Hajde, Hajde und die wachsende Sehnsucht nach einem Nudelsieb

Wie es das „bulgarische Vamos“ in meinen Wortschatz schaffte und warum ich mir bald ein Nudelsieb zulegen werde – die erste Woche in Sofia, Bulgarien

Sodala… Am Montag den 12.10.2020 ging es für mich los. Vom Provinzflughafen Memmingen brachte mich ein Flieger in die Metropole Sofia. Der Abschied von Freunden und Familie war schwer und die Rucksäcke und Taschen, die an mir hingen und als Handgepäck getarnt waren, waren es ebenfalls. Angekommen in Sofia, mit massig Aufregung im Gepäck, wurde ich vom Schulleiter persönlich abgeholt. Der folgende Roadtrip durch Sofia (Andere würden es als „den Weg vom Flughafen zu meinem neuen Wohnort“ beschreiben) war gleichermaßen interessant wie überfordernd. Ehe ich mich versah, stand ich mit Sack und Pack im Sekretariat der „Deutschen Schule Sofia“ und wusste nicht, wo ich zuerst hinschauen sollte. Nach einer herzlichen Begrüßung wurde ich in meine Wohnung geleitet und musste erstmal durchatmen. Alleine zu wohnen ist krass, krass cool aber auch krass anstrengend. Den ersten Abend verbrachte ich mit einer Free Walking Tour in Sofia und mit ersten Schwierigkeiten im Metronetz.

 

 

 

 

 

 

Um das ganze hier mal etwas abzukürzen gibt’s die nächsten Tage bis zum Wochenende im Schnelldurchlauf: Dienstag stand der Coronatest an, der, zu meiner Erleichterung, negativ war. Ab Mittwoch wurde ich schon in die unendlichen Weiten der Grundschule eingeführt und fand mich wenig später von super offenen und freundlichen Kindern umgeben im Klassenraum wieder. Das tolle an Kindern ist, dass sie so neugierig sind und ehrlich. „Willkommen an der Schule, Frau Anna“ von einer 2.Klässlerin zu hören ist wunderschön und tut echt gut. Übrigens habe ich mich weder als Frau noch als Anna vorgestellt, doch ist mein Zweitname anscheinend leichter auszusprechen 😉 Zwischen Schule und Einkäufe erledigen bleibt wenig Platz für Langeweile oder Nachdenken, was ich wirklich als positiv empfunden habe. Zwischen Wohnung putzen, Umgebung auschecken und in der Schule mithelfen habe ich natürlich auch schon die ein oder andere Ecke Sofias erkundet.

sehr alte Kirche neben sehr modernen Souvenierladen

 

Obwohl ich wirklich Angst hatte vor einer richtigen Großstadt, bin ich begeistert von der Vielfalt und Diversität der Architektur, den vielen Ausgrabungen, antiken Schätzen mitten im Zentrum und dem Spagat zwischen Balkan und „Westen“, in dem Sofia sich befindet.

 

 

 

 

Aber eben diese krassen Gegensätze machen mir auch zu schaffen. Während die High-Society Sofias in Rooftopbars flaniert und mit fetten Autos durch die Gegend düst, gibt es Menschen hier, die haben wirklich gar nichts. Überall Müll, Straßenhunde, bettelnde Kinder in der Innenstadt, Geschäftskonzepte wie Schuheputzen und Kartoffeln verkaufen auf der Straße oder im Stop&Go Fensterscheiben von PKWs putzen. Eindrücke, an die ich als privilegiertes, deutsches Mädchen nicht gewohnt bin und mich auch nicht gewöhnen werde. Die richtige Mischung aus FsJ und Welt verbessern muss ich erst noch finden, jedoch schwirren mir solche Eindrücke noch lange im Kopf herum…

Die Nationalfarben wird man hier oft sehen

Außerdem geht hier in Sofia gerade politisch ziemlich die Post ab. Jeden Abend sind Protest vor dem Parlament und aufgebrachte Bürger schreien Forderungen, die ich natürlich nicht verstehe. Was ich aber verstehe ist, dass die Leute gegen ihre Regierung auf die Straße gehen und wirklich was ändern wollen.

