Nachdem der Countdown meiner Rijeka-Tage unerbitterlich voranschreitet, gilt auch weiterhin das Motto: „Seize the day“. Oder wie im Fall von heute: „Seize the half-day“. Denn als ich endlich das Haus verlasse, ist es schon früher Nachmittag. Dabei bin ich mir immer noch nicht sicher, was ich mit dem wunderbaren Sonnentag eigentlich anfangen sollen. Nach Meinung meiner Mama: Egal was, aber Hauptsache nicht in den Schatten gehen. Was tue ich also? Ich gehe in den Schatten – oder genauer gesagt: Ins Tal.
Der Grund dafür: Ich möchte mich von all meinen Lieblingsplätzen in Rijeka verabschieden. Und dazu gehört eben auch die Hartera-Fabrik. Auf dem Weg dorthin verewige ich noch fix ein paar Gebäude und bunte Wände auf Fotos (und damit in meinem und eurem Gedächtnis).
An meinem Lieblings-Lost-Place Nummer zwei angekommen, drehe ich eine kurze Runde durch die verfallenen Hallen. Dann geht es weiter – hinein ins Tal.
Denn wenn ich schon einmal ins Landesinnere stiefel, dann kann ich auch gleich einen anderen Lieblingsort von meiner Abschieds-To-Do-Liste streichen: Die Ruinen im Tal. Doch noch bevor ich sie erreiche, verzaubert mich der Blick zurück: Trasat, Hartera, Rijeka – ein Bild und zugleich so viele schöne Plätze und Erinnerungen.
Und obwohl der Weg beim zweiten Mal schon vertraut ist, so gibt es auf ihm (bzw. auf kleinen Abwegen von ihm) trotzdem immer wieder etwas Neues zu entdecken: Zum Beispiel die Badestelle in der Felsspalte.
Nach diesem kurzen Abstecher überquere ich das Flüsschen und tauche wieder in meinen persönlichen Dschungelbuch-Moment ein: „Ich bin der König der Affenstadt, der größte Klettermax…“ dudelt es in meinem Kopf, während ich unter wackeligen Torbögen und umgekippten Baumstämmen hindurchtauche. Ja, ich weiß, kein Tempel und keine Lianen – aber genauso wie im Dschungelbuch bestehen auch die Ruinen der Mühlen aus saftigem, wildem Grün und mächtigen, bröckeligen Mauern.
Nach Mühle Nummer eins, geht es zu Nummer zwei, dann den Berg hinauf. Etwas nervös schiele ich dabei immer wieder auf mein Handy-Display. Denn zum einen würde ich heute (zur Abwechslung) gerne mit etwas Akku nach Hause kommen, zum anderen bei Tageslicht. Eiligen Schrittes erklimme ich also die bekannten Pfade. Oben angekommen sehe diesmal sogar auch den Wegweiser, den ich im Januar so gekonnt ignoriert hatte. Und so geht es auf neuen Wegen weiter – die Entdeckerin in mir ist überglücklich!
Am Ziel der Reise, der Kapelle des Veli Vrh, gönne ich mir das erste Mal, seit ich aufgebrochen bin, eine Pause. Und dann werde ich übermütig:
Zuerst einmal setze ich mir in den Kopf, den großen Bunker hochzuklettern. Die Aussicht, so bin ich überzeugt, muss einfach gut sein von dort oben! Tastend setze ich einen Fuß nach dem anderen in die Ritzen des rauen Putzes und ziehe mich hoch. Soweit so gut. Und die Aussicht ist wirklich nicht zu verachten. Richtig spannend wird es allerdings (wie jeder Kletterer zu Genüge weiß) beim Abstieg. Und natürlich hänge ich dabei erst für ein paar Momente in der Luft. Aber am Ende stehe ich doch wieder mit beiden Beinen auf festem Boden. Die ältere Dame mit Pudel, die natürlich genau im passenden Moment herbeispaziert kam, scheint zumindest sichtlich beeindruckt (oder doch eher verwirrt?).
Als wäre das an Abenteuer für heute nicht bereits genug, beschließe ich, den Heimweg etwas abzukürzen. Nun, sagen wir so: Ich erreiche mein Zuhause weder mit funktionierendem Handy, noch bei Tageslicht. Denn wer Rijeka kennt, der weiß, dass die Autobahn sich wie eine Schnur durch die Stadt zieht. Und das blöderweise genau auf halber Höhe. Wer also (wie ich) von hoch oben am Berg nach unten in die Stadt möchte, der muss an irgendeiner Stelle drüber hinweg oder drunter durch. Doch von diesen Stellen gibt leider wenige – oder um es etwas genauer zu sagen: Zwei in annehmbarer Entfernung. Ich entscheide mich für Option Nummer zwei – die große Unbekannte – und scheitere dementsprechend kläglich: Nach rund 30 Minuten stehe ich (wenn auch an einem Ort mit ausnehmend schöner Aussicht) direkt vor der Autobahn.
Natürlich steht genau in diesem Moment auch mein Handy-Akku kurz vor dem Kollaps während sich die Sonne stoisch hinter Ucka verabschiedet. Glücklicherweise ist der Rückweg bis zur letzten (und wie sich herausstellt falschen) Abzweigung nicht allzu weit und keine Viertelstunde später befinde ich mich auf der richtigen Seite der Autobahn. Von dort ist der Rest nur noch ein Klacks.
Mit Füßen so platt wie Pfannkuchen (@arne das zum Thema Pfannkuchen sind das Gleiche wie „Berliner“) und einem schwarzen Loch in meinem Bauch betrete ich meine WG – nur um in der Küche auf einen großen Teller voll „Armer Ritter“ und ein Glas mit Schoko-Vanillepudding (@arne übrigens unverbrannt 😉 ) zu stoßen. Noch bevor meine Müdigkeit die leiseste Chance hat, sich in schlechte Laune zu verwandeln, bin ich somit satt, glücklich und geborgen. „Seize the day?“ – Ich würde sagen: Mehr geht nun wirklich nicht.
PS: Hier der passende Soundtrack zum Motto