100 Dinge über Uruguay, die in keinem Reiseführer stehen

Meine Zeit in Uruguay ist vorbei, weshalb ich hier ein paar kleine Eindrücke festhalten möchte, die meinen Alltag prägten, die ich aber wohl bald wieder vergessen habe, ohne die stetigen Erinnerungen. Ob es wirklich 100 Dinge werden, wage ich zu bezweifeln. 

 

Land und Leute

1. Leute, die bei der Landung eines Flugzeugs klatschen, kannte ich schon vor meiner Zeit in Uruguay zur Genüge, hier habe ich aber zum ersten Mal miterlebt, wie Leute am Ende eines Kinofilm klatschten.

2. Der typische männliche Uruguayo ist an drei Dingen zu erkennen: einem Vokuhila, fragwürdigen Tattoos und natürlich seinem Mate.

3. Das ganze Land ist voller Esoteriker. Überall kann man Räucherstäbchen, Halbedelsteine und Bienenwachskerzen kaufen. Letztere soll man am 11. und 22. eines jeden Monats anzünden – das bringt Glück oder so ähnlich. 

4. Fischen ist ein Nationalsport oder eher eine nationale Betätigung. Sieht man morgens nur vereinzelt Leute mit Angeln an der Rambla, muss man sich abends hüten, dass man nicht selbst beim Hakenauswurf aufgespießt wird. Alter und Geschlecht spielen bei diesem Hobby keine Rolle: Die ganze Familie sitzt über dem Wasser und zieht Fische heraus. 

5. Die Rambla: Ort des sozialen Leben. Die Rambla ist die Uferpromenade, wo man entweder joggt, angelt, liest oder mit Freunden Mate trinkt. An der Rambla Mate zu trinken, ist hier eine offizielle Aktivität, bei der man zumindest in Fray Bentos nicht auf den träge vorbei fließenden Río Uruguay blickt, sondern auf die vorbeifahrenden Autos. In Montevideo gibt es keine Lehnen an den Bänken, da hat man also die Wahl, ob man auf den Río (de la Plata) schauen möchte oder nicht. 

6. Wenn wir schon an der Rambla sind: Einige junge Leute haben Lautsprecher im Kofferraum ihrer Autos verbaut, mit denen sie dann die 20 m Rambla um sie herum beschallen, bis das nächste Auto mit eingebauten Boxen kommt und um die Musikhoheit konkurriert. Die Musik ist aber überall die gleiche – allgemein erscheint es, als gäbe es nur vier Lieder (oder alle hören sich gleich an).

7. In jeder Stadt gibt es mehr oder weniger die gleichen Straßennamen. Die meisten Straßen sind nach berühmten Männern benannt, nach Ländern oder nach Orten. Spannend sind dann natürlich alle Namen, die von dieser Norm abweichen (in Nueva Helvecia finden sich z. B. Guillermo Tell oder die Straße Frau Vogel).

8. Artigas, Artigas, Artigas – Chef der Orientalen, Beschützer der freien Völker, Gründervater der Nation, der im paraguayischen Exil starb, ohne die uruguayische Unabhängigkeit zu erleben, für die er gekämpft hatte. Es herrscht ein Kult um José Gervasio Artigas. Wahrscheinlich stellt man in uruguayischen Städten erst die Artigas-Statue auf, bevor man anfängt Häuser zu bauen. Ob hoch zu Pferde wie in Montevideo oder mit feschem Hut und Degen in der Hand wie in Fray Bentos: Artigas ist in Uruguay nie fern. Die in Deutschland verteilten Bismarck-Büsten haben leider nicht den gleichen Flair . 

9. Um beim Artigas-Kult zu bleiben: Die uruguayische Bus-Webseite Urubus nutzt als Platzhalternamen José Gervasio Artigas, einschließlich der Platzhalter-Mail jose_gervasio@artigas.com.uy

 

Kulinarisches Uruguay

10. In Keksen wird Rinderfett verwendet, weil es das günstigste Fett ist. Als Vegetarier empfehle ich, brasilianische Kekese zu kaufen, da ist man meistens auf der sicheren Seite. 

11. In Uruguay werden Milchalternativen in Gold bemessen, die günstigsten gibt es mit Glück ab 4€ pro Liter, für gewöhnlich sind es eher 6€. Entsprechend hoch ist auch der Aufpreis im Café, den man auf Sojamilch und Co. zahlt (>1€). Wenn man aber zu besonders ökigen Läden geht, gibt es sie aber auch umsonst (La Molienda <3). 

12. Torta Frita, ein frittierter Teigfladen, der von Straßenständen überall verkauft wird, ist der perfekte Snack für Zwischendurch und mit einem Preis von weniger als 90 Cent auch sehr erschwinglich. Torta Frita werde ich in Deutschland auf alle Fälle vermissen. 

13. Ich liebe Tequeños und die Venezolaner:innen, die sie verkaufen (Pasapalo Venezuela ist wärmstens zu empfehlen, besonders ihr Stand auf der Feria de Tristán Narvaja).

14. Pizza hier sollte nicht am Maßstab italienischer (neapolitanischer) Pizza gemessen werden, denn sie ist anders, der Boden ist dicker und der Käse mehr eine zusammenhängende Scheibe über allem. Wenn man darauf vorbereitet ist, ist die hiesige Pizza aber schon lecker.

15. Ich weiß, dass Trinkpäckchen eine ökologische Vollkatastrophe sind, aber in diesem Jahr habe ich doch häufiger nach einem gegriffen. Ein Trinkpäckchen aus dem Kühlfach ist fantastisch für unterwegs. Neben Schokomilch und normalen Säften gibt es hier auch Sojamilch-Saft-Mischungen, was sich vielleicht seltsam anhören mag, aber der Saft ist dadurch cremiger und absolut fantastisch. Alpro sollte dahingehend expandieren.

 

Kunst und Kultur

16. Wandgemälde und Straßenkunst haben einen hohen Stellenwert und sind Orte des politischen Diskurs. Ich kenne einige Wände, die innerhalb von wenigen Tagen neue politische Slogans trugen (als Antwort auf das Vormotiv) und auch die Wahlen sind Thema der Kunst. Es gibt aber auch unpolitisch(er)e Wandgemälde: Dann zieren Dschungellandschaften, Tiere oder auch Portraits ganze Häuserfassaden und die Kunstwerke sind sogar signiert, oft mit dem Symbol einer Brigada, also einem Zusammenschluss aus Wandmaler:innen.

