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Kunst, Kino und ein Kilo Zitronen

„Was geht?“ begrüßt mich eine vertraute Stimme in unvertrautem Deutsch auf meinem Handybildschirm. Ich habe dem Fire-Breather diese Verkommenheit der Deutschen Sprache ganz sicher nicht beigebracht! Da er weiß, wie ich zu dieser Slangerei stehe,  rechtfertigt er seine Begrüßung sofort damit, dass mein Viertel nach dem bulgarischen Dichter Geo Milew benannt wurde, was seinen Ohren nach wie Ghetto Milew klinge. Im Video zeigt er auf eine Grünfläche auf das Tal unter sich, der Park in dessen Nähe ich wohne. Da meine Ski-Skills so ausgereift sind wie Mangos in Deutschland, habe ich die Einladung zum Wintersport dankend abgelehnt und so ist er allein losgezogen. Niemandem wäre geholfen, wenn ich als menschliche Lawine ein paar Kinder überrolle.

Statt Schnee stand bei mir Picknick mit Falafel und Karotten gedippt in Humus auf dem Programm. Die Markthalle habe ich durch Zufall entdeckt, indem ich durch das Fenster des schönen Gebäudes lugte, an dem ich schon so oft vorbeigegangen bin.

Der Brunnen in der Mitte des grün verdrahteten Gebäudes, dessen Wasser buntes Mosaik bedeckt, hat es mir besonders abgetan.

Der Picknickpark war wunderbar belebt. Verschiedene Szenengruppen verbrachten hier ihren Nachmittag. Egal ob Sportler, Musiker, Rentner, Familien, einzelne Spaziergänger oder Zuckerwatteesser: jeder konnte hier friedlich seinem Hobby nachgehen.

Der Fire-Breather hatte wohl den Atem der Sonne unterschätzt und trat mir am nächsten Tag mit roten Wangen entgegen. Ich versprach, keine Witze zu machen, um seine Gesichtsmuskeln zu schonen. Er lachte schmerzlich darüber. Erfreut über die Tatsache, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte, öffnete er die Tür zum nächstgelegenen Café und bestellte zwei Barnitzas, typisch bulgarische Blätterteigtaschen gefüllt mit Käse oder Spinat, und ein Getränk bestehend aus weißer Flüssigkeit.

Er warnte mich vor, dass letzteres etwas speziell sei und nicht jeden Geschmack treffe. Neugierig beobachtete er meinen Gesichtsausdruck,  während ich den ersten Schluck nahm. „Ayran“, sagte ich schulterzuckend. Er konnte seine Überraschung darüber, dass ich es kannte, nicht verbergen. Als  ich die Augenbraue hob, fiel es ihm wieder ein. „Ah stimmt. Döner-Kebab:  das Nationalgericht der Deutschen!“, sagte er schmunzelnd. Während wir uns durch die Obst- und Gemüsestände schlängelten, Gewürze und ein Zitronen besorgen, die nur in ganzen Kilos zu kaufen sind, was er einen Verkaufstrick, ich wiederum ein Glück nannte, da ich weder der süße noch der salzige Typ bin, sondern sich meine Lieblingsgeschmacksrichtung schon immer im Ph-Wert unter 6 befand, fragt er mich, ob ich etwas von Mode verstünde. Ich gestand ihm, dass ich seine Ketchup-Senf-Kombination in meinem Blog als ein Fashion-Verbrechen, ja fast schon als einen Fashion-Mord, bezeichnet hatte. Das wollte er ändern. Gemeinsam wühlten wir uns durch Tische und Kleiderstangen in Second-Hand-Läden.

Meiner Meinung nach passt ein weißes Oberteil farblich wunderbar zu seiner braunen Lederjacke. „Ich mag weiß nicht“, erwiderte er knapp. Ich versuchte nicht, ihn zu überzeugen, immerhin war er nicht meine Ankleidungspuppe. Ratet, wer das Kleidergeschäft mit zwei weißen T-Shirts verließ. „Ich vertraue dir“, war die Antwort auf meinen überraschten Blick.

Ich ergatterte neben einer omigen Hose und einer Decke für mein Wohnungsprojekt  noch zwei Jacken, wobei die eine zuvor wohl einem gewissen Herrn Ralph Lauren gehört hatte. Keine Ahnung, wer das ist, anscheinend muss er ein Pferdefreund sein.

