Single Storys – oder wie man alle ‚über einen Kamm schert‘

Das Konzept der Single Storys ist ganz einfach: Immer wieder werden einzelne Geschichten über ein Volk, ein Land, eine Kultur erzählt, die stellvertretend für alle stehen sollen. An diesen Geschichten ist natürlich immer etwas dran, aber sie vermitteln ein unvollständiges Bild. So steht oft ein kleines farbiges Kind, was in armen, fast unmenschlichen Verhältnissen lebt, stellvertretend für unser Bild zu Afrika. Darüber haben wir in einem Workshop nachgedacht und einmal so einige bekannte Single Storys für unser Einsatzland bewusst einfach nur reproduziert. Diesen kleinen Vortrag habe ich euch hier verschriftlicht.

„Bring Fleisch und Wein mit!“ So die Aussage vieler Freunde, Bekannter und Verwandter. Was soll dieses Land, in das ich gehe, auch sonst zu bieten haben!

Dazu kann man sich ja im Vorfeld in verschiedenen Büchern – von Reiseführern über Reisebeschreibungen etc. – informieren. Ich habe zum Beispiel das Buch „Gebrauchsanweisung für Argentinien“ von Christian Thiele gelesen, welches voll von solchen ‚Single Storys‘ ist.

Natürlich geht es auch da um Fleisch: „Wenn Sie vor einem Grillrost stehen, auf dem eine halbe tote Kuh geröstet wird, und der Gastgeber sagt: ‚Ich weiß nicht, ob das für uns beide reicht‘, dann sind sie in Argentinien!“ Aber auch das Essen generell spielt eine Rolle. Man is(s)t in Argentinien, wenn „man bei Einheimischen zum Abendessen eingeladen ist und um Mitternacht die Vorspeise abgeräumt und so langsam der Hauptgang aufgetragen wird.“

Aber auch auf die Menschen freut man sich, wenn man liest, dass „sich die Fußgänger und Taxifahrer beim Passieren einer Kirche oder eines Straßenaltars bekreuzigen – und gleichzeitig über ‚diesen Hurensohn von Präsidenten, diesen arschfickenden River-Verteidiger oder die Fotze deiner Schwester‘ sprechen, als wären dies Liebkosungen.“

Auch das ist nicht alles. Wenn man sagt, dass man nach Argentinien geht, dann stimmen viele ein Lied an: „Don‘ cry for me, Argentina“ von Madonna aus dem Film „Evita“. Evita Peron ist in Argentinien wohl geliebt und gehasst, bezeichnet als die „Heilige der Hemdlosen“. Wer weiß, ob die Argentinier den Film kennen und was würden sie wohl zu ihm sagen.

Als einen „getanzten traurigen Gedanken“ kann man den wichtigsten Tanz in Argentinien sehen – den Tango. Man verbindet mit ihm Leidenschaft und Zärtlichkeit. Wahrscheinlich können alle Argentinier schon direkt nach der Geburt Tango tanzen. Oder auch nicht?!

Weniger Leidenschaftlich geht es im Bereich der Wirtschaft zu, auch wenn ich das nicht mit vielen Fachbegriffen beschreiben kann.  „Argentinien ist eine Weltmacht, die es immer wieder schafft, ihr enormes Potenzial zu verspielen.“ Keine Konjunktur, sondern eher eine Großmacht im Konjunktiv/-tief. An die Wirtschaftskrise von 2001 denken auch viele Deutsche, wenn sie Argentinien hören.

Ein Problem ergibt sich, wenn man sich ein Bild von Argentinien machen will. Die Frage danach, wer dieses Bild prägt. Es sind die portenos, die Bewohner von Buenos Aires. Sie selbst finden sich wohl ziemlich wichtig. Den Speckgürtel um die Stadt herum sehen sie als ziemlich unwichtig, die Provinzen sind für sie vollkommen unwichtig. Umso mehr freue ich mich, dass ich in Mendoza bin, in einer Provinz und mir meine eigenen Single Storys zu einem Bild zusammenflicken kann.

* Die Informationen und Zitate entstammen aus: Gebrauchsanweisung für Argentinien. Von Christian Thiele. München 2010. Auch wenn, wie beschrieben, viele Vorurteile aufgemacht werden und lauter Single Storys erzählt werden, ist es ein guter und interessant geschriebener erster Zugang zum Land.

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