In der Gischt

Es ist Juli und damit habe ich einen kleinen, privaten Vorsatz gebrochen: jeden Monat einen Blog-Artikel hochzuladen. Das Problem des Junis war aber, dass nichts passiert war, was einen eigenen Artikel gerechtfertigt hätte. Vielmehr war der Monat ein Sammelsurium kleiner Erlebnisse, wie der Besuch mehrere Konzerte, der Vorstellung eines ins Spanische übersetzten Gedichtbandes der deutschsprachigen Dichterin Özlem Özgül Dündar und kurzen Abstechern nach Colonia, Piriápolis oder Buenos Aires. Jetzt, im Juli, haben wir aber noch eine letzte Reise gemacht, die ihren eigenen Beitrag wert ist.

Am Samstag in aller Früh ging es erst mit dem Bus nach Colonia und von dort mit der Fähre nach Buenos Aires – mal wieder. Am Fährterminal wurden Kenza und ich von Nora abgeholt und gemeinsam fuhren wir in den Ecoparque, der sich auf dem ehemaligen Zoogelände befindet und heute weiterhin einige Tiere wie Bisons, Giraffen oder Vicuñas beheimatet. Wir trafen uns dort mit einer kulturweit-Freiwilligen aus Buenos Aires und, überraschenderweise, auch mit einem anderen Uruguay-Freiwilligen, der just an diesem Wochenende in der Stadt war.

Nachdem wir uns die Tiere angeschaut hatten, gingen wir gemeinsam essen, bevor es für Kenza, Nora und mich an den Flughafen ging, von wo aus wir nach Puerto Iguazú im Nordosten Argentiniens, direkt an der brasilianischen Grenze, flogen. Selbstverständlich hatten wir uns dorthin aufgemacht, um die Iguazú-Wasserfälle zu sehen, die, je nachdem, welches Naturmagazin man fragt, die größten oder zweitgrößten Wasserfälle der Welt sind.

Man kann die Wasserfälle sowohl von der argentinischen als auch von der brasilianischen Seite aus besichtigen und am besten ist es, beides zu tun. Für unseren ersten Tag nahmen wir uns die brasilianische Seite vor und überquerten mit dem Bus die Grenze (argentinische Grenzstation – Ausreise – zweihundert Meter weiterfahren – brasilianische Grenzstation – Einreise) und fuhren bis zum Parkeingang. Dort ging alles sehr geordnet zu: Den Parkeintritt kaufte man am Selbstbedienungsschalter und dann reihte man sich in die Schlange ein, die zu den Bussen in Richtung Wasserfälle führte. Ab der Bushaltestelle wanderten wir dann am Hang entlang, immer mit Blick auf die verschiedenen Wasserfälle, denn in Iguazú fällt das Wasser nicht nur an einer Stelle, sondern an einer Vielzahl von größeren und kleineren Steilwänden. Die brasilianische Seite ist hierbei die Panorama-Seite, von wo aus man auf die Fälle blickt, die sich über mehrere Stufen und Plateaus in die Tiefe stürzen.

Wer sich jetzt bei Wasserfällen in Brasilien fröhlich-tropische Hitze und Sonnenschein vorstellt, den muss ich enttäuschen, denn wir waren wohl am kältesten Wochenende des Jahres in Iguazú, nämlich bei kühlen 11° C und Regen. Blieben wir auf der Wanderung nur angefeuchtet, waren wir spätestens nach dem größten Wasserfall, der Garganta del Diablo (Teufelsschlund) vollkommen durchnässt, denn hier trieb der Wind einem das herabfallende Wasser in einem Schwall entgegen. Nass und kalt wie waren, entschieden wir uns gegen einen Besuch im Vogelpark, sondern fuhren hinein nach Foz do Iguaçu, wo wir einer klassischen brasilianischen Sonntagstätigkeit nachgingen: Wir gingen in die Mall.

Am nächsten Tag war dann die argentinische Seite dran. Wieder nahmen wir den Bus zum Nationalpark, der besonders im Eingangsbereich mehr wie ein Freizeit- als ein Nationalpark erschien. Auf der argentinischen Seite kann man entlang mehrerer (Rund-)Wanderwege nah an die Wasserfälle heranwandern und von oben auf das herabstürzende Wasser blicken.

Neben den Wasserfällen sind hier noch die südamerikanischen Nasenbären eine Besucherattraktion, die ohne Scheu sich in die Menschenmassen stürzen, besonders wenn sie Nahrungsmittel wittern. Obwohl auf vielen Schildern darauf hingewiesen wird, dass man die Tiere weder füttern noch anfassen soll, gibt es dennoch genug Besucher:innen, die sich nicht daran halten: Dann kann es aber passieren, dass so ein Nasenbär den Rucksack vom Tisch fegt oder den Burger klaut.

Neben Nasenbären wollten wir auch gerne Tukane sehen, hatten aber tagsüber kein Glück (dafür sahen wir sehr spektakuläre Kappenblauraben). Wir hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben (gemeinsam mit der Hoffnung, den Park wieder zu verlassen, denn kurz vor Schließung waren die Wege wie ausgestorben, der Weg zum Ausgang nur sehr schlecht ausgeschildert und wir irrten ein wenig umher), als doch noch ein Tukan durch die Bäume flog und sich, gemeinsam mit drei oder vier anderen auf einer Baumkrone niederließ. Wir fanden auch noch den Ausgang und konnten zurück nach Puerto Iguazú fahren, wo wir mexikanisch essen gingen.

Am nächsten Tag hatten wir morgens noch ein wenig Zeit, weshalb wir zum Drei-Länder-Eck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay liefen und Paraguay immerhin aus der Ferne sehen konnten.

Am frühen Nachmittag ging es dann mit dem Flieger wieder zurück nach Buenos Aires und dann mit einer verspäteten Fähre weiter nach Colonia, bis wir spät in der Nacht wieder in Montevideo angekommen waren.

 

 

 

 

Mayo, Mes de la Memoria

Der Mai ist in Uruguay der Mes de la Memoria (= Erinnerungsmonat), währenddessen der Opfer der Militärdiktatur gedacht wird. Deshalb sieht man zurzeit auch besonders viele Margariten, denen ein Blütenblatt fehlt, auf Häusern, Straßen und Spruchbändern abgebildet. Die Margarite ist ein Symbol für diejenigen, die immer noch fehlen und deren Verschwinden nicht aufgeklärt wurde.

