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Why do drugs when you can do breathing?

Am späten Nachmittag traf ich mich mit einer anderen Freiwilligen auf einen Kaffee. In freudiger Erwartung stieg ich in die Straßenbahn. Weiß-orange mit kleinen Sitzen in Zweierreihen ähnelt sie jenen bekannten aus Lissabon sehr. Doch die heutige war mit einem besonders gemütlichen Gemüt ausgestattet. Ewigkeiten bummelten wir umher, die verabredete Uhrzeit war leider schneller am Treffpunkt als die Bahn. Ich hatte Glück, Mandy empfing mich trotz Verspätung freundlich und gemeinsam zogen wir los. Wir sprachen über unsere Blogs und sie erzählte, dass sie in dem kommenden Beitrag nicht so viel zu berichten hatte wie sonst. Augenzwinkernd sagte ich, dass der Tag noch jung sei und wir vielleicht ja ein kleines Abenteuer zusammen erleben würden.

Nachdem wir für mein Wohnungsprojekt einen Schreibwaren lagen    durchstöberten, gingen wir in ihr  Lieblingscafé im National Palace of Culture (NDK) das Peroto. Da die Papierbögen nicht quadratisch waren, habe ich mir davor extra eine Schere gekauft, um sie zurechtzuschneiden. Die Schere war allerdings mit einem Pastik-Riemen an die Verpackung gekettet. Den man nicht lösen konnte. Außer vielleicht mit einer Schere. Diese Ironie fiel auch dem Kellner auf, als ich ihm die Problematik schilderte und er mir lachend mit einem Schnipp und einem Schnapp aus der Zwickmühle half.

Ich wagte mich an eine heiße Schokoladenkreation mit Tiramisu-Geschmack. Während wir plauderten, unsere Finger beim Papierfalten verrenkten und unsere Sinne in süßen Schokoladenduft tränkten, kamen wir immer wieder auf die Tassen vor uns zu sprechen, die es uns beiden so angetan hatten. Ich schlenderte zur Theke. Fragte, ob man die Tassen kaufen könne. Der Kellner verneinte es. Gerade wollte ich zurück an den Tisch laufen, da rief er mich zurück. Die Fingerspitzen falteten sich über den flachen Handballen in Richtung seines Kopfes. Eine internationale Geste. Ich kam näher. Fast flüsternd sagte es: „But you can steal it!“

Ich starrte ihn kurz an, meine Augen sprangen aus meiner Stirn, das Geräusch aus meinem Mund sollte ein Lachen sein. Er lachte warm und freundlich. Erklärte dann, amüsiert von meinem schockierten Blick, dass er der Inhaber des Cafés sei und uns die Tassen gerne schenkten wolle.

Grinsend überbrachte ich Mandy die Nachricht. Die Zeit war – im Gegensatz zu unseren Origami-Vögeln – schnell verflogen. „Jetzt habe ich etwas, über das ich in meinem Blog berichten kann!“ Freut euch auf Sonntag, da werdet ihr vielleicht auf ihrem Blog davon lesen: https://kulturweit.blog/mandyswonderworld/blog/

(Diese Überleitung war ziemlich smooth, ich bin recht stolz darauf.)

Im Anschluss war ich noch spontan mit dem farbenblinden Ketchup-Senf-Mensch verabredet. Als ich fragte, wo wir uns treffen wollten, woraufhin er das Peroto vorschlug, schickte ich ihm ein Foto meinem aktuellen Aufenthaltsort. Da haben wohl zwei (jetzt wohl drei) dasselbe Lieblingscafé!

Zur Begrüßung streckte ich ihm eine kleine Papiertüte hin. In ihr kleine runde Glücklichbringer, im Herzen eine Mandel

ummantelt von weicher zart schmelzender Schokolade (Ja, falls das mit dem Studieren nichts wird, kann ich auch Pralinenverpackungen beschriften). Er lachte füchsisch, griff sich in die Jackentasche. Wir tauschten Tüten aus. Ich konnte es nicht fassen, dass er dieselbe Idee hatte! „Das ist das Lustigste, was mir je passiert ist.“, sagte ich. „Ist es nicht.“, wollte er trocken sagen, konnte das Schmunzeln aber nicht unterdrücken. Höchstens Halbtrocken. (Meine Pralinen waren besser).