17. Die Museen sind sehr günstig oder sogar kostenlos und gerade die Kunstmuseen meistens auch sehr gut. In anderen Museen hingegen ist die didaktische Reduktion noch nicht angekommen, weshalb die Wände mit Romanen zugepflastert sind. 

18. Uruguay hat einige sehr interessante Künstler:innen, v. a. moderne, aber seit Joaquín Torres-García ist alles sehr Torres-García-esk (oder bewusst nicht!). Das liegt u. a. daran, dass Künstler wie Gurvich in der Werkstatt Torres-García ihre Anfänge hatten. Torres-García hat ein Kunstverständnis und damit einhergehend eine Formensprache gelehrt, den Universalismo Constructivo, der die uruguayische Kunst prägt. 

 

Montevideo

19. Montevideo tropft. Wenn man die Straße entlang geht, muss man aufpassen, dass einem nicht das Wasser der Klimaanlagen auf den Kopf tropft. 

20. Alle Fassaden lügen euch an. Man glaubt, vor einem gewöhnlichen, zweistöckigen Haus zu stehen, aber meistens öffnet die erste Tür in einen langen Gang oder in einen Innenhof, von wo aus weitere Wohneinheiten abzweigen. Manchmal ist hinter einer Häuserfassade aber auch einfach ein Parkhaus, ein Sportplatz oder gar nichts mehr. 

21. Tagsüber ist der Palacio Salvo ein schöner Bau, aber sobald es dunkel wird und auf seiner Spitze die seltsame, nippelförmige Beleuchtung angemacht wird (die eigentlich eine Lichtbrücke mit dem Schwestergebäude in Buenos Aires hätte bilden sollen, nur hat der Architekt die Erdkrümmung nicht bedacht), kann ich ihn nicht mehr ernst nehmen. 

22. Ich werde die Ferias vermissen. Einkaufen auf Märkten macht einfach mehr Spaß als im Supermarkt, und auch wenn immer das Gleiche angeboten wird, schaue ich mir doch gerne die Stände an.

23. Montevideo ist eine furchtbar leere Stadt. Man sieht außerhalb der 18 de Julio und den Ferias kaum eine Menschenseele, besonders am Wochenende. 

24. Wer auch immer die Gehsteige in Montevideo errichtet hat, möge verflucht sein. Gerade um die Plaza Independencia sind die Steine so rutschig, dass selbst jemand mit mehr Profil an den Sohlen als ich aufpassen muss, nicht rücklings aufs Pflaster zu fallen. 

25. Wenn man in Montevideo die große Hauptstraße 18 de Julio entlang geht, findet man an jeder Straßenecke mindestens eines der folgenden Fast Food-Lokale, oftmals auch mehrere: Subway, Starbucks, Burger King, McDonald’s oder Mostaza (eine argentinische Burgerkette). Nimmt man noch die uruguayische Kette La Pasiva hinzu, hat man wirklich jede Kreuzung abgedeckt. 

26. Es gibt wunderschöne Häuserfassaden in Montevideo (wie z. B. die des Palacio Brasil oder des Hauses der Sala Zitarrosa), aber oft erkennt man sie erst von der anderen Straßenseite aus (oder gar nicht, denn die Verzierungen verschwinden unter dem Staub der Jahrzehnte).

27. Montevideo ist eigentlich zur Hälfte Hundewiese, zur anderen Hälfte Hundeklo. Dass ich nicht täglich meine Schuhe habe reinigen müssen, grenzt an ein Wunder. Immerhin haben die meisten Hunde hier lustige Outfits an: Manchmal gewöhnliche Hoodies, manchmal hundegerechtere Capes mit Cartoon-Knochen-Muster.

28. Der Straßenverkehr wird ab und zu zur Lärmbelästigung, wenn irgendwelche Uruguayos meinen, ihre Klapperkisten auf Höchstgeschwindigkeit bringen zu müssen und dann mit einer Milliarde Dezibel an einem vorbei knattern. Besonders schlimm sind die Mopedfahrer, die einen Krach machen,als würden sie die Schallmauer durchbrechen, während sie gemächlich vorbeigurken. 

 

Das also sind meine 100 (28) Dinge über Uruguay, die in keinem Reiseführer stehen, aber das Land zu dem machen, was es ist. Ich durfte viele schöne Erfahrungen in (und um) Uruguay machen – aber ich bin auch froh, wieder zurück zu sein, auch wenn ich die Bohnendosenauswahl in deutschen Supermärkten jetzt schon zu beklagen habe. 

In der Gischt

Es ist Juli und damit habe ich einen kleinen, privaten Vorsatz gebrochen: jeden Monat einen Blog-Artikel hochzuladen. Das Problem des Junis war aber, dass nichts passiert war, was einen eigenen Artikel gerechtfertigt hätte. Vielmehr war der Monat ein Sammelsurium kleiner Erlebnisse, wie der Besuch mehrere Konzerte, der Vorstellung eines ins Spanische übersetzten Gedichtbandes der deutschsprachigen Dichterin Özlem Özgül Dündar und kurzen Abstechern nach Colonia, Piriápolis oder Buenos Aires. Jetzt, im Juli, haben wir aber noch eine letzte Reise gemacht, die ihren eigenen Beitrag wert ist.

Am Samstag in aller Früh ging es erst mit dem Bus nach Colonia und von dort mit der Fähre nach Buenos Aires – mal wieder. Am Fährterminal wurden Kenza und ich von Nora abgeholt und gemeinsam fuhren wir in den Ecoparque, der sich auf dem ehemaligen Zoogelände befindet und heute weiterhin einige Tiere wie Bisons, Giraffen oder Vicuñas beheimatet. Wir trafen uns dort mit einer kulturweit-Freiwilligen aus Buenos Aires und, überraschenderweise, auch mit einem anderen Uruguay-Freiwilligen, der just an diesem Wochenende in der Stadt war.

