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Tag 159 – Galionsfigur

„La Traviata“ – eigentlich hatte ich meine Opernkarte schon für vergangenen Dienstag gekauft. Nur leider bekam ich an besagtem Vormittag eine Mail mit der Nachricht, die Solistin sei krank. Tja, da blieb mir doch glatt die Arie im Halse stecken. Dabei hatte ich die letzten zwei Tage immer wieder die Melodie von „Libiamo, ne‘ lieti calici“ vor mich hingesummt.

Was für ein schönes Lied für eine Hedonistin wie mich – oder was meint ihr?

With you, with you I’ll be able to share
my cheerful times.
Everything is foolish in the world
which is not pleasure.
Let’s enjoy ourselves, for fleeting and quick
the delight of love is:
it’s a flower that blooms and dies
and can no longer be enjoyed.
Let’s enjoy ourselves, fervent
flattering voice invites us!
Ah! Let’s enjoy the cup, the cup and the chants,
the embellished night and the laughter;

let the new day find us in this paradise.

Der Text hier ist übrigens wohlweislich auf Englisch – für alle Banausen wie ich, die kein Italienisch verstehen. Gesungen wird er – auch (oder besser gerade auch) in Rijeka – natürlich auf Italienisch. Schließlich ist es kein Zufall, dass in Rijeka angesichts der Historie der Stadt und dem in Sichtweite liegenden, stiefelförmigen Land traditionell vor allem italienische Opern aufgeführt werden.*

Doch falls ihr weder mit dem Lied, noch „La Traviata“, noch Opern im Allgemeinen etwas anfangen könnt – ich muss zugeben, der eigentliche Grund, warum ich in die Oper wollte, war schlichtweg das Gebäude: Schon von außen ist die Rijeka-Ausgabe des Kroatischen Nationaltheaters ein absoluter Hingucker. Jetzt wollte ich es also auch von innen betrachten! Und ich muss sagen: Erwartungen übertroffen!

Natürlich hatte ich auch keine Kosten gespart: Ganze 120 Kuna (also etwas über fünzehn Euro) habe ich in meine Karte für meine eigene Loge investiert. Während das Orchester seine Instrumente stimmt, ergötze ich mich an dem Traum aus Weiß und Gold. Besonders hat es mir der beeindruckende Kronleuchter angetan. Aber auch die halbnackten Galionsfiguren** fallen mir ins Auge. Nach fünfzehn Minuten hat sich der Saal gut gefüllt – trotz obligatorischem Abstand: Im Parkett sind einige Plätze freigelassen worden, in den Rängen trennen Plexiglasscheiben die Logen voneinander ab.

Und auch auf der Bühne zeigt sich ein etwas ungewohntes Bild: Das Orchester trägt Maske, die Solisten*innen haben alle ihren eigenen Plexiglasbereich. Um trotzdem ein „Zusammenspiel“ zu ermöglichen, werden die Szenen über Stühle „verbunden“. Sie wirken als Ankerpunkte im Raum, wann immer nicht schmachtend an den Scheiben geklebt wird. Der Chor taucht nach wenigen Minuten in den Prinzenlogen auf, mit Visier vor dem Gesicht und lila Luftballons in der Hand (der Sinn von Ersterem ist mir klar, das Zweite werte ich mal als künstlerische Freiheit). Und auch sonst verstehe ich zunächst nicht viel. Denn obwohl ich „La Traviata“ schon einmal gesehen habe, ist das doch schon eine ganze Weile her. Auch die kroatischen Übertitel helfen mir nicht wirklich. Trotzdem habe ich kaum das Verlangen, den Inhalt der Oper zu googeln – die Musik transportiert die Gefühle und das ist das Wichtigste: Ohne die Worte zu verstehen, weiß ich, dass es um Amore (alias „ljubav“) geht, Sehnsucht und Leid. In der dritten Pause bemühe ich schließlich doch Wikipedia und das Puzzle fügt sich zusammen.

Als „La Traviata“ („die vom Wege Abgekommene“) am Ende an der Tuberkulose stirbt (übrigens auch eine Atemwegserkrankung – ich hoffe, das ist kein unheilvolles Zeichen), kullern mir ein paar Tränchen aus den Augen. Fleißig spende ich Applaus, bis sich meine Hände ganz taub anfühlen. Beim Betrachten des „Abspanns“ fällt mir ein Name besonders ins Auge: Valentin Egel – der Dirigent. Tja, dann war ich wohl nicht die Einzige „Tedeschi“ an diesem Abend. Nur, dass er mit verwegen wehendem Haar das Orchster durch die Partitur geführt hat, während ich entspannt in meinem Polstersessel lümmelte. Und das mit – ebenfalls – 26 Jahren! Vielleicht sollte ich auch so langsam in die Puschen kommen? In jedem Fall: Ein inspirierender Abend!

 

 

*Ganz abgesehen davon, dass meines (zugegebenermaßen sehr beschränkten) Wissens fast alle Opern von italienischen Komponisten stammen (oder – siehe Mozart – in italienischer Sprache verfasst sind). Die deutschen Opern (also zumindest die von Wagner) sind außerdem nicht nur von grausamer Länge, sondern auch deprimierend düster (ich hatte da mal ein Schnäppchen-Ticket (ich meine: Zehn Euro für fünf Stunden!) und bin bereits nach einer Stunde freiwillig gegangen). Wer kann es Rijeka da verdenken, dass nicht „Siegfried“ auf dem Programm steht? Also ich nicht…

**Wusstet ihr, dass „Galion“ von Balkon kommt? Passt also genauso ins Theater wie an den Bug eines Schiffs 😉