Wie viel Bulgarien willst du in 48 Stunden sehen? Ja.

Um 7 Uhr klingelt heute der Wecker. Die Nacht auf dem Schlafsofa war nur halbwegs erholsam und ich merke wie mir der gestrige Tag intensivsten Sofia-Erkundens noch ein wenig in der Knochen steckt. Trotzdem bin ich direkt wach und voller Energie, der Grund des in Ferienzeiten leicht brutalen Weckers ist nämlich das bevorstehende Mieten eines Autos und die Betourung des Landes, in dem ich mich noch nicht viel länger als 24 Stunden aufhalte. Beim Wachwerden und der weiteren exponentiellen Vergrößerung der Vorfreude hilft dann auch ein wirklich umwerfender vom Balkon beobachtbarer Sonnenaufgang. (Mehr Fotos davon und von Sofia in meinem letzten Blog)

Da kann man nur gute Laune kriegen

Mit der Metro zum größten Flughafen Bulgariens gefahren, tut sich ein erstes kleines Problem auf: Die Entscheidung für eine Autotour fiel zu ziemlich später Stunde am vorherigen Tag, daher wurde unsere Reservierung leider noch nicht bestätigt. Aber halb so schlimm, einige der Autovermietungsschalter sind schon besetzt, Mensch suche sich eben einen anderen Vermieter. Im Auto angekommen geht’s dann auch ganz schnell los, meine Führerscheinlosigkeit erlaubt es mir die Kessellage Sofias und die Vororte noch einmal genauer zu betrachten. Bald schon kommen wir immer höher und ich komme auch in den Genuss etwas mehr von der typisch bulgarischen Berglandschaft zu sehen, hier befinden sich nämlich die östlichsten Ausläufer des Zentralbalkanmassivs. Wo Rumänien gerade in der Walachei und Moldau noch durch große flache Ebenen geprägt wird, erlebe ich Bulgarien als durchgängiger bergig. 

 

Unser erstes Ziel sollte die zentralere und nordöstlich von Sofia gelegene Stadt Lovech sein. So ziemlich das einzige, was wir vorher über Lovech wussten, war die Existenz einer bebauten Brücke und somit auch, dass es wohl einen Fluss geben muss. Direkt an diesem parken wir dann auch, entdecken noch ein Auto mit Karlsruher Kennzeichen (warum sind hier Deutsche??) und werden zunächst einmal von der erstaunlichen Wärme überrascht. Mit dementsprechend im Auto zurückgelassenen Jacken stoßen wir dann auch sofort auch die berühmte bebaute Brücke. Mit darüber fliegenden Vögeln und dem klippenartigen Hügel im Hintergrund sieht diese im Sonnenlicht schon sehr pittoresk aus. 

Hauptsehenswürdigkeit der 40.000 Einwohner Stadt

Nach dem Motto ‘Immer der Nase nach’ machen wir uns also auf den Weg den Hügel hinauf und zu der riesigen Statue, die dort oben über die Stadt wachend steht. Vorher kommen wir allerdings noch durch ein kleines Gebiet mit typisch bulgarisch gebauten Häusschen. Die sind sind nicht nur nett anzugucken sondern beinhalten oft auch einen geschickten Kniff: Der erste Stock ist größer als das Erdgeschoss, überlappt das Erdgeschoss also und wird von kleinen Querstreben gehalten. Schlau, weil so Grundsteuer gespart wurde. Viel größeres Highlight auf dem Weg sind für mich jedoch die süßen jungen Katzen, die wie wir das Sonnenlicht genießen und sich sogar ein wenig streicheln lassen. 

Da vermisse ich meine Katzen zuhause gleich mehr

Auf dem Hügel und Platz vor der natürlich vor sozialistischem Einfluss und Nationalstolz strotzenden Statue angekommen, ergibt sich schon mal ein erster schöner Blick über die Stadt. Es lassen sich zwar überall die Ränder erkennen, klein ist Lovech aber trotzdem nicht. Außerhalb des wirklich kleinen architektonisch interessanteren Zentrums ist die Dichte an Plattenbauten jedoch doch noch einmal um Einiges höher, als ich es so aus Rumänien kenne. Der nicht komplett in Beton eingeknastete Fluss macht das jedoch zum Teil schon wieder wett.

