Auf Schotterstraßen durch Uruguay brettern

Wie vor doch etwas längerer Zeit angekündigt, folgt nun endlich der Bericht über den Besuch meiner Eltern – surreal, wie lange her es sich anfühlt, auch wenn es de facto nur etwas mehr als zwei Wochen sind.

Meine Eltern landeten Ende März in Montevideo und kamen dann über Colonia del Sacramento nach Fray Bentos, wo wir ihnen selbstverständlich das Museum und die besten Plätze zeigten und uns im Gegenzug von ihnen bekochen ließen. In ihre Ferienwohnung wären wir auch gerne dauerhaft eingezogen, denn sie hatte zwei Zimmer, war sauber und zentral an der Rambla gelegen, sodass wir nicht mehr so lange zur Arbeit hätten laufen müssen – nun gut, solange sind wir nicht mehr in Fray Bentos.

Von Fray Bentos aus fuhren meine Eltern und ich dann Richtung Norden, um uns die Quebradas del Norte mit ihren Wasserfällen anzuschauen. Landschaftlich ist der Norden völlig anders als der Süden, es gibt Hügel (!), die oben abgeflacht sind, und das Land ist noch dünner besiedelt. Wir haben eine traumhaft schöne Hütte auf einem Hügel inmitten von Weiden und am Morgen ziehen Gänse an meinem Fenster vorbei. 

Das einzige Problem an diesem menschenarmen Norden ist seine Infrastruktur, denn des Öfteren müssen wir über rote geschotterte Erdstraßen fahren, auf denen Steine und Staub das Fahrzeug umwirbeln und der Regen tiefe Furchen in die Oberfläche gezogen hat. 

Da das Land dünn besiedelt ist, sieht man auch niemanden auf der Straße. Man kann stundenlang fahren, ohne dass einem ein Auto entgegenkommt – hier will man also auf gar keinen Fall einen Unfall haben.

Auf unserer Fahrt sehen wir die Fußstapfen von Dinosauriern, Nandus, die über die Wiesen rennen, und natürlich Kühe zuhauf.

Wir verbringen auch Zeit auf einer Estancia, wie der letzte Artikel schon erwähnte. Die Estancia Los Platanos ist eine touristische Estancia mit zwei Doppel- und einem Familienzimmern, einem überdachten Pool und einem urig eingerichteten Wohnzimmer bzw. Aufenthaltsraum. Das Gebäude befindet sich seit acht Generationen im Besitz der Familie. Neben Cabalgatas, also Ausritten, kann man hier auch geführte Wanderungen machen, wobei meine Mutter und ich viel über die verschiedenen Mikroklimata auf den Weiden lernten, die je nach Nähe zum Bachlauf und weiteren Faktoren das Wachstum unterschiedlichster Pflanzen begünstigen. Hier können im Schutz dichter Äste bachnah auch Farne wachsen, was in Uruguay nicht allzu häufig vorkommt – in Deutschland müsste ich nur ein paar Schritte tun, um einen Farn zu sehen.

Natürlich haben wir uns auch die Küste angeschaut: Der kleine Ort La Esmeralda, der im Sommer wohl voller Touristen sein mag, ist jetzt im Frühherbst ausgestorben. Wir hatten den kilometerlangen weißen Sandstrand fast für uns allein, nur einige Küstenvögel (und tote Pinguine) haben uns Gesellschaft geleistet. 

Die Küste bei La Esmeralda

Hiernach war dann aber Schluss mit der Menschenarmut, denn unser nächster Stopp war Punta del Este mit seinen Hochhäusern und Menschenmengen. Hier hatten wir eine kleine Cabaña auf einer Estancia, die vorwiegend aus Schrott (altes Holz, Metall etc.) aufgebaut war. Es gab auch einen kommunalen Garten, wo man Kräuter und Gemüse ernten konnte, soweit es reif war.

Wir besichtigten dort in der Nähe auch Casapueblo, das Haus und Atelier des uruguayischen Künstlers Carlos Páez Vilaró, das er selbst (mit anderen) gebaut oder eher geformt hat und was von ihm selbst als Statue zum darin wohnen bezeichnet wurde. Im Inneren sind Kunstwerke ausgestellt, das wahre Highlight ist aber wohl (gerade an sonnigen Tagen) der Blick auf den tiefblauen Río de la Plata. 

Casapueblo

Am Ende der gemeinsamen Reise ging es über Atlantidá mit Adlerkopf und Dieste-Kirche noch nach Montevideo, wo ich tags darauf von meinen Eltern Abschied nahm und wieder zurück nach Fray Bentos fuhr.

Der Abschied von Montevideo sollte aber nicht lange währen, denn bereits dieser Blog-Artikel wird nicht mehr in einer Kleinstadt am Río Uruguay, sondern in der Landeshauptstadt verfasst: Kenza und ich verbringen nämlich das Ende unseres Freiwilligendienstes in Montevideo an der Nationalkommission der UNESCO.

Auf dem Pferd übers Campo – Für anderthalb Stunden Gaucho spielen

Im Zuge des Besuchs meiner Eltern hier in Uruguay und unserer Rundreise durch das Land – dazu bald mehr – verbrachten wir die letzten beiden Nächte auf einer jener touristischen Estancias, wo man zugleich Komfort und einen Einblick in das Landleben Uruguays erhält (oder erhalten soll). Mit Los Plátanos hat meine Mutter bei der Buchung einen wirklichen Glücksgriff gemacht, denn die Zimmer sind wunderschön, es gibt einen überdachten Pool, ich muss keine drei Schritte gehen, um Kühe zu sehen, und die Inhaber:innen sind unheimlich nett. 