 

Dónde están? und Margarite vor dem Universitätsgebäude

Jedes Jahr am 20. Mai findet ein Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer, aber auch, um mehr Aufklärung zu fordern, statt. Zigtausende Menschen liefen auch dieses Jahr die Avenida 18 de Julio, eine der zentralen Straßen Montevideos, entlang und hielten Schilder mit Bildern der Verschwundenen, aber auch mit Sprüchen wie “Dónde están?” (= Wo sind sie?). Natürlich verläuft der Marsch nicht in vollkommenem Schweigen, dafür sind es zu viele Menschen, aber es ist so ruhig, wie eine solche Menschenmasse sein kann. Es brabbelt mal ein Kind, ein Handy klingelt oder jemand schlürft seinen Mate, aber wenn man die Augen schließt, würde man nicht vermuten, dass man in einer riesigen Menschenmenge steht. 

Schweigemarsch-Teilnehmer:innen mit Bildern der Verschwundenen

Gegen Ende des Marsches werden die Namen der Verschwunden vorgelesen und die Masse antwortet nach jedem Namen mit “Presente” (= anwesend). Zum Abschluss ertönt die Nationalhymne und dann löst sich der Marsch auf, es wird wieder laut und die Menschen finden in Geselligkeit zusammen, treffen vielleicht Bekannte und verschwinden, wie auch wir, in den Gassen.

Ich fand diesen Schweigemarsch sehr eindrücklich anzusehen, besonders da wir keine Woche zuvor bei der pro-palästinensischen Kundgebung dabei waren, die zwar auch sehr geordnet ablief, aber sehr viel lebendiger und lauter war. Während bei dieser Demonstration lautstark für einen Waffenstillstand proklamiert und gesungen wurde, hing über der Veranstaltung am 20. Mai eine andere Art von Schwere und Introspektion.

Ein Eindruck von der pro-palästinensischen Demo

Aber auch die pro-palästinensische Demonstration wurde in den Kontext des Mes de la Memoria eingeordnet. Während der Kundgebung am Ende wurden nämlich nicht nur Gedichte palästinensischer Autor:innen (in spanischer Übersetzung) vorgetragen, es sprach auch ein Vertreter von Serpaj*, der betonte, dass der Mes de la Memoria nicht nur die Erinnerung an das Unrecht der Militärdiktatur beinhaltet, sondern auch die Pflicht, gegenwärtiges und zukünftiges Unrecht, wie es der Zivilbevölkerung in Gaza gegenüber geschieht, nicht hinzunehmen.

 

*Servicio Paz y Justicia (= Frieden- und Gerechtigkeitsdienst); setzen sich für die Aufarbeitung der Militärdiktaturen in Lateinamerika und politische Gefangene aus dieser Zeit ein

Trinidad, nicht Tobago

Kaum in unsere neue Wohnung eingezogen (in der wir innerhalb von fünf Tagen schon zwei Gäste beherbergen mussten/ durften), werden wir auch schon auf unsere erste Geschäftsreise geschickt: Es geht nach Trinidad, Flores, zu Chris und Jérémy.

Doch zunächst ein paar Worte zu Montevideo und der Nationalkommission der UNESCO. Wir arbeiten hier im Gebäude des Bildungsministeriums in einem Großraumbureau mit denjenigen, die sich um Internationale Kooperation im Ministerium kümmern, unter Carmen, unserer Ansprechperson, bei sehr verträglichen Arbeitszeiten, denn unser Tag beginnt erst um die Mittagszeit. Unsere erste große Aufgabe hier war es, alle UNESCO-Projektschulen des Landes anzutelefonieren und einige Daten abzufragen und in unserer Liste zu aktualisieren. Wir benötigten zwar nur eine Telefonnummer, eine Email-Adresse und den Namen der Direktoren-Person, aber es kam  nicht nur einmal vor, dass die Person am anderen Ende des Apparat an diesen wenigen Informationen scheiterte. Gerade der Nachname der Schulleitung stellte eine Herausforderung da, denn zum Teil mussten sie nachfragen, wie er denn überhaupt lautete. Wir hatten auch unsere Schwierigkeiten, einige der komplizierteren Namen korrekt zu schreiben, denn ein Buchstabiergesuch stieß manchmal auf Unverständnis oder mässig nützliche Antworten wie “mit y” oder “mit Doppel-l”, ohne aber klar zu machen, wo genau im Wort sich diese Buchstaben befinden sollen.

Als wir etwa die Hälfte der Schulen antelefoniert hatten, wurden wir in Carmens Bureau beordert, denn sie hatte einen Auftrag für uns: Wir sollten Dienstboten spielen, denn in der nächsten Woche würde in Trinidad eine Veranstaltung stattfinden, bei der “Rutas UNESCO”-Plaketten feierlich aufgehangen würden, und wir sollten diese als Vorhut am Dienstag dorthin bringen, während Carmen und Marcello, unser zweiter Chef, tags darauf zur Veranstaltung nachkommen würden.

Da wir sowieso noch nach Trinidad wollten, schlugen wir eine bezahlte Reise natürlich nicht aus. Ungünstig war nur, dass Emily sich für ebendiese Woche aus Rivera angekündigt hatte, die nun prompt alleine auf unsere Wohnung aufpassen durfte.

Früh morgens (nämlich um 6:30 Uhr) nahmen wir den Bus nach Trinidad und zwangen mit unserer frühen Ankunft die beiden Trinidader zu einem normalen, für sie jedoch frühen Aufstehen. Gemeinsam gingen wir ins Tourismusbureau, wo ihre Einsatzstelle angegliedert ist und lernten den bunten Haufen an Kolleg:innen kennen, von denen wir schon viel gehört hatten. Wir übergaben selbstverständlich auch unsere Botengüter, der Grund unseres Kommens, konnten aber sonst nicht mehr allzu viel helfen.

Am Nachmittag fuhr uns Andrés, ein älterer Kollege der beiden, in seinem klapprigen Uralt-Ford hinaus auf sein Landstück, wo er einige Pferde, Kühe und Schafe hält.