Nachdem wir uns die Tiere angeschaut hatten, gingen wir gemeinsam essen, bevor es für Kenza, Nora und mich an den Flughafen ging, von wo aus wir nach Puerto Iguazú im Nordosten Argentiniens, direkt an der brasilianischen Grenze, flogen. Selbstverständlich hatten wir uns dorthin aufgemacht, um die Iguazú-Wasserfälle zu sehen, die, je nachdem, welches Naturmagazin man fragt, die größten oder zweitgrößten Wasserfälle der Welt sind.

Man kann die Wasserfälle sowohl von der argentinischen als auch von der brasilianischen Seite aus besichtigen und am besten ist es, beides zu tun. Für unseren ersten Tag nahmen wir uns die brasilianische Seite vor und überquerten mit dem Bus die Grenze (argentinische Grenzstation – Ausreise – zweihundert Meter weiterfahren – brasilianische Grenzstation – Einreise) und fuhren bis zum Parkeingang. Dort ging alles sehr geordnet zu: Den Parkeintritt kaufte man am Selbstbedienungsschalter und dann reihte man sich in die Schlange ein, die zu den Bussen in Richtung Wasserfälle führte. Ab der Bushaltestelle wanderten wir dann am Hang entlang, immer mit Blick auf die verschiedenen Wasserfälle, denn in Iguazú fällt das Wasser nicht nur an einer Stelle, sondern an einer Vielzahl von größeren und kleineren Steilwänden. Die brasilianische Seite ist hierbei die Panorama-Seite, von wo aus man auf die Fälle blickt, die sich über mehrere Stufen und Plateaus in die Tiefe stürzen.

Wer sich jetzt bei Wasserfällen in Brasilien fröhlich-tropische Hitze und Sonnenschein vorstellt, den muss ich enttäuschen, denn wir waren wohl am kältesten Wochenende des Jahres in Iguazú, nämlich bei kühlen 11° C und Regen. Blieben wir auf der Wanderung nur angefeuchtet, waren wir spätestens nach dem größten Wasserfall, der Garganta del Diablo (Teufelsschlund) vollkommen durchnässt, denn hier trieb der Wind einem das herabfallende Wasser in einem Schwall entgegen. Nass und kalt wie waren, entschieden wir uns gegen einen Besuch im Vogelpark, sondern fuhren hinein nach Foz do Iguaçu, wo wir einer klassischen brasilianischen Sonntagstätigkeit nachgingen: Wir gingen in die Mall.

Am nächsten Tag war dann die argentinische Seite dran. Wieder nahmen wir den Bus zum Nationalpark, der besonders im Eingangsbereich mehr wie ein Freizeit- als ein Nationalpark erschien. Auf der argentinischen Seite kann man entlang mehrerer (Rund-)Wanderwege nah an die Wasserfälle heranwandern und von oben auf das herabstürzende Wasser blicken.

Neben den Wasserfällen sind hier noch die südamerikanischen Nasenbären eine Besucherattraktion, die ohne Scheu sich in die Menschenmassen stürzen, besonders wenn sie Nahrungsmittel wittern. Obwohl auf vielen Schildern darauf hingewiesen wird, dass man die Tiere weder füttern noch anfassen soll, gibt es dennoch genug Besucher:innen, die sich nicht daran halten: Dann kann es aber passieren, dass so ein Nasenbär den Rucksack vom Tisch fegt oder den Burger klaut.

Neben Nasenbären wollten wir auch gerne Tukane sehen, hatten aber tagsüber kein Glück (dafür sahen wir sehr spektakuläre Kappenblauraben). Wir hatten schon fast die Hoffnung aufgegeben (gemeinsam mit der Hoffnung, den Park wieder zu verlassen, denn kurz vor Schließung waren die Wege wie ausgestorben, der Weg zum Ausgang nur sehr schlecht ausgeschildert und wir irrten ein wenig umher), als doch noch ein Tukan durch die Bäume flog und sich, gemeinsam mit drei oder vier anderen auf einer Baumkrone niederließ. Wir fanden auch noch den Ausgang und konnten zurück nach Puerto Iguazú fahren, wo wir mexikanisch essen gingen.

Am nächsten Tag hatten wir morgens noch ein wenig Zeit, weshalb wir zum Drei-Länder-Eck zwischen Argentinien, Brasilien und Paraguay liefen und Paraguay immerhin aus der Ferne sehen konnten.

Am frühen Nachmittag ging es dann mit dem Flieger wieder zurück nach Buenos Aires und dann mit einer verspäteten Fähre weiter nach Colonia, bis wir spät in der Nacht wieder in Montevideo angekommen waren.

 

 

 

 

Mayo, Mes de la Memoria

Der Mai ist in Uruguay der Mes de la Memoria (= Erinnerungsmonat), währenddessen der Opfer der Militärdiktatur gedacht wird. Deshalb sieht man zurzeit auch besonders viele Margariten, denen ein Blütenblatt fehlt, auf Häusern, Straßen und Spruchbändern abgebildet. Die Margarite ist ein Symbol für diejenigen, die immer noch fehlen und deren Verschwinden nicht aufgeklärt wurde.

 

Dónde están? und Margarite vor dem Universitätsgebäude

Jedes Jahr am 20. Mai findet ein Schweigemarsch zum Gedenken an die Opfer, aber auch, um mehr Aufklärung zu fordern, statt. Zigtausende Menschen liefen auch dieses Jahr die Avenida 18 de Julio, eine der zentralen Straßen Montevideos, entlang und hielten Schilder mit Bildern der Verschwundenen, aber auch mit Sprüchen wie “Dónde están?” (= Wo sind sie?). Natürlich verläuft der Marsch nicht in vollkommenem Schweigen, dafür sind es zu viele Menschen, aber es ist so ruhig, wie eine solche Menschenmasse sein kann. Es brabbelt mal ein Kind, ein Handy klingelt oder jemand schlürft seinen Mate, aber wenn man die Augen schließt, würde man nicht vermuten, dass man in einer riesigen Menschenmenge steht. 

Schweigemarsch-Teilnehmer:innen mit Bildern der Verschwundenen

Gegen Ende des Marsches werden die Namen der Verschwunden vorgelesen und die Masse antwortet nach jedem Namen mit “Presente” (= anwesend). Zum Abschluss ertönt die Nationalhymne und dann löst sich der Marsch auf, es wird wieder laut und die Menschen finden in Geselligkeit zusammen, treffen vielleicht Bekannte und verschwinden, wie auch wir, in den Gassen.