Für mich ein typisch bulgarisches Stadtbild

Weiterhin gibt es circa 100 Meter neben der Statue sogar noch die in einer Flusschleife gelegene Festungsruine, von der stolz die weiß-grün-rote Flagge weht, zu entdecken. Da diese allerdings nicht allzu spannend aussieht, versuchen wir lieber, uns noch höher auf die Klippe über der Stadt zu begeben. Den Pfaden durch die Büsche folgend, kommen wir bald zu einer bezwingbaren Stelle, um etwa zweieinhalb Meter zu erklimmen und dann über der Klippe stehend einen noch besseren Blick auf Lovech zu genießen. Und das produziert bei diesem jackenfreien Frühlingswetter schon ein richtiges Hochgefühl in mir; ich freue mich sehr gerade hier zu sein und dieses Land zu entdecken. 

Lovech von oben
Die stolze Flagge im Wind

Wieder am Boden der Tatsachen und der Klippe angekommen, wollen wir uns noch kurz das Zentrum der Stadt angucken. Dieses ist allerdings wirklich eher weniger reizend, zwischen ein paar alternden Stuckfassaden gibt es noch so einiges Sozialistisches. Highlight bleiben weiterhin Wetter und der Fluss. 

Also sitzen wir schon bald wieder im Auto, diesmal allerdings nur ziemlich kurz. Sehr schnell finden wir uns in Station 2, dem kleinen Ort Troyan, wieder. Hier soll es anscheinend viel typisch bulgarische Keramik geben, davon finden wir allerdings erstmal nicht wirklich etwas und dann nicht mehr die ausreichende Motivation, um nach ihr zu suchen. Der Ort selbst ist wahrscheinlich noch weniger Tourismusmagnet, als es Lovech schon nicht ist. Die kleine Kirche ist nichtmal zugänglich und auch wenn es einen Fluss gibt, ist der Sonnenschein leider verschwunden. Allerdings entdecken wir von einer Brücke über besagten Fluss, auf gerade bestellte Pizzen wartend, unser neues nächstes Ziel: Troyan liegt schon etwas weiter in den Bergen als Lovech, man sieht wie die Täler enger und höher werden und in der Ferne, von einem schneebedeckten Gipfel, lächelt uns irgendein größeres Monument an. 

Das spannende Troyan

Unsere überraschend gute Pizza essen wir auf dem zentralen Platz, inklusive großen ‘Троян’ Buchstaben (irgendwie sind die auf dem Balkan beliebt) und der standesgemäßen kommunistisch-heldenhaften Statue. Begleitet werden wir vom süßen Klang der E-Gitarren zweier halbstarker Bulgaren, die der Welt ihre Rock- und Metalsongs präsentieren. 

Ohne Statue geht hier nicht

Nach einigen Serpentinen und dem Überschreiten der Baumgrenze finden wir uns dann quasi im Gegenteil von Lovech wieder: Wir haben den schneebedeckten Beklemeto Pass auf 1520 Meter Höhe erreicht. Und es sollte noch spannender werden, beim Aussteigen peitscht uns schon der Wind ins Gesicht und es ist kaum möglich, sich die Jacken anzuziehen. Glücklicherweise war ich noch auf die schlaue Idee gekommen, Handschuhe und Mütze in den Kofferraum zu werfen. Ohne die sollte die folgende berauschende Erfahrung nämlich kaum möglich gewesen sein:

Zuerst einmal bin ich schon geflasht-begeistert von der Masse an Schnee und dem Berg an sich, für mich als nicht-skifahrende norddeutsche Kartoffel ist das eine Premiere. Also heißt es für uns drei erstmal herumrennen und Schneebälle circa 90 Grad neben das Ziel zu werfen, damit sie ansatzweise die Chance haben, auch zu treffen. Der Weg ist so voller Schnee und Eis, das man oft ins Rutschen kommt und der Wind ab und zu das Übrige tut uns in den Tiefschnee weht (ich will mich abstützen und mein arm verschwindet bis zur Schulter im Schnee). Ganz ungefährlich ist das auch gar nicht, neben uns geht es nicht ganz unsteil bergab. Um eine weitere Kurve gekämpft sehen wir dann auch unser eigentliches Ziel: das massive Beton-Monument auf einem weiteren Hügel. Es sind noch ein paar hundert Meter und aufgrund des wirklich schwer beschreibbar starken Windes kehrt die eine Freiwillige nun auch lieber um, was wegen des Brausens um uns schon schwer genug zu verstehen ist. 

Leider konnte ich bei dem Wetter nicht meine gute Kamera mitnehmen

Uns beide andere packt jedoch der Ehrgeiz und wir trotzen Kälte und Wind und kämpfen uns weiter vor. Ich habe mittlerweile zwei Kapuzen und eine Mütze auf, die äußere Kapuze flattert neben meinem Ohr mit der Lautstärke eines landenden Helikopters und die Mütze möchte partout meine Augen bedecken. Schnee in den Schuhen kann ich gut ignorieren, es ist jedoch dermaßen schwer teils tief vornüber gebeugt über Schnee und Eis laufend dem Wind zu trotzen, dass ich immer wieder Pausen brauche, Luft holen und Energie sammeln. Das letzte Drittel laufen wir dann in voller Breitseite des Windes den steilen Hügel hoch, den riesigen Bogen direkt vor Augen. Ständiges Umfallen und in den Wind Stemmen bringt mich dann trotz Pausen wirklich an den Rand meiner Kraft, die letzten 20 Meter lege ich auf allen vieren und mit der wirklich letzten Energie zurück, nur die Aussicht auf Windschatten treibt mich weiter. Und in diesem ist es wirklich plötzlich viel leichter auszuhalten und nach etwas Luft holen kann ich den wirklich unglaublichen Blick dann auch genießen: Wir sind am höchsten Punkt in unserer Nähe und können teils sehr weit knapp unter der Wolkendecke in die Ebenen hineingucken. Durch den aus großen Betonklötzen bestehenden Bogen sieht man die Wolkenfetzen hindurch zischen, der Wind ist zwischen den beiden Säulen so extrem, dass wir uns nicht um die Ecke wagen. 

Beim Versuch diese über Bulgarien wachenden Helden zu fotografieren, wird mir fast das Handy weggeblasen

Langsam ziehen schon immer mehr Wolken über unseren Weg, deshalb geht es bald wieder zurück. Wir schlittern auf unseren schneesammelnden Schuhen den Hang hinunter, gehen ist kaum möglich, und ab und an werden die Wolken so dicht, dass man nicht mehr sehr weit gucken kann. Zuletzt gibt es dann aber nur noch Rückenwind, der mich fast vornüber fallen lässt, und wir befinden uns wieder im Auto, das wohl schon bedenklich gewackelt haben soll. Mit den Socken vor den Autolüftern trocknend fahren wir dann weiter und nach nur zehn Minuten schon wieder in ein nächstes absolut umwerfendes Highlight hinein. Diesmal möchte ich jedoch einfach die Bilder sprechen lassen:

Nach diesem tollen Erlebnis liegt dann noch der Hauptteil des Rückwegs vor uns. Mit Musik und der einsetzenden Dunkelheit werde ich nach der ganzen Anstrengung schon etwas schläfrig, wir machen jedoch noch einen letzten Halt. Das extrem leicht auszusprechende kleine Koprivshtitsa ist eigentlich für seine vielen bunten und typisch bulgarischen Häuser bekannt. Bei Nacht sieht man allerdings nicht wirklich viel und die Straßen werden nur von einem Phänomen beleuchtet, über das wohl jede*r kulturweit-Bloggende, der/die schon in Bulgarien war, schon berichtet hat: Der einfach unglaublichen und nicht zwingend erklärbaren Menge an Kaffeeautomaten. An jeder Ecke und so ziemlich alle 20 Meter befindet sich so eine Maschine, mit verstellbarem Süßungslevel und einer breiten Auswahl an Heißgetränken. Lange halten wir uns in deren schummrig blauen Licht jedoch nicht auf und machen uns (fast) ohne Zwischenfälle auf den Weg nach Sofia. Nach 48 Stunden Bulgarien habe ich wirklich schon so viel mehr gesehen und erlebt als ich erwartet hatte, dass das Einschlafen mehr als schnell geht. 

Suceava – das Saarland Rumäniens?

Wahrscheinlich hat jedes Land dieser Erde eine bestimmte Provinz, Gegend oder Stadt, welche allgemein vom Rest des Landes verspottet, veräppelt oder verarscht wird, bei jedem Witz das Nachsehen hat. In Deutschland ist das vielleicht das Saarland, in den Vereinigten Staaten Alabama und Rumänien hat nunmal das wunderschöne Suceava, eine 100.000-Einwohner (Uni!)-Stadt ganz im Nordosten des Landes, nahe der Ukraine und Moldau. Was für (beziehungsweise treffender gegen) Suceava spricht? Hier sollen Tiere auf den Straßen herumlaufen und die Leute gerne ausgiebig dem Alkohol frönen und vielleicht auch etwas zurückgeblieben sein. 

An diesem Punkt sollte gesagt sein, dass mir als außenstehendem Deutschen natürlich absolut kein Urteil über obenstehende Dinge zusteht, jegliche dieser mit einem ordentlichen Augenzwinkern versehenen Klischees wurden mir vergnügt von anderen Rumän*innen zugetragen. Meine Erlebnisse widersprechen diesen Vorurteilen jedoch zu substanziellen Teilen, inwiefern erfahrt ihr dann im Laufe des Eintrags. 

Wie komme ich überhaupt erstmal dazu, die Reise in diese etwas entlegenere Ecke des Landes anzutreten? Wieder einmal ist die Antwort der dortige Freiwillige, welcher dort anders als wir privilegierten Bukarester*innen ganz alleine ausharren muss und weitaus weniger Kontakt zu anderen Freiwilligen als wir hat. Also mache ich mich mit zwei Kumpanen auf in den letzten der drei großen historischen Bereiche Rumäniens, der mir nach der Walachei und Transsilvanien noch fehlt: Moldau (nicht zu verwechseln mit der Republik Moldau, welche nur einen Teil Moldaus abdeckt). Sechs Stunden dauert die Fahrt, die fast flacher als in Norddeutschland wirkende Landschaft in Kombination mit der sehr schnell hereinbrechenden Dunkelheit zwingt uns dazu, die Unterhaltung durch Musik und Gespräch selbst zu übernehmen. Die wichtigsten Ereignisse der Fahrt: 

-Wir fahren an einer Ursus-Brauerei (eines der bekanntesten rumänischen Biere) vorbei. 

-Wir merken, dass der Freiwillige in Suceava gerade Geburtstag hatte und kaufen ihm beim nächsten Supermarkt eine Kiste Ursus. 

-Wir machen eine Rauch- und Pinkelpause in einer gesichtslosen rumänischen Kleinstadt. Es ist kalt. 

Mit Weihnachtsschmuck wird hier überall ziemlich übertrieben

Etwa 20 Minuten vor Suceava, es ist nach Mitternacht und wir alle sind mittlerweile ziemlich müde, kommen wir in den ersten Kontakt mit einem für dieses Wochenende sehr beständigen Begleiter: Nebel. Und der ist so kurz vor Suceava nicht etwa leicht, bald können wir nicht viel weiter als zehn Meter gucken und sitzen mit angestrengt zugekniffenen Augen vorgelehnt direkt vor der Windschutzscheibe. Irgendwie überstehen wir aber auch diesen letzten Teil und kommen bei Minusgraden im Schulwohnheim unseres Gastgebers, welches er ganz für sich hat, an. 