Andrés‘ alter Ford
Ich auf Andrés‘ Land (Jérémy war in Besitz meiner Kamera)

Während Kenza und ich uns Pizzen geholt hatten, setzten Jérémy und Chris auf Chorizos, die sie in ihrem Kamin grillten; ein Spaß, der sich bis spät in die Nacht zog, denn bis das Feuer herabgebrannt und die Würste durch waren, verging einiges an Zeit.

Spät am nächsten Morgen ging es für uns vier zu den Grutas del Palacio, den Palastgrotten, der Hauptattraktion des gleichnamigen Geoparks, der die kulturweit-Stelle beherbergt. Diese Sandsteinformation, deren Entstehung nicht endgültig geklärt ist, war eine der letzten
Sehenswürdigkeiten, die noch auf meiner Uruguay-Liste stand; leider standen sie aber weitgehend unter Wasser und überall schwirrten Moskitos umher – sehenswert waren sie dennoch.

Am Nachmittag fand im Besucherzentrum der Grutas ein Treffen der Tourismus-Minister:innen der verschiedenen Departamentos statt, das sich bis in den Abend zog. Wir Freiwillige machten Fotos, blieben dann aber in der zweiten Hälfte der Veranstaltung draußen, außerhalb des Konferenzraumes, denn wir waren doch eher überflüssig und Kenza und ich warteten zudem noch auf unsere Chefs, die heute aus Montevideo anreisen sollten. Am späten Nachmittag kamen sie dann auch und zum Ende des Treffens konnte feierlich die erste der Plaketten eingeweiht werden, die ab jetzt überall im Land die UNESCO-Stätten kennzeichnen sollen.

Einweihung der Plakette

Wir halfen beim Abbau und wurden dann zurück nach Trinidad gefahren. Das Spiel des ersten Abends wiederholte sich auch an diesem zweiten, denn während Kenza und ich uns etwas zu Essen holten, bereiteten die anderen beiden wieder ihr Kamin-Asado zu, heute aber mit Churrasco, also Fleischstücken, anstelle von Würsten.

Chris und Jérémy beim Kamin-Asado

Donnerstag war der längste Tag, denn wir hatten schon um kurz nach Acht am Sala Larrañaga, dem Veranstaltungszentrum Trinidads, zu sein. Wir wohnten den Tag über einem Geotourismus-Treffen bei, während dem verschiedene Gespräche auf der Bühne stattfanden. Verschiedene Geoparks des iberoamerikanischen Raumes (da zum Großteil digital leider in bemängelnswerter Qualität) stellten sich vor, drei Projekte für zukünftige Geoparks in Uruguay präsentierten sich und der bestehende Geopark „Grutas del Palacio“ gab einen Abriss seines Werdegangs. Die Frage, wie und ob man UNESCO als Marke und Werbung nutzen kann, wurde auch ausführlich besprochen.

Am Abend ging es für uns wieder zurück nach Montevideo, denn obwohl freitags noch Veranstaltungen stattgefunden hätten, hatten wir am nächsten Morgen bereits seit längerem einen Termin mit dem deutschen Botschafter.

Dementsprechend ging es dann nach einer recht kurzen Nacht zusammen mit Emily (die unsere Wohnung in unserer Absenz gut gehütet hatte) um 9:30 Uhr zur Botschaft, wo neben uns Kulturweitlern (Maren und ihre Gastschwester waren auch dabei), auch noch zwei Praktikanten der Deutschen Schule und eine Praktikantin des DAADs unter dem freundlichen Blick des Portraits des Bundespräsidenten ein Gespräch mit dem Botschafter Eugen Wollfarth führten, bei dem er von seinen Tätigkeiten in Uruguay und seinem Werdegang im Auslandsdienst erzählte, er sich aber auch nach unseren Eindrücken von Uruguay erkundete und wir die Möglichkeit hatten, Fragen zu stellen.

(Nein, leider befindet sich nicht in jedem Raum der Botschaft ein Portrait von Frank-Walter Steinmeier, nur im Foyer/ Empfangssaal, im Versammlungsraum und im Bureau des Botschafters.)

Auf Schotterstraßen durch Uruguay brettern

Wie vor doch etwas längerer Zeit angekündigt, folgt nun endlich der Bericht über den Besuch meiner Eltern – surreal, wie lange her es sich anfühlt, auch wenn es de facto nur etwas mehr als zwei Wochen sind.

Meine Eltern landeten Ende März in Montevideo und kamen dann über Colonia del Sacramento nach Fray Bentos, wo wir ihnen selbstverständlich das Museum und die besten Plätze zeigten und uns im Gegenzug von ihnen bekochen ließen. In ihre Ferienwohnung wären wir auch gerne dauerhaft eingezogen, denn sie hatte zwei Zimmer, war sauber und zentral an der Rambla gelegen, sodass wir nicht mehr so lange zur Arbeit hätten laufen müssen – nun gut, solange sind wir nicht mehr in Fray Bentos.

Von Fray Bentos aus fuhren meine Eltern und ich dann Richtung Norden, um uns die Quebradas del Norte mit ihren Wasserfällen anzuschauen. Landschaftlich ist der Norden völlig anders als der Süden, es gibt Hügel (!), die oben abgeflacht sind, und das Land ist noch dünner besiedelt. Wir haben eine traumhaft schöne Hütte auf einem Hügel inmitten von Weiden und am Morgen ziehen Gänse an meinem Fenster vorbei. 

Das einzige Problem an diesem menschenarmen Norden ist seine Infrastruktur, denn des Öfteren müssen wir über rote geschotterte Erdstraßen fahren, auf denen Steine und Staub das Fahrzeug umwirbeln und der Regen tiefe Furchen in die Oberfläche gezogen hat. 

Da das Land dünn besiedelt ist, sieht man auch niemanden auf der Straße. Man kann stundenlang fahren, ohne dass einem ein Auto entgegenkommt – hier will man also auf gar keinen Fall einen Unfall haben.

Auf unserer Fahrt sehen wir die Fußstapfen von Dinosauriern, Nandus, die über die Wiesen rennen, und natürlich Kühe zuhauf.

