Einsame Maschinen zwischen Bett und Schreibtisch

Dieser Blogeintrag wird etwas ungewöhnlich dafür, dass er eigentlich ein Reiseblog ist. Aber ich finde man muss dieses Thema ansprechen, vor allem weil ich mich als früherer Schüler mit betroffen fühle.

Nicht alle sind privilegiert

„Eine andere Formulierung, die ich fast schon arrogant finde ist, doch nach fast einem Jahr digitalen Unterricht sollte jede/r einen Weg gefunden haben, per Video am Unterrichtsgeschehen teilhaben zu können.‘ Damit wird vermittelt, dass jede/r, der/die noch technische Probleme (…) selbst Schuld ist und das ist einfach ignorant. Nur weil wir auf dieser Schule sind heißt das nicht, dass alle gleich privilegiert sind.“ – Schüler:in 1

Es geht um den ständigen Leistungsdruck unter dem viele Schüler in deutschen Schulen in dieser Zeit besonders leiden. Eine Schüler Initiative der Tempelhofer Oberschule in Berlin hat dem Frust, der Panik, dem Leid und der Verunsicherung in einer digitalen Form Luft gemacht. Die Initiatoren hatte den Schüler zwei simple Fragen gestellt. „Wie geht es mir?“ & „Was können Schule, die Lehrer:innnen oder auch wir verändern, damit es uns besser geht?“ Das Padlet (eine digitale Pinnwand) war erst gar nicht öffentlich, doch als die Pinnwand so viele Reaktionen bekam und so viel Verzweiflung beschrieben wurde hat die Berliner Zeitung einen Artikel darüber geschrieben, ihr findet ihn am Ende des Eintrags.

Panik, einfach nur Panik

„Am Anfang macht man einmal keine Aufgaben, weil man sie nicht abschicken muss oder sie nicht verständlich sind. Nach spätestens einer Woche wird plötzlich alles total viel. Man traut sich nicht sich zu melden, man kommt nicht mehr hinterher und bekommt Stress da die Lehrer einem Sagen, dass das so nichts wird mit einem guten Zeugnis. Die Arbeitsmaterialien und Hausaufgaben total durcheinander. Jetzt kommen Arbeiten über den Stoff vom Homeschooling. Panik, einfach nur Panik!“ – Schüler:in 2

Ich habe mein Abitur im Jahr 2019/2020 gemacht und hoffte, dass mein Abitur an die aktuelle Situation angeglichen wird. Es liefen Petitionen und wir schrieben unsere Abiturprüfungen und Klausuren ohne Maske in einem sehr gut belüfteten Raum mit wenig Mitschülern. Trotz der Schwierigkeiten hatten wir eine ausgezeichnete Vorbereitung auf das Abitur und ich bin stolz es geschafft zu haben.

4-5 Kaffees am Tag

„4-5 Kaffees am Tag und abends nicht schlafen können durch Panik, Angst und Herzrasen. Angst haben sich zu „melden“, Angst haben drangenommen zu werden. Unglücklich werden. Keine Zeit mehr haben um über dich selber nachzudenken, glücklich zu sein. Wir müssen funktionieren wie Maschinen. (…) Sind wir eine ganze Generation, die unvorbereitet und ohne Schutz auf eine Schlucht zu laufen.“ – Schüler:in 3

Als ich mich dann dafür entschieden habe ins Ausland zu gehen, dachte ich das wird nicht leicht, neues Leben in einem anderen Land, neue Menschen kennenlernen, neue Freundschaften schaffen, neue Sprachen lernen. Aber ich konnte mir nicht ausmalen, was es für meinen Nachfolger Jahrgang bedeuten muss inmitten einer Pandemie ihr Abi zu schreiben oder sich darauf vorzubereiten, ohne Präsenzunterricht, ohne gute Vorbereitung, sondern mit Videokonferenzen, 5 Tage die Woche und dann noch Hausaufgaben zu machen.

Wozu etwas Ordentliches anziehen?

„Ich habe keine Motivation mehr, mich richtig fertig zu machen und etwas ordentliches anzuziehen. Ich werde sowieso keine Zeit haben, rauszugehen und jemand anderen als meine Eltern zu sehen. (…) Jeder Lehrer meint, frische Luft sei wichtig für unsere Gesundheit aber was sollen wir denn machen ?? Manchmal kommt es mir in den Sinn, das Abi hinzuschmeißen weil ich es aufgrund meiner momentanen Noten eh nicht schaffe.“ – Schüler:in 4

Klar zum Abitur hat man viel zutun und ist gestresst das war ich auch, aber ich hatte zumindest die Möglichkeit am Wochenende feiern zu gehen, ich konnte Freizeit haben, habe Freunde am See getroffen. Das ist für die jetzige Generation einfach nicht möglich. Sie sitzen 24/7 vor dem PC und „lernen“ für ihre Zukunft. Sie können nicht was anderes machen und den einzigen sozialen Kontakt den sie haben unter der Woche ist das kleine Kamera Fenster mit ihren Freunden, die sie seit mindestens 2 Monaten nicht mehr in Person gesehen haben. Jetzt habe ich aufgrund des Artikels nur die Situation der Schüler beschreiben können, ich kann mir aber gut vorstellen, dass die Lehrer genauso gut am Ende sind und nicht mehr den „Distanzunterricht“ bewerkstelligen können. Vor allem wenn man dazu nimmt, dass viele Kulturweit-Freiwillige gerade versuchen als Lehrer in diesen Zeiten zu unterrichten.

Steht wieder auf und kämpft!

„Das ist für viele Jugendliche wahrscheinlich eine der schwersten Zeiten in ihrem Leben und trotzdem bitte ich euch bleibt stark! (…) Jeder darf mal weinen! Jeder darf mal verzweifelt auf dem Bett liegen. Aber steht wieder auf und kämpft.“ – Schüler:in 5

Auch wenn dieser Blog sehr in einer Nische ist und wahrscheinlich nicht wirklich unter die Augen von irgendwelchen offiziellen Personen oder Behörden kommt würde ich mich freuen, wenn die Politik in Deutschland, in Europa oder wo auch immer, Schüler:innen und Lehrer:innen mit in ihre Berechnungen aufnehmen und zeigen, dass es nicht selbstverständlich ist, was sie dort leisten.

Wenn ihr mehr erfahren wollt, hier der Artikel der Berliner Zeitung: https://www.berliner-zeitung.de/lernen-arbeiten/verzweifelte-oberschueler-wie-einsame-maschinen-pendeln-vom-bett-zum-schreibtisch-li.143531

2 Gedanken zu „Einsame Maschinen zwischen Bett und Schreibtisch“

  1. Sehr gut, dass du den Fokus auf die Situation an den Schulen lenkst! Das ist ziemlich das, was ich auch aktuell an der Schule, an der ich arbeite miterlebe. Die Schüler:innen sind häufig frustriert und durch die momentane Lage demotiviert. Gut ist auch dein Gedanke zu den Lehrer:innen, die sich oft genauso schwer tun! Ich hoffe, dass dem Ganzen noch mehr Beachtung geschenkt wird. Eine Plattform wie diese hier zu nutzen ist auf jeden Fall ein wichtiger erster Schritt!

Kommentare sind geschlossen.