regel, wenn ich dagegen verstoßen sollte!? Ich hatte das Gefühl in ein Gefängnis zu ziehen.

Ich war sauer, dass mein ehemaliger Gastvater irgendetwas über mich erzählt hatte, bevor sich die Familie ein eigenes Bild von mir machen konnte und das, sobald ich irgendwelche Erwartungen nicht erfüllte auf die Straße gesetzt wurde.

Auch Anas Worte, dass ihr Vater militärische Züge habe und ich mir deshalb keine Sorgen machen solle, heiterten mich anfangs nicht auf.

Zu meinem Glück war es dann aber doch weniger dramatisch und schlimm als ich es mir zuvor ausgemalt hatte.

Wie auch bei meiner Gastfamilie davor, wurde ich in erster Linie nur aufgenommen um Ana (die übrigens im selben Alter war wie ich) Deutsch beizubringen. Das machte mein neuer Gastvater deutlich. Sie wollte nämlich im August in Deutschland ein Studium anfangen.

Während meiner Zeit in Mexiko hatte ich oft mit dem Gefühl zu kämpfen einfach nur ein Objekt und/oder als das Mittel zum Zweck gesehen zu werden. Es fühlte sich an, als wenn sich keiner für mich als Person interessierte und ich bis dahin von allen Seiten eher einen auf den Deckel bekam als mal ein „Danke“ zu hören.

Auch wenn sich meine Situation und Stimmung nach meinem Umzug deutlich verbesserte, beschloss ich relativ schnell, dass ich auf sechs Monate verkürzen wollte und nun also Ende Februar wieder nach Deutschland zurückkehren würde.

Die Entscheidung viel mir nicht leicht, schließlich war ich selbst während der Weihnachtszeit in Deutschland noch felsenfest davon entschlossen für ein Jahr in Mexiko zu leben.

Was also hatte zu meinem Beschluss geführt? Ich wägte ab. Ich dachte darüber nach, was ich alles erlebt hatte, was ich noch erleben und lernen könnte zum einen, wenn ich in Mexiko bleiben würde aber auch, wenn ich zurückfliegen würde.

Natürlich beruhte meine Entscheidung eher auf Spekulationen, Gefühlen und meiner Intention, aber sie schien mir richtig.

Ana war davon sehr enttäuscht und traurig. Sie hatte gehofft, bis August eine Freundin zu haben, die wie eine Schwester alles mit ihr macht. Ihre Prophezeiung, dass ich es bereuen und dem ganzen gar keine Chance geben würde, konnte ich nicht zustimmen.

Ich war noch nie ein Mensch gewesen, der etwas bereut, denn ich weiß immer, dass ich in diesem Moment meine Gründe hatte, so zu entscheiden und zu handeln.

Ja, vielleicht hatte sie recht und ich gab dem ganzen keine Chance, aber dafür war für mich einfach schon zu viel passiert. Meine Umstände auf der Arbeit waren zerrüttet und ich sah nicht, dass sich dies in den nächsten sechs Monaten ändern und ich von allen Ängsten befreit zur Arbeit stolzieren würde.

Als ich meinem Chef meine Entscheidung mitteilte, hörte ich nur, dass es ihm egal sei, ob ich ginge oder nicht, von ihm aus könne ich auch sofort gehen.

Das war die letzte Woge aus Wut und Frustration darüber, dass meine Arbeit und ich nicht wertgeschätzt wurden und von da an hatte ich endlich das Gefühl die verbleibenden sechs Wochen in Mexiko genießen zu können.

Denkwürdiger Dezember

Nachdem meine Oma gestorben ist, war eigentlich alles nur noch ein Ziemliches bergab. So wie die Wochen davor eigentlich auch. Natürlich gab es auch positives und Höhepunkte an die ich mich verzweifelt klammerte. Nichtsdestotrotz muss ich realistisch und ehrlich sein: Es war nicht einfach. Ganz und gar nicht.

