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Wonach schmeckt Japan? Wonach riecht Heimat?

Marteniza, bulg.: мартеница, vom bulgarischen Namen für den Monat März: март

Mein linkes Handgelenk ziert nun ein rot-weißes Armband, das mir geschenkt wurde. Die sogenannte Marteniza (мартеница)  ist ein Talisman, der Gesundheit und Glück symbolisiert. Man trägt den Glücksbringer so lange, bis man die ersten Boten des Frühlings – beispielsweise einen Storch oder einen blühenden Baum – sieht. Dann befestigt man die Wollfäden an einem Zweig und darf sich etwas wünschen. Bei einem Spaziergang durch einen Park fanden ein Freund und ich eines dieser Schmuckstücke auf dem Boden. Als er es mir umband, fragte er mich, ob ich einen entfernbaren oder einen dauerhaften Knoten wolle. Ich entschied mich für letzteres. Später am Abend, als wir in einer ayurvedischen Teestube auf kissenbedecktem Boden aus dampfenden Tontassen tranken, sprachen wir darüber, was wir in den letzten Tagen Neues gelernt hatten. Ich betrachtete den engen Knoten des Bands zwischen Uhr und Hand und war überzeugt, dass ich ihn in weniger als fünf Minuten lösen könne. Schnell war eine Wette abgeschlossen. Auf bulgarische Art: Man deutet an, dass man auf seinen rechten Daumen spuckt und berührt anschließend den des Wettpartners im Handschlag. Nach zwei Minuten sah ihn an: ,,Du hast heute noch etwas gelernt, “, sagte ich, hätte ich keine Ohren an beiden Seiten, hätte mein Grinsen wohl einmal um den ganzen Kopf gereicht, als ich ihm die Marteniza umband, „Gehe niemals eine Wette mit mir ein, falls du Freude am Gewinnen hast!“

Am Wochenende veranstaltete eine nahegelegene Schule ein Japanfest. Ich versuchte mich an japanischen Schriftzeichen.

Meine Zeichnung stellt natürlich keinen wohlgenährten Wal dar, sondern einen grazilen Koi, wie ihr sicher sofort erkennen konntet!

Die Schüler stellten Großartiges auf die Beine: Ich futterte mich durch Sushi und Ramen – eine japanische Nudelsuppe – und rundete das Ganze mit einem Miniaturpfannkuchen ab, der mehr Zucker

pro Quadratmillimeter beinhaltete als ein ganzes Kilo Zuckerrüben.

Noch süßer sahen nur die Mädchen in den traditionell japanischen Kleidern aus, einfach nur kawaii. ≧◡≦

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zufälligerweise habe ich ganz unabhängig davon ein Gedicht mit Japanbezug am Tag zuvor „fertig gestellt“ (doch welches Gedicht ist jemals wirklich in Stein gemeißelt?). Falls ihr Interesse habt, es zu lesen, meldet euch einfach bei mir! Ich kann es hier leider nicht hinzufügen, da es damit schon als veröffentlicht gelten würde. 

Sehr gerne denke ich auch an die Menschen, die gerade nicht einen Block weitere leben, und mir doch ganz nah sind. Wenn ich in Gedanken bei meinen Freunden und meiner Familie bin, müsste ich eigentlich das Band von meinem Arm abnehmen und dem nächsten Baum schenken, weil es sich wie Frühling anfühlt.

Ofengemüse nach Linas Art

In der ersten Woche schon kochte ich Ofengemüse. Bunt. Alles was das Beet so hergibt. Kürbis mit süßen roten Zwiebeln und gewürfelten Kartoffeln, dazu die Kräuter der Provence, die ich extra importiert habe. Und – Überraschung – hier in jedem Lebensmittelladen gefunden hätte. Es duftet nach Heimat in der 60er-Jahre-Wohnung im ersten Stock. Doch man schmeckt immer ein klein bisschen Melancholie heraus.