Wir verbringen auch Zeit auf einer Estancia, wie der letzte Artikel schon erwähnte. Die Estancia Los Platanos ist eine touristische Estancia mit zwei Doppel- und einem Familienzimmern, einem überdachten Pool und einem urig eingerichteten Wohnzimmer bzw. Aufenthaltsraum. Das Gebäude befindet sich seit acht Generationen im Besitz der Familie. Neben Cabalgatas, also Ausritten, kann man hier auch geführte Wanderungen machen, wobei meine Mutter und ich viel über die verschiedenen Mikroklimata auf den Weiden lernten, die je nach Nähe zum Bachlauf und weiteren Faktoren das Wachstum unterschiedlichster Pflanzen begünstigen. Hier können im Schutz dichter Äste bachnah auch Farne wachsen, was in Uruguay nicht allzu häufig vorkommt – in Deutschland müsste ich nur ein paar Schritte tun, um einen Farn zu sehen.

Natürlich haben wir uns auch die Küste angeschaut: Der kleine Ort La Esmeralda, der im Sommer wohl voller Touristen sein mag, ist jetzt im Frühherbst ausgestorben. Wir hatten den kilometerlangen weißen Sandstrand fast für uns allein, nur einige Küstenvögel (und tote Pinguine) haben uns Gesellschaft geleistet. 

Die Küste bei La Esmeralda

Hiernach war dann aber Schluss mit der Menschenarmut, denn unser nächster Stopp war Punta del Este mit seinen Hochhäusern und Menschenmengen. Hier hatten wir eine kleine Cabaña auf einer Estancia, die vorwiegend aus Schrott (altes Holz, Metall etc.) aufgebaut war. Es gab auch einen kommunalen Garten, wo man Kräuter und Gemüse ernten konnte, soweit es reif war.

Wir besichtigten dort in der Nähe auch Casapueblo, das Haus und Atelier des uruguayischen Künstlers Carlos Páez Vilaró, das er selbst (mit anderen) gebaut oder eher geformt hat und was von ihm selbst als Statue zum darin wohnen bezeichnet wurde. Im Inneren sind Kunstwerke ausgestellt, das wahre Highlight ist aber wohl (gerade an sonnigen Tagen) der Blick auf den tiefblauen Río de la Plata. 

Casapueblo

Am Ende der gemeinsamen Reise ging es über Atlantidá mit Adlerkopf und Dieste-Kirche noch nach Montevideo, wo ich tags darauf von meinen Eltern Abschied nahm und wieder zurück nach Fray Bentos fuhr.

Der Abschied von Montevideo sollte aber nicht lange währen, denn bereits dieser Blog-Artikel wird nicht mehr in einer Kleinstadt am Río Uruguay, sondern in der Landeshauptstadt verfasst: Kenza und ich verbringen nämlich das Ende unseres Freiwilligendienstes in Montevideo an der Nationalkommission der UNESCO.

Auf dem Pferd übers Campo – Für anderthalb Stunden Gaucho spielen

Im Zuge des Besuchs meiner Eltern hier in Uruguay und unserer Rundreise durch das Land – dazu bald mehr – verbrachten wir die letzten beiden Nächte auf einer jener touristischen Estancias, wo man zugleich Komfort und einen Einblick in das Landleben Uruguays erhält (oder erhalten soll). Mit Los Plátanos hat meine Mutter bei der Buchung einen wirklichen Glücksgriff gemacht, denn die Zimmer sind wunderschön, es gibt einen überdachten Pool, ich muss keine drei Schritte gehen, um Kühe zu sehen, und die Inhaber:innen sind unheimlich nett. 

Die Pferde der Estancia – Nur das Braune ist ein typisches Gaucho-Pferd, der Schimmel ist zu groß und eher für Sport gedacht, das Pony ist ein Pony und damit zu klein

Was man hier auf dieser Estancia auch in Anspruch nehmen kann, ist eine Cabalgata, also ein Ausritt, mit Andrés, dem Hausherren, über die Weideflächen. Man begleitet ihn dabei mehr oder weniger bei der Arbeit, denn solche Kontrollritte macht er jetzt im Herbst zwei bis drei Mal die Woche, um zu schauen, ob alles noch beim Rechten unter seinen Jungbullen ist.

In Uruguay zu reiten, stand auf alle Fälle auf meiner Liste für dieses Jahr, denn natürlich ist der Gaucho mit seinem Pferd ein zentrales Motiv der uruguayischen Kultur. 

Da stand ich dann also um 16 Uhr neben meinem kleinen braunen Pferd – die traditionellen Gaucho-Pferde sind klein und kräftig von der Statur, angepasst an ihre Aufgaben – und bekomme von Andrés eine Einweisung, bevor ich mich auf mein Ross schwingen darf.

Ich hoffe, ich werde nicht von den Pferde-Fanatikern für meine sicherlich fachlich schwammige Ausdrucksweise in den nächsten Abschnitten gelyncht. Auch alle Gaucho-Expert:innen sollen bitte Nachsicht haben, ich gebe hier nur möglichst wahrheitsgetreu weiter, was Andrés mir erklärt hat.

Ich auf einem Pferd

Mit Sportreiten in Europa – oder zumindest meiner Erinnerung daran, schließlich ist das mittlerweile auch schon ungefähr zehn Jahre her – hat das Reiten hier in Uruguay wenig zu tun. Das liegt vor allem daran, dass das Pferd hier ein Arbeitstier ist und daher die Anforderungen ganz andere sind. Auch die Ausrüstung ist anders. Statt einem klassischen Sattel in Mattlederoptik mit passender Satteldecke darunter, sitze ich auf einem Sammelsurium aus geflochtenen Decken, Lederriemen, Schaffellen und dazwischen befindet sich, glaube ich, auch noch ein Ledersattel (vgl. Bild). Ich bin auch der Meinung, dass die Steigbügel hier weiter vorne sitzen als bei einem Sportsattel. Der größte Unterschied liegt vielleicht beim Mundstück der Trense: Ein zusätzliches Metallstück liegt hier auf der Zunge auf, wodurch das Pferd über die Impulse im Mundraum zum Beispiel in einer Notsituation ruckartig gestoppt und präziser kontrolliert werden kann. Wenn man bei einem solchen Gaucho-Pferd an den Zügeln zieht, hält das auf der Stelle an, trabt sich also nicht aus, weshalb man immer nur graduell den Bremsimpuls aufbauen darf. 

