In 48 Stunden nach São Paulo

Mit den Weihnachstagen ganz nah, mache ich mich zu meiner nächsten Reise auf: Ich treffe meinen Onkel und meine Tante in Brasilien und meine Reise dorthin ist eine kleine Odyssey. 

Der zentrale Busbahnhof Tres Cruces in Montevideo

Schritt 1 ist natürlich eine Fahrt nach Montevideo, denn wenn man von Uruguay aus irgendwohin möchte, ist das immer der Anfang. Aktuell ist das Wetter wieder schlecht und es regnet viel. Auch dieses Mal präsentiert sich Montevideo grau und wolkenverhangen und damit im perfekten Wetter für einen Museumsbesuch. 

Im Museo de Artes Visuales werden vor allem uruguayische Künstler:innen des 19. und 20. Jahrhundert ausgestellt, die sich gegenseitig beeinflusst hatten und deren Kunst aufeinander aufbaute. Besonders gut gefällt mir ein Stil, den das Museum als Planísmo Urugayo bezeichnet, bei dem vor allem Pastellfarben mit breiten Strichen oder in Flächen aufgetragen werden. 

Abends geht es dann mit dem Bus Richtung Porto Alegre. Da der Busfahrer die Einreise nach Brasilien regelt, muss man seinen Pass bei ihm abgeben, was mir doch ein mulmiges Gefühl bereitet, aber an sich ist die Fahrt sehr angenehm und es gibt sogar Snacks (und am Ende meinen Pass zurück). 

In Porto Alegre werde ich dann direkt von zwei Freiwilligen begrüßt, die ich über die anderen Kulturweitler, die leider keine Zeit hatten, kennengelernt habe. Die beiden zeigen mir die Stadt, die sehr schön und grün ist, aber auch furchtbar warm, vor allem im Kontrast zum verregneten Uruguay. 

Mittags treffen wir dann auch noch zwei von den anderen Kulturweitlerinnen und essen zusammen Açai, die beiden müssen dann aber auch bald wieder los, um Wäsche zu machen – eine wichtige Reisevorbereitung, die man nicht zu lange aufschieben sollte, besonders wenn die Waschmaschine nicht mehr schleudert. 

Den Abend und die Nacht verbrachte ich dann am Flughafen in Porto Alegre, da mein Flieger erst früh am Morgen gehen würde. Die Nacht schlug ich mir mit Tagebuchführen, Podcast-Hören und Podcast-Schneiden um die Ohren. 

Während ich so im Food Court saß (mitten in der Nacht, wie ich nochmals betonen möchte), kam ein Mädchen von vielleicht 14 Jahren (+/-) auf mich zu, sprach mich auf Portugiesisch an und reichte mir ein gefaltetes Blatt. Verwirrt öffnete ich dieses und damit hatte ich auch den Kontext erhalten, was sie etwa gesagt haben könnte: Sie hatte mich gezeichnet und mir die Zeichnung vermacht! Ich fand zunächst einmal ihre künstlerischen Fähigkeiten sehr beeindruckend und fast mehr noch ihren Mut, mir die Zeichnung zu überreichen. 

Etwa um 6 Uhr ging dann mein Flug, nach vielleicht anderthalb Stunden landete ich in São Paulo und wurde dort von meinem Onkel und einem seiner Freunde, der in Brasilien wohnt abgeholt. Wir verbringen jetzt zwei Tage in Atibaia, wo besagter Freund wohnt, und fahren dann ins Inland zur Familie meiner Tante. 

Von Umzügen


Umzug, der


Substantiv, maskulin

 

  1. das Umziehen
Buntglasfenster (außerhalb einer Kathedrale)

Der zweite große Tapetenwechsel liegt hinter mir. Der erste war natürlich die Ankunft in Uruguay und in Fray Bentos und vor etwas über einer Woche bin ich nun auch zum ersten Mal innerhalb der Stadt umgezogen. Wir wohnen wieder in einer Studentenunterkunft, dieses Mal aber in Mitten der Stadt. Hierbei handelt es sich um ein nettes Haus mit großem Garten, das Kenza und ich uns mit einem Mitbewohner teilen. Da das Schuljahr erst wieder im März beginnt, wird es bis dahin auch bei dieser Wohnsituation bleiben. Ein Haus mit einem richtigen Wohnzimmer mit bequemen Sitzmöbeln zu haben, bedeutet doch eine ziemliche Steigerung des Wohnkomforts, zumal wir nun auch nicht mehr weit draußen auf dem Feld wohnen müssen. Der Weg zu den Einkaufsmöglichkeiten hat sich damit schlagartig verringert und wir sind auch allgemein näher am Geschehen dran. 

Unser Mitbewohner ist sehr nett, aber auch ein wirkliches Phänomen. Zunächst einmal ist er aus Panama zum Studieren nach Fray Bentos (Kleinstadt am Río Uruguay!) gekommen, weil er gerne ins Ausland wollte. Dann studiert er Mechatronik, will aber eigentlich irgendwann ein Restaurant eröffnen. Das Adjektiv, das mir jedes Mal in den Sinn kommt, wenn ich mich mit ihm unterhalte, ist groovy. Natürlich ist auch sein Spanisch ganz anders, wie ich es mittlerweile von hier gewohnt bin, bei ihm ist zum Beispiel das y kein sch-Laut. Also ein richtig internationaler Haufen, bei uns im Haus. 

