Wie viel Bulgarien willst du in 48 Stunden sehen? Ja.

Um 7 Uhr klingelt heute der Wecker. Die Nacht auf dem Schlafsofa war nur halbwegs erholsam und ich merke wie mir der gestrige Tag intensivsten Sofia-Erkundens noch ein wenig in der Knochen steckt. Trotzdem bin ich direkt wach und voller Energie, der Grund des in Ferienzeiten leicht brutalen Weckers ist nämlich das bevorstehende Mieten eines Autos und die Betourung des Landes, in dem ich mich noch nicht viel länger als 24 Stunden aufhalte. Beim Wachwerden und der weiteren exponentiellen Vergrößerung der Vorfreude hilft dann auch ein wirklich umwerfender vom Balkon beobachtbarer Sonnenaufgang. (Mehr Fotos davon und von Sofia in meinem letzten Blog)

Da kann man nur gute Laune kriegen

Mit der Metro zum größten Flughafen Bulgariens gefahren, tut sich ein erstes kleines Problem auf: Die Entscheidung für eine Autotour fiel zu ziemlich später Stunde am vorherigen Tag, daher wurde unsere Reservierung leider noch nicht bestätigt. Aber halb so schlimm, einige der Autovermietungsschalter sind schon besetzt, Mensch suche sich eben einen anderen Vermieter. Im Auto angekommen geht’s dann auch ganz schnell los, meine Führerscheinlosigkeit erlaubt es mir die Kessellage Sofias und die Vororte noch einmal genauer zu betrachten. Bald schon kommen wir immer höher und ich komme auch in den Genuss etwas mehr von der typisch bulgarischen Berglandschaft zu sehen, hier befinden sich nämlich die östlichsten Ausläufer des Zentralbalkanmassivs. Wo Rumänien gerade in der Walachei und Moldau noch durch große flache Ebenen geprägt wird, erlebe ich Bulgarien als durchgängiger bergig. 

 

Unser erstes Ziel sollte die zentralere und nordöstlich von Sofia gelegene Stadt Lovech sein. So ziemlich das einzige, was wir vorher über Lovech wussten, war die Existenz einer bebauten Brücke und somit auch, dass es wohl einen Fluss geben muss. Direkt an diesem parken wir dann auch, entdecken noch ein Auto mit Karlsruher Kennzeichen (warum sind hier Deutsche??) und werden zunächst einmal von der erstaunlichen Wärme überrascht. Mit dementsprechend im Auto zurückgelassenen Jacken stoßen wir dann auch sofort auch die berühmte bebaute Brücke. Mit darüber fliegenden Vögeln und dem klippenartigen Hügel im Hintergrund sieht diese im Sonnenlicht schon sehr pittoresk aus. 

Hauptsehenswürdigkeit der 40.000 Einwohner Stadt

Nach dem Motto ‘Immer der Nase nach’ machen wir uns also auf den Weg den Hügel hinauf und zu der riesigen Statue, die dort oben über die Stadt wachend steht. Vorher kommen wir allerdings noch durch ein kleines Gebiet mit typisch bulgarisch gebauten Häusschen. Die sind sind nicht nur nett anzugucken sondern beinhalten oft auch einen geschickten Kniff: Der erste Stock ist größer als das Erdgeschoss, überlappt das Erdgeschoss also und wird von kleinen Querstreben gehalten. Schlau, weil so Grundsteuer gespart wurde. Viel größeres Highlight auf dem Weg sind für mich jedoch die süßen jungen Katzen, die wie wir das Sonnenlicht genießen und sich sogar ein wenig streicheln lassen. 

Da vermisse ich meine Katzen zuhause gleich mehr

Auf dem Hügel und Platz vor der natürlich vor sozialistischem Einfluss und Nationalstolz strotzenden Statue angekommen, ergibt sich schon mal ein erster schöner Blick über die Stadt. Es lassen sich zwar überall die Ränder erkennen, klein ist Lovech aber trotzdem nicht. Außerhalb des wirklich kleinen architektonisch interessanteren Zentrums ist die Dichte an Plattenbauten jedoch doch noch einmal um Einiges höher, als ich es so aus Rumänien kenne. Der nicht komplett in Beton eingeknastete Fluss macht das jedoch zum Teil schon wieder wett.

Für mich ein typisch bulgarisches Stadtbild

Weiterhin gibt es circa 100 Meter neben der Statue sogar noch die in einer Flusschleife gelegene Festungsruine, von der stolz die weiß-grün-rote Flagge weht, zu entdecken. Da diese allerdings nicht allzu spannend aussieht, versuchen wir lieber, uns noch höher auf die Klippe über der Stadt zu begeben. Den Pfaden durch die Büsche folgend, kommen wir bald zu einer bezwingbaren Stelle, um etwa zweieinhalb Meter zu erklimmen und dann über der Klippe stehend einen noch besseren Blick auf Lovech zu genießen. Und das produziert bei diesem jackenfreien Frühlingswetter schon ein richtiges Hochgefühl in mir; ich freue mich sehr gerade hier zu sein und dieses Land zu entdecken. 

Lovech von oben
Die stolze Flagge im Wind

Wieder am Boden der Tatsachen und der Klippe angekommen, wollen wir uns noch kurz das Zentrum der Stadt angucken. Dieses ist allerdings wirklich eher weniger reizend, zwischen ein paar alternden Stuckfassaden gibt es noch so einiges Sozialistisches. Highlight bleiben weiterhin Wetter und der Fluss. 

Also sitzen wir schon bald wieder im Auto, diesmal allerdings nur ziemlich kurz. Sehr schnell finden wir uns in Station 2, dem kleinen Ort Troyan, wieder. Hier soll es anscheinend viel typisch bulgarische Keramik geben, davon finden wir allerdings erstmal nicht wirklich etwas und dann nicht mehr die ausreichende Motivation, um nach ihr zu suchen. Der Ort selbst ist wahrscheinlich noch weniger Tourismusmagnet, als es Lovech schon nicht ist. Die kleine Kirche ist nichtmal zugänglich und auch wenn es einen Fluss gibt, ist der Sonnenschein leider verschwunden. Allerdings entdecken wir von einer Brücke über besagten Fluss, auf gerade bestellte Pizzen wartend, unser neues nächstes Ziel: Troyan liegt schon etwas weiter in den Bergen als Lovech, man sieht wie die Täler enger und höher werden und in der Ferne, von einem schneebedeckten Gipfel, lächelt uns irgendein größeres Monument an. 

Das spannende Troyan

Unsere überraschend gute Pizza essen wir auf dem zentralen Platz, inklusive großen ‘Троян’ Buchstaben (irgendwie sind die auf dem Balkan beliebt) und der standesgemäßen kommunistisch-heldenhaften Statue. Begleitet werden wir vom süßen Klang der E-Gitarren zweier halbstarker Bulgaren, die der Welt ihre Rock- und Metalsongs präsentieren. 

Ohne Statue geht hier nicht

Nach einigen Serpentinen und dem Überschreiten der Baumgrenze finden wir uns dann quasi im Gegenteil von Lovech wieder: Wir haben den schneebedeckten Beklemeto Pass auf 1520 Meter Höhe erreicht. Und es sollte noch spannender werden, beim Aussteigen peitscht uns schon der Wind ins Gesicht und es ist kaum möglich, sich die Jacken anzuziehen. Glücklicherweise war ich noch auf die schlaue Idee gekommen, Handschuhe und Mütze in den Kofferraum zu werfen. Ohne die sollte die folgende berauschende Erfahrung nämlich kaum möglich gewesen sein:

Zuerst einmal bin ich schon geflasht-begeistert von der Masse an Schnee und dem Berg an sich, für mich als nicht-skifahrende norddeutsche Kartoffel ist das eine Premiere. Also heißt es für uns drei erstmal herumrennen und Schneebälle circa 90 Grad neben das Ziel zu werfen, damit sie ansatzweise die Chance haben, auch zu treffen. Der Weg ist so voller Schnee und Eis, das man oft ins Rutschen kommt und der Wind ab und zu das Übrige tut uns in den Tiefschnee weht (ich will mich abstützen und mein arm verschwindet bis zur Schulter im Schnee). Ganz ungefährlich ist das auch gar nicht, neben uns geht es nicht ganz unsteil bergab. Um eine weitere Kurve gekämpft sehen wir dann auch unser eigentliches Ziel: das massive Beton-Monument auf einem weiteren Hügel. Es sind noch ein paar hundert Meter und aufgrund des wirklich schwer beschreibbar starken Windes kehrt die eine Freiwillige nun auch lieber um, was wegen des Brausens um uns schon schwer genug zu verstehen ist. 

