Im Zuge des Besuchs meiner Eltern hier in Uruguay und unserer Rundreise durch das Land – dazu bald mehr – verbrachten wir die letzten beiden Nächte auf einer jener touristischen Estancias, wo man zugleich Komfort und einen Einblick in das Landleben Uruguays erhält (oder erhalten soll). Mit Los Plátanos hat meine Mutter bei der Buchung einen wirklichen Glücksgriff gemacht, denn die Zimmer sind wunderschön, es gibt einen überdachten Pool, ich muss keine drei Schritte gehen, um Kühe zu sehen, und die Inhaber:innen sind unheimlich nett.
Was man hier auf dieser Estancia auch in Anspruch nehmen kann, ist eine Cabalgata, also ein Ausritt, mit Andrés, dem Hausherren, über die Weideflächen. Man begleitet ihn dabei mehr oder weniger bei der Arbeit, denn solche Kontrollritte macht er jetzt im Herbst zwei bis drei Mal die Woche, um zu schauen, ob alles noch beim Rechten unter seinen Jungbullen ist.
In Uruguay zu reiten, stand auf alle Fälle auf meiner Liste für dieses Jahr, denn natürlich ist der Gaucho mit seinem Pferd ein zentrales Motiv der uruguayischen Kultur.
Da stand ich dann also um 16 Uhr neben meinem kleinen braunen Pferd – die traditionellen Gaucho-Pferde sind klein und kräftig von der Statur, angepasst an ihre Aufgaben – und bekomme von Andrés eine Einweisung, bevor ich mich auf mein Ross schwingen darf.
Ich hoffe, ich werde nicht von den Pferde-Fanatikern für meine sicherlich fachlich schwammige Ausdrucksweise in den nächsten Abschnitten gelyncht. Auch alle Gaucho-Expert:innen sollen bitte Nachsicht haben, ich gebe hier nur möglichst wahrheitsgetreu weiter, was Andrés mir erklärt hat.
Mit Sportreiten in Europa – oder zumindest meiner Erinnerung daran, schließlich ist das mittlerweile auch schon ungefähr zehn Jahre her – hat das Reiten hier in Uruguay wenig zu tun. Das liegt vor allem daran, dass das Pferd hier ein Arbeitstier ist und daher die Anforderungen ganz andere sind. Auch die Ausrüstung ist anders. Statt einem klassischen Sattel in Mattlederoptik mit passender Satteldecke darunter, sitze ich auf einem Sammelsurium aus geflochtenen Decken, Lederriemen, Schaffellen und dazwischen befindet sich, glaube ich, auch noch ein Ledersattel (vgl. Bild). Ich bin auch der Meinung, dass die Steigbügel hier weiter vorne sitzen als bei einem Sportsattel. Der größte Unterschied liegt vielleicht beim Mundstück der Trense: Ein zusätzliches Metallstück liegt hier auf der Zunge auf, wodurch das Pferd über die Impulse im Mundraum zum Beispiel in einer Notsituation ruckartig gestoppt und präziser kontrolliert werden kann. Wenn man bei einem solchen Gaucho-Pferd an den Zügeln zieht, hält das auf der Stelle an, trabt sich also nicht aus, weshalb man immer nur graduell den Bremsimpuls aufbauen darf.
Auch die Zügel selbst sind interessant: Es gibt zwei Zügel, die nicht miteinander verbunden sind, sondern eher wie zwei Stricke zusammen festgehalten werden. Der Grund hierfür ist die Notwendigkeit, bei der Arbeit auch schnell vom Pferd absteigen zu müssen und es über einen unkomplizierten Strick direkt kontrollieren zu können, anstatt erst die Zügel zu entwirren o. ä.. Beim Reiten werden die Zügel in der linken Hand gehalten, damit die Rechte frei für notwendige Werkzeuge wie Messer oder Peitsche ist.
Dadurch, dass man nur eine Hand für die Zügel hat, wird das Pferd auch anders gelenkt: Anstatt an der Seite des Zügels zu ziehen, in die das Pferd laufen soll, wird mit der Hand das gesamte Zügel-Konstrukt in die eine oder andere Richtung bewegt.
Eine Sache, die meiner Erinnerung ans Reiten gleicht, ist die Art und Weise, wie man das Pferd in Bewegung setzt: Nämlich durch einen kurzen Impuls der Sporen/ Versen an die Flanke.
Bei meinem Pferd muss ich eigentlich auch nicht viel machen, denn es läuft friedlich Andrés’ Pferd hinterher und ich muss nur ab und an die Richtung korrigieren. Meine Aufgabe ist nur, sitzen zu bleiben und möglichst nicht von einem Ast aufgespießt zu werden.
Ich fühle mich schon ein wenig aus der Zeit gefallen, wie ich da auf einem Pferd über diese sich bis zum Horizont erstreckenden Weiden reite, auf denen Kühe grasen und zottelige Schafe mit wogendem Fell davonrennen, wenn wir ihnen zu nah kommen. Im Licht der langsam untergehenden Sonne könnte ich auch in die Welt eines Westerns (mit fragwürdiger historischer Akkuratheit) versetzt worden sein – aber dann sind wir auch schon wieder zurück am Haus und ich steige mit leichten O-Beinen ab, die sich aber nach ein paar wenigen Schritten schon wieder eingelaufen haben.
Ein wahrlich anmutender Einblick in das Pferdeleben von Uruguay