Die Pferde der Estancia – Nur das Braune ist ein typisches Gaucho-Pferd, der Schimmel ist zu groß und eher für Sport gedacht, das Pony ist ein Pony und damit zu klein

Was man hier auf dieser Estancia auch in Anspruch nehmen kann, ist eine Cabalgata, also ein Ausritt, mit Andrés, dem Hausherren, über die Weideflächen. Man begleitet ihn dabei mehr oder weniger bei der Arbeit, denn solche Kontrollritte macht er jetzt im Herbst zwei bis drei Mal die Woche, um zu schauen, ob alles noch beim Rechten unter seinen Jungbullen ist.

In Uruguay zu reiten, stand auf alle Fälle auf meiner Liste für dieses Jahr, denn natürlich ist der Gaucho mit seinem Pferd ein zentrales Motiv der uruguayischen Kultur. 

Da stand ich dann also um 16 Uhr neben meinem kleinen braunen Pferd – die traditionellen Gaucho-Pferde sind klein und kräftig von der Statur, angepasst an ihre Aufgaben – und bekomme von Andrés eine Einweisung, bevor ich mich auf mein Ross schwingen darf.

Ich hoffe, ich werde nicht von den Pferde-Fanatikern für meine sicherlich fachlich schwammige Ausdrucksweise in den nächsten Abschnitten gelyncht. Auch alle Gaucho-Expert:innen sollen bitte Nachsicht haben, ich gebe hier nur möglichst wahrheitsgetreu weiter, was Andrés mir erklärt hat.

Ich auf einem Pferd

Mit Sportreiten in Europa – oder zumindest meiner Erinnerung daran, schließlich ist das mittlerweile auch schon ungefähr zehn Jahre her – hat das Reiten hier in Uruguay wenig zu tun. Das liegt vor allem daran, dass das Pferd hier ein Arbeitstier ist und daher die Anforderungen ganz andere sind. Auch die Ausrüstung ist anders. Statt einem klassischen Sattel in Mattlederoptik mit passender Satteldecke darunter, sitze ich auf einem Sammelsurium aus geflochtenen Decken, Lederriemen, Schaffellen und dazwischen befindet sich, glaube ich, auch noch ein Ledersattel (vgl. Bild). Ich bin auch der Meinung, dass die Steigbügel hier weiter vorne sitzen als bei einem Sportsattel. Der größte Unterschied liegt vielleicht beim Mundstück der Trense: Ein zusätzliches Metallstück liegt hier auf der Zunge auf, wodurch das Pferd über die Impulse im Mundraum zum Beispiel in einer Notsituation ruckartig gestoppt und präziser kontrolliert werden kann. Wenn man bei einem solchen Gaucho-Pferd an den Zügeln zieht, hält das auf der Stelle an, trabt sich also nicht aus, weshalb man immer nur graduell den Bremsimpuls aufbauen darf. 

Das Sattelzeug

Auch die Zügel selbst sind interessant: Es gibt zwei Zügel, die nicht miteinander verbunden sind, sondern eher wie zwei Stricke zusammen festgehalten werden. Der Grund hierfür ist die Notwendigkeit, bei der Arbeit auch schnell vom Pferd absteigen zu müssen und es über einen unkomplizierten Strick direkt kontrollieren zu können, anstatt erst die Zügel zu entwirren o. ä.. Beim Reiten werden die Zügel in der linken Hand gehalten, damit die Rechte frei für notwendige Werkzeuge wie Messer oder Peitsche ist. 

Dadurch, dass man nur eine Hand für die Zügel hat, wird das Pferd auch anders gelenkt: Anstatt an der Seite des Zügels zu ziehen, in die das Pferd laufen soll, wird mit der Hand das gesamte Zügel-Konstrukt in die eine oder andere Richtung bewegt. 

Eine Sache, die meiner Erinnerung ans Reiten gleicht, ist die Art und Weise, wie man das Pferd in Bewegung setzt: Nämlich durch einen kurzen Impuls der Sporen/ Versen an die Flanke.

Bei meinem Pferd muss ich eigentlich auch nicht viel machen, denn es läuft friedlich Andrés’ Pferd hinterher und ich muss nur ab und an die Richtung korrigieren. Meine Aufgabe ist nur, sitzen zu bleiben und möglichst nicht von einem Ast aufgespießt zu werden.

Ich fühle mich schon ein wenig aus der Zeit gefallen, wie ich da auf einem Pferd über diese sich bis zum Horizont erstreckenden Weiden reite, auf denen Kühe grasen und zottelige Schafe mit wogendem Fell davonrennen, wenn wir ihnen zu nah kommen. Im Licht der langsam untergehenden Sonne könnte ich auch in die Welt eines Westerns (mit fragwürdiger historischer Akkuratheit) versetzt worden sein – aber dann sind wir auch schon wieder zurück am Haus und ich steige mit leichten O-Beinen ab, die sich aber nach ein paar wenigen Schritten schon wieder eingelaufen haben.

Bonus-Ente

Eine Reise durch Patagonien und Feuerland

Nach etwa zwei Monaten harter Arbeit und unerträglicher uruguayischer Hitze war es an der Zeit, wieder in den Urlaub zu fahren, dieses Mal nach Patagonien, in den Süden von Chile und Argentinien. Eine Warnung gleich zu Anfang: Dieser Beitrag wird sehr Bilder-lastig.

Nach einer Nacht am Flughafen Ezeiza in Buenos Aires (nicht einmal annähernd so gut wie in Porto Alegre) flogen wir über quasi leere Steppe nach El Calafate, wo wir den Perito-Moreno-Gletscher besichtigten. El Calafate ist nach der Calafate-Frucht benannt, die in etwa wie eine Mischung aus einer Blaubeere und einer Zitrone schmeckt. 