Leider konnte ich bei dem Wetter nicht meine gute Kamera mitnehmen

Uns beide andere packt jedoch der Ehrgeiz und wir trotzen Kälte und Wind und kämpfen uns weiter vor. Ich habe mittlerweile zwei Kapuzen und eine Mütze auf, die äußere Kapuze flattert neben meinem Ohr mit der Lautstärke eines landenden Helikopters und die Mütze möchte partout meine Augen bedecken. Schnee in den Schuhen kann ich gut ignorieren, es ist jedoch dermaßen schwer teils tief vornüber gebeugt über Schnee und Eis laufend dem Wind zu trotzen, dass ich immer wieder Pausen brauche, Luft holen und Energie sammeln. Das letzte Drittel laufen wir dann in voller Breitseite des Windes den steilen Hügel hoch, den riesigen Bogen direkt vor Augen. Ständiges Umfallen und in den Wind Stemmen bringt mich dann trotz Pausen wirklich an den Rand meiner Kraft, die letzten 20 Meter lege ich auf allen vieren und mit der wirklich letzten Energie zurück, nur die Aussicht auf Windschatten treibt mich weiter. Und in diesem ist es wirklich plötzlich viel leichter auszuhalten und nach etwas Luft holen kann ich den wirklich unglaublichen Blick dann auch genießen: Wir sind am höchsten Punkt in unserer Nähe und können teils sehr weit knapp unter der Wolkendecke in die Ebenen hineingucken. Durch den aus großen Betonklötzen bestehenden Bogen sieht man die Wolkenfetzen hindurch zischen, der Wind ist zwischen den beiden Säulen so extrem, dass wir uns nicht um die Ecke wagen. 

Beim Versuch diese über Bulgarien wachenden Helden zu fotografieren, wird mir fast das Handy weggeblasen

Langsam ziehen schon immer mehr Wolken über unseren Weg, deshalb geht es bald wieder zurück. Wir schlittern auf unseren schneesammelnden Schuhen den Hang hinunter, gehen ist kaum möglich, und ab und an werden die Wolken so dicht, dass man nicht mehr sehr weit gucken kann. Zuletzt gibt es dann aber nur noch Rückenwind, der mich fast vornüber fallen lässt, und wir befinden uns wieder im Auto, das wohl schon bedenklich gewackelt haben soll. Mit den Socken vor den Autolüftern trocknend fahren wir dann weiter und nach nur zehn Minuten schon wieder in ein nächstes absolut umwerfendes Highlight hinein. Diesmal möchte ich jedoch einfach die Bilder sprechen lassen:

Nach diesem tollen Erlebnis liegt dann noch der Hauptteil des Rückwegs vor uns. Mit Musik und der einsetzenden Dunkelheit werde ich nach der ganzen Anstrengung schon etwas schläfrig, wir machen jedoch noch einen letzten Halt. Das extrem leicht auszusprechende kleine Koprivshtitsa ist eigentlich für seine vielen bunten und typisch bulgarischen Häuser bekannt. Bei Nacht sieht man allerdings nicht wirklich viel und die Straßen werden nur von einem Phänomen beleuchtet, über das wohl jede*r kulturweit-Bloggende, der/die schon in Bulgarien war, schon berichtet hat: Der einfach unglaublichen und nicht zwingend erklärbaren Menge an Kaffeeautomaten. An jeder Ecke und so ziemlich alle 20 Meter befindet sich so eine Maschine, mit verstellbarem Süßungslevel und einer breiten Auswahl an Heißgetränken. Lange halten wir uns in deren schummrig blauen Licht jedoch nicht auf und machen uns (fast) ohne Zwischenfälle auf den Weg nach Sofia. Nach 48 Stunden Bulgarien habe ich wirklich schon so viel mehr gesehen und erlebt als ich erwartet hatte, dass das Einschlafen mehr als schnell geht. 

Auf nach Bulgarien!

So. Nach so viel Schreiberei und Berichterei über Rumänien folgt nun ein Blogeintrag auf dessen Inhalt ich mich lange gefreut habe, er mir durch die Pandemie jedoch zuvor verwehrt wurde: Ich fahre nach Bulgarien! 

Schon vor Beginn meines Freiwilligendienstes entwickelte ich große Pläne über all die Länder und Städte außerhalb Rumäniens die ich von meiner Basis Bukarest aus besuchen wollte. Eigentlich wenig überraschend wurde daraus bis Mitte Januar 2021 gar nichts, was jedoch, jede*r der*die meinen Blog etwas mitverfolgt hat sollte dies bemerkt haben, nicht wirklich negativ zu bewerten ist, weil es eine Verschiebung meiner Reise- und Entdeckungswut auf allerlei rumänische Städte zur Folge hatte. 

Auf solche Ausblicke sollte ich mich freuen dürfen

Nun jedoch gab mir das sogenannte Zwischenseminar, welches natürlich online stattfand, und eine direkt darauf folgende Ferienwoche in Verbindung mit einer Verkettung anderer Bulgarien-reisebegünstigenden Ereignissen und der Realisierung, dass die Grenze ja momentan doch offen ist, die Chance endlich ein weiteres Land zu besuchen. Ohne die in Bulgarien eingesetzten Freiwilligen und deren spontane und außerordentliche Gastfreundschaft wäre das in dieser Form jedoch absolut nicht möglich gewesen, daher hier auch noch der Hinweis auf deren sehr lesenswerten Blog: https://kulturweit.blog/bulgarienweit/

 

Erstes Abenteuer sollte jedoch die circa achteinhalb Stunden lange Zugfahrt von Hauptstadt zu Hauptstadt werden: In Bukarest stelle ich mich natürlich erstmal beim falschen Ticketoffice an – “Bulgaria? Mergi la oficiul international!” Als ich dann das Ticket nach Ruse, einer großen bulgarischen Grenzstadt direkt am südlichen Ufer der Donau, in der Hand halte, heißt es nur noch auf den leicht verspäteten und extrem kleinen und nicht gerade zügigen Zug warten. Krass, dass das die einzige Zugverbindung pro Tag nach ganz Bulgarien ist. Immerhin zeigt sich die schneebedeckte Walachei dann von ihrer schöneren Seite, das Weiß überdeckt das Braun und man kann kilometerweit über die Felder blicken – ich entdecke neben den Gleisen sogar ein paar Fasane. 

Die platte Weite der Walachei

Richtig tricky wird es dann erst an der Grenze. Ersteinmal ist es ein wirklich komisches Gefühl wenn die Grenzbeamten einfach so mit deinem Pass weglaufen, nachdem sie jedoch wiederkommen und ein paar einschlägige Fragen gestellt haben kann es dann weitergehen. Am Bahnhof in Ruse dauert das jedoch weitaus länger als auf der rumänischen Seite der Donau, das eh schon kleine Umsteigefenster schrumpft und schrumpft. Mit den Pässen in der Hand am Schalter angekommen folgt dann aber die Ernüchterung, zwei Minuten vor Abfahrt ist zu kurzfristig für den Erwerb von Tickets nach Sofia. Also wieder hoch zum Gleis – wir berichten einem im Zug gewonnenen ukrainisch-türkischen Freund von der Situation, dessen Russisch reicht aus um dem Grenzbeamten das Problem zu schildern, dessen Begleitung zum Ticketschalter jedoch auch absolut nichts bewirkt. Nach kurzer Absprache mit der Schaffnerin dann aber doch im Zug angekommen folgt nach kurzer Zeit das nächste Problem: Bezahlen im Zug ist zwar möglich, aber natürlich nur mit bulgarischen Leva. Wann sollten die jedoch während des zehnminütigen Aufenthalts gewechselt worden sein? Glücklicherweise sitzt aber nicht nur unser neuer Freund im selben Abteil, sondern auch ein junger Bulgare mit guten Englischkenntnissen, der uns dann trotz einem Euro Verlust seine letzten 40 Leva gegen 20 Euro tauscht – nach all dem Stress bin ich mehr als dankbar. 

 

Der Bahnhof Sofia ist dann sogar überraschend modern und hat glücklicherweise eine nahezu durchgehende Ausschilderung auch in lateinischer Schrift und auf Englisch. Trotzdem komme ich hier das erste Mal in meinem Leben so richtig in Berührung mit kyrillischer Schrift, von der ich bis dato noch fast nichts entziffern kann, und setze mir schnell das Ziel bis zum Ende meiner Zeit zumindest das Alphabet zu erlernen. Nachdem mein Portmonee dann auch von Leva gefüllt wird, kann es mit der Metro dann ganz schnell zu der Freiwilligen gehen, die mir in Sofia netterweise Refugium gewährt. In ihrer Wohnung direkt bei der deutschen Botschaft angekommen lerne ich dann sogar direkt schon die halbe Besetzung der acht Freiwilligen in Bulgarien kennen, die sogar schon gekocht haben und beste Gesellschaft bieten. 