Draußen nahm ich einen kleinen Zweig von dem noch jungen Rosmarinstrauch, um ihn in meine Flasche zu geben. Wir rochen beide an den Blättern, schlossen die Augen. „Türkei“ sagte er. „Unser Garten, meine beste Freundin und Ofengemüse“ sagte ich. So viele Assoziationen zwischen Zitronen und grünen Kräutern. Wir hatten kein Messer für die gelben Schätze, also schaute er skeptisch,  fasziniert und amüsiert dabei zu, wie ich eine Zitrusfrucht schälte, die Hälfte in meinen Mund und die andere in das Glasgefäß stopfte. Unter Beobachtung der „Wasserpolizei“, wie wir die betagte Dame getauft hatte, die auf einer Bank neben dem Trinkbrunnen kritische Kommentare zum verschwenderischen Trinkstil eines kleinen Jungen abgab, füllten wir meine Flasche auf.

Wir waren spät dran. In Sofia findet diesen Monat das internationale Filmfestival statt, bei dem Streifen aus aller Welt gezeigt werden. Der Film würde schon in wenigen Minuten beginnen. Als wir in der Schlange standen, zweifelte ich daran, dass wir noch Karten bekommen würden. Hinter uns räusperte sich ein junger Mann, der uns zwei Tickets entgegenstreckte und knapp erklärte, dass ihm seine Verabredung soeben abgesagt hatte.

Meine Mitkinogucker räumte die reichlichen Taschen unserer Einkäufe in die linkte Hand und bedankte sich mit einem freundlich-festen Händedruck bei dem soeben Versetzen.  „Das passiert, wenn man einfach mit dem Flow geht“, waren seine Worte, als wir den Kinosaal betraten.

„The Wild Pear Tree“  bot uns, während wir unsere reingeschmuggelten Snacks mampften, wundervolle Kinematographie mit interessanten Dialogen sowie einem Verschnitt aus Traum und Realität, hat seine Schwächen jedoch im fehlenden roten Faden. Rot. Wäre sein Gesicht nicht vom Sonnenbrand gereizt, so hätte spätestens das Licht des Sonnenuntergangs nach dem Kinobesuch es vorrübergehend verfärbt. Wir hatten keine funktionierende Kamera, was mich beinahe freute, so konnte man den Moment linsenlos genießen.

Am Abend nahm ich an einer Writing and painting party teil, bei der Texte gelesen werden und eine Interpretation gezeichnet werden soll.

Es war toll, mit so vielen kreativen Köpfen zusammen arbeiten zu dürfen. Hier die gezeichnete Auffassung meines Gedichts „Stormborn“, das ich vor drei Jahren in Australien geschrieben habe.

 

   

 

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Why do drugs when you can do breathing?

Am späten Nachmittag traf ich mich mit einer anderen Freiwilligen auf einen Kaffee. In freudiger Erwartung stieg ich in die Straßenbahn. Weiß-orange mit kleinen Sitzen in Zweierreihen ähnelt sie jenen bekannten aus Lissabon sehr. Doch die heutige war mit einem besonders gemütlichen Gemüt ausgestattet. Ewigkeiten bummelten wir umher, die verabredete Uhrzeit war leider schneller am Treffpunkt als die Bahn. Ich hatte Glück, Mandy empfing mich trotz Verspätung freundlich und gemeinsam zogen wir los. Wir sprachen über unsere Blogs und sie erzählte, dass sie in dem kommenden Beitrag nicht so viel zu berichten hatte wie sonst. Augenzwinkernd sagte ich, dass der Tag noch jung sei und wir vielleicht ja ein kleines Abenteuer zusammen erleben würden.

Nachdem wir für mein Wohnungsprojekt einen Schreibwaren lagen    durchstöberten, gingen wir in ihr  Lieblingscafé im National Palace of Culture (NDK) das Peroto. Da die Papierbögen nicht quadratisch waren, habe ich mir davor extra eine Schere gekauft, um sie zurechtzuschneiden. Die Schere war allerdings mit einem Pastik-Riemen an die Verpackung gekettet. Den man nicht lösen konnte. Außer vielleicht mit einer Schere. Diese Ironie fiel auch dem Kellner auf, als ich ihm die Problematik schilderte und er mir lachend mit einem Schnipp und einem Schnapp aus der Zwickmühle half.