Das Sattelzeug

Auch die Zügel selbst sind interessant: Es gibt zwei Zügel, die nicht miteinander verbunden sind, sondern eher wie zwei Stricke zusammen festgehalten werden. Der Grund hierfür ist die Notwendigkeit, bei der Arbeit auch schnell vom Pferd absteigen zu müssen und es über einen unkomplizierten Strick direkt kontrollieren zu können, anstatt erst die Zügel zu entwirren o. ä.. Beim Reiten werden die Zügel in der linken Hand gehalten, damit die Rechte frei für notwendige Werkzeuge wie Messer oder Peitsche ist. 

Dadurch, dass man nur eine Hand für die Zügel hat, wird das Pferd auch anders gelenkt: Anstatt an der Seite des Zügels zu ziehen, in die das Pferd laufen soll, wird mit der Hand das gesamte Zügel-Konstrukt in die eine oder andere Richtung bewegt. 

Eine Sache, die meiner Erinnerung ans Reiten gleicht, ist die Art und Weise, wie man das Pferd in Bewegung setzt: Nämlich durch einen kurzen Impuls der Sporen/ Versen an die Flanke.

Bei meinem Pferd muss ich eigentlich auch nicht viel machen, denn es läuft friedlich Andrés’ Pferd hinterher und ich muss nur ab und an die Richtung korrigieren. Meine Aufgabe ist nur, sitzen zu bleiben und möglichst nicht von einem Ast aufgespießt zu werden.

Ich fühle mich schon ein wenig aus der Zeit gefallen, wie ich da auf einem Pferd über diese sich bis zum Horizont erstreckenden Weiden reite, auf denen Kühe grasen und zottelige Schafe mit wogendem Fell davonrennen, wenn wir ihnen zu nah kommen. Im Licht der langsam untergehenden Sonne könnte ich auch in die Welt eines Westerns (mit fragwürdiger historischer Akkuratheit) versetzt worden sein – aber dann sind wir auch schon wieder zurück am Haus und ich steige mit leichten O-Beinen ab, die sich aber nach ein paar wenigen Schritten schon wieder eingelaufen haben.

Bonus-Ente

Eine Reise durch Patagonien und Feuerland

Nach etwa zwei Monaten harter Arbeit und unerträglicher uruguayischer Hitze war es an der Zeit, wieder in den Urlaub zu fahren, dieses Mal nach Patagonien, in den Süden von Chile und Argentinien. Eine Warnung gleich zu Anfang: Dieser Beitrag wird sehr Bilder-lastig.

Nach einer Nacht am Flughafen Ezeiza in Buenos Aires (nicht einmal annähernd so gut wie in Porto Alegre) flogen wir über quasi leere Steppe nach El Calafate, wo wir den Perito-Moreno-Gletscher besichtigten. El Calafate ist nach der Calafate-Frucht benannt, die in etwa wie eine Mischung aus einer Blaubeere und einer Zitrone schmeckt. 

Von El Calafate aus ging es mit dem Bus über die chilenische Grenze nach Puerto Natales, einer heimeligen Küstenstadt, gerade im Vergleich zum touristischen El Calafate. Im naheliegenden Nationalpark Torres del Paine wanderten wir zu ebendiesen Torres del Paine. Die Tour dauert mit ausgiebiger Pause an der Lagune vor den Torres etwa acht Stunden. Bei Puerto Natales wurden (von einem deutschen Abenteurer, Hermann Eberhardt) in einer Höhle die Überreste eines Riesenfaultieres (Mylodon) gefunden und diese Höhle könnte man auch besuchen, leider war das in unserem Zeitplan nicht vorgesehen. Wenn ich wiederkomme, werde ich mir diese aber noch anschauen. 

Der nächste Halt war in Punta Arenas, wo wir auf dem Weg Richtung Feuerland eine Nacht verbrachten. Leider war das Wetter zu regnerisch, als dass wir viel gesehen hätten. Stattdessen saßen wir im Café und aßen “Kuchen de Ruibarbo”. 

Unsere längste Busfahrt begann in Punta Arenas und führte uns aus Chile heraus und zurück nach Argentinien, nach Feuerland. Dazu mussten wir über eine doch recht unruhige Magellan-Straße mit der Fähre übersetzen und man munkelt, dass eine Welle, die über die Reling geschwappt ist, meine gesamte Rückseite durchnässt hatte, einschließlich des Hosenbodens, auf dem ich noch acht Stunden zu sitzen hatte. 

Die letzten vier Tage verbrachten wir in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Auf zwei Bootstouren im Beagle-Kanal konnten wir die fantastische Fauna beobachten mit Antarktischen Kormoranen, Mähnenrobben, Südlichen Seebären, Sei-Walen und, zweifelloses Highlight, Pinguinen! Zwei verschiedene Spezies konnten wir zum aktuellen Zeitpunkt auf der Isla Martillo beobachten, nämlich die dort dauerhaft wohnenden Eselspinguine und die Sommertouristen, die Magellan-Pinguine. Wir besichtigten auch das (sehr teure) Gefängnis-Museum, wanderten durch eine Regenwolke hindurch zum Glaciar Martial (bzw. seinen Überresten) und an grünen Buchten die Küste des Nationalparks Tierra del Fuego entlang.

Obwohl ich am liebsten da geblieben wäre, mussten wir natürlich wieder zurück nach Uruguay, weshalb wir Sonntagabends nach Buenos Aires flogen, dort den Tag verbrachten, erfolglos Dollar suchten und keine Postkarten verschickten, weil die argentinische Post pro Karte 6€ verlangt, bevor es zurück nach Fray Bentos ging, wo wir auch noch ganz geschwind in unsere nächste Unterkunft umzogen. (Keine Empfehlung, obwohl alles reibungslos funktioniert hat.)

 

Patagonien und Tierra del Fuego waren bisher die eindrucksvollsten Orte dieses Jahres und ich vermute, dass sie außer Konkurrenz bleiben werden, nicht nur wegen ihrer außergewöhnlichen Landschaften, sondern auch, weil ich mit ihnen eine dieser Stellen gesehen habe, von denen ich noch vor einigen Jahren in den Reiseberichten eines Darwin gelesen hatte und seitdem sehen wollte – Ich war nicht enttäuscht.

 

Aber was ist mit Weihnachten?

Ich kehre nun nicht widerwillig, aber doch mit einer gewissen Unlust zu diesem Stiefkind meiner Berichterstattung über mein Auslandsjahr zurück (hört einfach den Podcast oder folgt mir auf Instagram, da bekommt ihr in etwa die gleichen Informationen, nur schneller), wo man die dritte Version meiner Erlebnisse zu lesen findet. 