Von El Calafate aus ging es mit dem Bus über die chilenische Grenze nach Puerto Natales, einer heimeligen Küstenstadt, gerade im Vergleich zum touristischen El Calafate. Im naheliegenden Nationalpark Torres del Paine wanderten wir zu ebendiesen Torres del Paine. Die Tour dauert mit ausgiebiger Pause an der Lagune vor den Torres etwa acht Stunden. Bei Puerto Natales wurden (von einem deutschen Abenteurer, Hermann Eberhardt) in einer Höhle die Überreste eines Riesenfaultieres (Mylodon) gefunden und diese Höhle könnte man auch besuchen, leider war das in unserem Zeitplan nicht vorgesehen. Wenn ich wiederkomme, werde ich mir diese aber noch anschauen. 

Der nächste Halt war in Punta Arenas, wo wir auf dem Weg Richtung Feuerland eine Nacht verbrachten. Leider war das Wetter zu regnerisch, als dass wir viel gesehen hätten. Stattdessen saßen wir im Café und aßen “Kuchen de Ruibarbo”. 

Unsere längste Busfahrt begann in Punta Arenas und führte uns aus Chile heraus und zurück nach Argentinien, nach Feuerland. Dazu mussten wir über eine doch recht unruhige Magellan-Straße mit der Fähre übersetzen und man munkelt, dass eine Welle, die über die Reling geschwappt ist, meine gesamte Rückseite durchnässt hatte, einschließlich des Hosenbodens, auf dem ich noch acht Stunden zu sitzen hatte. 

Die letzten vier Tage verbrachten wir in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Auf zwei Bootstouren im Beagle-Kanal konnten wir die fantastische Fauna beobachten mit Antarktischen Kormoranen, Mähnenrobben, Südlichen Seebären, Sei-Walen und, zweifelloses Highlight, Pinguinen! Zwei verschiedene Spezies konnten wir zum aktuellen Zeitpunkt auf der Isla Martillo beobachten, nämlich die dort dauerhaft wohnenden Eselspinguine und die Sommertouristen, die Magellan-Pinguine. Wir besichtigten auch das (sehr teure) Gefängnis-Museum, wanderten durch eine Regenwolke hindurch zum Glaciar Martial (bzw. seinen Überresten) und an grünen Buchten die Küste des Nationalparks Tierra del Fuego entlang.

Obwohl ich am liebsten da geblieben wäre, mussten wir natürlich wieder zurück nach Uruguay, weshalb wir Sonntagabends nach Buenos Aires flogen, dort den Tag verbrachten, erfolglos Dollar suchten und keine Postkarten verschickten, weil die argentinische Post pro Karte 6€ verlangt, bevor es zurück nach Fray Bentos ging, wo wir auch noch ganz geschwind in unsere nächste Unterkunft umzogen. (Keine Empfehlung, obwohl alles reibungslos funktioniert hat.)

 

Patagonien und Tierra del Fuego waren bisher die eindrucksvollsten Orte dieses Jahres und ich vermute, dass sie außer Konkurrenz bleiben werden, nicht nur wegen ihrer außergewöhnlichen Landschaften, sondern auch, weil ich mit ihnen eine dieser Stellen gesehen habe, von denen ich noch vor einigen Jahren in den Reiseberichten eines Darwin gelesen hatte und seitdem sehen wollte – Ich war nicht enttäuscht.

 

Aber was ist mit Weihnachten?

Ich kehre nun nicht widerwillig, aber doch mit einer gewissen Unlust zu diesem Stiefkind meiner Berichterstattung über mein Auslandsjahr zurück (hört einfach den Podcast oder folgt mir auf Instagram, da bekommt ihr in etwa die gleichen Informationen, nur schneller), wo man die dritte Version meiner Erlebnisse zu lesen findet. 

Die wohl größte Sorge meiner Mutter, nachdem Zielland und all das feststanden, war wohl die obige Frage: Wie würde ich Weihnachten verbringen?

Da mittlerweile das Alte Jahr verstrichen ist, kann ich über ebendiese Zeit zwischen den Jahren berichten. Während meines letzten Artikels war ich noch in Atibaia und von dort aus ging es nach Itajobi in die Limettenanbauregion Brasiliens. In dieser Kleinstadt wohnen die Geschwister meiner Tante; ich kam bei ihrem Bruder unter, sie und mein Onkel bei ihrer Schwester. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und verbrachte meine Zeit hier hauptsächlich mit der Familie und damit, zu essen. Die kleine fünfjährige Nichte meiner Tante und die große Auswahl an Fruchtsäften, die man überall kaufen kann, sind Gründe, warum ich jetzt zumindest die Namen verschiedener Obstsorten auf Portugiesisch kenne. 

Über das Essen in Brasilien kann ich Gutes berichten: Natürlich gibt es hier eine Vielzahl frischer Früchte, die ich auch in regen Mengen aß, entweder frisch oder zu Saft verarbeitet. Auch das Grundnahrungsmittel, nämlich Reis und Bohnen, sagte mir zu. Ein kleineres Gericht, dessen Zubereitung immer noch Fragen in mir aufwirft, ist Tapioca. In Brasilien wird aus relativ grobgemahlenem Manniok ein Fladen in der Pfanne ausgebacken, der dann entweder süß oder herzhaft belegt gegessen wird. Wie dieser Fladen zusammenhält, blieb mir ein Rätsel.

Wie ich nun so in Brasilien war, fasste ich ziemlich spontan den Entschluss, mir auch Rio de Janeiro anzuschauen. Gesagt, getan – kaufte ich am ersten Tag noch das Busticket, war ich am nächsten schon unterwegs nach Norden.