Ich wagte mich an eine heiße Schokoladenkreation mit Tiramisu-Geschmack. Während wir plauderten, unsere Finger beim Papierfalten verrenkten und unsere Sinne in süßen Schokoladenduft tränkten, kamen wir immer wieder auf die Tassen vor uns zu sprechen, die es uns beiden so angetan hatten. Ich schlenderte zur Theke. Fragte, ob man die Tassen kaufen könne. Der Kellner verneinte es. Gerade wollte ich zurück an den Tisch laufen, da rief er mich zurück. Die Fingerspitzen falteten sich über den flachen Handballen in Richtung seines Kopfes. Eine internationale Geste. Ich kam näher. Fast flüsternd sagte es: „But you can steal it!“

Ich starrte ihn kurz an, meine Augen sprangen aus meiner Stirn, das Geräusch aus meinem Mund sollte ein Lachen sein. Er lachte warm und freundlich. Erklärte dann, amüsiert von meinem schockierten Blick, dass er der Inhaber des Cafés sei und uns die Tassen gerne schenkten wolle.

Grinsend überbrachte ich Mandy die Nachricht. Die Zeit war – im Gegensatz zu unseren Origami-Vögeln – schnell verflogen. „Jetzt habe ich etwas, über das ich in meinem Blog berichten kann!“ Freut euch auf Sonntag, da werdet ihr vielleicht auf ihrem Blog davon lesen: https://kulturweit.blog/mandyswonderworld/blog/

(Diese Überleitung war ziemlich smooth, ich bin recht stolz darauf.)

Im Anschluss war ich noch spontan mit dem farbenblinden Ketchup-Senf-Mensch verabredet. Als ich fragte, wo wir uns treffen wollten, woraufhin er das Peroto vorschlug, schickte ich ihm ein Foto meinem aktuellen Aufenthaltsort. Da haben wohl zwei (jetzt wohl drei) dasselbe Lieblingscafé!

Zur Begrüßung streckte ich ihm eine kleine Papiertüte hin. In ihr kleine runde Glücklichbringer, im Herzen eine Mandel

ummantelt von weicher zart schmelzender Schokolade (Ja, falls das mit dem Studieren nichts wird, kann ich auch Pralinenverpackungen beschriften). Er lachte füchsisch, griff sich in die Jackentasche. Wir tauschten Tüten aus. Ich konnte es nicht fassen, dass er dieselbe Idee hatte! „Das ist das Lustigste, was mir je passiert ist.“, sagte ich. „Ist es nicht.“, wollte er trocken sagen, konnte das Schmunzeln aber nicht unterdrücken. Höchstens Halbtrocken. (Meine Pralinen waren besser).

Während er die nächste Runde Marokkanische Minze am Tresen bestellte, entdeckte ich ein Gedichtsband und war begeistert, dass das die Seite, die ich aufgeschlagen hatte, auch Tee zum Thema hatte. Ich ließ ihn das Gedicht vorlesen, da mir einige der englischen Wörter unbekannt waren. Und auch er stolperte über dieselben Begriffe. Also lasen wir es zusammen laut vor. Scheiterten zusammen daran.

Danach spielten wir Redewendungen-Raten. Er übersetzte ein paar Sprichwörter ins Englische und ich überlegte mir, in welcher Situation man es sagen würde und was die übertragene Bedeutung sei. Flüssiges Brot – Bier. Das ist wohl mein Lieblingsidiom.

Über das Spiel kam ich auf meine Lieblingsfarbe zu sprechen, blau, und er schaute mich überrascht und fast erschüttert an: „Das ist nicht deine Lieblingsfarbe.“

„Rot?“, fragte ich.

„Nein!“, seine Stimme überschlug sich fast. Er zeigte mir, unter welchem Namen meine Nummer eingespeichert hatte.

Lina geltonas. Gelb.

