In Buenos Aires schien die Sonne

In Buenos Aires scheint die Sonne und welche sonnengeküsste Stadt erscheint nicht fantastisch? 

Für das Zwischenseminar genossen fast alle Uruguay-Kulturweitler gemeinsam das Großstadtleben in der argentinischen Hauptstadt. Tausende Läden, die allerhand Dinge feilboten, Museen, Theater, Menschenmassen und Cafés – an jeder Ecke mindestens eines, eher zwei. Unsere Unterkunft war vielleicht zehn Minuten vom Obelisken entfernt, weshalb wir selbst nach den auch mal langen Seminartagen noch Vieles unternehmen konnten. 

Gerade wenn man aus Uruguay kommt (und Dollar in der Tasche hat), erscheint das von der Wirtschaftskrise gebeutelte Argentinien wie ein Schlaraffenland. Besser, man macht sich nicht zu viele Gedanken über die Moral des eigenen Kaufrausches. 

Natürlich bietet so eine Großstadt aber auch viel mehr Varietät. In unserer Straße befanden sich wohl zehn oder mehr Buchhandlungen, voll gepackt bis unters Dach, in denen man sich stundenlang durch vergilbte Seiten wühlen konnte, bis man etwas fand, das einem zusagte. Selbst wenn nicht, fühlte sich meine Zeit immer gut genutzt an.

Im Rahmen unseres Kulturausflugs nahmen wir gemeinsam eine Tangostunde, in der es vor allem um die bewusste und zur Musik passende Bewegung ging. Abends und an den Wochenenden klapperten wir die Sehenswürdigkeiten ab, Floralis Genérica, Casa Rosada, Recoleta, die verschiedenen Stadtviertel, waren auf dem Markt und auch plötzlich im Grünen, in der Reserva Ecológica. Ich glaube, dass Bilder hier mehr sagen können als ich.

In Buenos Aires machte sich natürlich auch die Wahl bemerkbar. Immer wieder fanden Kundgebungen statt, Plakate hingen aus und an Bushaltestellen und Wänden konnte man Graffiti finden, die sich gegen Milei aussprachen, den späteren Gewinner der Stichwahl. Wir reisten am Tag der Wahl ab, am Nachmittag. Tagsüber war die Stadt ruhig, die Nacht mag anders gewesen sein, aber als wir noch da waren, machte sich dieses Ereignis nur dadurch bemerkbar, dass Museen geschlossen hatten und immer wieder an öffentlichen Gebäuden, die als Wahllokale funktionierten, Listen aushingen, mit denjenigen Bürger:innen, die hier zur Wahl schreiten müssen. In Argentinien gibt es eine Wahlpflicht.

Die Fahrt zurück nach Fray Bentos ist recht kurz, gerade einmal drei Stunden brauchen wir hoch nach Gualeguaychú, denn die Straßen sind leer, heute ist kaum jemand unterwegs. Die Landschaft hier ist wirklich flach, nicht wie bei uns im Westen von Uruguay, wo es doch sehr hügelig ist. Hier sieht man meilenweit nur Grasland, Kühe. In der Ferne geht die Sonne langsam unter.

Wir müssen nur noch über die internationale Brücke und schon sind wir wieder zurück. 

Der Wetterzyklus

Es ist heiß. Es regnet. Es kühlt ab. Es erwärmt sich wieder. Woche um Woche.

Bisher verlief das Wetter hier in diesem Zyklus und die Phase “Es regnet.” lag unbeweglich über der letzten Woche. Deutscher Herbst im uruguayischen Frühling. Der Kälteeinbruch hielt sich hartnäckig und das Wetter war ungemütlich, Drinnenbleibe-Wetter, Suppen-ess-Wetter, Tee-und-Kekse-Wetter. 

Grauer Himmel 1
Grauer Himmel 2

Der Sommer gibt sich aber nicht geschlagen, das Wochenende gab sich wieder heiß, das Thermometer kletterte über die 30°-Marke. Es wird höchste Zeit, das Haus zu verlassen. 

Kenza und ich fahren nach Nuevo Berlín, eine kleine Stadt den Río Uruguay hoch, die einst von Deutschen gegründet wurde. Wir nehmen den Bus um 8 Uhr, da es der einzige Bus ist, der die Strecke fährt.

In der Stadt springen uns schnell zwei Hunde an und, waren sie zu Anfang noch recht wild, begleiten uns bald schon friedlich für den Rest des Tages. Normalerweise kann man hier Bootstouren zu den Flussinseln machen, aufgrund des Regens steht das Wasser aber hoch und es werden keine Fahrten angeboten. Die Frau aus der Touristeninformation ist aber so nett und schließt uns das MABRU, das Museo Arqueológico del Bajo Río Uruguay, auf, wo Funde verschiedener archäologischer Grabungen aus der weiteren Region ausgestellt sind, die auf die Guaraní zurückgehen, die hier bis ins 16. Jahrhundert die vorherrschende Bevölkerung stellten. In den zwei Räumen des Museums stehen mittig jeweils Vitrinen, die Töpfe, Perlen und Scherben zeigen, zum Teil kunstvoll gewirkt, zum Teil einfach gehalten. An den Wänden hängen eng beschriebene Plakate, die die Gewohnheiten der Menschen zeigen, was sie aßen, woher sie kamen, welche Hunde sie besaßen. 