Die wohl größte Sorge meiner Mutter, nachdem Zielland und all das feststanden, war wohl die obige Frage: Wie würde ich Weihnachten verbringen?

Da mittlerweile das Alte Jahr verstrichen ist, kann ich über ebendiese Zeit zwischen den Jahren berichten. Während meines letzten Artikels war ich noch in Atibaia und von dort aus ging es nach Itajobi in die Limettenanbauregion Brasiliens. In dieser Kleinstadt wohnen die Geschwister meiner Tante; ich kam bei ihrem Bruder unter, sie und mein Onkel bei ihrer Schwester. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und verbrachte meine Zeit hier hauptsächlich mit der Familie und damit, zu essen. Die kleine fünfjährige Nichte meiner Tante und die große Auswahl an Fruchtsäften, die man überall kaufen kann, sind Gründe, warum ich jetzt zumindest die Namen verschiedener Obstsorten auf Portugiesisch kenne. 

Über das Essen in Brasilien kann ich Gutes berichten: Natürlich gibt es hier eine Vielzahl frischer Früchte, die ich auch in regen Mengen aß, entweder frisch oder zu Saft verarbeitet. Auch das Grundnahrungsmittel, nämlich Reis und Bohnen, sagte mir zu. Ein kleineres Gericht, dessen Zubereitung immer noch Fragen in mir aufwirft, ist Tapioca. In Brasilien wird aus relativ grobgemahlenem Manniok ein Fladen in der Pfanne ausgebacken, der dann entweder süß oder herzhaft belegt gegessen wird. Wie dieser Fladen zusammenhält, blieb mir ein Rätsel.

Wie ich nun so in Brasilien war, fasste ich ziemlich spontan den Entschluss, mir auch Rio de Janeiro anzuschauen. Gesagt, getan – kaufte ich am ersten Tag noch das Busticket, war ich am nächsten schon unterwegs nach Norden.

Blick auf Rio de Janeiro von der Cristo-Statue

Rio gefiel mir sehr gut und ich hatte auch meine Freude daran, mal wieder alleine zu reisen. Selbstverständlich schaute ich mir die Cristo-Statue an und ließ die Wellen der Copacabana gegen mich brausen, aber ich lernte auch im Museu Histórico Nacional einiges über die Geschichte Brasiliens und Rio de Janeiros. Beinahe einen ganzen Tag verbrachte ich auch im Botanischen Garten der Stadt, den ich jedem Besucher, der sich für Pflanzen (und Tiere) interessiert, nur ans Herz legen kann. 

In Rio kam ich natürlich nicht drum herum, mich mit anderen Freiwilligen zu treffen, die hier entweder ihren Freiwilligendienst absolvieren oder für das Neue Jahr angereist waren (z. T. aus Argentinien und Paraguay!).

Das Jahr wechselte für mich unter spektakulärem Feuerwerk an der Copacabana.

Blick auf die Copacabana aus Süden

Am 01. Januar ging es dann wieder zurück nach Itajobi, ich verbrachte noch ein paar wenige Tage bei der Familie und am 03. ging es schon wieder weiter nach Atibaia. Da ich mir vor meinem Rückflug noch São Paulo anschauen wollte, nahm ich den Bus dorthin und verbrachte noch zwei Tage in der größten Stadt Brasiliens. Auch hier traf ich mich wieder mit einigen Freiwilligen. Highlights meiner Zeit in São Paulo waren neben der Pinacoteca, die spannende Künstler:innen wie Marta Minujín und Cao Fei ausstellte, die Kirche São Bento und das japanische Viertel Liberdade, wo man sich wie in Fernost fühlt. São Paulo hat die größte Gemeinschaft Japaner außerhalb von Japans, denn Anfang des 20. Jahrhunderts kamen viele Einwanderer hierher, um auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten. Die Lebensrealität dieser Einwanderer und den Werdegang der japanischen Bevölkerung in Brasilien zeigt das Museu Histórico da Imigração Japonesa no Brasil.

Obwohl ich viele interessante Dinge auf meiner kleinen Brasilienreise erleben konnte, war ich jetzt am Ende doch froh, wieder nach Uruguay zurückzukehren. Auch in Fray Bentos hatte sich einiges geändert, so hatte ich mittlerweile drei Mitbewohner:innen mehr, doch darüber vielleicht ein andermal. 

Der Wetterzyklus

Es ist heiß. Es regnet. Es kühlt ab. Es erwärmt sich wieder. Woche um Woche.

Bisher verlief das Wetter hier in diesem Zyklus und die Phase “Es regnet.” lag unbeweglich über der letzten Woche. Deutscher Herbst im uruguayischen Frühling. Der Kälteeinbruch hielt sich hartnäckig und das Wetter war ungemütlich, Drinnenbleibe-Wetter, Suppen-ess-Wetter, Tee-und-Kekse-Wetter. 

Grauer Himmel 1
Grauer Himmel 2

Der Sommer gibt sich aber nicht geschlagen, das Wochenende gab sich wieder heiß, das Thermometer kletterte über die 30°-Marke. Es wird höchste Zeit, das Haus zu verlassen. 

Kenza und ich fahren nach Nuevo Berlín, eine kleine Stadt den Río Uruguay hoch, die einst von Deutschen gegründet wurde. Wir nehmen den Bus um 8 Uhr, da es der einzige Bus ist, der die Strecke fährt.

In der Stadt springen uns schnell zwei Hunde an und, waren sie zu Anfang noch recht wild, begleiten uns bald schon friedlich für den Rest des Tages. Normalerweise kann man hier Bootstouren zu den Flussinseln machen, aufgrund des Regens steht das Wasser aber hoch und es werden keine Fahrten angeboten. Die Frau aus der Touristeninformation ist aber so nett und schließt uns das MABRU, das Museo Arqueológico del Bajo Río Uruguay, auf, wo Funde verschiedener archäologischer Grabungen aus der weiteren Region ausgestellt sind, die auf die Guaraní zurückgehen, die hier bis ins 16. Jahrhundert die vorherrschende Bevölkerung stellten. In den zwei Räumen des Museums stehen mittig jeweils Vitrinen, die Töpfe, Perlen und Scherben zeigen, zum Teil kunstvoll gewirkt, zum Teil einfach gehalten. An den Wänden hängen eng beschriebene Plakate, die die Gewohnheiten der Menschen zeigen, was sie aßen, woher sie kamen, welche Hunde sie besaßen. 