Jedesmal, wenn ich dachte, es könne nicht schlimmer werden, kam es schlimmer. Dasselbe, dachte ich mir nach dem Tod meiner Oma und es ging noch mehr bergab. Wie auch immer das möglich war…

Wer ganz schnell war, hat vermutlich gesehen, dass ich am 31. Dezember noch einen Eintrag verfasst hatte, indem ich die vorherigen Ereignisse zusammenfasste und alles, was im Dezember passiert ist. Diesen Blogpost hatte ich dann aber relativ schnell wieder gelöscht, weil ich mich mehr in rage geredet und aus keiner so guten Verfassung heraus geschrieben hatte, dessen Gründe ich euch aber natürlich nicht vorenthalten will.

Meine Rückkehr aus Kolumbien war ungefähr eine Woche bevor ich nach Deutschland zur Beerdigung meiner Oma fliegen wollte.

Vor meinem Zwischenseminar, hieß es von meiner Einsatzstelle, dass mein Rückflug nach Deutschland kein Problem sei, solange ich nochmal meine genauen Abflugs- und Ankunftsdaten mitteilen würde.

Nach meiner Rückkehr aus Kolumbien sorgte mein Wunsch allerdings für einen großen Streit mit meiner Einsatzstelle, wobei ich vermutlich zwischen die Fronten von bereits bestehenden Problemen der Schule geriet. Sicher bin ich nicht, aber auch rückblickend fühlte ich mich einfach gemobbt.

Kurz darauf gab es auch noch eine Auseinandersetzung mit meiner Gastfamilie, die mich bat auszuziehen und am besten direkt meine Sachen mit nach Deutschland zu nehmen.

Ich stimmte zu. Ich wollte auch nicht länger bei ihnen leben und verstand gleichzeitig auch ihre Gründe. Ich wusste, dass ich ihre Erwartungen nicht erfüllte und wohnte trotzdem kostenlos bei ihnen…, dass fühlte sich falsch für mich an.

Ich denke, wir hatten beide Dinge getan, die unkorrekt waren. Ich konnte also noch mit ihnen verhandeln, dass ich meine Sachen bei meiner Rückkehr nach Mexiko im Januar zusammenpackte und dann auszog.

So saß ich also im Flieger nach Deutschland mit einem angeknacksten Herz, einem verstorbenen Familienmitglied, einer mehr als schlechten Arbeitssituation und obdachlos. Ich fragte mich, wieso ich überhaupt zurück nach Mexiko fliegen sollte, wenn mich doch sowieso nichts dazuhalten schien.

Ich glaube in meinem ganzen Leben war noch nie so viel schiefgegangen wie in diesen drei Monaten.

Zurück in Deutschland verbrachte ich also die meiste Zeit in dem Versuch meine Laune wieder zu heben und so wenig wie möglich über Mexiko nachzudenken. An letzterem scheiterte ich aber gewaltig. Ich kann es nicht schönreden, mir ging es schlecht. So schlecht, wie vermutlich noch nie in meinem Leben. Ich fühlte mich benommen. Ich wusste nicht, was im Januar kommen sollte. Ich wusste nicht, was ich kommen sehen wollte. Ich dachte viel nach, sprach mit meinen Freunden und meiner Familie und freute mich gleichzeitig unheimlich mehr oder weniger eine Pause von Mexiko zu haben, alles einmal sacken zu lassen und die Weihnachtszeit in Deutschland zu verbringen.

Auch wenn es mir kurz vor meine Rückkehr nach Mexiko schon etwas besser ging, kann ich tatsächlich nicht sagen, dass ich wieder zuversichtlich aus dem Flugzeug stieg. Ich hatte ein mulmiges Gefühl, hielt aber an dem Gedanken fest, dass wenn es nicht besser wird, ich jederzeit auf sechs Monate verkürzen konnte (also schon Ende Februar meinen Freiwilligendienst beenden konnte).

Ich betrat also wieder Guadalajara und lief direkt in die Arme meiner neuen Gastfamilie…

Hola!

 

Guadalajara von oben 🙂

Nach langem überlegen, ob ich einen Blog erstellen soll oder nicht (denn was das angeht bin ich wirklich sehr undiszipliniert), habe ich mich doch dazu entschieden. Wieso? Weil mir sonst wahrscheinlich die Birne platzt von den ganzen neuen Eindrücken und ich so viel zu erzählen habe!