Ich fand diesen Schweigemarsch sehr eindrücklich anzusehen, besonders da wir keine Woche zuvor bei der pro-palästinensischen Kundgebung dabei waren, die zwar auch sehr geordnet ablief, aber sehr viel lebendiger und lauter war. Während bei dieser Demonstration lautstark für einen Waffenstillstand proklamiert und gesungen wurde, hing über der Veranstaltung am 20. Mai eine andere Art von Schwere und Introspektion.

Ein Eindruck von der pro-palästinensischen Demo

Aber auch die pro-palästinensische Demonstration wurde in den Kontext des Mes de la Memoria eingeordnet. Während der Kundgebung am Ende wurden nämlich nicht nur Gedichte palästinensischer Autor:innen (in spanischer Übersetzung) vorgetragen, es sprach auch ein Vertreter von Serpaj*, der betonte, dass der Mes de la Memoria nicht nur die Erinnerung an das Unrecht der Militärdiktatur beinhaltet, sondern auch die Pflicht, gegenwärtiges und zukünftiges Unrecht, wie es der Zivilbevölkerung in Gaza gegenüber geschieht, nicht hinzunehmen.

 

*Servicio Paz y Justicia (= Frieden- und Gerechtigkeitsdienst); setzen sich für die Aufarbeitung der Militärdiktaturen in Lateinamerika und politische Gefangene aus dieser Zeit ein

Trinidad, nicht Tobago

Kaum in unsere neue Wohnung eingezogen (in der wir innerhalb von fünf Tagen schon zwei Gäste beherbergen mussten/ durften), werden wir auch schon auf unsere erste Geschäftsreise geschickt: Es geht nach Trinidad, Flores, zu Chris und Jérémy.

Doch zunächst ein paar Worte zu Montevideo und der Nationalkommission der UNESCO. Wir arbeiten hier im Gebäude des Bildungsministeriums in einem Großraumbureau mit denjenigen, die sich um Internationale Kooperation im Ministerium kümmern, unter Carmen, unserer Ansprechperson, bei sehr verträglichen Arbeitszeiten, denn unser Tag beginnt erst um die Mittagszeit. Unsere erste große Aufgabe hier war es, alle UNESCO-Projektschulen des Landes anzutelefonieren und einige Daten abzufragen und in unserer Liste zu aktualisieren. Wir benötigten zwar nur eine Telefonnummer, eine Email-Adresse und den Namen der Direktoren-Person, aber es kam  nicht nur einmal vor, dass die Person am anderen Ende des Apparat an diesen wenigen Informationen scheiterte. Gerade der Nachname der Schulleitung stellte eine Herausforderung da, denn zum Teil mussten sie nachfragen, wie er denn überhaupt lautete. Wir hatten auch unsere Schwierigkeiten, einige der komplizierteren Namen korrekt zu schreiben, denn ein Buchstabiergesuch stieß manchmal auf Unverständnis oder mässig nützliche Antworten wie “mit y” oder “mit Doppel-l”, ohne aber klar zu machen, wo genau im Wort sich diese Buchstaben befinden sollen.

Als wir etwa die Hälfte der Schulen antelefoniert hatten, wurden wir in Carmens Bureau beordert, denn sie hatte einen Auftrag für uns: Wir sollten Dienstboten spielen, denn in der nächsten Woche würde in Trinidad eine Veranstaltung stattfinden, bei der “Rutas UNESCO”-Plaketten feierlich aufgehangen würden, und wir sollten diese als Vorhut am Dienstag dorthin bringen, während Carmen und Marcello, unser zweiter Chef, tags darauf zur Veranstaltung nachkommen würden.

Da wir sowieso noch nach Trinidad wollten, schlugen wir eine bezahlte Reise natürlich nicht aus. Ungünstig war nur, dass Emily sich für ebendiese Woche aus Rivera angekündigt hatte, die nun prompt alleine auf unsere Wohnung aufpassen durfte.

Früh morgens (nämlich um 6:30 Uhr) nahmen wir den Bus nach Trinidad und zwangen mit unserer frühen Ankunft die beiden Trinidader zu einem normalen, für sie jedoch frühen Aufstehen. Gemeinsam gingen wir ins Tourismusbureau, wo ihre Einsatzstelle angegliedert ist und lernten den bunten Haufen an Kolleg:innen kennen, von denen wir schon viel gehört hatten. Wir übergaben selbstverständlich auch unsere Botengüter, der Grund unseres Kommens, konnten aber sonst nicht mehr allzu viel helfen.

Am Nachmittag fuhr uns Andrés, ein älterer Kollege der beiden, in seinem klapprigen Uralt-Ford hinaus auf sein Landstück, wo er einige Pferde, Kühe und Schafe hält.

Andrés‘ alter Ford
Ich auf Andrés‘ Land (Jérémy war in Besitz meiner Kamera)

Während Kenza und ich uns Pizzen geholt hatten, setzten Jérémy und Chris auf Chorizos, die sie in ihrem Kamin grillten; ein Spaß, der sich bis spät in die Nacht zog, denn bis das Feuer herabgebrannt und die Würste durch waren, verging einiges an Zeit.

Spät am nächsten Morgen ging es für uns vier zu den Grutas del Palacio, den Palastgrotten, der Hauptattraktion des gleichnamigen Geoparks, der die kulturweit-Stelle beherbergt. Diese Sandsteinformation, deren Entstehung nicht endgültig geklärt ist, war eine der letzten
Sehenswürdigkeiten, die noch auf meiner Uruguay-Liste stand; leider standen sie aber weitgehend unter Wasser und überall schwirrten Moskitos umher – sehenswert waren sie dennoch.

Am Nachmittag fand im Besucherzentrum der Grutas ein Treffen der Tourismus-Minister:innen der verschiedenen Departamentos statt, das sich bis in den Abend zog. Wir Freiwillige machten Fotos, blieben dann aber in der zweiten Hälfte der Veranstaltung draußen, außerhalb des Konferenzraumes, denn wir waren doch eher überflüssig und Kenza und ich warteten zudem noch auf unsere Chefs, die heute aus Montevideo anreisen sollten. Am späten Nachmittag kamen sie dann auch und zum Ende des Treffens konnte feierlich die erste der Plaketten eingeweiht werden, die ab jetzt überall im Land die UNESCO-Stätten kennzeichnen sollen.