Wir verlassen das Museum und schauen uns stattdessen den Ort an. Das Leben hier ist ländlich, kleine Einfamilienhäuser mit großen Gärten, zwischen den Häusern blitzen die Wiesen hervor, die an die Siedlung anschließen. Wir verbringen die Zeit vor allem im Grünen, am Ufer des Flusses, wo sich Vögel tummeln (darunter seltsame Enten, die sich wie Hühner verhalten) und Blumen blühen. Einer der Hunde bringt uns immer größer werdende Äste, die wir werfen sollen, damit er ihnen dann hinterherjagen kann. 

Der einzige Bus zurück nach Fray Bentos geht um 16:15 Uhr, wir lassen den treueren unserer beiden Begleiter an der Bushaltestelle zurück, den anderen hatten wir schon etwas früher verloren. 

In Fray Bentos geht es dann noch mit zwei jungen Leuten an die Rambla, wo wir uns über dies und jenes unterhalten. Einer der beiden hatte am Wochenende Geburtstag, weshalb wir noch von den Resten eines fantastischen Geburtstagskuchen essen konnten. Wir verabschieden uns nicht allzu spät, auch wenn der Himmel schon dunkel ist, und kehren zum Haus (und zu unseren Betten) zurück.

 

Fray Bentos, Kleinstadt am Río Uruguay

Fray Bentos ist eine Kleinstadt am Ufer des Río Uruguay, ganz im Westen des Landes. Hier ist das Leben tranquilo, wie die Einwohner:innen nicht müde werden, uns zu versichern. 

Es gibt unser Museum zur Industriellen Revolution in Uruguay – die ehemalige Fleischextrakt-Fabrik – und ein anderes über den Künstler Luis Alberto Solari, dann noch das Theater Miguel Young (“Shung”, wie man hier sagt) und das war es auch schon. Zumindest fühlt es sich ein wenig danach an. 

Ganz so ist es dann aber auch wieder nicht. Es sind zwar bisher nur anderthalb Wochen vergangen, aber dennoch fühlt es sich ein wenig an, als wäre ich schon ewig hier. Denn obwohl das Leben hier tranquilo ist, ist viel passiert. 

Zunächst einmal wohne ich jetzt irgendwo langfristig und nicht mehr temporär, wie es in Montevideo der Fall war. Das heißt, ich musste mich einrichten, den Koffer endlich auspacken, putzen, einkaufen und für mich kochen – und zwar für den Rest des Jahres (und wahrscheinlich auch meines Lebens). Da meine Mitfreiwillige und ich außerhalb der Stadt wohnen, nimmt der Weg zu den verschiedensten Orten doch einen größeren Teil des Tages ein. Ich störe mich aber nicht daran, jeden Morgen eine Dreiviertelstunde gehen zu müssen, denn der Weg führt mich durchs Grüne, an Schafen, Kühen, Pferden und Vögeln vorbei.

La María – Der Ort, an dem ich wohne

Die Paisaje Cultural Industrial Fray Bentos, also das ehemalige Fabrikgelände, umfasst ein großes Areal mit vielen verschiedenen Strukturen. Schon von Weitem sieht man einen Schornstein in den Himmel ragen und auch das kantige Gebäude des Frigorífico, des Kühlhauses für die Tonnen und Tonnen an Fleisch, dominiert diesen Uferabschnitt. 

Das Kühlhaus

Unsere Kollegen nahmen uns sehr herzlich auf, aber unser Chef war zum Zeitpunkt unserer Ankunft noch im Urlaub, weshalb niemandem so wirklich klar war, was wir tun sollten. Dementsprechend verbrachten wir diese ersten Tage damit, den anderen Museumsmitarbeitern hinterher zu dackeln und ein Verständnis für den Ort zu entwickeln.

Als dann unser Chef wieder da war, wurden wir dem Intendente des Departamento Río Negro vorgestellt, wir erhielten eine Führung durch das oben erwähnte Theater Young und wir nahmen an einem Vortrag einer Professorin aus Genua zu nachhaltigen Energiekonzepten in Bezug auf Welterbestätten teil. Der Vortrag war in Italienisch, Fragen wurden auf Spanisch gestellt und auf wundersame Weise verstanden sich alle prächtig. 

Plaza Constitución

Am Wochenende wurden wir vom Samtagsmarkt der Stadt enttäuscht, denn wir hatten doch mit größerem Marktgeschehen gerechnet, so in der Hauptstadt des Departamento. Dafür investierten wir in einem der vielen Geschäfte entlang der Calle 18 de Julio in eine Auflauf- und Kuchenform und buken auch gleich Brownies in meinem Gasofen. Die Kuchenform war wohl eine unsere besten Entscheidungen bisher, aber einen Gasofen zum Laufen zu bringen, stellte uns doch vor größere Herausforderungen, denn man muss irgendwie gleichzeitig den Knopf drücken, an der korrekten Öffnung das Gas entzünden und das alles bei fragwürdigen Lichtverhältnissen – wir haben diese Herausforderung aber erfolgreich gemeistert und die Brownies schmeckten dementsprechend besonders gut.

Dieser Samstag blieb ereignisreich, denn als wir am Abend uns ein kostenloses Konzert einer kleineren Band im Theater anschauen gehen wollten, stießen wir zufällig auf die Marcha por la Diversidad, also den CSD von Fray Bentos. Statt der Band schauten wir uns dann Dragqueens und lokale Künstler:innen an und waren auch noch auf der Afterparty, wo wir unsere ersten Fraybentin@s kennenlernten.

Neue Leute kennenzulernen gestaltet sich bisher nicht allzu einfach, denn ich weiß einfach nicht, wo andere Leute in meinem Alter oder mit meinen Interessen sind. Auf der anderen Seite bin ich noch kaum zwei Wochen hier, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ich noch nicht die ganze Stadt kenne. 