Aber zunächst werde ich mich erstmal vorstellen:

Ich bin Clara, 18 Jahre alt und das, was wahrscheinlich alle interessiert: Ich werde für 12 Monate in Mexikos zweitgrößter Stadt Guadalajara leben. Dort arbeite ich an der Deutschen Schule und lebe bei einer wundervollen Gastfamilie.

Nach zwei Wochen in meiner Einsatzstelle kann ich sagen, dass meine Aufgaben eigentlich ziemlich unspezifisch sind. Zurzeit arbeite ich vormittags im Kindergarten und nachmittags in der Verwaltung. Aber auch bei Projekt- und Stationsarbeiten bin ich aktiv und kann auch in den vielen AG`s, die die Schule anbietet, mitwirken. Sehr viele Möglichkeiten, wenn ihr mich fragt und ich bin immer noch dabei mich an alles halbwegs zugewöhnen und einzufinden.

Wenn ihr die Deutsche Schule Guadalajara googelt, werdet ihr wahrscheinlich auf ein Werbefilm ähnliches Video der Schule stoßen, was diese (für mich) unnormale Schule ganz gut beschreibt.

Zugegebenermaße handelt es sich bei diesem „Dorf“ wie ich es immer liebevoll nenne, um eine Privatschule, die von der wohlhabeneren Schicht Guadalajaras besucht wird. Wieso ich es Dorf nenne? Also: Die Schule liegt in einem etwas abgelegneren Teil von Zapopan (einem sehr großen Vorort von Guadalajara, der eigentlich mehr Einwohner hat als Guadalajara selbst). Dieser Teil ist durch Schranken vom Rest der Stadt abgegrenzt und nennt sich „Las Cañadas“ und erinnert an ein kleines Bergdorf, wo ab und zu mal eine Villa aus dem satten grün der Bäume hinausragt… und eben die riesige Fläche der Deutschen Schule Guadalajara. Auf der sich eine Schwimmhalle, ein Fußballfeld, ein/zwei Basketballfelder und natürlich der Kindergarten, sowie Gebäude für Grundschule, Mittel- und Oberstufe befinden und diverse kleine Beete oder Wäldchen.

Ich denke, wenn man wie ich auf einer staatlichen deutschen Schule war und dann nach Mexiko geht und jeden Morgen vom Schulleiter persönlich begrüßt wird, dann kommt man sich vor wie in einer Traumwelt.

Aber diese Traumwelt wird mir besonders deutlich, wenn ich mich 200 Meter hinter den Schranken von Las Cañadas befinde. Dort tobt das Leben der mexikanischen Großstadt mit einem unfassbaren Verkehr und Häusern, die dicht an dicht stehen.

Ich komme urprünglich aus dem kleinen Schwerin, mit geradeso 100 000 Einwohnern. Jeder kennt jeden und alles ist ganz klein und gemütlich. Hier habe ich das Gefühl, jeden Tag die Stadt neu zu entdecken.

Am Freitag saß ich mit meiner Gasttante im Auto und sie fragte mich, ob ich mich hier schon auskenne. Darauf antwortete ich: „Nein, ich fahre hier zum ersten mal lang“, worauf sie lachen musste und mir erklärte, dass ich die Strecke jeden Tag fahre, weil sie zum Haus meiner Gastoma führe…

Vor ein paar Tagen habe ich durch die Stationsarbeit an der ich gerade arbeite für Schüler, die einen Austausch in Deutschland machen wollen, einen Artikel im Spiegel gelesen von einem Mädchen, welches eine mexikanische Austauschschülerin hatte. Auf die Frage, was denn in Deutschland anders wäre als in Mexiko, antwortete sie „Alles“. Jetzt, wo ich selber hier bin, kann ich dies nur bestätigen und hoffe, dass ich euch in meinen weiteren Blogbeiträgen dieses Alles etwas näher bringen kann.

Bis bald!
-Clara