Blick auf Rio de Janeiro von der Cristo-Statue

Rio gefiel mir sehr gut und ich hatte auch meine Freude daran, mal wieder alleine zu reisen. Selbstverständlich schaute ich mir die Cristo-Statue an und ließ die Wellen der Copacabana gegen mich brausen, aber ich lernte auch im Museu Histórico Nacional einiges über die Geschichte Brasiliens und Rio de Janeiros. Beinahe einen ganzen Tag verbrachte ich auch im Botanischen Garten der Stadt, den ich jedem Besucher, der sich für Pflanzen (und Tiere) interessiert, nur ans Herz legen kann. 

In Rio kam ich natürlich nicht drum herum, mich mit anderen Freiwilligen zu treffen, die hier entweder ihren Freiwilligendienst absolvieren oder für das Neue Jahr angereist waren (z. T. aus Argentinien und Paraguay!).

Das Jahr wechselte für mich unter spektakulärem Feuerwerk an der Copacabana.

Blick auf die Copacabana aus Süden

Am 01. Januar ging es dann wieder zurück nach Itajobi, ich verbrachte noch ein paar wenige Tage bei der Familie und am 03. ging es schon wieder weiter nach Atibaia. Da ich mir vor meinem Rückflug noch São Paulo anschauen wollte, nahm ich den Bus dorthin und verbrachte noch zwei Tage in der größten Stadt Brasiliens. Auch hier traf ich mich wieder mit einigen Freiwilligen. Highlights meiner Zeit in São Paulo waren neben der Pinacoteca, die spannende Künstler:innen wie Marta Minujín und Cao Fei ausstellte, die Kirche São Bento und das japanische Viertel Liberdade, wo man sich wie in Fernost fühlt. São Paulo hat die größte Gemeinschaft Japaner außerhalb von Japans, denn Anfang des 20. Jahrhunderts kamen viele Einwanderer hierher, um auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten. Die Lebensrealität dieser Einwanderer und den Werdegang der japanischen Bevölkerung in Brasilien zeigt das Museu Histórico da Imigração Japonesa no Brasil.

Obwohl ich viele interessante Dinge auf meiner kleinen Brasilienreise erleben konnte, war ich jetzt am Ende doch froh, wieder nach Uruguay zurückzukehren. Auch in Fray Bentos hatte sich einiges geändert, so hatte ich mittlerweile drei Mitbewohner:innen mehr, doch darüber vielleicht ein andermal. 

Der Wetterzyklus

Es ist heiß. Es regnet. Es kühlt ab. Es erwärmt sich wieder. Woche um Woche.

Bisher verlief das Wetter hier in diesem Zyklus und die Phase “Es regnet.” lag unbeweglich über der letzten Woche. Deutscher Herbst im uruguayischen Frühling. Der Kälteeinbruch hielt sich hartnäckig und das Wetter war ungemütlich, Drinnenbleibe-Wetter, Suppen-ess-Wetter, Tee-und-Kekse-Wetter. 

Grauer Himmel 1
Grauer Himmel 2

Der Sommer gibt sich aber nicht geschlagen, das Wochenende gab sich wieder heiß, das Thermometer kletterte über die 30°-Marke. Es wird höchste Zeit, das Haus zu verlassen. 

Kenza und ich fahren nach Nuevo Berlín, eine kleine Stadt den Río Uruguay hoch, die einst von Deutschen gegründet wurde. Wir nehmen den Bus um 8 Uhr, da es der einzige Bus ist, der die Strecke fährt.

In der Stadt springen uns schnell zwei Hunde an und, waren sie zu Anfang noch recht wild, begleiten uns bald schon friedlich für den Rest des Tages. Normalerweise kann man hier Bootstouren zu den Flussinseln machen, aufgrund des Regens steht das Wasser aber hoch und es werden keine Fahrten angeboten. Die Frau aus der Touristeninformation ist aber so nett und schließt uns das MABRU, das Museo Arqueológico del Bajo Río Uruguay, auf, wo Funde verschiedener archäologischer Grabungen aus der weiteren Region ausgestellt sind, die auf die Guaraní zurückgehen, die hier bis ins 16. Jahrhundert die vorherrschende Bevölkerung stellten. In den zwei Räumen des Museums stehen mittig jeweils Vitrinen, die Töpfe, Perlen und Scherben zeigen, zum Teil kunstvoll gewirkt, zum Teil einfach gehalten. An den Wänden hängen eng beschriebene Plakate, die die Gewohnheiten der Menschen zeigen, was sie aßen, woher sie kamen, welche Hunde sie besaßen. 

Wir verlassen das Museum und schauen uns stattdessen den Ort an. Das Leben hier ist ländlich, kleine Einfamilienhäuser mit großen Gärten, zwischen den Häusern blitzen die Wiesen hervor, die an die Siedlung anschließen. Wir verbringen die Zeit vor allem im Grünen, am Ufer des Flusses, wo sich Vögel tummeln (darunter seltsame Enten, die sich wie Hühner verhalten) und Blumen blühen. Einer der Hunde bringt uns immer größer werdende Äste, die wir werfen sollen, damit er ihnen dann hinterherjagen kann. 

Der einzige Bus zurück nach Fray Bentos geht um 16:15 Uhr, wir lassen den treueren unserer beiden Begleiter an der Bushaltestelle zurück, den anderen hatten wir schon etwas früher verloren. 

In Fray Bentos geht es dann noch mit zwei jungen Leuten an die Rambla, wo wir uns über dies und jenes unterhalten. Einer der beiden hatte am Wochenende Geburtstag, weshalb wir noch von den Resten eines fantastischen Geburtstagskuchen essen konnten. Wir verabschieden uns nicht allzu spät, auch wenn der Himmel schon dunkel ist, und kehren zum Haus (und zu unseren Betten) zurück.