Die Metro fährt hier teils in sehr komischen Tunneln

Schon auf den Wegen zu und von der Metro hatte ich am Abend gleich einen für mich überraschend anderen Eindruck von Sofia, im Vergleich zu den vielen rumänischen Städten die ich kenne, bekommen. Die Straßen, besonders im Zentrum, sind sehr quadratisch angelegt und oft breit, Mensch sieht teils etwas weniger alte Wohnhäuser und stattdessen Gebäude, die zwar an Plattenbauten erinnern, aber glücklicherweise deutlich weniger hässlich sind. Ausgerüstet mit einer ausführlichen handgeschriebenen Liste an Sehenswürdigkeiten machen wir uns schon früh um halb neun auf, um möglichst viel von der Stadt zu sehen. Im Zentrum aus der Metro steigend wird man erst einmal von der Statue der heiligen Sofia auf einer hohen Säule begrüßt, bevor dann der Blick auf das imposante Rathaus Sofias fällt. 

Der Morgenhimmel und ein imposantes Rathaus
Und noch mehr Repräsentativbauten

Anschließend führt uns der Weg zur wohl bekanntesten Einkaufsstraße der Stadt, der Vitosha, benannt nach Sofias “Hausgebirge”, auf welches auch die gleichnamige Straße direkt zuführt. Auch allgemein geben die Berge, die Sofia wie in einem großen Kesseln umschließen, einen tollen Kontrast zu der Großstadt. Und natürlich gibt es auch kulturell Einiges zu sehen, gleich zu Anfang der Vitosha erwarten zwei Kirchen. Die eine davon, sehr seltsam in einer Art großem Hinterhof eingeschlossen, stammt aus dem vierten Jahrhundert und beherbergt so auch das älteste Dach Bulgariens. Irgendwie ist die Atmosphäre etwas komisch, im leichten Nebel hinterlassen die frühe Stunde und Pandemie alles menschenleer, selbst an solch interessanten Sehenswürdigkeiten. Am Ende der schnurgeraden Straße folgt dann das Kirchen-Kontrastprogramm: der kolossale kommunistische Kulturpalast. Mit zusammengehörigen Park bildet das Gebäude einen ziemlich großen Komplex, auf dessen Zentralachse sich am Nachmittag viele junge Menschen auf Bänken, Skateboards und Fahrrädern treffen. 

Eine der vielen orthodoxen Kirchen der Stadt
Der Kulturpalast vor der Vitosha-Kulisse

Durch einen mit vielen Gründerzeit- und Jugendstilhäusern bebauten Teil der Innenstadt bewegen wir uns dann auf das nächste Cluster von Sehenswürdigkeiten zu. Zuerst treffen wir auf das schöne, rote Nationaltheater, auf dessen Vorplatz sich wunderbar Gebäck vom in Bulgarien allgegenwärtigen Supermarkt “Billa” verspeisen. Vorbei an der Nationalgalerie und Museen treffen wir dann auf mehrere Kirchen: Die russisch-orthodoxe ist sehr einfach als solche zu erkennen, wie in Bukarest gibt es Zwiebelkuppeln und sehr viel Goldglanz. 

Nationaltheater „Ivan Vazov“
Noch ertragbare Massen an Gold

Und dann folgt auch schon die wohl bekannteste Sehenswürdigkeit Sofias, wenn man die Stadt googelt, wird die mächtige gold-grüne Alexander-Nevsky Kathedrale. Viele der Kirchen hier wirkten auf mich noch etwas orientalischer, byzantinischer so und ähnlicher wie die Hagia Sophia Kirche/Moschee in Istanbul als die orthodoxen Kirchen in Rumänien, und an dieser Kirche wird das am deutlichsten: Es stapeln sich Rundungen und Kuppeln aufeinander, es gibt nur zwei kleine Türmchen und viele kleinere Fenster. Gekrönt wird das Ganze von der blitzenden goldenen Kuppel, die in schönem Kontrast zu all den anderen grünen Dächern steht. Auch im Innern überwiegt das Gold, überraschenderweise ist es jedoch ziemlich Dunkel auf den schweren Teppichen der Kathedrale.

Die Kathedrale in voller Pracht
Ziemlich byzantinisch

Aber lange noch nicht genug von Sehenswürdigkeiten! Eine schöne Rast kann man auch auf dem Platz zwischen dem schön gestreiften und teils gelben Geschichtsmuseum und der größten Moschee der Stadt einlegen. Das Mittagsgebet findet jedoch, ganz coronakonform, auf den Gebetsteppichen draußen vor der Moschee, direkt neben einer größeren Straße statt. Gleich um die Ecke erwartet uns dann eine weitere seltsame Szene: Hier finden sich nämlich die historischen heißen Quellen Sofias. Aus allerlei Hähnen sprudelt hier wirklich heißes Wasser, dampfend und fast schmerzhaft auf den winterlich kalten Händen. Aber die Quellen sind bei weitem nicht nur interessante Attraktion, hier stehen auch die Bewohner der Stadt, befüllen ihre Wasserflaschen oder Kanister, waschen ihre Hände oder auchmal trotz Verbot das Gesicht. Wir probieren natürlich auch und kommen so in den Genuss des ziemlich schwefligen warmen Wassers. 

Leider reichte die Zeit nicht für den Besuch des Museums
Natürlich ist auch hier vor Deutschem kein Entkommen
Synagoge, Moschee, Kirche – alles nah beieinander

Danach geht es noch an der mächtigen Fassade der Universität vorbei und durch den großen und bei gutem Wetter gut besuchtem Borisova-Park zurück zur Wohnung. Im Park entdecke ich ein natürlich geschlossenes Freibad, welches jedoch total aus der Zeit gefallen auch aus einem Film über das kommunistische Russland entspringen könnte. Im Generellen fällt mir auf, dass es zwischen den notorischen Plattenbauten und sozialistischen Überbleibseln Rumäniens und Bulgariens in Bukarest etwas mehr zentral/westeuropäischen Einfluss gibt, während Sofia auf mich noch ein bisschen mehr dem Balkan zugehörig scheint. 

Die Uni Sofia
Im Hintergrund lauert die Industrie

Anders als ich bei meiner Ankunft in Bulgarien vermutete sollte ich jedoch nicht die ganze folgende Woche in Sofia bleiben, sondern eigentlich nur circa anderthalb Tage. Über meine anderen Abenteuer und Touren in diesem neuen Land folgen natürlich bald weitere Einträge!

Beeindruckende Sonnenaufgänge kann Sofia

Verspätete Weihnachtsberichte

Neben all den unzähligen Dingen, die 2020 für uns und mich neu sein sollten, gab es dann gegen Ende des Jahres noch eine weitere Premiere: Das erste Weihnachten, das ich nicht zuhause und mit meiner Familie verbringe. Ein komischer aber auch sehr logischer Schritt. Für dieses Ereignis habe ich mir dann eine andere tolle Gesellschaft besorgt, mit etwa der Hälfte der Freiwilligen in Rumänien plante ich das Fest gemeinsam in der zentral gelegenen Stadt Brașov zu verbringen. Fünf Tage in einem geräumigen AirBnB sollten es werden, und schon am Vortag der für uns Bukarester nicht allzu langen Reise bekamen wir doppelten Besuch von Freiwilligen mit einer sonst allzu weiten Reise. 

 

Die Zugfahrt bestach dann gleich schon mit beeindruckenden Aussichten auf die schneebedeckten Karpaten und deren vereisten Wälder. Brașov liegt in den nördlichen Ausläufern der Karpaten und besonders die Altstadt kuschelt sich direkt an den “Zinne” genannten Hausberg. Schon auf dem Weg vom Bahnhof zur Unterkunft sichtbares und prominentestes Merkmal: Der “Hollywood”-Schriftzug, auf dem natürlich nicht Hollywood steht. Angekommen in unserer wunderbar zentral in der bald zu erforschenden Altstadt gelegenen Unterkunft blühte uns jedoch erstmal eine Aufgabe, die uns während der gesamten Zeit begleiten würde: Das Kochen für 13 hungrige junge Personen mit den verschiedensten Essensvorlieben und -beschränkungen. Nachdem wir dann irgendwann nach Mitternacht auch einmal vollzählig waren und die Zimmer erfolgreich verteilt wurden ging’s dann verhältnismäßig früh zur wahrscheinlich längsten Nacht unsererer Zeit ins Bett. 

Finde Hollywood

Am nächsten Tag stand dann natürlich erstmal das grundlegende Angucken der Stadt im Vordergrund. So wurde auch schnell klar, warum Brașov eine der touristisch interessantesten Orte des Landes ist: Die Altstadt ist nahezu komplett intakt und transsilvanientypisch mit schönen kleinen Häusern mit viel Stuck und Details bestückt. Darüber hinaus besticht der zentrale Platz und eine der schönsten Kirchen Rumäniens; alles, eher ungewohnt für Rumänien, bestens restauriert. Dass es ziemlich bewölkt war, war sogar vielmehr Feature als Makel, die Türme, Schornsteine und der etwas klein geratene Turm der großen gotischen Schwarzen Kirche geben einen tollen Kontrast vor den grünen Hügeln und tiefstehenden Wolken. 