Genau dieses alleine Wohnen gibt uns am nächsten Morgen jedoch die ersten richtigen Suceava-Vibes. Dadurch, dass keine anderen Schüler und Lehrer im Wohnheim wohnen, wurde nämlich der Boiler für Heißwasser abgestellt, das morgendliche Duschen macht gleich doppelt Spaß. Aber hey, kalt duschen ist gut für den Kreislauf! Nachdem wir nun auch richtig wach sind, wollen wir uns heute diese großartige Stadt angucken, schließlich kann es nur besser werden. 

Zuerst bemerken wir: Im Gegensatz zu nahezu allen anderen, gerade ähnlich großen Städten, gibt es keine Altstadt. Der zentrale Platz ist nicht etwas umringt von Kirchen und schönen alten Häusern, sondern von hässlichen 70er-Jahre Bauten des Sozialismus, hier möchte man nicht wirklich Zeit verbringen. Selbst das uns im Vorhinein angepriesene “Hollywood-Sign” ist nicht mehr als ein circa 1,5 Meter hoher Schriftzug. Aber das „V“ in Suceava ist ein Herz. Einfach beeindruckend. Aber genug des Spotts, ab hier geht es bergauf! (das ist u.A. wörtlich zu nehmen)

Schlichtweg beeindruckend

Nach einem kurzen Snack (leckeres, noch warmes Gebäck hat Suceava) brechen wir nämlich zu der wohl sehenswürdigsten Sehenswürdigkeit der Stadt auf, der hiesigen Festung. Zuerst kommen wir jedoch durch einen größeren Park, dessen winterliche Kahlheit durch den Schnee wieder wett gemacht wird. Wie es sich gehört, ist die Festung Suceavas etwas höher gelegen und so befanden wir uns schnell vor einer Treppe, die einen ganz schön steilen Hügel hinauf führt und uns zur Sicherheit vor den extrem glatt vereisten Stufen natürlich kein durchgehendes Geländer bot. 

Eines meiner bisherigen Lieblingsfotos aus Rumänien

Auch dieses Hindernis überstanden, stehen wir bald in einer etwas skurrilen Szenerie: Auf einer Säule steht ein großes Reiterdenkmal vom historisch bedeutendem Ștefan cel Mare (Stefan der Große), welches umringt von großen Girlanden in den rumänischen Nationalfarben ist. Darum nur der kahle, fast schwarz-weiße Wald mit Schnee und der allgegenwärtige Nebel.

Der gute Stefan
Kontraste und so

Nach etwas Schneeballwerfen in Richtung des stolzen Reiters geht es weiter Richtung Festung und wir kommen an einem weiteren, noch ein wenig unheimlicherem Ort vorbei. So viel lässt sich sagen: Friedhöfe im Nebel und Schnee sind sehr atmosphärisch. 

Spooky spooky

Nun, kurz vor der so ersehnten Festung, möchte ich jedoch einen Trommelwirbel für die Krönung eines jeden Suceava-Besuches und einem wirklich beeindruckenden Monument: Dem (ehemals) größten Osterei der Welt. Wer kann so einer Attraktion nicht widerstehen?

Ein Anblick für die Götter

Nachdem wir uns wieder beruhigt und die Ticketverkäuferin mit einer bunten Mischung aus gebrochenem Rumänisch, abgelaufenem Schülerausweis, Krankenkassenkarte und Freiwilligenausweis überzeugt hatten, Studenten zu sein, waren wir dann auch endlich in der Festung. Diese ist ganz gut erhalten und wiegt hinter breitem Burggraben und dicken Mauern in den erhaltenen Räumen mit einem Museum von unglaublichem kulturellen Wert auf. Daher verbringen wir die meiste Zeit damit, das Eis, was sich auf den unebenen Mauern der Festung gebildet hat, zu zerbrechen und als Einmal-Frisbees in den Nebel zu befördern. Normalerweise gäbe es hier auch eine tolle Aussicht über die Stadt, jetzt dient uns der verhangene Horizont nur noch als Zielscheibe. 