Der Río Negro in Mercedes

Kenza und ich haben auch schon unseren ersten Ausflug raus aus Fray Bentos hinter uns. Mit dem Bus ging es nach Mercedes, eine nahegelegene Stadt und Hauptstadt des Departamento Soriano. Dort schauten wir uns die wunderschöne Rambla am Río Negro an, wenn wir auch nicht zur Isla del Puerto konnten, da das Wasser zu hoch stand. Hier gibt es auch eine große Kathedrale und einige Einkaufsläden, die zum Bummeln einladen. Ein nasser und dreckiger Labrador versuchte auch sein Bestes, uns zu adoptieren, wir sind ihn aber doch noch losgeworden. Hundebesitzer zu werden, steht nicht auf meiner To-Do-Liste für Uruguay.

Vielleicht kann man jetzt besser nachvollziehen, was ich meinte, als ich sagte, dass es sich anfühlt, als würde ich schon viel länger hier leben. Es passiert so viel und ich bin gespannt, was noch passieren wird.

10 Tage Urlaub

Nach zehn Tagen Montevideo beginnt nun der eigentliche Freiwilligendienst, fern der Hauptstadt im Interior. Ein guter Zeitpunkt also, diese ersten Tage ein wenig zusammenzufassen. 

Unseren kleinen Ausflug nach Punta del Este habe ich bereits zur Genüge ausgeführt, aber natürlich haben wir auch Montevideo selbst erkundet. Am Sonntag nahmen wir dazu an einer Stadtführung durch die Altstadt teil, die uns die wichtigsten (Reiter-)Denkmäler und Gebäude zeigte, aber auch auf die Geschichte von Uruguay einging und die liberale Politik des Landes (Ehe für Alle, Recht auf Abtreibung, Cannabis-Legalisierung) thematisierte. 

Auf ebendieser Führung wurde uns auch eine alternative Herkunft des Namens der Stadt präsentiert: Statt des typischen “Ich sehe einen Berg”-Montevideos wird hierbei der Name in Monte-VI-deo aufgeteilt. VI steht jetzt für die römische Zahl und “deo” für “del este a oeste” (von Osten nach Westen), da der Hügel, auf dem sich Montevideo befindet, der sechste von Osten nach Westen gezählt sein soll. (Halte ich diese Erklärung für sehr weit hergeholt? Möglicherweise.)

Der Sonntag endete aber nicht mit dieser Stadtführung, denn als einige von uns sich durch ein Schild und das schlechte Wetter eine bunte Treppe in der sonst menschenleeren Altstadt hinauflocken ließen, entdeckten wir dort eine kleine Fería, einen Markt, auf dem alles von Essen, Traumfängern, Tattoos bis zu Sex-Spielzeug dargeboten wurde. Es gab auch die Möglichkeit, verschiedene Gesellschaftsspiele zu spielen, weshalb wir uns mit der spanisch-sprachigen Version von Taco-Katze-Ziege-Käse-Pizza (Taco-Gato-Cabra-Queso-Pizza) und einem Spiel, in dem es darum geht, die Haustiere der anderen für das Häufchen auf dem Teppich verantwortlich zu machen, den hagelnden Nachmittag vertrieben. 

Am Montag begann dann der Sprachkurs, den wir bei der Academia Uruguay absolvierten. Morgens waren wir Teil des regulären Unterrichts der Sprachschule, während nachmittags semi-private Stunden stattfanden, die nur aus uns Freiwilligen, aufgeteilt nach Niveau-Stufen, bestanden. Am Morgen wurde Grammatik wiederholt und Landeskunde gemacht, was, nachdem ich die Niveaustufe gewechselt hatte, ziemlich spannend war; der beste Teil des Kurses aber waren die Nachmittage. In meiner Gruppe waren wir zu fünft und wir verbrachten die erste Einheit mit Sprechen, dann schrieben wir Reizwürfel-Geschichten und schauten “Tiranos temblad”, eine Youtube-Sendung, die Beiträge zu Uruguay auf lustige Art und Weise wöchentlich sammelt und veröffentlicht. 

Zusammen mit den anderen Freiwilligen hatten wir auch eine Einführung in die Kunst, Mate zu machen (dazu kommt wahrscheinlich irgendwann ein eigener Beitrag) und zum Abschluss führten wir eine kleine Schnitzeljagd durch, deren Preis Alfajores waren, ein uruguayisches Gebäck, das aus zwei Keksen besteht, die mit Dulce de Leche gefüllt und mit Schokolade überzogen sind. 

Zwischen Sprachschule, Einkauf und Kochen für neun Leute war so ein Tag schon ganz gut ausgefüllt, aber gerade am Abend konnten wir dann doch noch die ein oder andere Aktivität hineinquetschen. Wir versuchten uns am Asados, dem für Uruguay (und auch Argentinien) typischen Grillen, was wir im Rahmen unserer Möglichkeiten nicht schlecht machten – es fehlten uns schließlich essenzielle Hilfsmittel wie Grillzangen.

Auch ein Krimi-Dinner veranstalteten wir, sogar kostümiert, zumindest so weit das unsere Koffer hergaben. Es konnte ja niemand mit einem 20er-Motto rechnen! Am Tag des Mordes improvisierten wir aber nicht nur unsere Kostüme, sondern auch Linsen und Spätzle, was ohne die meisten Gewürze, Spätzle-Presse oder auch nur ein Brett als ordentliche Leistung verzeichnet werden darf. 

In der Hauptstadt darf Kultur natürlich nicht fehlen, weshalb wir über die Sprachschule das Ballett “La Viuda Alegre” besuchten, das die Operette “Die lustige Witwe” adaptiert. Die Vorstellung ist fantastisch, nicht nur im Tanz, sondern auch bei Kostüm und Bühnenbild – was mich aber nicht davon abhielt, den Großteil des zweiten Aktes lang gegen meine zufallenden Augen kämpfen zu müssen. 

Es ist seltsam, sich von den anderen zu trennen. Zusammen mit dem Vorbereitungsseminar waren wir fast drei Wochen lang quasi ohne Unterbrechung beinander und jetzt verstreuten wir uns in alle Ecken von Uruguay. Ein jeder Urlaub muss eben einmal enden…

Ich freue mich aber auch schon darauf, den tatsächlichen Freiwilligendienst zu beginnen, zumal die meisten anderen Freiwilligen außerhalb von Uruguay ihre erste Woche schon hinter sich haben. Mal sehen, was mich in Fray Bentos erwartet – dazu mehr im nächsten Beitrag.