Damit hatte er mir den Ball, eher die Orange, zugeworfen, meine neuste Entdeckung mit ihm zu teilen. Orangensaft ist gar nicht orange, sondern gelb. Er stimmte mir zu. Daraufhin zeigte ich ihm ein Foto, das ich von meiner Jacke und dem frisch gepressten Orangensaft gemacht hatte, worauf klar zu erkennen ist, dass es derselbe Farbton. Ergo war meine Jacke gelb. Ich lachte triumphierend. Ich schlug vor, dass wir als Kompromiss die Farbe meiner Jacke als eine Art bescheidenes gold bezeichnen könnten. Sein Nicken stimmte mir zu.

Ein Blick auf die Uhr verriet uns, dass das Konzert, das wir besuchen wollten bald beginnen würde. Ich hatte noch kein einziges Lied der Band gehört. Unwissend, ob die Abendkasse noch zwei Tickets für uns hatte, traten wir ins Gebäude. Der Laden war nur durch  gelbe Lampen an der Decke schwach beleuchtet. Der erste Sternenhimmel, den ich in Sofia sah. Draußen wird das Licht der Himmelskörper von der hungrigen Sofia, die immer auch nachts nie schwarz gekleidet ist, verschluckt.

Die Band Oratnitza besteht aus sechs jungen Bulgarischen Musiker*innen, die eine faszinierende Mischung aus bulgarischer Folklore und contemporary bass in ihren Liedern einfließend lassen. Und sie haben sogar ein Digeridoo! Das macht die Band sofort nochmal 60% cooler! Es gab Rapeinlagen und wenn die zwei Frauen in ihren langen schwarzen Kleiner sangen, wusste ich nicht, ob es wie eine oder wie tausend Stimmen klang. Ich zeigte meiner Konzertbegleitung ein paar Moves aus der Berliner Techno-Szene, wobei ich hier leider nur als Sekundarquelle dienen konnte. So tanzten wir ,,Den Boxer“, „Den Kaktus“ und „Den Baum“  zu bulgarischer Musik und ich in meinem rosa Balletttrikot. Er brachte mir das sogenannte „Fire breathing“ bei, bei dem zwei Mal kurz durch die Nase einatmet und anschließend die Luft durch den Mund ausstößt. Nach zwei Liedern mit dieser Atemtechnik und geschlossenen Augen fühlt man einen leichten Schwindel, der einer Art Trance ähnelt. „    Why do drugs when you can do breathing?“, lachte er.

Beim letzten Lied tanzten wir in mäandernden Linien eine Art light Version von bulgarischer Folklore. Ich trat auf viele Füße, am meisten aber auf meine eigenen. Alle Lachten und sangen. Es fiel schwer, den Rhythmus zu finden, es gab keinen, man musste ihn der Musik geben.

 

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Goethe und gute Schuhe

Es sind die kleinen Dinge, die manchen, dass man sich angekommen fühlt. Immer wenn der Hausmeister, der nur bulgarisch spricht, und ich uns auf dem Gang begegnen, sagen wir lächelnd den Namen des anderen. Beim Schulkiosk bestelle ich immer das Übliche: einen ungesüßten Tee.

An einem sonnigen Nachmittag besuchten einige Schüler zusammen mit mir das Goethe-Institut. Spielerisch sollte die dazugehörige Bibliothek erkundet werden. Im Anschluss auf eine digitale Schnitzeljagd nahmen die Schüler an einem Deutschland-Quiz teil. Dabei wurde mir recht schnell bewusst, dass ein, zwei Stündchen Heimatkunde mir auch nicht schlecht tun würden. Moderne Ausstattung trifft auf Werke aus allen Zeiten. Ich mochte es sofort in der Bibliothek.

Derzeit sind im Hause Wolfgangs Werke  von der bulgarischen Künstlerin Marta Djourina und der Berlinerin Lisa Peters „der Raum zwischen uns“ ausgestellt. Darunter befindet sich auch eine Impressionsfilm in Dauerschleife, der Bilder des Alltags zeigt. Einer der Schüler fragte mich, wieso man sich das in einer Galerie anschauen sollte, wenn man es auch zu Hause hätte. Ich gab ihm Recht, entgegnete aber auch, dass es nicht darum geht, was man sehen könnte, sondern um das, was man sieht.