Klare weiße Linien
Türmchen, Türmchen und im Hintergrund die Schwarze Kirche

An Türmen, Stadtmauer und Synagoge vorbei und durch all das Mittelalterliche hindurch schlängeln wir uns dann letztendlich vor den nahen Hausberg und wagen den Aufstieg. Viel besser als die Seilbahn sind natürlich die leicht schlammigen Serpentinen die uns zur hoch oben thronenden Brașov-Insignie führen. Etwas länger als gedacht ist der Weg dann doch, trotz ins-schwitzen-kommen halten gemeinsames Weihnachtsliedersingen (der Enthusiasmus ist gemischt) und die immer wieder tollen Aussichten auf die (Alt-)stadt die Stimmung oben. Gegen Ende wird’s dann noch etwas verwunschener, wir betreten aufgrund der sich verziehenden Wolken den Nebelwald. Je höher wir kommen, desto mehr sieht man um sich herum hauptsächlich die schemenhaften Baumstämme des Waldes vor weißem Hintergrund. 

Der Kapitalismus ist natürlich auch im ehemalig „Stalinstadt“ bennanten Brașov angekommen
Märchen-Nebel-Geisterwald

Das sollte sich auch an unserem Ziel angekommen nicht wirklich verändern, nachdem wir uns hinter den Buchstaben vorbei auf die Aussichtsplattform geschlängelt haben ist eher wenig von Panoramablicken. Kurz noch kann man die roten Dächer der Altstadt erahnen, dann steht man vor einem einzigen weißen Nichts. Also ein schnelles Gruppenfoto noch und wir gehen das letzte Stück durch den Nebelwald bis zur Seilbahn, zu viel Bewegung muss ja auch nicht sein. 

Hollywood – hinten hohl

Unser Heiligabend war zwar nicht wie vorher erhofft weiß, begrüßte uns jedoch von Anfang an mit Sonnenschein. Zuvor hatten wir schon entschieden, ein etwas ausgefalleneres Weihnachtsessen auf den 25. zu verschieben, um das gute Wetter für eine kleine Wanderung zu nutzen. Gekonnte Misskommunikation führte dann zu zwei getrennten, etwas kleineren Gruppen, konnte das wunderbare und für mich Grau-Bukarester sonst seltene durch Grün, Frischluft, Bewegung und die Berge erzeugte Hochgefühl nicht weiter trüben. Nach ein paar doch ziemlich starken und matschig-glitschigen Steigungen belohnen dann zusätzlich noch tolle Blicke über die siebenbürgische Hügel-/Berglandschaft und neue Perspektiven auf das in eben diese geschmiegte Brașov. 

In den Wäldern Transsilvaniens

Das Weihnachtsessen besteht dann aus vielen verschiedenen Variationen von selbstgemachter Pizza, fachmännisch ausgerollt mit Weinflaschen. Und abends folgte dann nach gemeinsamen Wichteln ganz im Geiste der Weihnacht das (hier eigentlich tägliche) Würdigen des typisch rumänischen Țuica – Pflaumenschnaps & co. 

Weihnachtsvibes

Weihnachtsfeiertag Nr. 1 war dann als der weihnachtlichere Tag geplant, nach entspanntem Ausschlafen folgte ein kürzerer Spaziergang zur kleinen Festung Brașovs von deren Hügel wir erneut nette Aussichten genießen konnten. Diesmal gewannen wir allerdings nicht nur Einsichten auf die Schwarze Kirche und Umliegendes, sondern auch auf die erstaunlich gegensätzliche gegenüberliegende Seite der Stadt. Eigentlich zu erwarten besteht diese nämlich zu einem wesentlichen Teil aus den so allgegenwärtigen Plattenbauten. Doch genau so wie die Altstadt von ihrem Hollywood-Schriftzug überragt wird, hat auch diese Seite der Stadt einen massiven Eyecatcher: einen überdimensionierten Schornstein einer (so schnell ergoogelten) Müllverbrennungsanlage. 

This is Romania (too)

Zum Aufwärmen nach dem leicht nieseligen Spaziergang wurde es dann richtig dekadent: wir nutzen den Whirlpool unseres AirBnBs samt seiner verschiedensten Einstellungsmöglichkeiten – teils zu dritt mit einer vierten Person quer über den Füßen der anderen, so ist es sicherlich gedacht. Der Abend des Tages wurde dann von ausgiebigem mehrgängigen (!) Kochen und Essen geprägt, Highlights waren Knödel, Rosenkohl und eine typische Rumänische Torte. Hierbei muss Respekt an die motiviertesten und organisierenden Freiwilligen gezollt werden, meine Motivation für ausgefallenere Festessen hält sich in Grenzen. 

 

Von unserem letzten ganzen Tag noch ein paar zusammengefasste Eindrücke:

Dem dezent anklingenden Schlafmangel wird gezwungenermaßen Tribut gezollt, nach ausgiebigem Ausschlafen werden zwei der wohl kontrastreichesten Filme geschaut – Borat 2 und Drei Haselnüsse für Aschenbrödel. Just zum Ende des Letzteren setzt dann auch zum ersten Mal ein beachtenswerter Schneefall ein, der sich jedoch nicht allzu lange halten sollte. Dennoch sorgte er für eine mehr als gelungene Szenerie für einen letzten (Foto-)Spaziergang durch die Altstadt, nass glänzende Straßen und der vereiste Wald der Berge präsentieren Brașov im Abendlicht nochmal von seiner schönsten Seite. 

Glitzernde Straßen
Eisiger Wald

Und so näherte sich das Ende dieser vielleicht nicht sonderlich weihnachtlichen, jedoch von Abenteuer, Aktivität und toller, teils neuer Gemeinschaft geprägten Weihnacht, nicht jedoch meiner Winterferien, die mich noch nach Oradea, Cluj-Napoca und mit zahlreichem Besuch zurück nach Bukarest führen sollten. 

Die Schwarze Kirche im gemütlichstem Schneeregen

Suceava – das Saarland Rumäniens?

Wahrscheinlich hat jedes Land dieser Erde eine bestimmte Provinz, Gegend oder Stadt, welche allgemein vom Rest des Landes verspottet, veräppelt oder verarscht wird, bei jedem Witz das Nachsehen hat. In Deutschland ist das vielleicht das Saarland, in den Vereinigten Staaten Alabama und Rumänien hat nunmal das wunderschöne Suceava, eine 100.000-Einwohner (Uni!)-Stadt ganz im Nordosten des Landes, nahe der Ukraine und Moldau. Was für (beziehungsweise treffender gegen) Suceava spricht? Hier sollen Tiere auf den Straßen herumlaufen und die Leute gerne ausgiebig dem Alkohol frönen und vielleicht auch etwas zurückgeblieben sein. 

An diesem Punkt sollte gesagt sein, dass mir als außenstehendem Deutschen natürlich absolut kein Urteil über obenstehende Dinge zusteht, jegliche dieser mit einem ordentlichen Augenzwinkern versehenen Klischees wurden mir vergnügt von anderen Rumän*innen zugetragen. Meine Erlebnisse widersprechen diesen Vorurteilen jedoch zu substanziellen Teilen, inwiefern erfahrt ihr dann im Laufe des Eintrags. 

Wie komme ich überhaupt erstmal dazu, die Reise in diese etwas entlegenere Ecke des Landes anzutreten? Wieder einmal ist die Antwort der dortige Freiwillige, welcher dort anders als wir privilegierten Bukarester*innen ganz alleine ausharren muss und weitaus weniger Kontakt zu anderen Freiwilligen als wir hat. Also mache ich mich mit zwei Kumpanen auf in den letzten der drei großen historischen Bereiche Rumäniens, der mir nach der Walachei und Transsilvanien noch fehlt: Moldau (nicht zu verwechseln mit der Republik Moldau, welche nur einen Teil Moldaus abdeckt). Sechs Stunden dauert die Fahrt, die fast flacher als in Norddeutschland wirkende Landschaft in Kombination mit der sehr schnell hereinbrechenden Dunkelheit zwingt uns dazu, die Unterhaltung durch Musik und Gespräch selbst zu übernehmen. Die wichtigsten Ereignisse der Fahrt: 

-Wir fahren an einer Ursus-Brauerei (eines der bekanntesten rumänischen Biere) vorbei. 

-Wir merken, dass der Freiwillige in Suceava gerade Geburtstag hatte und kaufen ihm beim nächsten Supermarkt eine Kiste Ursus. 

-Wir machen eine Rauch- und Pinkelpause in einer gesichtslosen rumänischen Kleinstadt. Es ist kalt. 

Mit Weihnachtsschmuck wird hier überall ziemlich übertrieben

Etwa 20 Minuten vor Suceava, es ist nach Mitternacht und wir alle sind mittlerweile ziemlich müde, kommen wir in den ersten Kontakt mit einem für dieses Wochenende sehr beständigen Begleiter: Nebel. Und der ist so kurz vor Suceava nicht etwa leicht, bald können wir nicht viel weiter als zehn Meter gucken und sitzen mit angestrengt zugekniffenen Augen vorgelehnt direkt vor der Windschutzscheibe. Irgendwie überstehen wir aber auch diesen letzten Teil und kommen bei Minusgraden im Schulwohnheim unseres Gastgebers, welches er ganz für sich hat, an. 