 

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Beinahe-Sofia in Sofia

Bevor ich das Licht der Welt erblickte, schwankten meine Eltern zwischen zwei weiblichen Vornamen: Sofia oder Lina sollte es werden. Ich schmunzelte etwas, als ich erfuhr, in welcher Stadt ich den Frühling und Sommer verbringen würde.

Im Südosten Europas – oder auch bis dato bekannt als der toten Winkel meines Bewusstseins – liegt Bulgarien. Ein Land am Meer, ein Land mit Gebirgsstacheln auf dem Rücken, ein Land, dessen Hauptstadt Sofia ich für das kommende halbe Jahr mein zu Hause nennen werde. Dort werde ich in den kommenden Monaten meinen Kulturweitfreiwilligendienst an zwei DSD-Schulen leisten.

Ich wurde herzlich mit warmen  Lächeln und blühenden Orchideen empfangen, wobei  mir augenzwinkernd mitgeteilt wurde, dass Bulgarien eigentlich für seine Rosen bekannt sei. Es brauchte etwas Zeit, bis ich im Labyrinth aus beigen, braunen und grauen Wohnblocks den richtigen fand. Ganz bewusst hatte ich meine Erwartungen gegenüber  meiner zukünftigen Unterkunft zuvor weit nach unten geschraubt, trat dann jedoch in eine Wohnung, die charmantes Potential ausstrahlte. Sobald wie möglich möchte ich die noch nackten Wände mit Postern und Tüchern bekleiden, um dem Zimmer einen persönlichen Charakter zu verleihen.

Der erste Tag an der Einsatzstelle:  Aufregung, Adrenalin, Anspannung. All das war jedoch schnell verflogen, als mir wache neugierige Gesichter jeden Alters entgegenblickten. Sofort stand ich im Fragenregen, versuchte dabei selbst, möglichst viele der Namen im Kopf zu behalten. Das sprachliche Niveau der Schüler hat mich wirklich sehr beeindruckt. Der Akzent findet sich im angerollten „R“, was dem Deutschen etwas fröhlich-hüpfendes schenkt.

Den Nachmittag verbrachte ich im Stadtzentrum, wo ich mich kurzerhand in einem Büchercafé einrichtete, um ein paar Briefe zu schreiben. Noch ist es ungewohnt, dass meine Augen die kyrillischen Lettern nur sehen und nicht verstehen. Zeichen und Klang kennen einander noch nicht. Es sind nur leere Buchstaben. Bald  aber werde ich sie mit Worten, mit Bedeutung füllen.

Trotz der Abschaffung der Roaming-Gebühren konnte ich leider  nicht auf mein Datenvolumen zugreifen. So hatte ich einen wunderbaren ersten Anlass, um in Kontakt mit meinem Umfeld zu treten. Ich wurde mal in die eine, mal in die andere Richtung geschickt und drei Mal im Kreis gedreht. Irgendwann wurde mir ein Handy in die Hand gedrückt und während das Rattern der Straßenbahn im linken Ohr rauschte, hörte ich mit der rechten Ohrmuschel der Stimme am anderen Ende der Strippe zu, die mir auf Englisch mit starkem bulgarischen Akzent eine Wegbeschreibung lieferte. Jetzt hat sich endlich auch mal das Hörverstehen im Til-Schweiger-Stil aus der Schule ausgezahlt! Den richtigen Weg fand ich durch das Telefonat trotzdem nicht. Dafür schenkte mir ein Blumenverkäufer, obwohl ich mehrmals dankend ablehnte, ein Hyazinthe.

Schließlich stieg ich in den Bus mit der richtigen Nummer ein. Verließ ihn bei der nächsten Haltestelle jedoch wieder. Merkt euch eines, Kinder: Busse fahren nicht nur in eine Richtung! „Sofia für Dummies“ – das könnte der Titel meines ersten Ratgebers werden und ich seine Protagonistin.

Doch wie nie zuvor erkannte ich die Schönheit im Verlaufen. Man irrt nicht umher, man erkundet, man entdeckt. Am Ende fand auch ich den Weg zurück. Dank freundlichen Helfern mit spannenden ersten Eindrücken von einer Stadt, die Blumen verschenkt.