Auf der Außenwand der Toilettenkabine entdeckte ich paar Regenbogen-Sprenkel. Verrückt, wie man das gebrochene Licht auf dem Foto kaum von echter Farbe unterscheiden kann. Leider hatte ich bei der bunten Entdeckung keine Kamera zur Hand und musste auf meine prähistorische Handykamera zurückgreifen, aber wie sagt ein altes Fotographensprichwort so schön: Die beste Kamera ist immer die, die du bei dir hast.

Eigentlich wollte ich, nachdem ich mich mit Kultur vollgesogen hatte wie ein Schwamm unter Wasser, direkt zu meiner Wohnung fahren. Als ich mich nach einer passenden Buslinie umsah, entdeckte ich einen schnuckligen Second-Hand-Laden auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Was kann es denn schade, mal reinzuschauen? – „Nur mal reinschauen“ kostet anscheinend etwa 140 Lewa (70 Euro). Meine Hände mussten meinen Blicken folgen, strichen über weichen Stoff, griffen nach Schuhen, die ich seit drei Ewigkeiten gesucht hatte und kramten nach dem Anprobieren nach meinem Portemonnaie.

Wem sich bei dem Gedanken an gebrauchte Schuhe nun alles vor Ekel zitronensauer im Mund zusammenzieht, den muss ich daran erinnern, dass es da draußen Menschen gibt, die ihre Pizza mit Ananas belegen! Schlimmer geht immer! Neben Sandalen, die wohl kaum ein einziges Mal die Außenseite ihres ehemaligen Schuhschranks gesehen hatten und blaugrauen Schnürschuhen, kaufte ich auch ein Wickeltop in rosa, das in mir verstaubte Erinnerungen an das Ballett weckt.

 

Nach meiner kleinen Shopping-Eskalation, die mich wohl dazu zwingen wird, den Rest des Monats von Kartoffel und Wasser zu leben, traf ich mich mit dem neuen Besitzer der Matiniza, die er letztes Mal als Trostpreis nach dem Verlieren unserer Wette bekommen hatte. Als wir uns kennengelernt haben, trug er eine rote Hose und einen gelben Pullover. Ketchup-Senf hatte ich seinen Look genannt. Diese eigentlich größte aller Fashion-Sünden hatte ich aber an diesem Morgen selbst zusammengewürfelt. Ich wies ihn darauf hin. Schulterzuckend entgegnete er nur, dass meine Jacke nicht gelb, sondern orange sei. Ich gab an, dass mir das Leben eine Sehstärke von 150% geschenkt hatte, dass es das gelbste Gelb unter der Sonne sei, aber er wollte sich nicht überzeugen lassen.

An einem kleinen Stand in Parknähe sahen wir zu, wie der frische Saft von sonnengereiften Orangen in aus der Maschine tropfte. Wir ließen unsere Blicke über die große Schokoladenauswahl schweifen. Ich entdecke eine meiner Lieblingssüßigkeit: Kakaopuderbestreute Mandeln in Schokolade. Mama und ich essen sie immer zur Weihnachtszeit. Ratet, auf welche kurz danach zeigte und als seinen Favoriten auserkor! Orangensafttrinkend tauschten wir später im Park unsere Theorien aus, ob die Frucht nach der Farbe oder die Farbe nach der Frucht benannt wurde. Auf seiner Muttersprache ist das Orange und die Orange aber beispielsweise nicht dasselbe Wort.

Mit dem Bus fuhr ich abends gen Wohnung, verpasste allerdings meine Haltestelle. Normalerweise überquert man, wennman  es bemerkt, einfach die Straße oder nutzt eine Unterführung, um dieselbe Busnummer in die entgegengesetzte Richtung zu nehmen. Nicht an dem Ort, wo ich Hals über Kopf aus dem Fahrzeug stolperte. Ich fand mich am größten Kreisverkehr Sofias wieder. Fünf Straßen im nahtlosen Feierabendverkehr mussten überquert werden, um zur richtigen Haltestelle zu gelangen. Ich schluckte.