Genau dieses alleine Wohnen gibt uns am nächsten Morgen jedoch die ersten richtigen Suceava-Vibes. Dadurch, dass keine anderen Schüler und Lehrer im Wohnheim wohnen, wurde nämlich der Boiler für Heißwasser abgestellt, das morgendliche Duschen macht gleich doppelt Spaß. Aber hey, kalt duschen ist gut für den Kreislauf! Nachdem wir nun auch richtig wach sind, wollen wir uns heute diese großartige Stadt angucken, schließlich kann es nur besser werden. 

Zuerst bemerken wir: Im Gegensatz zu nahezu allen anderen, gerade ähnlich großen Städten, gibt es keine Altstadt. Der zentrale Platz ist nicht etwas umringt von Kirchen und schönen alten Häusern, sondern von hässlichen 70er-Jahre Bauten des Sozialismus, hier möchte man nicht wirklich Zeit verbringen. Selbst das uns im Vorhinein angepriesene “Hollywood-Sign” ist nicht mehr als ein circa 1,5 Meter hoher Schriftzug. Aber das „V“ in Suceava ist ein Herz. Einfach beeindruckend. Aber genug des Spotts, ab hier geht es bergauf! (das ist u.A. wörtlich zu nehmen)

Schlichtweg beeindruckend

Nach einem kurzen Snack (leckeres, noch warmes Gebäck hat Suceava) brechen wir nämlich zu der wohl sehenswürdigsten Sehenswürdigkeit der Stadt auf, der hiesigen Festung. Zuerst kommen wir jedoch durch einen größeren Park, dessen winterliche Kahlheit durch den Schnee wieder wett gemacht wird. Wie es sich gehört, ist die Festung Suceavas etwas höher gelegen und so befanden wir uns schnell vor einer Treppe, die einen ganz schön steilen Hügel hinauf führt und uns zur Sicherheit vor den extrem glatt vereisten Stufen natürlich kein durchgehendes Geländer bot. 

Eines meiner bisherigen Lieblingsfotos aus Rumänien

Auch dieses Hindernis überstanden, stehen wir bald in einer etwas skurrilen Szenerie: Auf einer Säule steht ein großes Reiterdenkmal vom historisch bedeutendem Ștefan cel Mare (Stefan der Große), welches umringt von großen Girlanden in den rumänischen Nationalfarben ist. Darum nur der kahle, fast schwarz-weiße Wald mit Schnee und der allgegenwärtige Nebel.

Der gute Stefan
Kontraste und so

Nach etwas Schneeballwerfen in Richtung des stolzen Reiters geht es weiter Richtung Festung und wir kommen an einem weiteren, noch ein wenig unheimlicherem Ort vorbei. So viel lässt sich sagen: Friedhöfe im Nebel und Schnee sind sehr atmosphärisch. 

Spooky spooky

Nun, kurz vor der so ersehnten Festung, möchte ich jedoch einen Trommelwirbel für die Krönung eines jeden Suceava-Besuches und einem wirklich beeindruckenden Monument: Dem (ehemals) größten Osterei der Welt. Wer kann so einer Attraktion nicht widerstehen?

Ein Anblick für die Götter

Nachdem wir uns wieder beruhigt und die Ticketverkäuferin mit einer bunten Mischung aus gebrochenem Rumänisch, abgelaufenem Schülerausweis, Krankenkassenkarte und Freiwilligenausweis überzeugt hatten, Studenten zu sein, waren wir dann auch endlich in der Festung. Diese ist ganz gut erhalten und wiegt hinter breitem Burggraben und dicken Mauern in den erhaltenen Räumen mit einem Museum von unglaublichem kulturellen Wert auf. Daher verbringen wir die meiste Zeit damit, das Eis, was sich auf den unebenen Mauern der Festung gebildet hat, zu zerbrechen und als Einmal-Frisbees in den Nebel zu befördern. Normalerweise gäbe es hier auch eine tolle Aussicht über die Stadt, jetzt dient uns der verhangene Horizont nur noch als Zielscheibe. 

Hey, normalerweise ist die Aussicht toll!

Als uns unsere verfrorenen Füße zum Rückweg zwingen, merken wir erst, wie hungrig wir nach so intensiven Kulturprogramm geworden sind. Und zur Feier unseres Aufenthalts in Suceava wollen wir einmal etwas typisch Rumänisches probieren, wobei, nachdem wir einen kühlen Außenplatz gefunden haben, die erste Ernüchterung folgt. Es gibt nicht ein einziges vegetarisches Gericht, lucky me. Als dann jedoch die mir versprochene vegetarische Zusammenstellung ankommt, bin ich etwas enttäuscht. Kartoffeln und Krautsalat sind vollkommen in Ordnung, aber die wirklich sehr geringe Menge an weißer Soße auf den Kartoffeln scheint schon unbefriedigend. Also probiere ich natürlich ein Kartoffel mit ordentlich Soße und kriege erstmal spontane Schnappatmung. Die Soße ist wohl nahezu purer Knoblauch, viel rumänischer geht’s nicht. Auch meine Mitstreiter probieren mutigst eine winzige halbe Messerspitze und haben schon mit dem überwältigend scharfen und knoblauchigen Geschmack zu kämpfen. Das Beste daran merke ich jedoch als wir das Restaurant verlassen: Ich ersticke fast unter meiner Maske, es ist die Knoblauchfahne des Todes. 

Im letzten Tageslicht nutzen wir noch das Auto für den Besuch eines der berühmten Klöster (übrigens sogar UNESCO-Weltkulturerbe) in der Region, der Bukowina, die sich bis in die Ukraine erstreckt. Wir parken neben einer Straße und nach etwa 100 Meter tauchen plötzlich massive, fast burgähnliche Mauern und Türme vor uns aus dem Nebel auf. Drinnen erwartet uns eine extrem schmale aber sehr schöne Kirche, mal wieder typisch orthodox innen von Gold und Ikonen überladen. Später wird dann das Geburtstagsgeschenk ausgiebig gewürdigt, bevor wir uns am nächsten Tag auf den Weg zurück machen müssen.

Schmal aber nicht klein – die Kirche im Kloster Dragomirna

Eine letzte Attraktion und Überraschung sollte jedoch noch folgen, nachdem wir das wunderschöne Suceava hinter uns gelassen hatten. Ersteinmal hatte sich der Nebel endlich verzogen, was uns interessante Einsichten auf die verschneite Landschaft Moldaus ermöglichte. Wir wollten jedoch auf dem Rückweg noch eines der schönsten Bukowinaklöster mitnehmen, und alleine der Weg lohnte sich. Ich als nicht skifahrender Norddeutscher hatte nämlich noch nie eine verschneite hügelige oder gar bergige Landschaft gesehen, was ich nach dieser Erfahrung dann doch ein wenig bereue.

Ein wirklich schöner Parkplatz

Angekommen beim verschneiten Kloster Voroneț zahlen wir etwa 60 Cent für den Eintritt (als ob ich noch einen Euro extra zahle, nur um fotografieren zu dürfen) und stehen vor der über und über von außen (!) und innen in vor allem blau bemalten Kirche. Das vor der weißen Kulisse ist wirklich absolut einen Besuch wert. 

Ein weiterer Friedhof
Elegant heimlich aus der Hüfte fotografiert
Intensivstes blau

Da auf dem Rückweg nicht viel mehr passiert (außer der mysteriöse Verlust einer Felge), hier abschließend noch Fotos der super detaillierten und 500 Jahre alten Malereien und eine Liste meiner persönlichen Detail-Highlights: 

Ich wusste nicht, dass es so viele Heilige gibt
Soo schlimm sieht die Hölle gar nicht aus

Meine Highlights (zu finden hauptsächlich in der Hölle):

-Drei Hunde mit Händen im Maul

-Eine Schlange mit Hand im Maul

-Ein Bär mit Ball im Maul

-Ein Greif mit Ball im Maul

-Ein Drache, der einen Löwen mit Ball im Maul in den Schwanz beißt

-Die einfach unglaubliche Menge an Heiligenscheinen, holy halo

Auch von innen ist alles bis in die Kuppel bemalt
Gold und noch mehr gold

Wie viel Ungarn geht in Rumänien?

Weihnachten und Silvester sind passiert. Aber viel wichtiger und offen gestanden auch ziemlich erschütternd für mich – die Hälfte meines Freiwilligendienstes ist nun vorbei. Nie war ich hier so in meinem Element wie die letzten drei Ferienwochen, von einer Reise und Freiwilligenkonstellation stolperte ich in die nächste, seit drei Wochen schlafe ich nicht alleine in einem Bett. 