Einweihung der Plakette

Wir halfen beim Abbau und wurden dann zurück nach Trinidad gefahren. Das Spiel des ersten Abends wiederholte sich auch an diesem zweiten, denn während Kenza und ich uns etwas zu Essen holten, bereiteten die anderen beiden wieder ihr Kamin-Asado zu, heute aber mit Churrasco, also Fleischstücken, anstelle von Würsten.

Chris und Jérémy beim Kamin-Asado

Donnerstag war der längste Tag, denn wir hatten schon um kurz nach Acht am Sala Larrañaga, dem Veranstaltungszentrum Trinidads, zu sein. Wir wohnten den Tag über einem Geotourismus-Treffen bei, während dem verschiedene Gespräche auf der Bühne stattfanden. Verschiedene Geoparks des iberoamerikanischen Raumes (da zum Großteil digital leider in bemängelnswerter Qualität) stellten sich vor, drei Projekte für zukünftige Geoparks in Uruguay präsentierten sich und der bestehende Geopark „Grutas del Palacio“ gab einen Abriss seines Werdegangs. Die Frage, wie und ob man UNESCO als Marke und Werbung nutzen kann, wurde auch ausführlich besprochen.

Am Abend ging es für uns wieder zurück nach Montevideo, denn obwohl freitags noch Veranstaltungen stattgefunden hätten, hatten wir am nächsten Morgen bereits seit längerem einen Termin mit dem deutschen Botschafter.

Dementsprechend ging es dann nach einer recht kurzen Nacht zusammen mit Emily (die unsere Wohnung in unserer Absenz gut gehütet hatte) um 9:30 Uhr zur Botschaft, wo neben uns Kulturweitlern (Maren und ihre Gastschwester waren auch dabei), auch noch zwei Praktikanten der Deutschen Schule und eine Praktikantin des DAADs unter dem freundlichen Blick des Portraits des Bundespräsidenten ein Gespräch mit dem Botschafter Eugen Wollfarth führten, bei dem er von seinen Tätigkeiten in Uruguay und seinem Werdegang im Auslandsdienst erzählte, er sich aber auch nach unseren Eindrücken von Uruguay erkundete und wir die Möglichkeit hatten, Fragen zu stellen.

(Nein, leider befindet sich nicht in jedem Raum der Botschaft ein Portrait von Frank-Walter Steinmeier, nur im Foyer/ Empfangssaal, im Versammlungsraum und im Bureau des Botschafters.)

Auf Schotterstraßen durch Uruguay brettern

Wie vor doch etwas längerer Zeit angekündigt, folgt nun endlich der Bericht über den Besuch meiner Eltern – surreal, wie lange her es sich anfühlt, auch wenn es de facto nur etwas mehr als zwei Wochen sind.

Meine Eltern landeten Ende März in Montevideo und kamen dann über Colonia del Sacramento nach Fray Bentos, wo wir ihnen selbstverständlich das Museum und die besten Plätze zeigten und uns im Gegenzug von ihnen bekochen ließen. In ihre Ferienwohnung wären wir auch gerne dauerhaft eingezogen, denn sie hatte zwei Zimmer, war sauber und zentral an der Rambla gelegen, sodass wir nicht mehr so lange zur Arbeit hätten laufen müssen – nun gut, solange sind wir nicht mehr in Fray Bentos.

Von Fray Bentos aus fuhren meine Eltern und ich dann Richtung Norden, um uns die Quebradas del Norte mit ihren Wasserfällen anzuschauen. Landschaftlich ist der Norden völlig anders als der Süden, es gibt Hügel (!), die oben abgeflacht sind, und das Land ist noch dünner besiedelt. Wir haben eine traumhaft schöne Hütte auf einem Hügel inmitten von Weiden und am Morgen ziehen Gänse an meinem Fenster vorbei. 

Das einzige Problem an diesem menschenarmen Norden ist seine Infrastruktur, denn des Öfteren müssen wir über rote geschotterte Erdstraßen fahren, auf denen Steine und Staub das Fahrzeug umwirbeln und der Regen tiefe Furchen in die Oberfläche gezogen hat. 

Da das Land dünn besiedelt ist, sieht man auch niemanden auf der Straße. Man kann stundenlang fahren, ohne dass einem ein Auto entgegenkommt – hier will man also auf gar keinen Fall einen Unfall haben.

Auf unserer Fahrt sehen wir die Fußstapfen von Dinosauriern, Nandus, die über die Wiesen rennen, und natürlich Kühe zuhauf.

Wir verbringen auch Zeit auf einer Estancia, wie der letzte Artikel schon erwähnte. Die Estancia Los Platanos ist eine touristische Estancia mit zwei Doppel- und einem Familienzimmern, einem überdachten Pool und einem urig eingerichteten Wohnzimmer bzw. Aufenthaltsraum. Das Gebäude befindet sich seit acht Generationen im Besitz der Familie. Neben Cabalgatas, also Ausritten, kann man hier auch geführte Wanderungen machen, wobei meine Mutter und ich viel über die verschiedenen Mikroklimata auf den Weiden lernten, die je nach Nähe zum Bachlauf und weiteren Faktoren das Wachstum unterschiedlichster Pflanzen begünstigen. Hier können im Schutz dichter Äste bachnah auch Farne wachsen, was in Uruguay nicht allzu häufig vorkommt – in Deutschland müsste ich nur ein paar Schritte tun, um einen Farn zu sehen.

Natürlich haben wir uns auch die Küste angeschaut: Der kleine Ort La Esmeralda, der im Sommer wohl voller Touristen sein mag, ist jetzt im Frühherbst ausgestorben. Wir hatten den kilometerlangen weißen Sandstrand fast für uns allein, nur einige Küstenvögel (und tote Pinguine) haben uns Gesellschaft geleistet. 

Die Küste bei La Esmeralda

Hiernach war dann aber Schluss mit der Menschenarmut, denn unser nächster Stopp war Punta del Este mit seinen Hochhäusern und Menschenmengen. Hier hatten wir eine kleine Cabaña auf einer Estancia, die vorwiegend aus Schrott (altes Holz, Metall etc.) aufgebaut war. Es gab auch einen kommunalen Garten, wo man Kräuter und Gemüse ernten konnte, soweit es reif war.