(Bewerbungsgespräch: „Was sind Ihre Schwächen?“ – „Straßen überqueren!“)

Dankend fuchtelte ich mit den Händen, wenn die Autos zum Stehen kamen und mich überqueren ließen. Irgendwann hatte ich das Drehkreuz halb umrundet und stand somit neben der Haltebucht für Busse. Ich blickte auf. Der Mond blickte runter. Voll war er und rund. Er sah auf den ebenfalls runden Verkehrskreis, den er bestrahlte mit dem uneigenen Licht, das ihm die Sonne lieh. Er sah  Autos wie Ameisen darum herum tanzten, die nur anhielten, wenn ein noch kleineres Insekt an den Bordsteinrand trat. Ich hatte die Frechheit, den Mond in  drei Pixeln zu verwandeln.

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Wonach schmeckt Japan? Wonach riecht Heimat?

Marteniza, bulg.: мартеница, vom bulgarischen Namen für den Monat März: март

Mein linkes Handgelenk ziert nun ein rot-weißes Armband, das mir geschenkt wurde. Die sogenannte Marteniza (мартеница)  ist ein Talisman, der Gesundheit und Glück symbolisiert. Man trägt den Glücksbringer so lange, bis man die ersten Boten des Frühlings – beispielsweise einen Storch oder einen blühenden Baum – sieht. Dann befestigt man die Wollfäden an einem Zweig und darf sich etwas wünschen. Bei einem Spaziergang durch einen Park fanden ein Freund und ich eines dieser Schmuckstücke auf dem Boden. Als er es mir umband, fragte er mich, ob ich einen entfernbaren oder einen dauerhaften Knoten wolle. Ich entschied mich für letzteres. Später am Abend, als wir in einer ayurvedischen Teestube auf kissenbedecktem Boden aus dampfenden Tontassen tranken, sprachen wir darüber, was wir in den letzten Tagen Neues gelernt hatten. Ich betrachtete den engen Knoten des Bands zwischen Uhr und Hand und war überzeugt, dass ich ihn in weniger als fünf Minuten lösen könne. Schnell war eine Wette abgeschlossen. Auf bulgarische Art: Man deutet an, dass man auf seinen rechten Daumen spuckt und berührt anschließend den des Wettpartners im Handschlag. Nach zwei Minuten sah ihn an: ,,Du hast heute noch etwas gelernt, “, sagte ich, hätte ich keine Ohren an beiden Seiten, hätte mein Grinsen wohl einmal um den ganzen Kopf gereicht, als ich ihm die Marteniza umband, „Gehe niemals eine Wette mit mir ein, falls du Freude am Gewinnen hast!“

Am Wochenende veranstaltete eine nahegelegene Schule ein Japanfest. Ich versuchte mich an japanischen Schriftzeichen.

Meine Zeichnung stellt natürlich keinen wohlgenährten Wal dar, sondern einen grazilen Koi, wie ihr sicher sofort erkennen konntet!

Die Schüler stellten Großartiges auf die Beine: Ich futterte mich durch Sushi und Ramen – eine japanische Nudelsuppe – und rundete das Ganze mit einem Miniaturpfannkuchen ab, der mehr Zucker

pro Quadratmillimeter beinhaltete als ein ganzes Kilo Zuckerrüben.

Noch süßer sahen nur die Mädchen in den traditionell japanischen Kleidern aus, einfach nur kawaii. ≧◡≦

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zufälligerweise habe ich ganz unabhängig davon ein Gedicht mit Japanbezug am Tag zuvor „fertig gestellt“ (doch welches Gedicht ist jemals wirklich in Stein gemeißelt?). Falls ihr Interesse habt, es zu lesen, meldet euch einfach bei mir! Ich kann es hier leider nicht hinzufügen, da es damit schon als veröffentlicht gelten würde. 

Sehr gerne denke ich auch an die Menschen, die gerade nicht einen Block weitere leben, und mir doch ganz nah sind. Wenn ich in Gedanken bei meinen Freunden und meiner Familie bin, müsste ich eigentlich das Band von meinem Arm abnehmen und dem nächsten Baum schenken, weil es sich wie Frühling anfühlt.

Ofengemüse nach Linas Art

In der ersten Woche schon kochte ich Ofengemüse. Bunt. Alles was das Beet so hergibt. Kürbis mit süßen roten Zwiebeln und gewürfelten Kartoffeln, dazu die Kräuter der Provence, die ich extra importiert habe. Und – Überraschung – hier in jedem Lebensmittelladen gefunden hätte. Es duftet nach Heimat in der 60er-Jahre-Wohnung im ersten Stock. Doch man schmeckt immer ein klein bisschen Melancholie heraus.