 

Fray Bentos, Kleinstadt am Río Uruguay

Fray Bentos ist eine Kleinstadt am Ufer des Río Uruguay, ganz im Westen des Landes. Hier ist das Leben tranquilo, wie die Einwohner:innen nicht müde werden, uns zu versichern. 

Es gibt unser Museum zur Industriellen Revolution in Uruguay – die ehemalige Fleischextrakt-Fabrik – und ein anderes über den Künstler Luis Alberto Solari, dann noch das Theater Miguel Young (“Shung”, wie man hier sagt) und das war es auch schon. Zumindest fühlt es sich ein wenig danach an. 

Ganz so ist es dann aber auch wieder nicht. Es sind zwar bisher nur anderthalb Wochen vergangen, aber dennoch fühlt es sich ein wenig an, als wäre ich schon ewig hier. Denn obwohl das Leben hier tranquilo ist, ist viel passiert. 

Zunächst einmal wohne ich jetzt irgendwo langfristig und nicht mehr temporär, wie es in Montevideo der Fall war. Das heißt, ich musste mich einrichten, den Koffer endlich auspacken, putzen, einkaufen und für mich kochen – und zwar für den Rest des Jahres (und wahrscheinlich auch meines Lebens). Da meine Mitfreiwillige und ich außerhalb der Stadt wohnen, nimmt der Weg zu den verschiedensten Orten doch einen größeren Teil des Tages ein. Ich störe mich aber nicht daran, jeden Morgen eine Dreiviertelstunde gehen zu müssen, denn der Weg führt mich durchs Grüne, an Schafen, Kühen, Pferden und Vögeln vorbei.

La María – Der Ort, an dem ich wohne

Die Paisaje Cultural Industrial Fray Bentos, also das ehemalige Fabrikgelände, umfasst ein großes Areal mit vielen verschiedenen Strukturen. Schon von Weitem sieht man einen Schornstein in den Himmel ragen und auch das kantige Gebäude des Frigorífico, des Kühlhauses für die Tonnen und Tonnen an Fleisch, dominiert diesen Uferabschnitt. 

Das Kühlhaus

Unsere Kollegen nahmen uns sehr herzlich auf, aber unser Chef war zum Zeitpunkt unserer Ankunft noch im Urlaub, weshalb niemandem so wirklich klar war, was wir tun sollten. Dementsprechend verbrachten wir diese ersten Tage damit, den anderen Museumsmitarbeitern hinterher zu dackeln und ein Verständnis für den Ort zu entwickeln.

Als dann unser Chef wieder da war, wurden wir dem Intendente des Departamento Río Negro vorgestellt, wir erhielten eine Führung durch das oben erwähnte Theater Young und wir nahmen an einem Vortrag einer Professorin aus Genua zu nachhaltigen Energiekonzepten in Bezug auf Welterbestätten teil. Der Vortrag war in Italienisch, Fragen wurden auf Spanisch gestellt und auf wundersame Weise verstanden sich alle prächtig. 

Plaza Constitución

Am Wochenende wurden wir vom Samtagsmarkt der Stadt enttäuscht, denn wir hatten doch mit größerem Marktgeschehen gerechnet, so in der Hauptstadt des Departamento. Dafür investierten wir in einem der vielen Geschäfte entlang der Calle 18 de Julio in eine Auflauf- und Kuchenform und buken auch gleich Brownies in meinem Gasofen. Die Kuchenform war wohl eine unsere besten Entscheidungen bisher, aber einen Gasofen zum Laufen zu bringen, stellte uns doch vor größere Herausforderungen, denn man muss irgendwie gleichzeitig den Knopf drücken, an der korrekten Öffnung das Gas entzünden und das alles bei fragwürdigen Lichtverhältnissen – wir haben diese Herausforderung aber erfolgreich gemeistert und die Brownies schmeckten dementsprechend besonders gut.

Dieser Samstag blieb ereignisreich, denn als wir am Abend uns ein kostenloses Konzert einer kleineren Band im Theater anschauen gehen wollten, stießen wir zufällig auf die Marcha por la Diversidad, also den CSD von Fray Bentos. Statt der Band schauten wir uns dann Dragqueens und lokale Künstler:innen an und waren auch noch auf der Afterparty, wo wir unsere ersten Fraybentin@s kennenlernten.

Neue Leute kennenzulernen gestaltet sich bisher nicht allzu einfach, denn ich weiß einfach nicht, wo andere Leute in meinem Alter oder mit meinen Interessen sind. Auf der anderen Seite bin ich noch kaum zwei Wochen hier, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ich noch nicht die ganze Stadt kenne. 

Der Río Negro in Mercedes

Kenza und ich haben auch schon unseren ersten Ausflug raus aus Fray Bentos hinter uns. Mit dem Bus ging es nach Mercedes, eine nahegelegene Stadt und Hauptstadt des Departamento Soriano. Dort schauten wir uns die wunderschöne Rambla am Río Negro an, wenn wir auch nicht zur Isla del Puerto konnten, da das Wasser zu hoch stand. Hier gibt es auch eine große Kathedrale und einige Einkaufsläden, die zum Bummeln einladen. Ein nasser und dreckiger Labrador versuchte auch sein Bestes, uns zu adoptieren, wir sind ihn aber doch noch losgeworden. Hundebesitzer zu werden, steht nicht auf meiner To-Do-Liste für Uruguay.

Vielleicht kann man jetzt besser nachvollziehen, was ich meinte, als ich sagte, dass es sich anfühlt, als würde ich schon viel länger hier leben. Es passiert so viel und ich bin gespannt, was noch passieren wird.