Wir besichtigten dort in der Nähe auch Casapueblo, das Haus und Atelier des uruguayischen Künstlers Carlos Páez Vilaró, das er selbst (mit anderen) gebaut oder eher geformt hat und was von ihm selbst als Statue zum darin wohnen bezeichnet wurde. Im Inneren sind Kunstwerke ausgestellt, das wahre Highlight ist aber wohl (gerade an sonnigen Tagen) der Blick auf den tiefblauen Río de la Plata. 

Casapueblo

Am Ende der gemeinsamen Reise ging es über Atlantidá mit Adlerkopf und Dieste-Kirche noch nach Montevideo, wo ich tags darauf von meinen Eltern Abschied nahm und wieder zurück nach Fray Bentos fuhr.

Der Abschied von Montevideo sollte aber nicht lange währen, denn bereits dieser Blog-Artikel wird nicht mehr in einer Kleinstadt am Río Uruguay, sondern in der Landeshauptstadt verfasst: Kenza und ich verbringen nämlich das Ende unseres Freiwilligendienstes in Montevideo an der Nationalkommission der UNESCO.

Auf dem Pferd übers Campo – Für anderthalb Stunden Gaucho spielen

Im Zuge des Besuchs meiner Eltern hier in Uruguay und unserer Rundreise durch das Land – dazu bald mehr – verbrachten wir die letzten beiden Nächte auf einer jener touristischen Estancias, wo man zugleich Komfort und einen Einblick in das Landleben Uruguays erhält (oder erhalten soll). Mit Los Plátanos hat meine Mutter bei der Buchung einen wirklichen Glücksgriff gemacht, denn die Zimmer sind wunderschön, es gibt einen überdachten Pool, ich muss keine drei Schritte gehen, um Kühe zu sehen, und die Inhaber:innen sind unheimlich nett. 

Die Pferde der Estancia – Nur das Braune ist ein typisches Gaucho-Pferd, der Schimmel ist zu groß und eher für Sport gedacht, das Pony ist ein Pony und damit zu klein

Was man hier auf dieser Estancia auch in Anspruch nehmen kann, ist eine Cabalgata, also ein Ausritt, mit Andrés, dem Hausherren, über die Weideflächen. Man begleitet ihn dabei mehr oder weniger bei der Arbeit, denn solche Kontrollritte macht er jetzt im Herbst zwei bis drei Mal die Woche, um zu schauen, ob alles noch beim Rechten unter seinen Jungbullen ist.

In Uruguay zu reiten, stand auf alle Fälle auf meiner Liste für dieses Jahr, denn natürlich ist der Gaucho mit seinem Pferd ein zentrales Motiv der uruguayischen Kultur. 

Da stand ich dann also um 16 Uhr neben meinem kleinen braunen Pferd – die traditionellen Gaucho-Pferde sind klein und kräftig von der Statur, angepasst an ihre Aufgaben – und bekomme von Andrés eine Einweisung, bevor ich mich auf mein Ross schwingen darf.

Ich hoffe, ich werde nicht von den Pferde-Fanatikern für meine sicherlich fachlich schwammige Ausdrucksweise in den nächsten Abschnitten gelyncht. Auch alle Gaucho-Expert:innen sollen bitte Nachsicht haben, ich gebe hier nur möglichst wahrheitsgetreu weiter, was Andrés mir erklärt hat.

Ich auf einem Pferd

Mit Sportreiten in Europa – oder zumindest meiner Erinnerung daran, schließlich ist das mittlerweile auch schon ungefähr zehn Jahre her – hat das Reiten hier in Uruguay wenig zu tun. Das liegt vor allem daran, dass das Pferd hier ein Arbeitstier ist und daher die Anforderungen ganz andere sind. Auch die Ausrüstung ist anders. Statt einem klassischen Sattel in Mattlederoptik mit passender Satteldecke darunter, sitze ich auf einem Sammelsurium aus geflochtenen Decken, Lederriemen, Schaffellen und dazwischen befindet sich, glaube ich, auch noch ein Ledersattel (vgl. Bild). Ich bin auch der Meinung, dass die Steigbügel hier weiter vorne sitzen als bei einem Sportsattel. Der größte Unterschied liegt vielleicht beim Mundstück der Trense: Ein zusätzliches Metallstück liegt hier auf der Zunge auf, wodurch das Pferd über die Impulse im Mundraum zum Beispiel in einer Notsituation ruckartig gestoppt und präziser kontrolliert werden kann. Wenn man bei einem solchen Gaucho-Pferd an den Zügeln zieht, hält das auf der Stelle an, trabt sich also nicht aus, weshalb man immer nur graduell den Bremsimpuls aufbauen darf. 

Das Sattelzeug

Auch die Zügel selbst sind interessant: Es gibt zwei Zügel, die nicht miteinander verbunden sind, sondern eher wie zwei Stricke zusammen festgehalten werden. Der Grund hierfür ist die Notwendigkeit, bei der Arbeit auch schnell vom Pferd absteigen zu müssen und es über einen unkomplizierten Strick direkt kontrollieren zu können, anstatt erst die Zügel zu entwirren o. ä.. Beim Reiten werden die Zügel in der linken Hand gehalten, damit die Rechte frei für notwendige Werkzeuge wie Messer oder Peitsche ist. 

Dadurch, dass man nur eine Hand für die Zügel hat, wird das Pferd auch anders gelenkt: Anstatt an der Seite des Zügels zu ziehen, in die das Pferd laufen soll, wird mit der Hand das gesamte Zügel-Konstrukt in die eine oder andere Richtung bewegt. 

Eine Sache, die meiner Erinnerung ans Reiten gleicht, ist die Art und Weise, wie man das Pferd in Bewegung setzt: Nämlich durch einen kurzen Impuls der Sporen/ Versen an die Flanke.

Bei meinem Pferd muss ich eigentlich auch nicht viel machen, denn es läuft friedlich Andrés’ Pferd hinterher und ich muss nur ab und an die Richtung korrigieren. Meine Aufgabe ist nur, sitzen zu bleiben und möglichst nicht von einem Ast aufgespießt zu werden.