 

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Beinahe-Sofia in Sofia

Bevor ich das Licht der Welt erblickte, schwankten meine Eltern zwischen zwei weiblichen Vornamen: Sofia oder Lina sollte es werden. Ich schmunzelte etwas, als ich erfuhr, in welcher Stadt ich den Frühling und Sommer verbringen würde.

Im Südosten Europas – oder auch bis dato bekannt als der toten Winkel meines Bewusstseins – liegt Bulgarien. Ein Land am Meer, ein Land mit Gebirgsstacheln auf dem Rücken, ein Land, dessen Hauptstadt Sofia ich für das kommende halbe Jahr mein zu Hause nennen werde. Dort werde ich in den kommenden Monaten meinen Kulturweitfreiwilligendienst an zwei DSD-Schulen leisten.

Ich wurde herzlich mit warmen  Lächeln und blühenden Orchideen empfangen, wobei  mir augenzwinkernd mitgeteilt wurde, dass Bulgarien eigentlich für seine Rosen bekannt sei. Es brauchte etwas Zeit, bis ich im Labyrinth aus beigen, braunen und grauen Wohnblocks den richtigen fand. Ganz bewusst hatte ich meine Erwartungen gegenüber  meiner zukünftigen Unterkunft zuvor weit nach unten geschraubt, trat dann jedoch in eine Wohnung, die charmantes Potential ausstrahlte. Sobald wie möglich möchte ich die noch nackten Wände mit Postern und Tüchern bekleiden, um dem Zimmer einen persönlichen Charakter zu verleihen.

Der erste Tag an der Einsatzstelle:  Aufregung, Adrenalin, Anspannung. All das war jedoch schnell verflogen, als mir wache neugierige Gesichter jeden Alters entgegenblickten. Sofort stand ich im Fragenregen, versuchte dabei selbst, möglichst viele der Namen im Kopf zu behalten. Das sprachliche Niveau der Schüler hat mich wirklich sehr beeindruckt. Der Akzent findet sich im angerollten „R“, was dem Deutschen etwas fröhlich-hüpfendes schenkt.

Den Nachmittag verbrachte ich im Stadtzentrum, wo ich mich kurzerhand in einem Büchercafé einrichtete, um ein paar Briefe zu schreiben. Noch ist es ungewohnt, dass meine Augen die kyrillischen Lettern nur sehen und nicht verstehen. Zeichen und Klang kennen einander noch nicht. Es sind nur leere Buchstaben. Bald  aber werde ich sie mit Worten, mit Bedeutung füllen.

Trotz der Abschaffung der Roaming-Gebühren konnte ich leider  nicht auf mein Datenvolumen zugreifen. So hatte ich einen wunderbaren ersten Anlass, um in Kontakt mit meinem Umfeld zu treten. Ich wurde mal in die eine, mal in die andere Richtung geschickt und drei Mal im Kreis gedreht. Irgendwann wurde mir ein Handy in die Hand gedrückt und während das Rattern der Straßenbahn im linken Ohr rauschte, hörte ich mit der rechten Ohrmuschel der Stimme am anderen Ende der Strippe zu, die mir auf Englisch mit starkem bulgarischen Akzent eine Wegbeschreibung lieferte. Jetzt hat sich endlich auch mal das Hörverstehen im Til-Schweiger-Stil aus der Schule ausgezahlt! Den richtigen Weg fand ich durch das Telefonat trotzdem nicht. Dafür schenkte mir ein Blumenverkäufer, obwohl ich mehrmals dankend ablehnte, ein Hyazinthe.

Schließlich stieg ich in den Bus mit der richtigen Nummer ein. Verließ ihn bei der nächsten Haltestelle jedoch wieder. Merkt euch eines, Kinder: Busse fahren nicht nur in eine Richtung! „Sofia für Dummies“ – das könnte der Titel meines ersten Ratgebers werden und ich seine Protagonistin.

Doch wie nie zuvor erkannte ich die Schönheit im Verlaufen. Man irrt nicht umher, man erkundet, man entdeckt. Am Ende fand auch ich den Weg zurück. Dank freundlichen Helfern mit spannenden ersten Eindrücken von einer Stadt, die Blumen verschenkt.