10 Tage Urlaub

Nach zehn Tagen Montevideo beginnt nun der eigentliche Freiwilligendienst, fern der Hauptstadt im Interior. Ein guter Zeitpunkt also, diese ersten Tage ein wenig zusammenzufassen. 

Unseren kleinen Ausflug nach Punta del Este habe ich bereits zur Genüge ausgeführt, aber natürlich haben wir auch Montevideo selbst erkundet. Am Sonntag nahmen wir dazu an einer Stadtführung durch die Altstadt teil, die uns die wichtigsten (Reiter-)Denkmäler und Gebäude zeigte, aber auch auf die Geschichte von Uruguay einging und die liberale Politik des Landes (Ehe für Alle, Recht auf Abtreibung, Cannabis-Legalisierung) thematisierte. 

Auf ebendieser Führung wurde uns auch eine alternative Herkunft des Namens der Stadt präsentiert: Statt des typischen “Ich sehe einen Berg”-Montevideos wird hierbei der Name in Monte-VI-deo aufgeteilt. VI steht jetzt für die römische Zahl und “deo” für “del este a oeste” (von Osten nach Westen), da der Hügel, auf dem sich Montevideo befindet, der sechste von Osten nach Westen gezählt sein soll. (Halte ich diese Erklärung für sehr weit hergeholt? Möglicherweise.)

Der Sonntag endete aber nicht mit dieser Stadtführung, denn als einige von uns sich durch ein Schild und das schlechte Wetter eine bunte Treppe in der sonst menschenleeren Altstadt hinauflocken ließen, entdeckten wir dort eine kleine Fería, einen Markt, auf dem alles von Essen, Traumfängern, Tattoos bis zu Sex-Spielzeug dargeboten wurde. Es gab auch die Möglichkeit, verschiedene Gesellschaftsspiele zu spielen, weshalb wir uns mit der spanisch-sprachigen Version von Taco-Katze-Ziege-Käse-Pizza (Taco-Gato-Cabra-Queso-Pizza) und einem Spiel, in dem es darum geht, die Haustiere der anderen für das Häufchen auf dem Teppich verantwortlich zu machen, den hagelnden Nachmittag vertrieben. 

Am Montag begann dann der Sprachkurs, den wir bei der Academia Uruguay absolvierten. Morgens waren wir Teil des regulären Unterrichts der Sprachschule, während nachmittags semi-private Stunden stattfanden, die nur aus uns Freiwilligen, aufgeteilt nach Niveau-Stufen, bestanden. Am Morgen wurde Grammatik wiederholt und Landeskunde gemacht, was, nachdem ich die Niveaustufe gewechselt hatte, ziemlich spannend war; der beste Teil des Kurses aber waren die Nachmittage. In meiner Gruppe waren wir zu fünft und wir verbrachten die erste Einheit mit Sprechen, dann schrieben wir Reizwürfel-Geschichten und schauten “Tiranos temblad”, eine Youtube-Sendung, die Beiträge zu Uruguay auf lustige Art und Weise wöchentlich sammelt und veröffentlicht. 

Zusammen mit den anderen Freiwilligen hatten wir auch eine Einführung in die Kunst, Mate zu machen (dazu kommt wahrscheinlich irgendwann ein eigener Beitrag) und zum Abschluss führten wir eine kleine Schnitzeljagd durch, deren Preis Alfajores waren, ein uruguayisches Gebäck, das aus zwei Keksen besteht, die mit Dulce de Leche gefüllt und mit Schokolade überzogen sind. 

Zwischen Sprachschule, Einkauf und Kochen für neun Leute war so ein Tag schon ganz gut ausgefüllt, aber gerade am Abend konnten wir dann doch noch die ein oder andere Aktivität hineinquetschen. Wir versuchten uns am Asados, dem für Uruguay (und auch Argentinien) typischen Grillen, was wir im Rahmen unserer Möglichkeiten nicht schlecht machten – es fehlten uns schließlich essenzielle Hilfsmittel wie Grillzangen.

Auch ein Krimi-Dinner veranstalteten wir, sogar kostümiert, zumindest so weit das unsere Koffer hergaben. Es konnte ja niemand mit einem 20er-Motto rechnen! Am Tag des Mordes improvisierten wir aber nicht nur unsere Kostüme, sondern auch Linsen und Spätzle, was ohne die meisten Gewürze, Spätzle-Presse oder auch nur ein Brett als ordentliche Leistung verzeichnet werden darf. 

In der Hauptstadt darf Kultur natürlich nicht fehlen, weshalb wir über die Sprachschule das Ballett “La Viuda Alegre” besuchten, das die Operette “Die lustige Witwe” adaptiert. Die Vorstellung ist fantastisch, nicht nur im Tanz, sondern auch bei Kostüm und Bühnenbild – was mich aber nicht davon abhielt, den Großteil des zweiten Aktes lang gegen meine zufallenden Augen kämpfen zu müssen. 

Es ist seltsam, sich von den anderen zu trennen. Zusammen mit dem Vorbereitungsseminar waren wir fast drei Wochen lang quasi ohne Unterbrechung beinander und jetzt verstreuten wir uns in alle Ecken von Uruguay. Ein jeder Urlaub muss eben einmal enden…

Ich freue mich aber auch schon darauf, den tatsächlichen Freiwilligendienst zu beginnen, zumal die meisten anderen Freiwilligen außerhalb von Uruguay ihre erste Woche schon hinter sich haben. Mal sehen, was mich in Fray Bentos erwartet – dazu mehr im nächsten Beitrag. 

Ein Sommertag im Winter

Als hätte sich der Himmel für einen Tag unserer armen Seelen erbarmt, ist der Samstag warm und sonnig, eine willkommene Abwechslung im doch eher kalten und grauen Winter Montevideos, der uns schon am Tag darauf im Regen fast ertränkt.