Ich fühle mich schon ein wenig aus der Zeit gefallen, wie ich da auf einem Pferd über diese sich bis zum Horizont erstreckenden Weiden reite, auf denen Kühe grasen und zottelige Schafe mit wogendem Fell davonrennen, wenn wir ihnen zu nah kommen. Im Licht der langsam untergehenden Sonne könnte ich auch in die Welt eines Westerns (mit fragwürdiger historischer Akkuratheit) versetzt worden sein – aber dann sind wir auch schon wieder zurück am Haus und ich steige mit leichten O-Beinen ab, die sich aber nach ein paar wenigen Schritten schon wieder eingelaufen haben.

Bonus-Ente

Eine Reise durch Patagonien und Feuerland

Nach etwa zwei Monaten harter Arbeit und unerträglicher uruguayischer Hitze war es an der Zeit, wieder in den Urlaub zu fahren, dieses Mal nach Patagonien, in den Süden von Chile und Argentinien. Eine Warnung gleich zu Anfang: Dieser Beitrag wird sehr Bilder-lastig.

Nach einer Nacht am Flughafen Ezeiza in Buenos Aires (nicht einmal annähernd so gut wie in Porto Alegre) flogen wir über quasi leere Steppe nach El Calafate, wo wir den Perito-Moreno-Gletscher besichtigten. El Calafate ist nach der Calafate-Frucht benannt, die in etwa wie eine Mischung aus einer Blaubeere und einer Zitrone schmeckt. 

Von El Calafate aus ging es mit dem Bus über die chilenische Grenze nach Puerto Natales, einer heimeligen Küstenstadt, gerade im Vergleich zum touristischen El Calafate. Im naheliegenden Nationalpark Torres del Paine wanderten wir zu ebendiesen Torres del Paine. Die Tour dauert mit ausgiebiger Pause an der Lagune vor den Torres etwa acht Stunden. Bei Puerto Natales wurden (von einem deutschen Abenteurer, Hermann Eberhardt) in einer Höhle die Überreste eines Riesenfaultieres (Mylodon) gefunden und diese Höhle könnte man auch besuchen, leider war das in unserem Zeitplan nicht vorgesehen. Wenn ich wiederkomme, werde ich mir diese aber noch anschauen. 

Der nächste Halt war in Punta Arenas, wo wir auf dem Weg Richtung Feuerland eine Nacht verbrachten. Leider war das Wetter zu regnerisch, als dass wir viel gesehen hätten. Stattdessen saßen wir im Café und aßen “Kuchen de Ruibarbo”. 

Unsere längste Busfahrt begann in Punta Arenas und führte uns aus Chile heraus und zurück nach Argentinien, nach Feuerland. Dazu mussten wir über eine doch recht unruhige Magellan-Straße mit der Fähre übersetzen und man munkelt, dass eine Welle, die über die Reling geschwappt ist, meine gesamte Rückseite durchnässt hatte, einschließlich des Hosenbodens, auf dem ich noch acht Stunden zu sitzen hatte. 

Die letzten vier Tage verbrachten wir in Ushuaia, der südlichsten Stadt der Welt. Auf zwei Bootstouren im Beagle-Kanal konnten wir die fantastische Fauna beobachten mit Antarktischen Kormoranen, Mähnenrobben, Südlichen Seebären, Sei-Walen und, zweifelloses Highlight, Pinguinen! Zwei verschiedene Spezies konnten wir zum aktuellen Zeitpunkt auf der Isla Martillo beobachten, nämlich die dort dauerhaft wohnenden Eselspinguine und die Sommertouristen, die Magellan-Pinguine. Wir besichtigten auch das (sehr teure) Gefängnis-Museum, wanderten durch eine Regenwolke hindurch zum Glaciar Martial (bzw. seinen Überresten) und an grünen Buchten die Küste des Nationalparks Tierra del Fuego entlang.

Obwohl ich am liebsten da geblieben wäre, mussten wir natürlich wieder zurück nach Uruguay, weshalb wir Sonntagabends nach Buenos Aires flogen, dort den Tag verbrachten, erfolglos Dollar suchten und keine Postkarten verschickten, weil die argentinische Post pro Karte 6€ verlangt, bevor es zurück nach Fray Bentos ging, wo wir auch noch ganz geschwind in unsere nächste Unterkunft umzogen. (Keine Empfehlung, obwohl alles reibungslos funktioniert hat.)

 

Patagonien und Tierra del Fuego waren bisher die eindrucksvollsten Orte dieses Jahres und ich vermute, dass sie außer Konkurrenz bleiben werden, nicht nur wegen ihrer außergewöhnlichen Landschaften, sondern auch, weil ich mit ihnen eine dieser Stellen gesehen habe, von denen ich noch vor einigen Jahren in den Reiseberichten eines Darwin gelesen hatte und seitdem sehen wollte – Ich war nicht enttäuscht.

 

Kulturexkurs: Karneval in Montevideo

Pünktlich zum Ende der Faschenacht (in Deutschland) berichte ich nun über den Karneval in Uruguay.

Der montevideanische Karneval (der sich doch stark vom brasilianisch geprägten im Norden von Uruguay unterscheidet) ist der längste der Welt, weshalb ein Großteil von uns Uruguay-Freiwilligen das letzte Wochenende in der Hauptstadt verbracht haben, um uns das Treiben anzuschauen.

Ein zentraler Aspekt waren die Llamadas, die hiesigen Karnevalsumzüge, bei denen die verschiedenen Candombe-Gruppen (spät-)abends durch die Calle Isla de Flores ziehen.

Der Ablauf innerhalb einer dieser Gruppen ist für gewöhnlich wie folgt: 

Zunächst kommt ein Banner mit dem Namen der Gruppe, oftmals folgen kleinere mit Sponsoren bzw. Werbung. Danach folgt die Gruppe der Fahnenträger, die ihre Stofffahnen hin und her und auch über die sich nach ihnen reckenden Hände der Massen schwenken, hiernach einige Personen, die Monde und Sterne an langen Stöcken tragen. Jetzt folgt eine große Gruppe an Tänzerinnen, die immer wieder stehen bleiben und in Formation ihren Tanz aufführen. Hinter ihnen kommen ältere Leute, meist in Paaren, die Frauen in wallenden Kleidern (als „Mama Vieja“) und die Männer in Anzug mit Stock, Hut und Rauschebart, auch wenn letzterer in den seltensten Fällen echt und oftmals umgehängt ist. 