Am Freitag hatte ich dann die ersten fünf Tage hinter mir. Fünf Tage die sich angefühlt haben wie eine Ewigkeit. Ich habe Alles mitgenommen was geht und mein Körper gab mir langsam zu verstehen, dass es so nicht weitergeht. Also endlich mal wieder Durchatmen, Duschen und Nudeln kochen. Verbrannte Finger beim Abgießen mit Alibi-Topfdeckel-Sieb (Nudelsieb die 1.), extreme Müdigkeit und viel zu viele Eindrücke für so eine kurze Zeit, machten mir dann auch leicht zu schaffen und ein leises Gefühl von Leere und Heimweh schlich sich ein. Ich denke, es ist wichtig, dass man sich Zeit lässt. Ich habe in der ersten Woche definitiv zu viel auf mich genommen und schlussendlich konnte ich dem Ganzen dann auch nicht mehr standhalten.

Große Stadt mit vielen Bäumen

Nach 13 Stunden Schlaf ging es mir dann aber schon besser und ein Brunch mit den anderen Freiwilligen in Sofia stand an. Auf dem Hinweg zum Restaurant versuchte ich noch meine kaputtgegangene Uhr zur Reparatur zu bringen. Jedoch wurde in den meisten Läden mein „Imam problem“ (Ich habe Problem) und das Zeigen meiner Uhr nur mit einem wiaschtem „He“ (also Nein) gekontert. Schlussendlich fand meine Uhr dann in einem kleinen Laden am Ende der Einkaufsstraße, eingeklemmt zwischen zwei alten, dickbäuchigen Bulgaren und ihrem kleinen Arbeitstisch, Obhut. Der amerikanische Rock Gesang, der aus den Lautsprechern dröhnte und das nette Lächeln des einen Mannes stimmen mich zuversichtlich, obwohl ich kein Wort verstanden habe. Das mit der Verständigung hier ist sowieso nochmal eine ganz andere Erzählung. Zumindest kann ich aber mittlerweile die wichtigsten Wörter und für einen Besuch im Restaurant hat es auch gereicht.

Mit den anderen Freiwilligen Elias und Nele und einer Praktikantin vom Goethe-Institut hier in Sofia, schlug ich mir mit „Shopska Salat“ und „Tarator“ den Bauch voll.

Shopska Salat.

 

Auf dem Gipfel – naja fast…

Kurz danach ging es auf den Vitosha Berg. Der Hausberg der Sofioter ist gut mit Metro und Bus zu erreichen und bietet auch

Ausblick vom Vitosha Berg

Mitte Oktober spektakuläre Aussichten und Wanderungen. Querfeldein ging es für uns nach Oben, was den Weg als etwas schwieriger gestaltete unsere     Abenteuerlust jedoch nicht hemmte. Da man vom Berg aus einen guten Ausblick auf den IKEA in Sofia hat (Ich sag doch, Gegensätze…), machten wir noch einen kleinen Abstecher dorthin. Und was soll man sagen, ist halt IKEA… Zurück nahmen wir ein Taxi, was für mich zwar auch eine völlig neue Erfahrung ist, aufgrund der niedrigen Preise jedoch wohl öfters zum Zuge kommen wird. Wenigstens war der Taxifahrer bulgarischer Box Champion, wie er uns mittels Google Übersetzter während der Autofahrt auch gerne mitteilte. Am Abend machten wir noch das Nachtleben Sofias unsicher, beziehungsweise machte uns das Nachtleben unsicher und wir zogen durch ein paar Bars.