Wir verlassen das Museum und schauen uns stattdessen den Ort an. Das Leben hier ist ländlich, kleine Einfamilienhäuser mit großen Gärten, zwischen den Häusern blitzen die Wiesen hervor, die an die Siedlung anschließen. Wir verbringen die Zeit vor allem im Grünen, am Ufer des Flusses, wo sich Vögel tummeln (darunter seltsame Enten, die sich wie Hühner verhalten) und Blumen blühen. Einer der Hunde bringt uns immer größer werdende Äste, die wir werfen sollen, damit er ihnen dann hinterherjagen kann. 

Der einzige Bus zurück nach Fray Bentos geht um 16:15 Uhr, wir lassen den treueren unserer beiden Begleiter an der Bushaltestelle zurück, den anderen hatten wir schon etwas früher verloren. 

In Fray Bentos geht es dann noch mit zwei jungen Leuten an die Rambla, wo wir uns über dies und jenes unterhalten. Einer der beiden hatte am Wochenende Geburtstag, weshalb wir noch von den Resten eines fantastischen Geburtstagskuchen essen konnten. Wir verabschieden uns nicht allzu spät, auch wenn der Himmel schon dunkel ist, und kehren zum Haus (und zu unseren Betten) zurück.

 

Fray Bentos, Kleinstadt am Río Uruguay

Fray Bentos ist eine Kleinstadt am Ufer des Río Uruguay, ganz im Westen des Landes. Hier ist das Leben tranquilo, wie die Einwohner:innen nicht müde werden, uns zu versichern. 

Es gibt unser Museum zur Industriellen Revolution in Uruguay – die ehemalige Fleischextrakt-Fabrik – und ein anderes über den Künstler Luis Alberto Solari, dann noch das Theater Miguel Young (“Shung”, wie man hier sagt) und das war es auch schon. Zumindest fühlt es sich ein wenig danach an. 

Ganz so ist es dann aber auch wieder nicht. Es sind zwar bisher nur anderthalb Wochen vergangen, aber dennoch fühlt es sich ein wenig an, als wäre ich schon ewig hier. Denn obwohl das Leben hier tranquilo ist, ist viel passiert. 

Zunächst einmal wohne ich jetzt irgendwo langfristig und nicht mehr temporär, wie es in Montevideo der Fall war. Das heißt, ich musste mich einrichten, den Koffer endlich auspacken, putzen, einkaufen und für mich kochen – und zwar für den Rest des Jahres (und wahrscheinlich auch meines Lebens). Da meine Mitfreiwillige und ich außerhalb der Stadt wohnen, nimmt der Weg zu den verschiedensten Orten doch einen größeren Teil des Tages ein. Ich störe mich aber nicht daran, jeden Morgen eine Dreiviertelstunde gehen zu müssen, denn der Weg führt mich durchs Grüne, an Schafen, Kühen, Pferden und Vögeln vorbei.

La María – Der Ort, an dem ich wohne

Die Paisaje Cultural Industrial Fray Bentos, also das ehemalige Fabrikgelände, umfasst ein großes Areal mit vielen verschiedenen Strukturen. Schon von Weitem sieht man einen Schornstein in den Himmel ragen und auch das kantige Gebäude des Frigorífico, des Kühlhauses für die Tonnen und Tonnen an Fleisch, dominiert diesen Uferabschnitt. 

Das Kühlhaus

Unsere Kollegen nahmen uns sehr herzlich auf, aber unser Chef war zum Zeitpunkt unserer Ankunft noch im Urlaub, weshalb niemandem so wirklich klar war, was wir tun sollten. Dementsprechend verbrachten wir diese ersten Tage damit, den anderen Museumsmitarbeitern hinterher zu dackeln und ein Verständnis für den Ort zu entwickeln.

Als dann unser Chef wieder da war, wurden wir dem Intendente des Departamento Río Negro vorgestellt, wir erhielten eine Führung durch das oben erwähnte Theater Young und wir nahmen an einem Vortrag einer Professorin aus Genua zu nachhaltigen Energiekonzepten in Bezug auf Welterbestätten teil. Der Vortrag war in Italienisch, Fragen wurden auf Spanisch gestellt und auf wundersame Weise verstanden sich alle prächtig. 

Plaza Constitución

Am Wochenende wurden wir vom Samtagsmarkt der Stadt enttäuscht, denn wir hatten doch mit größerem Marktgeschehen gerechnet, so in der Hauptstadt des Departamento. Dafür investierten wir in einem der vielen Geschäfte entlang der Calle 18 de Julio in eine Auflauf- und Kuchenform und buken auch gleich Brownies in meinem Gasofen. Die Kuchenform war wohl eine unsere besten Entscheidungen bisher, aber einen Gasofen zum Laufen zu bringen, stellte uns doch vor größere Herausforderungen, denn man muss irgendwie gleichzeitig den Knopf drücken, an der korrekten Öffnung das Gas entzünden und das alles bei fragwürdigen Lichtverhältnissen – wir haben diese Herausforderung aber erfolgreich gemeistert und die Brownies schmeckten dementsprechend besonders gut.