Daher dieser Eintrag über einen Ort der vielleicht besonders bezeichnend für diese Rastlosigkeit, Reiselust, Rumtreiberei meinerseits steht: Oradea, eine für rumänische Verhältnisse größere Stadt ganz im Nordwesten des Landes. Wer jetzt in Geographie aufgepasst hat weiß, das muss dann wohl ganz in der Nähe von Ungarn sein, und richtig, es sind nicht mal 10 Kilometer. Eine andere Freiwillige wohnt dort, nur schlappe 650 Kilometer mit der Bahn von Bukarest entfernt. Das entspricht ungefähr der Strecke Hamburg – München, eine Strecke vor der ich in Deutschland mächtig Respekt hätte, und trotz der deutlich langsameren Züge hier war ich nun schon zwei Mal dort. 

Wie überall in Rumänien ist man stolz EU-Mitglied zu sein

Woran das liegt? Einmal natürlich an der reizenden Gesellschaft vor Ort (übrigens auch eine (halbwegs) aktive Blogschreiberin: https://kulturweit.blog/ruppmaenien/), andererseits an einem für Rumänien aus meiner Erfahrung ziemlich speziellem Stadtcharme: Oradea ist grüner als die meisten Städte hier, zeigt wie einige der westlicheren Städte deutlichen ungarischen Einfluss und ist, für mich wohl fast am wichtigsten, merklich ruhiger als andere Städte dieser Größenordnung. 

Etwas grün in der Großstadt
Bei Tag sieht man, dass der Fluss als grüne Ader durch die Stadt fließt

Im Zuge meiner zwei Besuche in Oradea sprach ich auch mit Schüler*innen meiner Schule über Oradea und bekam hauptsächlich zwei Dinge mit, eins sehr direkt und eins eher unterschwellig. Sehr offen wurde mir direkt leicht belustigt mitgeteilt, die Menschen in Oradea und Umgebung sein wohl im Kopf und Handeln etwas langsamer. Dies ist aber meiner Erfahrung nach ein relativ häufiges Urteil der schnelllebenden Bukarester über den (nördlichen) Rest des Landes. Indirekt bekam ich schnell mit, dass Ungarn und der ungarische Einfluss im nordwestlichen Teil des Landes immer noch ein sensibles Thema sind, einer leichten Abneigung gegen Ungarn*Ungarinnen inklusive. 

Eine typisch ungarische Fassade

Kleine Geschichtsstunde zwischendurch: Nicht unerhebliche Teile des heutigen Rumäniens, insbesondere Transsilvanien, waren zu unterschiedlichen und längeren Zeiten Teil Ungarns bzw. des Ungarischen Einflussbereiches. Und das ist in Oradea immer noch stark sichtbar. Die ungarische Minderheit ist hier so nicht-Minderheit, dass Ungarisch mindestens genauso wichtig und präsent wie Rumänisch ist. Viele hier Lebende können sogar kaum oder nur brüchig Rumänisch, sodass nahezu alle Hinweis- und Informationsschilder und selbst Ladenschilder auch auf Ungarisch sind. 

Der zentrale Piața Unirii

Noch spannender für mich zu beobachten ist jedoch der ungarische Einfluss auf die Architektur. Oradea hat eine schöne und nicht zu kleine Altstadt, inklusive zentralem Platz mit mehreren u.A. katholischen Kirchen, die so auch in Ungarn oder Österreich stehen könnten. Noch schöner und mit unzähligen Details sind allerdings die sehr gut renovierten Palais der Altstadt, it’s Jugendstil at its best: 

Besonders beeindruckend: Der Palatul Vulturul (Adlerpalast)

Aber ist gibt mehr als die ewigen Kirchen, unweit des zentralen Piața Uniriis kann Mensch eine von außen nicht übermäßig überwältigende aber von innen verspielte jedoch nicht überladene Synagoge inklusive kleiner Kunstausstellung besuchen, was offen gesagt um ein vielfaches spannender ist, als die 1000. vor Gold starrende Orthodoxe oder Katholisch-barocke Kirche. 

Die Synagoge von außen…
von innen…
und im Detail.

Ich habe Oradea und ihre schönen Ecken nun einmal bei um die 0 Grad Celsius Mitte November und einmal bei überraschender Wärme und Sonnenschein zwischen den Jahren erlebt, und bei beiden Besuchen besonders begrünte Bereiche genossen. Dazu zählen hauptmerklich der Fluss mit dem entzückenden Namen Crișul Repede (Schneller Kreisch), welcher direkt von der Wohnung der Freiwilligen umrandet von Bäumen und Wiesen in die Altstadt führt, und mein persönlicher Lieblingsort Oradeas: der Bischoffspalast und -garten. Der Palast ist wohl das am einfachsten als Ungarisch identifizierbare Gebäude der Stadt, die dazugehörige Kirche trotz überladenem Barock schön und im Abendlicht nahezu leuchtend und der Garten sehr ruhig und mit teils seltenen Bäumen bestückt. 

Der Bischofspalast
Mir gefiel die mächtige konkave Fassade
Der Bischofsgarten als Ruheort

Und immernoch habe ich erwähnenswerte Orte dieser Stadt ausgelassen, so zum Beispiel die von vorne sehr gut restaurierte, von hinten zerfallende Festung (Analogie für nahezu alle rumänischen Städte???) und den Ciuperca (Pilz) Hügel, auf dem, wenn Mensch den Aufstieg mit Kiloweise Lehm, der sich an die Schuhe klebt, übersteht, eine lohnende Aussicht über die ganze Stadt wartet. Natürlich fehlen auch die notorischen Plattenbauten nicht, mit einer Stadthalle finde ich allerdings doch noch ein sehr interessantes Stück sozialistische Architektur. 

Die Rückseite der Festung gefällt mir sogar besser
Die Aussicht vom Pilzhügel
EU-Flagge vor sowjetischem Mosaik

Nun aber doch zurück in meiner schon sehr zuhausigen Bukarester WG merke ich beim Schreiben dieses Eintrags und dem Sichten der zugehörigen Fotos, wie ich einige Details und Erlebnisse gerade meines ersten Oradea-Ausfluges schon wieder fast vergesse. Vielleicht waren die letzten Wochen und Monate ja doch etwas viel. Ganz vielleicht. Sollte ich dann eventuell mal etwas kürzer treten? Doch dann der Blick auf mein Zugticket nach Oradea – nur knapp über 20€ – und der Vergleich mit einer Fahrt von Hamburg nach München – 100€ aufwärts. Und, viel wichtiger, die Hälfte meines FSJs ist ja wie zuvor festgestellt schon hinüber. Also, um mal ausnahmsweise Selbstreflektion walten zu lassen, nein, ich werde sicherlich nicht kürzer treten. Aber, mit etwas Glück habe ich ja vielleicht die Motivation ein wenig häufiger darüber zu schreiben – stay tuned. 

🙂

Zwischen den Wänden der Cheile Turzii

Auch wenn nun schon der letzte Tag meines gemeinsam mit anderen Freiwilligen verbrachten Wochenendes in Turda sein sollte, war die Action noch lange nicht vorbei. Müde und leicht verklatscht stehe ich an diesem Sonntag auf, Zeit zum auskatern bleibt aber nicht wirklich. Nach dem Frühstück muss gleich das ganze AirBnB auf Vordermann gebracht und anschließend gepackt werden, das Gepäck dürfen wir netterweise noch da lassen. Heute ist nämlich das geplant, weshalb wir uns eigentlich auf den Weg in diese kleine, eher schwierig erreichbare Stadt Turda gemacht haben: Wandern in den Ausläufern des nahen Apuseni-Gebirges, welches ein Teil der Karpaten ist. 

Der Nationalpark erwartet uns

Mit zwei Taxis und einer äußerst überzeugenden Zurschaustellung unseres noch mehr als brüchigen Rumänisch schaffen wir es zu einer beeindruckenden Schlucht namens “Cheile Turzii”. Und schon von Weitem kann man den massiven Einschnitt in die Szenerie sehen, es sieht beinahe aus wie ein Riss in der Landschaft. Ausgestiegen, führt uns der Weg erstmal durch ein waldiges Stück, man kann immer wieder die jetzt schon mächtigen und steilen Abhänge der Berge um uns durch das sich herbstbedingt lichtende Laub der Bäume erahnen. 

Die Aussichten werden nur noch besser werden

Außerdem machen wir schon erste Bekanntschaft mit dem Fluss, der sich anscheinend gerne durch Landschaften fräst und die Bezeichnung “Fluss” nicht wirklich verdient hat, da er vielmehr ein mäßig schnell fließender Bach ist. Ab und an dürfen wir ihn auf alternden, kleinen Hängebrücken überqueren, natürlich ist der erste Gedanke von uns erwachsenen und verantwortungsvollen Freiwilligen, sie alle gleichzeitig zu betreten und durch herumspringen zum Schwingen zu bringen. Danach sehen wir dann auch das Schild, welches zwei Personen und ein ruhiges Gehen empfiehlt. Upsi. 

