Geheimtipps der Kulturhauptstadt 2019 und zur möglichst effektiven Infizierung mit Corona (Obacht: Ironie)
Die Blätter fallen von den Bäumen, die Mützen sitzen auf den Köpfen und die Sonne geht um sechs Uhr schon unter…na, nach was hört sich das für euch an? Richtig nach Herbstferien! Deshalb packte ich Ende Oktober vorfreudig meinen Rucksack, machte den Kühlschrank leer und sagte Tschüss zu meinem neuen Zuhause. Über die Kulturhauptstadt 2019 Plovdiv, die sich 3h Zugfahrt Süd-Östlich von Sofia befindet, sollte es mit Zwischenhalt in Veliko Tarnovo nach Schumen und danach ans Schwarze Meer gehen. Aber wie sagt man so schön… Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Aber dazu später mehr.
Nach einem für mich typisch bulgarischen Nicken-Kopfschütteln-Desaster fand ich schlussendlich noch einen freien Platz im einigermaßen überfüllten Zug Richtung Plovdiv. Der „Daumen nach oben“ einer Mitpassagierin versicherte mir dann auch, dass ich im richtigen Zug saß. Eine junge Familie bei mir im Abteil war fast noch spannender als mein Buch. Während sie ihrem kleinen Jungen englische Kinderlieder vorspielten, wurden Windeln und Schokoriegelverpackungen einfach aus dem Zugfenster geworfen. Schon wieder winken die Gegensätze. Müll einfach aus dem fahrenden Zug zu werfen, nach dem Motto: „Aus den Händen, aus dem Sinn“, unvorstellbar in meiner Welt. Oder in meiner Blase.
Vor Ort hatten wir eine ziemlich coole Wohnung gemietet (Danke an Elias), die sogar über eine Waschmaschine, einen Staubsauger und überdurchschnittlich viele Ikea Möbel verfügte.
Im Laufe des Abends trudelten dann auch die restlichen Freiwilligen in der gemieteten Wohnung ein. Es fühlt sich immer schon wie eine kleine Familie an, wenn wir alle so am Tisch abends unser Schumensko Bier schlürfen. Umso komischer, dass wir uns alle erst ein paar Male gesehen haben. Nach einer süffigen, durchtanzten und langen Nacht ging es dann am nächsten Tag zur Free Walking Tour Plovdiv. Ein bisschen Kultur muss ja auch sein. Und Plovdiv ist es allemal wert. Wir waren überrascht von dem westlichen Flair, das in der Innenstadt ausgestrahlt wird. Doch neben einem WMF-Haushaltswarenladen steht dann eine wunderschöne Moschee, deren Mauern von großen Palmen geziert werden und in der Mitte der beiden Welten liegen alte Ausgrabungen eines römischen Stadions.
Plovdiv ist übrigens eine der ältesten Städte Europas und wird seinem Ruf als Kulturhauptstadt alle mal gerecht. Nachdem wir die Tour alle mehr oder weniger aufmerksam verfolgt haben, ging es über ein Mittagessen in der Stadt auf einen der nahegelegenen 7 Hügel. Auf ihm prangert ein kommunistisches Denkmal. Zufällig konnten wir dort oben noch die untergehende Sonne genießen, Fotos machen und den endlos scheinenden Blick über die Stadt wertschätzen.
Am Sonntag ging es nach einem weiteren netten Abend nach Assenovgrad, einem kleinen Ort mit einer beachtlich gelegenen Burg ca. 30 Minuten Zugfahrt von Plovdiv entfernt. Rechtzeitig zum Zug loszulaufen und sich über Preise und Abfahrtsgleise frühzeitig zu informieren, wäre ja wirklich etwas zu erwachsen gewesen. Dennoch haben wir es dann noch rechtzeitig in den Zug geschafft. Bei strahlendem Sonnenschein ging es dann für uns zu Fuß zum Ausflugsziel.
Die Strecke wurde uns – mehr oder weniger verständlich – netterweise von der Dame am Ticketschalter erklärt. Eine gute Stunde und einen schönen Spaziergang später kamen wir jedoch wirklich am Ziel an und verbrachten ein paar schöne Stunden zwischen alten Mauern und wunderschöner Aussicht. Zurück in Plovdiv ging es für einen Teil wieder in die Heimatstädte zurück.