Während er die nächste Runde Marokkanische Minze am Tresen bestellte, entdeckte ich ein Gedichtsband und war begeistert, dass das die Seite, die ich aufgeschlagen hatte, auch Tee zum Thema hatte. Ich ließ ihn das Gedicht vorlesen, da mir einige der englischen Wörter unbekannt waren. Und auch er stolperte über dieselben Begriffe. Also lasen wir es zusammen laut vor. Scheiterten zusammen daran.

Danach spielten wir Redewendungen-Raten. Er übersetzte ein paar Sprichwörter ins Englische und ich überlegte mir, in welcher Situation man es sagen würde und was die übertragene Bedeutung sei. Flüssiges Brot – Bier. Das ist wohl mein Lieblingsidiom.

Über das Spiel kam ich auf meine Lieblingsfarbe zu sprechen, blau, und er schaute mich überrascht und fast erschüttert an: „Das ist nicht deine Lieblingsfarbe.“

„Rot?“, fragte ich.

„Nein!“, seine Stimme überschlug sich fast. Er zeigte mir, unter welchem Namen meine Nummer eingespeichert hatte.

Lina geltonas. Gelb.

Damit hatte er mir den Ball, eher die Orange, zugeworfen, meine neuste Entdeckung mit ihm zu teilen. Orangensaft ist gar nicht orange, sondern gelb. Er stimmte mir zu. Daraufhin zeigte ich ihm ein Foto, das ich von meiner Jacke und dem frisch gepressten Orangensaft gemacht hatte, worauf klar zu erkennen ist, dass es derselbe Farbton. Ergo war meine Jacke gelb. Ich lachte triumphierend. Ich schlug vor, dass wir als Kompromiss die Farbe meiner Jacke als eine Art bescheidenes gold bezeichnen könnten. Sein Nicken stimmte mir zu.

Ein Blick auf die Uhr verriet uns, dass das Konzert, das wir besuchen wollten bald beginnen würde. Ich hatte noch kein einziges Lied der Band gehört. Unwissend, ob die Abendkasse noch zwei Tickets für uns hatte, traten wir ins Gebäude. Der Laden war nur durch  gelbe Lampen an der Decke schwach beleuchtet. Der erste Sternenhimmel, den ich in Sofia sah. Draußen wird das Licht der Himmelskörper von der hungrigen Sofia, die immer auch nachts nie schwarz gekleidet ist, verschluckt.

Die Band Oratnitza besteht aus sechs jungen Bulgarischen Musiker*innen, die eine faszinierende Mischung aus bulgarischer Folklore und contemporary bass in ihren Liedern einfließend lassen. Und sie haben sogar ein Digeridoo! Das macht die Band sofort nochmal 60% cooler! Es gab Rapeinlagen und wenn die zwei Frauen in ihren langen schwarzen Kleiner sangen, wusste ich nicht, ob es wie eine oder wie tausend Stimmen klang. Ich zeigte meiner Konzertbegleitung ein paar Moves aus der Berliner Techno-Szene, wobei ich hier leider nur als Sekundarquelle dienen konnte. So tanzten wir ,,Den Boxer“, „Den Kaktus“ und „Den Baum“  zu bulgarischer Musik und ich in meinem rosa Balletttrikot. Er brachte mir das sogenannte „Fire breathing“ bei, bei dem zwei Mal kurz durch die Nase einatmet und anschließend die Luft durch den Mund ausstößt. Nach zwei Liedern mit dieser Atemtechnik und geschlossenen Augen fühlt man einen leichten Schwindel, der einer Art Trance ähnelt. „    Why do drugs when you can do breathing?“, lachte er.

Beim letzten Lied tanzten wir in mäandernden Linien eine Art light Version von bulgarischer Folklore. Ich trat auf viele Füße, am meisten aber auf meine eigenen. Alle Lachten und sangen. Es fiel schwer, den Rhythmus zu finden, es gab keinen, man musste ihn der Musik geben.