Der Fluss/Bach

Langsam präsentiert sich uns immer mehr der eigentliche Reiz der Cheile Turzii, die bis zu 300 Meter hohen und krass beeindruckenden Steilwände. Nach so viel grauer Stadt und eher wenigen Parks in Bukarest tut die frische Luft und schöne Natur hier sehr gut, die Kühle in der schattigen Schlucht lässt den Kopf richtig frei werden. Und die Kulisse wird von Schritt zu Schritt besser, die Steilwände steiler und höher und die Bergspitzen spitzer. 

Die Steilwände sind mehr als beeindruckend
Beleuchtete Spitzen

Auch wenn das Licht den Grund der Schlucht nicht erreicht, werden die Felsen teilweise toll beleuchtet, während die Wände sich immer enger an den Fluss drücken und eine sehr gegensätzliche Atmosphäre erzeugen. Der Weg ist zwar merkbar viel benutzt und gut befestigt, aber immer noch uneben genug, dass es Spaß macht zu gehen; die vielen reizenden Perspektiven zum Fotografieren tun den Rest. 

Es wird enger
Zwischen Licht und Schatten

Kurz bevor uns die Zeit zum Umkehren zwingt, macht ein nettes Paar noch ein Gruppenfoto von uns auf einer der Brücken über den Fluss und auch ich nutze die Szene für ein paar interessante Fotos mit einem gleichsam motivierten Freiwilligen. Nach diesem äußerst netten Spaziergang/kleiner Wanderung steht mir nach der Rückfahrt nach Turda und stundenlangem kalten auf-den-Bus-warten noch eine volle und sehr interessante Woche in Oradea und Cluj-Napoca bevor, von der eventuell zu späterer Zeit ein Eintrag handeln wird. 

Elegant wie immer

On how to paddle 120 meters underground and more

Dieses Wochenende mache ich mich auf nach Turda. Und keine Angst, der Name muss selbst Rumänen nichts sagen, mit weniger als 50.000 Einwohnern steht die Stadt klar im Schatten der nahen zweitgrößten Stadt Rumäniens, Cluj-Napoca (more on that soon). Dabei gehört Turda sogar zu den ältesten Siedlungen auf rumänischem Gebiet, selbst die Römer waren hier, erzählt mir mein Reiseführer auf der Dank zeitweise kaputter Lok neunstündigen Anfahrt. Angekommen treffe ich vier andere Freiwillige in einem etwas kurzfristig angemietetem AirBnB, es ist das dritte mal treffen in der dritten rumänischen Stadt. Unsere Wohnung befindet sich in einem Wohngebiet ohne asphaltierten Straßen – der Kontrast zum verkehrsreichen und eher modernen Bukarest könnte nicht deutlicher sein. 

Abendliches Turda

Damit wir am nächsten Morgen extra energiereich in den Tag starten können, läuten wir unsere Zusammenkunft mit nicht zu wenig Bier und Wein nach gemeinsamem Kochen ein. Nach nicht allzu viel Schlaf geht es dann los in Richtung Stadt und der Attraktion, die Turda erst auf irgendwelche Karten setzt – der Salina Turda, eine ausgebaute stillgelegte Salzmine, zu der wir auf Grund fehlenden Autos eineinviertel Stunden laufen dürfen. 

„De vanzare“ – „Zum Verkauf“

Aber erstmal kommen wir auf unserem Weg an einem Fluss samt merklich rostender und nicht allzu vertrauenserweckender Brücke aus dem letzten Jahrhundert und, was gerade in der weiblichen Abteilung unserer kleinen Reisegruppe Freude erweckt, einem großen Spielplatz vorbei. Nach ausgiebiger Inspektion der Wippen und Karussells schaffen wir gerade 200 Meter und stehen vor dem nächsten Objekt, welches unserer Lust aufs Entdecken standhalten muss. 

Eine vertrauenserweckende Brücke
Spielplatz-Spaß

Und dabei ist “standhalten” ein ziemlich gutes Stichwort, da es sich bei dem fraglichen Gebäude um ein wahrscheinlich Ende der Achtziger nicht fertig gestelltes Theater von nicht zu kleinen Ausmaßen handelt. Es wurde die äußere Struktur aus Beton und Bausteinen scheinbar komplett fertig gestellt, allerdings nichts verputzt, verglast oder sonstwie über den Status eines absoluten Rohbaus erhoben.

…es gibt sogar eine halbe Freilicht-Treppe
Beton, Beton und Ziegelsteine

Zuerst einmal wissen wir allerdings gar nicht, dass es sich bei dem Gebäude um ein Theater handelt, wir denken noch an ein großes Mietshaus, und auf den ersten beiden Etagen scheint sich dies auch zu bestätigen. Außer viel Taubenscheiße und Müll gibt es noch nicht sonderlich viel zu sehen, doch als wir den Vorstellungssaal betreten wird uns einiges klar und wir staunen nicht schlecht: Der Raum ist beeindruckend groß und trotzdem total leer, die Zuschauerränge sind bloß große Betonstufen, es gibt eine Art tiefen Schacht vor der Bühne für eventuell Musiker oder Regisseure und hinter der Bühne geht es ca. drei Stockwerke direkt nach oben, hier sollten wohl die Kulissen hängen. Und dann heißt es kurz für uns Bühne frei: Eine mitgebrachte Bluetooth-Box spielt klassische Musik und es wird über die riesige von Taubenhinterlassenschaften bedeckte Fläche getanzt.

Die Bühne ist unser
Der Raum hinter der Bühne

Aber bald treibt es uns höher, eine bestens gesicherte Treppe am Rande des Theaters führt uns in die oberen Stockwerke und präsentiert uns immer spannendere Aussichten auf den Theatersaal von oben und die umliegende Stadt. Irgendwann erreichen wir dann das Dach auf dem zwischen den bröckelnden Steinen schon Pflanzen sprießen und dann heißt es nur noch zwei Meter auf eine etwas höhere Ebene klettern und die Aussicht ist perfekt. Man kann die gesamte Stadt mit ihren so rumänisch-typischen Kirchen und Plattenbauten und die umliegenden Hügel sehen, ich nutze meine neu über das rumänische eBay gekaufte Kamera für ein kleines Fotoshooting vor blendender Kulisse.

Das Dach + Aussicht und mehrere Ebenen
Interessante Perspektiven

Nachdem wir uns von der Sicht losreißen konnten und noch mit kleinem Schrecken der Polizei, die auf einmal vor dem Theater stand, entkamen, konnten wir dann auch endlich weiter Richtung Salzmine ziehen. Unser Weg führt uns durch eine verschlafene Kleinstadt, viel rumänische Lebensrealität zwischen Friedhof, kaputten Gehwegen, Müll und eigentlich annehmbaren kleinen Häusern. Irgendwann weicht auch das Feldern und gelegentlichen Kuhfladen und ich komme zu dem Schluss, dass wir wohl zu den 0,001% der Leute gehören, die zu Fuß zu der Mine kommen. Endlich geschafft, betreten wir ein unwirkliches UFO-ähnliches Glasgebäude und kommen schnell zu den ersten von vielen Treppen, die wir hier noch (herab-)steigen werden. Wir gehen durch verschiedene ausgetretene Steintunnel, an deren Seiten sich mehr und mehr Salzkrusten zeigen und kommen irgendwann auf eine erste Galerie, der Raum öffnet sich zu einer großen, gleichmäßig geschnittenen menschengemachten Höhle, aus der vor 100 Jahren das Salz abgebaut wurde.

Die erste Galerie
Der Blick nach unten

Oben dreieckig, geht es ungefähr 50 Meter in die Tiefe und wir erblicken das, was man wohl am wenigsten an so einem Ort erwarten würde – ein Riesenrad. Daneben gibt es weiterhin Tischtennisplatten, eine kleine Bowlingbahn, einen Minigolfplatz und mehr unter teilweise meterlangen dünnen Stalaktiten aus Salz.

Ein Riesenrad 80 Meter unter der Erde

Aber all das ist immer noch nicht genug – von einer kleinen Plattform kann man in eine nächste, noch größere und kegelförmige Mine herabgucken. Am Grund der Mine liegt eine nette kleine Salzinsel in der Mitte eines Salzsees, umschippert von kleinen Ruderbooten. Surreal ist wohl das einzige Wort was die Situation mittlerweile noch ansatzweise passend beschreiben kann, auch die überall in verschiedenen Mustern angebrachten LED-Lichter tragen ihren Teil dazu bei.

Die Insel samt Brücke aus der Treppe fotografiert

Nach weiterem Treppensteigen überqueren wir eine schmucke Holzbrücke und betreten die Insel, unser Ziel ist klar: Wir leihen uns zwei Ruderboote und umfahren mit wachsender Selbstsicherheit und Geschwindigkeit die Insel.

Eine surreale Erfahrung…

Die Perspektive vom Wasser, also dem niedrigsten Punkt der Höhle, ist ein weiteres Mal überwältigend – 90 Meter über uns läuft die die Decke spitz zusammen und wann hat man das schonmal, rudern auf einem Salzsee 120 Meter und der Erde?