Nele, Paula und Pius wollten erst am Montag nach Sofia und für mich ging es von dort aus weiter nach Veliko Tarnovo. Die Zugfahrt dorthin war gleichermaßen aufregend wie anstrengend. Zu meiner Erleichterung traf ich aber gleich zu Beginn eine Französin, die in Veliko Tarnovo wohnt und auch über das Wochenende in Plovdiv war. Mit ihr ging die Zugfahrt schnell vorbei und wir hatten einige schöne Gespräche. Vom Bahnhof in Tarnovo fand ich dann schlussendlich auch einen richtigen Bus, der mich in Richtung des Hostels gebracht hat. Nach einer kurzen Verzweiflung vor verschlossenen Türen des Hostels lag ich ein Telefonat später aber trotzdem im warmen Bett. Kommunikation und Nachfragen bringt wirklich fast immer Licht ins Dunkel. Das habe ich schon mal gelernt.
Am nächsten Tag stand die zweite Free walking tour in 3 Tagen an. Zusammen mit einer super netten Einheimischen und zwei Rumänen ging es dann, von pessimistischen Nieselregen umgeben, durch die Hauptstadt des 2. Bulgarischen Königreiches.
Die ist wirklich sehr pittoresk, vor Allem wenn ein tiefhängender Nebel die Festung der Stadt mystisch ummantelt und man sich wie in einem Mittelalterfilm fühlt. Mein Mittagsessen bekam ich von sehr netten Gastgebern und vor wunderschöner Aussicht in einem kleinen Lokal serviert. Auch etwas was ich gelernt habe: Alleine Essen zu gehen ist gar nicht so schlimm. Nur ein Bisschen 😉
Nachmittags ging es dann noch auf die besagte Festung, die ich dank des Wetters und der aktuellen Situation fast für mich alleine hatte. Die „Kirche“ hoch oben auf dem Berg wurde in Zeiten des Kommunismus restauriert. Dementsprechend werden alle Erwartungen und Klischees beim Betreten dieses Gebäudes widerlegt. Nichts, was irgendwie an ein Gotteshaus erinnern könnte. Dafür Malereien und eine Stimmung, die mich nachhaltig beeindruckt hat.
Abends wurde dann alles etwas chaotisch: Am Wochenendende haben sich anscheinend Einige von uns mit Covid infiziert, was sich nach einem Schnelltest in Sofia herausstellte. Deshalb ging es am nächsten Morgen für mich nicht weiter Richtung Schwarzes Meer sondern direkt wieder in die Heimat nach Sofia, zum Testlabor und dann in meine Wohnung. Und auch ich war schlussendlich positiv. Zwei Wochen Quarantäne mit Paula und Pius in meiner Wohnung hier lagen vor uns. Meine erste Reaktion war Lachen. Recht surreal schien mir da noch alles. Nach einigen organisatorischen Telefonaten betrachteten wir dann alles etwas nüchterner. Zwei Wochen nicht raus, in Abhängigkeit von anderen leben und natürlich auch noch krank sein. Aus der Retroperspektive vom heutigen Tag 10 haben wir die ersten Tage mit Tee trinken, Husten und Wifi Einrichtungsversuchen verbracht. Die Kochversuche klappten alle so semi, was aber gar nicht so schlimm war, da wir sowieso nichts schmecken. Zu dritt kommen wir aber noch echt gut aus und gesundheitlich sind wir auch alle auf dem Weg der Besserung. Was mich nur stört ist diese ständige Abhängigkeit von Menschen, das Fragen und Bitten und natürlich auch die anhaltende Monotonie des Tages. Direkt nachzufragen lohnt sich aber (habe ich ja schon gelernt), wenn man bis halb 12 schläft, geht der Tag auch schneller vorbei und jede Beschäftigungsmöglichkeit muss vollkommen ausgenutzt werden… Das waren nur einige unserer Erkenntnisse aus der Quarantäne.
So endete eine schöne Reise schließlich in meinen Birkenstocks zu Hause. Eine Wendung, die sich so natürlich niemand gewünscht hat, schlussendlich aber auch keiner richtig beeinflussen kann. Wir sind einfach froh, dass es uns den Umständen entsprechend gut geht und ich noch ein paar Netflix Serien runtergeladen hatte.
Aber muss ja weiter gehen. Noch 5 Tage, Hajde, Hajde.
Josi