Der Sonntag und somit der letzte Tag der ersten Woche stellte sich als kleines eigenes Abenteuer heraus. Mit zwei anderen Wahl-Sofiotern war ein Ausflug nach Koprivshtitza geplant. Dieses Dorf ist bekannt für traditionelle und gut erhaltene Architektur und war allemal einen Besuch wert. Die Hinfahrt bestritten wir mit dem Zug (offensichtlich ein alter DB Zug) bis nach Anton. Knapp 77 km und 2h für 5 Leva, also ca. 2,50 Euro. Von Dort aus ging es weiter zum Bahnhof von Koprivshtitza, der, wie sollte es doch auch anders sein, 8km weit weg vom eigentlichen Dorf liegt. Nach einigen bulgarischen Ansagen des voll besetzten Busses, dass wir hier raus müssen, standen wir also vor einem Bahnhof Mitten im Nirgendwo umgeben von Bergen, Bauarbeiten und Straßenhunden.

Wir fahren mit dem Bus
Akzeptanz des Ungewissen

In 30 min sollte ein Shuttle in das Dorf gehen und nach einigen „Hajde-Rufen“ ging es 45 min später auch wirklich los. Das Dorf erkundeten wir dann im Schnelldurchlauf, also Hajde! Viele schöne Häuser, in denen viele wichtige Personen geboren wurden. Die Museumskarte für 3 Leva haben wir uns auch noch gegönnt, noch Einiges gesehen und den Touristen an diversen Souvenirständen raushängen lassen. Der Shuttle ging dann auch wieder zurück und tatsächlich ging vom Bahnhof Koprivshtitza ein Zug zur Sofia Central Station. Zu Hause angekommen wurden dann erstmal Nudeln gekocht und die Hände verbrannt (Nudelsieb die 2.).

 

Und hier noch eine kleine Liste von mehr und weniger interessanten Eindrücken und Erlebnissen:

  • Das Leitungswasser hier ist bei Weitem nicht so gut wie daheim und Wasserflaschen schleppen ist richtig scheiße!
  • Auch wenn du kein bulgarisch sprichst, reden die Bulgaren einfach immer weiter, mit der kleinen Hoffnung, dass du doch irgendwas verstehst
  • Beim Metro fahren kenne ich mich mittlerweile so gut aus, dass ich mich richtig cool fühle, wenn ich ohne Hilfe von A nach B komme
  • Wasserhähne hier kennen nur „Tropfen“ und „Fontäne“ und auch nur „eiskalt“ und „kochend heiß“
  • Jedes Bahnhofhäuschen ist gelb gestrichen und draußen stehen Mitarbeiter mit lustigen Hüten, die manuell die Erlaubnis zum Weiterfahren erteilen. Die Pausen sind mal länger und mal kürzer, aber auf jeden Fall lang genug für eine Zigarette

Das war so grob meine erste Woche in Sofia. Viele kleine Abenteuer habe ich gar nicht erzählt und einige behalte ich auch einfach nur für mich.

Also Hajde, Hajde!

Eure Josi

 

3 Gedanken zu „Hajde, Hajde und die wachsende Sehnsucht nach einem Nudelsieb“

  1. Salü Anna aka Josi!
    Ene spannende erste Woche hast du sa erlebt. Hut ab! Geh es langsam an und versuche weiter so mit offenen Augen durch die Welt zu gehen. Das kommt schon gut!! Viel Spass 😉

  2. Hei Josefine! Es dauerte eine Weile bis ich verstand dass hier auf dem Blog mehrere Leute Mitteilen. Nicht nur mein Neffe Elias – hatte schon Angst bekommen wegen dem Frauen Namen 😂 Klasse geschrieben und wow – was du alles erlebt hast in der kurzen Zeit. Macht Piano und immer einen Schritt vor den nächsten. Viel Spaß euch und passt auf euch auf! Claudia aus Norwegen

  3. Viel zu cool geschrieben, freue mich auf noch mehr Abenteuer die ich in Person und im Blog erleben werde 😉

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