Doch zurück zum Sonnentag. Wir nutzen das Wochenende, um nach Punta del Este zu fahren, ein Badeort zwei Stunden östlich von Montevideo. Gerade ist vor der uruguayischen Küste Walsaison und so ziehe ich nicht ohne die Hoffnung aus, ein solches Tier zu erblicken. 

Punta del Este ist ein Urlaubsort, wie es ihn wohl zahllos auf dieser Welt gibt. Hotels strecken sich in den Himmel, zwischendrin ducken sich einige kleinere Ferienhäuser mit mehreren Wohnungen, die Restaurants sind aufgrund der Jahreszeit geschlossen, zeugen aber von den Touristenströmen, die sich bald schon unaufhaltsam hierher bewegen werden. 

Es ist recht ruhig heute, auch wenn das gute Wetter einige Besucher:innen herbeigelockt hat. Wie alle guten Touris machen auch wir Kulturweitler zunächst einmal ein Gruppenfoto in Los Dedos, einer Statur, die auch La Mano oder Hombre emergiendo a la vida heißt und vom chilenischen Künstler Mario Irarrázabal Covarrubias 1982 geschaffen wurde.  

Danach spazieren wir den Strand entlang. Der Sand ist fein zwischen meinen Zehen, aber es gibt viele Muscheln, die hier angespült wurden. Das Wasser des Atlantiks ist furchtbar kalt, wenn es meine Zehen berührt, aber das hält weder die vielen Surfer, die den Wellengang nutzen, noch ein paar meiner Mitfreiwillige davon ab, sich hinein zu stürzen. 

Die Spitze der Landzunge auf der sich Punta del Este befindet, Punta de las Salinas, ist der südlichste Punkt Uruguays. Hier treffen sich die Wasser des Rio de la Plata und des Atlantiks und mischen sich in einem den Horizont ausfüllenden Blau. Wir sitzen eben auf den Felsen an diesem Ende und lassen den Blick in die Weite schweifen, als ein Kopf aus Wellen herauslugt. Ein Seelöwe! Immer wieder lassen sich die Tiere beobachten, wie sie aus den Fluten herausschauen, um Luft zu holen, und später sehe ich auch noch einen auf einem Felsen nahe dem Ufer liegen. 

Ein weiteres Markenzeichen von Punta del Este ist neben seinen Stränden der Leuchtturm, der über den Häusern, die nicht höher als zwei Stockwerke in diesem Teil der Stadt sein dürfen, hervorragt. Neben dem Turm befindet sich noch eine Wetterstation und ein Park mit Palmen – ein malerischer Ort. 

Ich sehe zwar keinen Wal mehr in Punta del Este, aber der Tag war dennoch sehr schön.

 

Auf der Flucht vor der Sonne

Es mag die letzte Sekunde in der Heimat sein, der Moment, in dem die Reifen noch für eine Sekunde an der Rollbahn haften, un sich dann endgültig lösen – das Flugzeug schwebt dem Himmel entgegen und ist bereits Teil der Ferne. Ebendiesen zentralen Moment der Ausreise verpasse ich jedoch, denn als ich aus einem kurzen Schlaf aufwache, ist Frankfurt schon ein entferntes Lichternetz im Dunkeln. 

Ich fliege über Nacht nach São Paulo, eine Nacht, die länger ist als üblich und erst auf dem südamerikanischen Kontinent endet. Während wir sinken, ist der Himmel noch dunkel und nur die hell erleuchteten, modellartigen Hochhäuser strecken ihre flachen Dächer hoch zum Flugzeug, doch hinter den unendlichen Lichtern der Stadt entflammt das Rot des Morgens den Horizont. 

Die Sonne steht schon so hoch, dass der Tag eindeutig die Dämmerung abgelöst hat, als wir durch den Flughafen irren und zu unserem Anschlussflug eilen. Von uns Uruguayern hätten sieben in der gleichen Maschine Richtung Montevideo sitzen sollen, letztlich schaffen aber drei den Umstieg nicht und müssen jetzt später/ morgen nachfliegen. 

Entsprechend leer ist unser Flug nach Montevideo, da ja alle aus der anderen Maschine nicht mitkommen konnten. Ich habe die gesamte Reihe für mich, nutze diesen Luxus aber auch nur, um an meinen Rucksack gelehnt im Sitzen zu schlafen. 

Wir landen am Morgen des 13. Septembers in Montevideo.

Eine Mitfreiwillige und ich fahren mit dem Bus vom Flughafen in die Innenstadt, was mit großen Koffern nur eine sehr begrenzt empfehlenswerte Entscheidung ist; wer uns aber nachahmen möchte oder generell in Uruguay Bus fahren will, sollte vorher wissen, dass man die Busse heranwinken muss, damit sie halten.  Die Leute im Bus sind sehr nett ob unserer Situation und tauschen mit uns Plätze, damit wir unsere Koffer ein wenig aus dem Weg räumen können. 

Auf der Busfahrt können wir einen ersten Einblick in die Stadt gewinnen, wie die Häuser und Straßen aussehen, was die Menschen an einem Mittwochmittag so tun. Einzelne Menschen, genauer Polizist:innen, fahren mit uns Bus, ein Mann (auch im Bus) spielt eine spanische Version von Somewhere over the Rainbow, überall sind Thermoskannen unter Arme geklemmt, an deren Enden Hände Mate-Becher halten. 

Es ist kalt in Montevideo. Natürlich ist es kalt hier, es ist schließlich Winter, aber man glaubt doch immer, wenn man mit dem Flieger Richtung Süden fliegt, dass es wärmer werden muss. Nicht hier, hier sind wir so südlich, dass der Äquator ein fernes Band ist, und fern ist auch die ihm eigene Wärme. Zudem ist es windig und wir müde, aber im Licht der Sonne fühlt es sich bald nicht mehr so schlimm an. 