Hey, normalerweise ist die Aussicht toll!

Als uns unsere verfrorenen Füße zum Rückweg zwingen, merken wir erst, wie hungrig wir nach so intensiven Kulturprogramm geworden sind. Und zur Feier unseres Aufenthalts in Suceava wollen wir einmal etwas typisch Rumänisches probieren, wobei, nachdem wir einen kühlen Außenplatz gefunden haben, die erste Ernüchterung folgt. Es gibt nicht ein einziges vegetarisches Gericht, lucky me. Als dann jedoch die mir versprochene vegetarische Zusammenstellung ankommt, bin ich etwas enttäuscht. Kartoffeln und Krautsalat sind vollkommen in Ordnung, aber die wirklich sehr geringe Menge an weißer Soße auf den Kartoffeln scheint schon unbefriedigend. Also probiere ich natürlich ein Kartoffel mit ordentlich Soße und kriege erstmal spontane Schnappatmung. Die Soße ist wohl nahezu purer Knoblauch, viel rumänischer geht’s nicht. Auch meine Mitstreiter probieren mutigst eine winzige halbe Messerspitze und haben schon mit dem überwältigend scharfen und knoblauchigen Geschmack zu kämpfen. Das Beste daran merke ich jedoch als wir das Restaurant verlassen: Ich ersticke fast unter meiner Maske, es ist die Knoblauchfahne des Todes. 

Im letzten Tageslicht nutzen wir noch das Auto für den Besuch eines der berühmten Klöster (übrigens sogar UNESCO-Weltkulturerbe) in der Region, der Bukowina, die sich bis in die Ukraine erstreckt. Wir parken neben einer Straße und nach etwa 100 Meter tauchen plötzlich massive, fast burgähnliche Mauern und Türme vor uns aus dem Nebel auf. Drinnen erwartet uns eine extrem schmale aber sehr schöne Kirche, mal wieder typisch orthodox innen von Gold und Ikonen überladen. Später wird dann das Geburtstagsgeschenk ausgiebig gewürdigt, bevor wir uns am nächsten Tag auf den Weg zurück machen müssen.

Schmal aber nicht klein – die Kirche im Kloster Dragomirna

Eine letzte Attraktion und Überraschung sollte jedoch noch folgen, nachdem wir das wunderschöne Suceava hinter uns gelassen hatten. Ersteinmal hatte sich der Nebel endlich verzogen, was uns interessante Einsichten auf die verschneite Landschaft Moldaus ermöglichte. Wir wollten jedoch auf dem Rückweg noch eines der schönsten Bukowinaklöster mitnehmen, und alleine der Weg lohnte sich. Ich als nicht skifahrender Norddeutscher hatte nämlich noch nie eine verschneite hügelige oder gar bergige Landschaft gesehen, was ich nach dieser Erfahrung dann doch ein wenig bereue.

Ein wirklich schöner Parkplatz

Angekommen beim verschneiten Kloster Voroneț zahlen wir etwa 60 Cent für den Eintritt (als ob ich noch einen Euro extra zahle, nur um fotografieren zu dürfen) und stehen vor der über und über von außen (!) und innen in vor allem blau bemalten Kirche. Das vor der weißen Kulisse ist wirklich absolut einen Besuch wert. 

