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Kunst, Kino und ein Kilo Zitronen

„Was geht?“ begrüßt mich eine vertraute Stimme in unvertrautem Deutsch auf meinem Handybildschirm. Ich habe dem Fire-Breather diese Verkommenheit der Deutschen Sprache ganz sicher nicht beigebracht! Da er weiß, wie ich zu dieser Slangerei stehe,  rechtfertigt er seine Begrüßung sofort damit, dass mein Viertel nach dem bulgarischen Dichter Geo Milew benannt wurde, was seinen Ohren nach wie Ghetto Milew klinge. Im Video zeigt er auf eine Grünfläche auf das Tal unter sich, der Park in dessen Nähe ich wohne. Da meine Ski-Skills so ausgereift sind wie Mangos in Deutschland, habe ich die Einladung zum Wintersport dankend abgelehnt und so ist er allein losgezogen. Niemandem wäre geholfen, wenn ich als menschliche Lawine ein paar Kinder überrolle.

Statt Schnee stand bei mir Picknick mit Falafel und Karotten gedippt in Humus auf dem Programm. Die Markthalle habe ich durch Zufall entdeckt, indem ich durch das Fenster des schönen Gebäudes lugte, an dem ich schon so oft vorbeigegangen bin.

Der Brunnen in der Mitte des grün verdrahteten Gebäudes, dessen Wasser buntes Mosaik bedeckt, hat es mir besonders abgetan.

Der Picknickpark war wunderbar belebt. Verschiedene Szenengruppen verbrachten hier ihren Nachmittag. Egal ob Sportler, Musiker, Rentner, Familien, einzelne Spaziergänger oder Zuckerwatteesser: jeder konnte hier friedlich seinem Hobby nachgehen.

Der Fire-Breather hatte wohl den Atem der Sonne unterschätzt und trat mir am nächsten Tag mit roten Wangen entgegen. Ich versprach, keine Witze zu machen, um seine Gesichtsmuskeln zu schonen. Er lachte schmerzlich darüber. Erfreut über die Tatsache, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte, öffnete er die Tür zum nächstgelegenen Café und bestellte zwei Barnitzas, typisch bulgarische Blätterteigtaschen gefüllt mit Käse oder Spinat, und ein Getränk bestehend aus weißer Flüssigkeit.

Er warnte mich vor, dass letzteres etwas speziell sei und nicht jeden Geschmack treffe. Neugierig beobachtete er meinen Gesichtsausdruck,  während ich den ersten Schluck nahm. „Ayran“, sagte ich schulterzuckend. Er konnte seine Überraschung darüber, dass ich es kannte, nicht verbergen. Als  ich die Augenbraue hob, fiel es ihm wieder ein. „Ah stimmt. Döner-Kebab:  das Nationalgericht der Deutschen!“, sagte er schmunzelnd. Während wir uns durch die Obst- und Gemüsestände schlängelten, Gewürze und ein Zitronen besorgen, die nur in ganzen Kilos zu kaufen sind, was er einen Verkaufstrick, ich wiederum ein Glück nannte, da ich weder der süße noch der salzige Typ bin, sondern sich meine Lieblingsgeschmacksrichtung schon immer im Ph-Wert unter 6 befand, fragt er mich, ob ich etwas von Mode verstünde. Ich gestand ihm, dass ich seine Ketchup-Senf-Kombination in meinem Blog als ein Fashion-Verbrechen, ja fast schon als einen Fashion-Mord, bezeichnet hatte. Das wollte er ändern. Gemeinsam wühlten wir uns durch Tische und Kleiderstangen in Second-Hand-Läden.

Meiner Meinung nach passt ein weißes Oberteil farblich wunderbar zu seiner braunen Lederjacke. „Ich mag weiß nicht“, erwiderte er knapp. Ich versuchte nicht, ihn zu überzeugen, immerhin war er nicht meine Ankleidungspuppe. Ratet, wer das Kleidergeschäft mit zwei weißen T-Shirts verließ. „Ich vertraue dir“, war die Antwort auf meinen überraschten Blick.

Ich ergatterte neben einer omigen Hose und einer Decke für mein Wohnungsprojekt  noch zwei Jacken, wobei die eine zuvor wohl einem gewissen Herrn Ralph Lauren gehört hatte. Keine Ahnung, wer das ist, anscheinend muss er ein Pferdefreund sein.

Draußen nahm ich einen kleinen Zweig von dem noch jungen Rosmarinstrauch, um ihn in meine Flasche zu geben. Wir rochen beide an den Blättern, schlossen die Augen. „Türkei“ sagte er. „Unser Garten, meine beste Freundin und Ofengemüse“ sagte ich. So viele Assoziationen zwischen Zitronen und grünen Kräutern. Wir hatten kein Messer für die gelben Schätze, also schaute er skeptisch,  fasziniert und amüsiert dabei zu, wie ich eine Zitrusfrucht schälte, die Hälfte in meinen Mund und die andere in das Glasgefäß stopfte. Unter Beobachtung der „Wasserpolizei“, wie wir die betagte Dame getauft hatte, die auf einer Bank neben dem Trinkbrunnen kritische Kommentare zum verschwenderischen Trinkstil eines kleinen Jungen abgab, füllten wir meine Flasche auf.

Wir waren spät dran. In Sofia findet diesen Monat das internationale Filmfestival statt, bei dem Streifen aus aller Welt gezeigt werden. Der Film würde schon in wenigen Minuten beginnen. Als wir in der Schlange standen, zweifelte ich daran, dass wir noch Karten bekommen würden. Hinter uns räusperte sich ein junger Mann, der uns zwei Tickets entgegenstreckte und knapp erklärte, dass ihm seine Verabredung soeben abgesagt hatte.

Meine Mitkinogucker räumte die reichlichen Taschen unserer Einkäufe in die linkte Hand und bedankte sich mit einem freundlich-festen Händedruck bei dem soeben Versetzen.  „Das passiert, wenn man einfach mit dem Flow geht“, waren seine Worte, als wir den Kinosaal betraten.

„The Wild Pear Tree“  bot uns, während wir unsere reingeschmuggelten Snacks mampften, wundervolle Kinematographie mit interessanten Dialogen sowie einem Verschnitt aus Traum und Realität, hat seine Schwächen jedoch im fehlenden roten Faden. Rot. Wäre sein Gesicht nicht vom Sonnenbrand gereizt, so hätte spätestens das Licht des Sonnenuntergangs nach dem Kinobesuch es vorrübergehend verfärbt. Wir hatten keine funktionierende Kamera, was mich beinahe freute, so konnte man den Moment linsenlos genießen.

Am Abend nahm ich an einer Writing and painting party teil, bei der Texte gelesen werden und eine Interpretation gezeichnet werden soll.

Es war toll, mit so vielen kreativen Köpfen zusammen arbeiten zu dürfen. Hier die gezeichnete Auffassung meines Gedichts „Stormborn“, das ich vor drei Jahren in Australien geschrieben habe.

 

   

 

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