Wir, also die Freiwilligen in Uruguay, die nicht in Montevideo arbeiten werden, ziehen über den Mittwoch und den Donnerstag in ein AirBnB ein und erkunden die Stadt, denn wir werden zunächst alle gemeinsam den Sprachkurs hier in der Hauptstadt machen. 

Soviel zur Reise und zur Ankunft in Montevideo. Über unsere großen Abenteuer hier werde ich dann demnächst berichten. 

Wie beginnt ein Freiwilligendienst?

Ganz zu Beginn eines Freiwilligendienstes steht natürlich zunächst einmal die Frage, ob man einen FWD machen möchte und wenn ja, wo und bei wem. Dann kommt die Anmeldungsphase, man findet heraus, ob man genommen wird und wo es hingeht. Man bereitet sich vor, bucht Flüge, lässt sich impfen und eines Tages, an einem sonnigen ersten September, steht man plötzlich auf dem Eberswalder Bahnhofsvorplatz mit hunderten anderen jungen Leuten. 

Das war für mich zumindest der Moment, als der Freiwilligendienst wirklich begann. 

 

Von Eberswalde aus wurden wir Freiwillige mit Shuttle-Bussen zum Seezeit Ressort am Werbellin-See gefahren, wo wir Namensschilder und Zimmer und Homezones zugewiesen bekamen und bald auch schon in das Vorbereitungsseminar starteten. 

Was ist eine Homezone, mag sich nun der ein oder andere Fragen. Da man bei etwa 330 Freiwilligen kaum inhaltliche Gespräche in der großen Gruppe führen kann, wurden wir nach unseren Zielorten aufgeteilt Kleingruppen zugewiesen, in denen wir verschiedene Themen besprachen. Darunter waren unsere Erwartungen, Wünsche und Ängste für den FWD, aber auch der Umgang mit Stereotypen, die Bedeutung (positiv und negativ) von FWD für die Gesellschaft oder die Gefahren einer einseitigen Berichterstattung. 

Neben der Arbeit in den Homezones gab es auch mehrere Zeitfenster mit Workshops, zu denen man je nach Interesse hat gehen können. Um besonders begehrte Workshops zu bekommen, musste man aber schnell sein, denn die Abrisszettel waren in Windeseile aus.

Mein liebster Workshop des Seminars war der zum Korbflechten. Was hat Korbflechten mit kulturweit zu tun? Korbflechten ist Teil des immateriellen Weltkulturerbes und damit Teil des UNESCO-Verständnisses von kulturweit. 

Innerhalb von drei Stunden hatten wir alle, die am Workshop teilnahmen, ein kleines Körbchen in grün, schwarz und weiß geflochten. Im Vergleich zu den vielen Input-lastigen Modulen der anderen Seminartage war das Korbflechten auch eine willkommene Abwechslung. 

 

Liest man meinen Text bis hierher, könnte man meinen, dass wir Tag für Tag nur schuften mussten. Ganz so schlimm war es dann auch nicht. Selbstverständlich waren 10 Tage Seminar sehr anstrengend, das lag aber nicht nur an unserem Arbeitspensum, sondern auch den langen Nächten, die man miteinander verbrachte und verbringen wollte. Im Umgang mit all den anderen jungen Leuten fand sich jeden Tag noch jemand Neues, mit dem man sich unterhalten konnte, und sei es nur, um herauszufinden, wer wie lange wohin geht. 

Die Lage am wunderschönen Werbellinsee und das warme Wetter waren ein weiteres Highlight des Seminars, da wir Tag für Tag (oder auch nachts) im See schwimmen waren oder den ein oder anderen freien Nachmittag mit Tretboot-Fahren verbrachten. (Ich freue mich schon auf das Nachbereitungsseminar, auch wenn da leider nicht alle vom Vorbereitungsseminar da sein werden.)

 

Mir hat das Seminar großen Spaß gemacht, aber eine düstere Wolke hing dennoch am Himmel: Leider infizierten sich einige Teilnehmer:innen mit Corona, weshalb gegen Ende immer mehr auch abreisten und die Stimmung allgemein ziemlich mulmig wurde. Leider wurden in diesem Zuge auch viele krank und/ oder reisten ab, die ich gerne noch näher kennengelernt hätte – obwohl ich natürlich vollkommen verstehen kann, dass diejenigen, die krank waren oder Angst davor hatten, krank zu werden, lieber nach Hause gefahren sind. 

Ich setze meine Hoffnungen aufs Nachbereitungsseminar und etwaige Alumni-Veranstaltungen oder natürlich auf den digitalen Austausch. 

 

Als Süddeutscher musste ich nach dem Seminar leider noch einmal durch die gesamte Bundesrepublik fahren, was ich über Nacht tat. Dafür hatte ich dann noch mit einem Freund einen netten Nachmittag in Berlin, den wir im Futurium verbrachten und an dem wir unseren letzten Döner hier in Deutschland aßen. 

Montagmorgen war ich dann wieder zurück in der Heimat, schmiss mein gesamtes Hab und Gut in die Waschmaschine und beendete vorerst meinen Impfmarathon mit der letzten Tollwut-Impfung. Gelbfieber werde ich jetzt wohl erst in Uruguay impfen lassen…

 

Den Dienstag verbringe ich damit, mein ganzes Leben auf 23kg und einen großen Rucksack zu beschränken, und dann geht es am Abend nach Frankfurt zum Flughafen, von wo aus es über Sâo Paulo nach Montevideo geht. Dazu dann mehr beim nächsten Mal.