Ein weiterer Friedhof
Elegant heimlich aus der Hüfte fotografiert
Intensivstes blau

Da auf dem Rückweg nicht viel mehr passiert (außer der mysteriöse Verlust einer Felge), hier abschließend noch Fotos der super detaillierten und 500 Jahre alten Malereien und eine Liste meiner persönlichen Detail-Highlights: 

Ich wusste nicht, dass es so viele Heilige gibt
Soo schlimm sieht die Hölle gar nicht aus

Meine Highlights (zu finden hauptsächlich in der Hölle):

-Drei Hunde mit Händen im Maul

-Eine Schlange mit Hand im Maul

-Ein Bär mit Ball im Maul

-Ein Greif mit Ball im Maul

-Ein Drache, der einen Löwen mit Ball im Maul in den Schwanz beißt

-Die einfach unglaubliche Menge an Heiligenscheinen, holy halo

Auch von innen ist alles bis in die Kuppel bemalt
Gold und noch mehr gold

Wie viel Ungarn geht in Rumänien?

Weihnachten und Silvester sind passiert. Aber viel wichtiger und offen gestanden auch ziemlich erschütternd für mich – die Hälfte meines Freiwilligendienstes ist nun vorbei. Nie war ich hier so in meinem Element wie die letzten drei Ferienwochen, von einer Reise und Freiwilligenkonstellation stolperte ich in die nächste, seit drei Wochen schlafe ich nicht alleine in einem Bett. 

Daher dieser Eintrag über einen Ort der vielleicht besonders bezeichnend für diese Rastlosigkeit, Reiselust, Rumtreiberei meinerseits steht: Oradea, eine für rumänische Verhältnisse größere Stadt ganz im Nordwesten des Landes. Wer jetzt in Geographie aufgepasst hat weiß, das muss dann wohl ganz in der Nähe von Ungarn sein, und richtig, es sind nicht mal 10 Kilometer. Eine andere Freiwillige wohnt dort, nur schlappe 650 Kilometer mit der Bahn von Bukarest entfernt. Das entspricht ungefähr der Strecke Hamburg – München, eine Strecke vor der ich in Deutschland mächtig Respekt hätte, und trotz der deutlich langsameren Züge hier war ich nun schon zwei Mal dort. 

Wie überall in Rumänien ist man stolz EU-Mitglied zu sein

Woran das liegt? Einmal natürlich an der reizenden Gesellschaft vor Ort (übrigens auch eine (halbwegs) aktive Blogschreiberin: https://kulturweit.blog/ruppmaenien/), andererseits an einem für Rumänien aus meiner Erfahrung ziemlich speziellem Stadtcharme: Oradea ist grüner als die meisten Städte hier, zeigt wie einige der westlicheren Städte deutlichen ungarischen Einfluss und ist, für mich wohl fast am wichtigsten, merklich ruhiger als andere Städte dieser Größenordnung. 

Etwas grün in der Großstadt
Bei Tag sieht man, dass der Fluss als grüne Ader durch die Stadt fließt

Im Zuge meiner zwei Besuche in Oradea sprach ich auch mit Schüler*innen meiner Schule über Oradea und bekam hauptsächlich zwei Dinge mit, eins sehr direkt und eins eher unterschwellig. Sehr offen wurde mir direkt leicht belustigt mitgeteilt, die Menschen in Oradea und Umgebung sein wohl im Kopf und Handeln etwas langsamer. Dies ist aber meiner Erfahrung nach ein relativ häufiges Urteil der schnelllebenden Bukarester über den (nördlichen) Rest des Landes. Indirekt bekam ich schnell mit, dass Ungarn und der ungarische Einfluss im nordwestlichen Teil des Landes immer noch ein sensibles Thema sind, einer leichten Abneigung gegen Ungarn*Ungarinnen inklusive. 

Eine typisch ungarische Fassade

Kleine Geschichtsstunde zwischendurch: Nicht unerhebliche Teile des heutigen Rumäniens, insbesondere Transsilvanien, waren zu unterschiedlichen und längeren Zeiten Teil Ungarns bzw. des Ungarischen Einflussbereiches. Und das ist in Oradea immer noch stark sichtbar. Die ungarische Minderheit ist hier so nicht-Minderheit, dass Ungarisch mindestens genauso wichtig und präsent wie Rumänisch ist. Viele hier Lebende können sogar kaum oder nur brüchig Rumänisch, sodass nahezu alle Hinweis- und Informationsschilder und selbst Ladenschilder auch auf Ungarisch sind. 