Dieser Samstag blieb ereignisreich, denn als wir am Abend uns ein kostenloses Konzert einer kleineren Band im Theater anschauen gehen wollten, stießen wir zufällig auf die Marcha por la Diversidad, also den CSD von Fray Bentos. Statt der Band schauten wir uns dann Dragqueens und lokale Künstler:innen an und waren auch noch auf der Afterparty, wo wir unsere ersten Fraybentin@s kennenlernten.

Neue Leute kennenzulernen gestaltet sich bisher nicht allzu einfach, denn ich weiß einfach nicht, wo andere Leute in meinem Alter oder mit meinen Interessen sind. Auf der anderen Seite bin ich noch kaum zwei Wochen hier, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ich noch nicht die ganze Stadt kenne. 

Der Río Negro in Mercedes

Kenza und ich haben auch schon unseren ersten Ausflug raus aus Fray Bentos hinter uns. Mit dem Bus ging es nach Mercedes, eine nahegelegene Stadt und Hauptstadt des Departamento Soriano. Dort schauten wir uns die wunderschöne Rambla am Río Negro an, wenn wir auch nicht zur Isla del Puerto konnten, da das Wasser zu hoch stand. Hier gibt es auch eine große Kathedrale und einige Einkaufsläden, die zum Bummeln einladen. Ein nasser und dreckiger Labrador versuchte auch sein Bestes, uns zu adoptieren, wir sind ihn aber doch noch losgeworden. Hundebesitzer zu werden, steht nicht auf meiner To-Do-Liste für Uruguay.

Vielleicht kann man jetzt besser nachvollziehen, was ich meinte, als ich sagte, dass es sich anfühlt, als würde ich schon viel länger hier leben. Es passiert so viel und ich bin gespannt, was noch passieren wird.

Ein Sommertag im Winter

Als hätte sich der Himmel für einen Tag unserer armen Seelen erbarmt, ist der Samstag warm und sonnig, eine willkommene Abwechslung im doch eher kalten und grauen Winter Montevideos, der uns schon am Tag darauf im Regen fast ertränkt.

Doch zurück zum Sonnentag. Wir nutzen das Wochenende, um nach Punta del Este zu fahren, ein Badeort zwei Stunden östlich von Montevideo. Gerade ist vor der uruguayischen Küste Walsaison und so ziehe ich nicht ohne die Hoffnung aus, ein solches Tier zu erblicken. 

Punta del Este ist ein Urlaubsort, wie es ihn wohl zahllos auf dieser Welt gibt. Hotels strecken sich in den Himmel, zwischendrin ducken sich einige kleinere Ferienhäuser mit mehreren Wohnungen, die Restaurants sind aufgrund der Jahreszeit geschlossen, zeugen aber von den Touristenströmen, die sich bald schon unaufhaltsam hierher bewegen werden. 

Es ist recht ruhig heute, auch wenn das gute Wetter einige Besucher:innen herbeigelockt hat. Wie alle guten Touris machen auch wir Kulturweitler zunächst einmal ein Gruppenfoto in Los Dedos, einer Statur, die auch La Mano oder Hombre emergiendo a la vida heißt und vom chilenischen Künstler Mario Irarrázabal Covarrubias 1982 geschaffen wurde.  

Danach spazieren wir den Strand entlang. Der Sand ist fein zwischen meinen Zehen, aber es gibt viele Muscheln, die hier angespült wurden. Das Wasser des Atlantiks ist furchtbar kalt, wenn es meine Zehen berührt, aber das hält weder die vielen Surfer, die den Wellengang nutzen, noch ein paar meiner Mitfreiwillige davon ab, sich hinein zu stürzen. 

Die Spitze der Landzunge auf der sich Punta del Este befindet, Punta de las Salinas, ist der südlichste Punkt Uruguays. Hier treffen sich die Wasser des Rio de la Plata und des Atlantiks und mischen sich in einem den Horizont ausfüllenden Blau. Wir sitzen eben auf den Felsen an diesem Ende und lassen den Blick in die Weite schweifen, als ein Kopf aus Wellen herauslugt. Ein Seelöwe! Immer wieder lassen sich die Tiere beobachten, wie sie aus den Fluten herausschauen, um Luft zu holen, und später sehe ich auch noch einen auf einem Felsen nahe dem Ufer liegen. 

Ein weiteres Markenzeichen von Punta del Este ist neben seinen Stränden der Leuchtturm, der über den Häusern, die nicht höher als zwei Stockwerke in diesem Teil der Stadt sein dürfen, hervorragt. Neben dem Turm befindet sich noch eine Wetterstation und ein Park mit Palmen – ein malerischer Ort. 

Ich sehe zwar keinen Wal mehr in Punta del Este, aber der Tag war dennoch sehr schön.