Die Verbindung zwischen Riesenrad-Höhle und See-Höhle – ein Mensch als Größenvergleich
Die Brücke aus Wasserperspektive

Ein kleiner zweiter Teil dieses Blogs über mein Wochenende in Turda wird in Kürze hochgeladen. Darin: der ursprüngliche Grund für unsere Entscheidung, uns in Turda zu treffen: Wandern in den nahen Bergen.

Die Erklimmung des Roten Berges

Fynn² sind mit dem Auto unterwegs. Was? 

Ich, Fynn, den Namen solltet ihr euch mittlerweile gemerkt haben, bin mit einem anderen Fynn, auch kulturweit-Freiwilliger aus Bukarest und stolzer Besitzer eines Führerscheins, über ein langes Wochenende unterwegs. In einem rumänischen Mietwagen (Dacia sollte den meisten etwas sagen) machen wir uns auf den Weg raus aus der Walachei und Bukarest in das zentral gelegene Transsilvanien, um in Deva den Geburtstag einer anderen Freiwilligen zu feiern. Schlafen tun wir in den Karpaten im Auto bei knapp über 0° Celsius (es dauert Stunden die beschlagenen Fenster frei zu kriegen) und bei einem Bekannten (dem großen Netz der Freiwilligen in Rumänien sei Dank). 

Nette Aussicht am Schlafplatz in den Karpaten

Den Ort, dem dieser Blogeintrag gewidmet ist, erreichen wir nach einer hastigen Fahrt über einen Feldweg, wir wollen das schwindende Tageslicht ausnutzen, auf Tipp des in Sebeș lebenden Freiwilligen: den Râpa Roșie, den Roten Berg. 

Nachdem wir das Auto auf einem Parkplatz am Ende des Feldwegs neben dem einzigen anderen Auto abgestellt haben (es wird auf Schildern gemahnt, die Autos abzuschließen) sehen wir erstmal nicht viel. Hinter einigen Bäumen und Gestrüpp leuchtet es jedoch vielversprechend und man sieht die oberen Ansätze des außergewöhnlichen Abhangs des “Roten Berges”. Das genügt uns dreien natürlich nicht und wir stürzen uns in das Gestrüpp, einem schlecht zu erkennenden Pfad folgend. Es geht ein paar mal steil auf- und abwärts, der Boden ist lehmig und noch sehr nass und rutschig, bis es irgendwann nur noch bergauf geht und man mit immer besseren Blicken durch das Gestrüpp hindurch auf den Berg belohnt wird. 

Noch lässt sich nicht so viel erahnen

Irgendwann lichten sich die Büsche und man kann den Râpa Roșie immer besser erkennen: Viel mehr als ein Berg ist es eigentlich eher der Abhang eines steilen Hügels, der allerdings beeindruckende Formationen und Farben aufweist. Ein bröckeliger Pfad führt uns immer höher, trotz neben uns steil abfallendem Gelände lassen wir die durch stundenlanges Autofahren aufgestaute Energie durch teilweise waghalsiges den-Berg-hochrennen raus. Und der Aufstieg lohnt sich: Als eine Mischung aus Marslandschaft und Grand Canyon präsentiert sich der Rote Berg im Abendlicht von seiner besten Seite und macht seinem Namen alle Ehre. 

Nach etwas schwitzen folgt die Belohnung
Zwischen Mars und Grand Canyon

An den mutmaßlichen Besitzerinnen des anderen Autos vorbei (zwei posierende Instagram-Fotos schießende junge Frauen) erklimmen wir den steilen letzten Teil des Abhangs und stehen sozusagen genau über dem “roten” Teil des Roten Berges. Das Tageslicht schwindet und wir können in der Ferne Sebeș mit seinen großen Industriegebieten und nach und nach erglimmenden Lichtern erkennen. 

Das letzte Sonnenlicht
Und die beeindruckende Kulisse

Wir machen unseren Weg entlang der oberen Kante des Abhangs, die tolle Aussicht immer neben uns, unwissend ob es auf der anderen Seite auch wieder einen Weg runter gibt. Glücklicherweise schaffen wir den Abstieg ohne größere Zwischenfälle (Übermut führte zu Ausrutschen und einem dreckigen Hosenboden) und kriegen noch ein paar andere schöne Perspektiven auf den Berg zu sehen. Nach einem letzten Sprint den letzten Hügel hinunter stehen wir wieder vor dem Auto (es war ganz brav abgeschlossen) und fahren zufrieden zurück nach Sebeș, wo uns noch ein entspannter Abend mit Skat und Bier erwarten sollte. 

Sebeș in der Ferne

Hamburger Regenwetter in București

Eigentlich soll es in diesem kleinen Blog um all jene Orte gehen, denen ich während meines (hoffentlich) sechsmonatigem Lebensabstechers nach Rumänien begegne und die etwas in mir auslösen, mich inspirieren, mir einfach gut gefallen, ich schlicht und einfach mit anderen teilen möchte.

Passend dazu soll dieser erste Eintrag keinem spezifischen Ort gewidmet sein, da ich nun viel zu lange schon über einen möglichst passenden, repräsentativen Ort für diesen ersten Eintrag nachdenke, der natürlich auch noch in Bukarest sein sollte, weil hey, hier wohne ich schließlich jetzt. Umso passender ist dafür der Zeitpunkt um den es gehen soll: Mein erster ganzer Tag in Bukarest, nach einer Nacht, deren Schlaf sich aus einmal vor Erschöpfung um 5 auf dem Bett einnicken, vier Stunden zufriedenstellenden Schlafes in geteiltem Bett und nach der Notaufnahme einer anderen, nächtlich in Bukarest gestrandeten Freiwilligen bloß noch aus herumwälzen bestand.

Und was macht man an so einem Tag Besseres, als sich die neue Stadt, in der man nun ein ganzes halbes Jahr verbringen soll, etwas ausführlicher zu Gemüte zu führen. Natürlich stilecht unter einem wunderbar hamburgerisch grauem, nieseligen Wolkenhimmel. Aber es konnte nicht bei diesem Nieselregen bleiben und schnell steigerte sich die Aktion in ein immer nässeres Kennenlernen der rumänischen Hauptstadt. Das tat aber dem Erkundungswillen von mir und meiner reizenden Begleiterin, der gestrandeten Sachsin und zukünftigen Craiovaerin (bestimmt genau das richtige Wort), kaum Abstrich. Und somit stand der Regen für mich nimmer sinnbildlicher für die Herausforderung, die es definitiv ist, Bukarest kennenzulernen.

Bukarest macht es Mensch nicht immer einfach es schön zu finden

Tritt man aus dem Haus, wohlgemerkt wohne ich ziemlich zentral, 15-20 Minuten Fußweg in die Altstadt und in einem guten Viertel, stechen sofort die Kabel, die scheinbar ausschließlich oberirdisch verlegt werden, ins Auge. Zusammen laufen sie in teilweise riesigen Bündeln an Pfählen, wer da die Übersicht behält, dem gebührt Respekt.

Ein typisches Kabelknäuel

Je mehr wir uns der Innenstadt nähern, rennen wir von Gegensatz zu Gegensatz: Zwischen den notorischen Plattenbauten eines ex-sozialistischen Staates gibt es extrem viele schöne Altbauten (vom kleinen Mietshaus bis zur luxuriösen Villa) voller Stuck und Verzierungen und inklusive bröckelnder und abblätternder Fassade, und immer wieder die modernen Glas-Beton-Riesen einer millionenstarken Hauptstadt. Man merkt der Stadt ihre Geschichte und extremen Narben mehrerer intensiver Weltkriege deutlich an.

Die schönen…
und weniger schönen Ecken Bukarests

 

 

 

 

 

 

 

Überwindet man aber einen letzten 70er Hotelturm steht man vor der pittoresken Universität und Altstadt. Hier sollte nun eigentlich das liegen, was als Kulisse für 90% der Instagram-Posts aus Bukarest dient: Schöne, gut restaurierte Prachtbauten des Jugendstils und der Renaissance, gepflasterte Fußgängerzone, orthodoxe Kirchen mit goldenen Kuppeln und die Restaurants und Cafés mit auch für deutsche Verhältnisse hohem Preisniveau.

Der Universitätsplatz
…und weitere Kuppeln

Davon kriegen meine Begleiterin und ich allerdings nicht mehr übermäßig viel mit, da wir mittlerweile hauptsächlich unter geteiltem Regenschirm von Regenschutz zu Regenschutz laufen. Das intensivere Kennenlernen der Altstadt sollte mir noch für einen sonnenreicheren Tag erspart bleiben. Und so machten wir uns ziemlich schnell wieder auf den Rückweg, trotz des Regens gut gelaunt, allerdings mehr durch interessante Gespräche und das Weglachen der Situation als durch die berauschende erste Dosis Bukarest.