Was ich bisher ein wenig befremdlich fand, waren die Besichtigungen durch Interessierte. Man fühlt sich doch immer auch wie ein Teil des Interieur, wenn unsere Vermieterin das Haus und den Garten präsentiert, aber ich starre vermutlich mehr, als die Besucher. Schließlich ist es interessant zu sehen, wer sich überlegt, hier einzuziehen. 

Ich habe mich gut im neuen Haus eingelebt, aber dennoch ging es jetzt am Wochenende erst einmal wieder weg. 

 

  1. aus bestimmtem Anlass veranstalteter gemeinsamer Gang, Marsch einer Menschenmenge durch die Straßen

 

Da in Nueva Helvecia jedes Jahr ein Bierfest stattfindet, nutzten Kenza, Jérémy und ich die Gelegenheit, um Maren dort an ihrer Einsatzstelle zu besuchen. Wir wurden von ihrer Gastfamilie sehr herzlich für das Wochenende beherbergt. 

Es war spannend zu sehen, wie eine uruguayische Familie so zusammenlebt, denn ich habe ja doch keine wirklichen Berührungspunkte mit dem häuslichen Alltag der Uruguayos gehabt, so in unseren Studentenunterkünften. 

Nueva Helvecia ist ein netter Ort, aber auch in gewisser Weise befremdlich. Schon der Name weist daraufhin, dass es sich hier um eine ehemalige Schweizer Kolonie handelt und gerade jetzt um das Bierfest kann man das auch spüren. Auf der Bühne tanzen hier die “Alpenveilchen” Schuhplattler und Polka, die Straßen heißen “Frau Vogel”, “Suiza” oder “Guillermo (also Willhelm) Tell” und am Sonntag gab es auch einen Umzug, bei dem die Nachkommen der Schweizer, Deutschen und Österreicher in der Tracht der Regionen ihrer Vorfahren durch die Straßen zogen. Ein bisschen war das wie ein Fastnachtsumzug, wir haben sogar ein paar Bonbons bekommen. 

Mir erschien das fast deutscher als in Deutschland, aber natürlich ist das auch dem besonderen Anlass geschuldet. Die ganzen Trachten haben mir aber sehr gefallen, denn die Kleidung ist einfach schön. 

Obwohl es hier so deutsch zuging, wird nur noch sehr begrenzt Deutsch gesprochen. Die Schule, an der Maren ihren Freiwilligendienst absolviert, lehrt aber noch die Sprache. Wir durften am Montag mit zur Schule kommen und dem “Alltag” beiwohnen. Da aber das Ende des Schuljahres ist und am Abend noch das Schulfest stattfinden sollte, hatte der Tag mit Alltag nur wenig zu tun. Die Kinder übten die Tänze, die sie am Abend vorführen wollten und auch sonst stand eben die Vorbereitung der abendlichen Veranstaltung im Zentrum des Morgens. 

Maren führte uns aber einmal durch die Räumlichkeiten, wir schauten uns die Klassenzimmer an, und natürlich auch den Deutsch-Raum, wo der Deutschunterricht stattfindet. Da es sich um eine Art Grundschule handelt, war das pädagogische Material für eben diese Altersgruppe spannend, da sie doch sehr jung sind – da ist nichts mit Grammatikheften oder Verbtabellen, der Fokus liegt auf gemeinsamem Singen und Spielen. Wir spielten mit den Kindern auch ein paar deutsche Brettspielklassiker wie “Das verrückte Labyrinth” oder “Make ‘n’ Break”. Die Sprachvermittlung unsererseits hat sich hierbei eher in Grenzen gehalten, aber es ist ja auch das Ende des Schuljahres und wir nur zu Besuch. 

Ein weiterer interessanter Aspekt der Schule ist, dass sie eine katholische Lehranstalt ist. Auf dem Gelände befindet sich ein Nachbau der Schönstatt-Kapelle und es gibt eine Gruppe an Schwestern, die auch ins Schulgeschehen eingebunden sind. Der Tag beginnt beispielsweise mit einer kleinen gemeinsamen Andacht, sie verkaufen aber auch Kleinigkeiten zum Essen in den Pausen für die Kinder. 

Wie unterschiedlich die kulturweit-Einsatzstellen doch sehr sind!

Der Innenhof des Colegios
Zum Weihwasser

Jetzt, am frühen Montagabend geht es wieder nach Fray Bentos zurück – ich sitze noch im Bus und tippe diesen Bericht auf meinem Handy. Busfahren in Uruguay bleibt ein Abenteuer, denn in Colonia Valdense, einem Nachbarort von Nueva Helvecia, von wo aus wir einen Bus zurück nehmen können, gibt es kein Bahnhofsgebäude, sondern die verschiedenen Busagenturen haben kleine Büro-Gebäude die Straße entlang. Als Ortsfremde suchen wir also auf und ab nach dem Busunternehmen, das den nächsten Bus stellt, bleiben aber erfolglos. Erst als wir schon aufgegeben hatten und es bei einem anderen Anbieter, der eine Stunde später fährt, versuchen wollen, erfahren wir von dem jungen Mann am Schalter, dass das Busunternehmen, das wir zunächst gesucht haben, hier überhaupt keine Filiale hat. Dafür können wir aber das Ticket auch bei ihm kaufen und da der Bus Verspätung hat, erwischen wir ihn auch noch. Sitzt man aber erst einmal im Bus, kann nichts mehr passieren und es heißt nur noch warten, bis man wieder zurück ist. 

Das Wochenende in Nueva Helvecia und die Zeit mit den anderen Freiwilligen und auch bei Marens Gastfamilie war unheimlich schön, aber natürlich auch anstrengend und ich freue mich jetzt auf die Rückkehr zu meinem Bett.