Der zentrale Piața Unirii

Noch spannender für mich zu beobachten ist jedoch der ungarische Einfluss auf die Architektur. Oradea hat eine schöne und nicht zu kleine Altstadt, inklusive zentralem Platz mit mehreren u.A. katholischen Kirchen, die so auch in Ungarn oder Österreich stehen könnten. Noch schöner und mit unzähligen Details sind allerdings die sehr gut renovierten Palais der Altstadt, it’s Jugendstil at its best: 

Besonders beeindruckend: Der Palatul Vulturul (Adlerpalast)

Aber ist gibt mehr als die ewigen Kirchen, unweit des zentralen Piața Uniriis kann Mensch eine von außen nicht übermäßig überwältigende aber von innen verspielte jedoch nicht überladene Synagoge inklusive kleiner Kunstausstellung besuchen, was offen gesagt um ein vielfaches spannender ist, als die 1000. vor Gold starrende Orthodoxe oder Katholisch-barocke Kirche. 

Die Synagoge von außen…
von innen…
und im Detail.

Ich habe Oradea und ihre schönen Ecken nun einmal bei um die 0 Grad Celsius Mitte November und einmal bei überraschender Wärme und Sonnenschein zwischen den Jahren erlebt, und bei beiden Besuchen besonders begrünte Bereiche genossen. Dazu zählen hauptmerklich der Fluss mit dem entzückenden Namen Crișul Repede (Schneller Kreisch), welcher direkt von der Wohnung der Freiwilligen umrandet von Bäumen und Wiesen in die Altstadt führt, und mein persönlicher Lieblingsort Oradeas: der Bischoffspalast und -garten. Der Palast ist wohl das am einfachsten als Ungarisch identifizierbare Gebäude der Stadt, die dazugehörige Kirche trotz überladenem Barock schön und im Abendlicht nahezu leuchtend und der Garten sehr ruhig und mit teils seltenen Bäumen bestückt. 

Der Bischofspalast
Mir gefiel die mächtige konkave Fassade
Der Bischofsgarten als Ruheort

Und immernoch habe ich erwähnenswerte Orte dieser Stadt ausgelassen, so zum Beispiel die von vorne sehr gut restaurierte, von hinten zerfallende Festung (Analogie für nahezu alle rumänischen Städte???) und den Ciuperca (Pilz) Hügel, auf dem, wenn Mensch den Aufstieg mit Kiloweise Lehm, der sich an die Schuhe klebt, übersteht, eine lohnende Aussicht über die ganze Stadt wartet. Natürlich fehlen auch die notorischen Plattenbauten nicht, mit einer Stadthalle finde ich allerdings doch noch ein sehr interessantes Stück sozialistische Architektur. 

Die Rückseite der Festung gefällt mir sogar besser
Die Aussicht vom Pilzhügel
EU-Flagge vor sowjetischem Mosaik

Nun aber doch zurück in meiner schon sehr zuhausigen Bukarester WG merke ich beim Schreiben dieses Eintrags und dem Sichten der zugehörigen Fotos, wie ich einige Details und Erlebnisse gerade meines ersten Oradea-Ausfluges schon wieder fast vergesse. Vielleicht waren die letzten Wochen und Monate ja doch etwas viel. Ganz vielleicht. Sollte ich dann eventuell mal etwas kürzer treten? Doch dann der Blick auf mein Zugticket nach Oradea – nur knapp über 20€ – und der Vergleich mit einer Fahrt von Hamburg nach München – 100€ aufwärts. Und, viel wichtiger, die Hälfte meines FSJs ist ja wie zuvor festgestellt schon hinüber. Also, um mal ausnahmsweise Selbstreflektion walten zu lassen, nein, ich werde sicherlich nicht kürzer treten. Aber, mit etwas Glück habe ich ja vielleicht die Motivation ein wenig häufiger darüber zu schreiben – stay tuned. 

🙂