Ihnen folgen ein oder zwei Samba-Tänzerinnen mit Federschmuck und für gewöhnlich auch ein bis zwei Männer (ihre Tanzpartner?), die besonders farbenfrohe und ausgefallene Anzüge tragen.

Den Schluss machen die Candombe-Musiker, die unter ohrenbetäubendem Trommeln vorbeiziehen. Zu allerletzt kommt nochmals ein Banner, bevor mit großem Abstand die nächste Gruppe in etwa gleicher Anordnung folgt. Den leeren Raum zwischen den Gruppen nutzten Kinder, um auf der Straße zu tanzen, und auch die zuschauenden Erwachsenen bewegen sich rhythmisch zur Musik.

(Wir halten nicht bis zum Ende des Zuges durch, sondern gehen “schon” gegen halb Zwei, da wir noch etwas essen wollten.)

Ein andere typische Facette des Karnevals hier sind die Theaterwettbewerbe zwischen den verschiedenen Murga- und Humoristengruppen. Die Murga ist eine Form des politischen Gesangstheaters und wird dazu genutzt, die politischen Verhältnisse im Land zu kritisieren. Man kann sich das ein bisschen wie eine Mischung zwischen einem Musical und einer politischen Büttenrede vorstellen. 

(Auch bei dieser Veranstaltung halten wir nicht bis zum Schluss durch, sondern gehen noch vor Ende.)

Eine Murga

Was mich überrascht hatte, war, dass man den Karneval wirklich nur abends und eben während der Veranstaltungen mitbekam, tagsüber sah ich nichts in der Art, auch die Häuser und Schaufenster waren nicht besonders geschmückt. Hier dominierte eher die Valentinstagsdeko.

Die überwiegend sonnigen Tage verbrachten wir daher in Museen, im Punta Carretas Shopping und im Parque Rodó, wo wir Unmengen an Churros aßen. Da wir aber nie zu lange Glück mit dem Wetter in Montevideo haben können, verabschiedeten wir uns montags im strömenden Regen von der Stadt und denjenigen Freiwilligen, die in wenigen Tagen schon wieder nach Deutschland zurückreisen. 

Fahrradfahrer im Parque Rodó
Die Feria de Tristán Narvaja

Aber was ist mit Weihnachten?

Ich kehre nun nicht widerwillig, aber doch mit einer gewissen Unlust zu diesem Stiefkind meiner Berichterstattung über mein Auslandsjahr zurück (hört einfach den Podcast oder folgt mir auf Instagram, da bekommt ihr in etwa die gleichen Informationen, nur schneller), wo man die dritte Version meiner Erlebnisse zu lesen findet. 

Die wohl größte Sorge meiner Mutter, nachdem Zielland und all das feststanden, war wohl die obige Frage: Wie würde ich Weihnachten verbringen?

Da mittlerweile das Alte Jahr verstrichen ist, kann ich über ebendiese Zeit zwischen den Jahren berichten. Während meines letzten Artikels war ich noch in Atibaia und von dort aus ging es nach Itajobi in die Limettenanbauregion Brasiliens. In dieser Kleinstadt wohnen die Geschwister meiner Tante; ich kam bei ihrem Bruder unter, sie und mein Onkel bei ihrer Schwester. Ich wurde sehr herzlich aufgenommen und verbrachte meine Zeit hier hauptsächlich mit der Familie und damit, zu essen. Die kleine fünfjährige Nichte meiner Tante und die große Auswahl an Fruchtsäften, die man überall kaufen kann, sind Gründe, warum ich jetzt zumindest die Namen verschiedener Obstsorten auf Portugiesisch kenne. 

Über das Essen in Brasilien kann ich Gutes berichten: Natürlich gibt es hier eine Vielzahl frischer Früchte, die ich auch in regen Mengen aß, entweder frisch oder zu Saft verarbeitet. Auch das Grundnahrungsmittel, nämlich Reis und Bohnen, sagte mir zu. Ein kleineres Gericht, dessen Zubereitung immer noch Fragen in mir aufwirft, ist Tapioca. In Brasilien wird aus relativ grobgemahlenem Manniok ein Fladen in der Pfanne ausgebacken, der dann entweder süß oder herzhaft belegt gegessen wird. Wie dieser Fladen zusammenhält, blieb mir ein Rätsel.

Wie ich nun so in Brasilien war, fasste ich ziemlich spontan den Entschluss, mir auch Rio de Janeiro anzuschauen. Gesagt, getan – kaufte ich am ersten Tag noch das Busticket, war ich am nächsten schon unterwegs nach Norden.

Blick auf Rio de Janeiro von der Cristo-Statue

Rio gefiel mir sehr gut und ich hatte auch meine Freude daran, mal wieder alleine zu reisen. Selbstverständlich schaute ich mir die Cristo-Statue an und ließ die Wellen der Copacabana gegen mich brausen, aber ich lernte auch im Museu Histórico Nacional einiges über die Geschichte Brasiliens und Rio de Janeiros. Beinahe einen ganzen Tag verbrachte ich auch im Botanischen Garten der Stadt, den ich jedem Besucher, der sich für Pflanzen (und Tiere) interessiert, nur ans Herz legen kann. 

In Rio kam ich natürlich nicht drum herum, mich mit anderen Freiwilligen zu treffen, die hier entweder ihren Freiwilligendienst absolvieren oder für das Neue Jahr angereist waren (z. T. aus Argentinien und Paraguay!).

Das Jahr wechselte für mich unter spektakulärem Feuerwerk an der Copacabana.

Blick auf die Copacabana aus Süden

Am 01. Januar ging es dann wieder zurück nach Itajobi, ich verbrachte noch ein paar wenige Tage bei der Familie und am 03. ging es schon wieder weiter nach Atibaia. Da ich mir vor meinem Rückflug noch São Paulo anschauen wollte, nahm ich den Bus dorthin und verbrachte noch zwei Tage in der größten Stadt Brasiliens. Auch hier traf ich mich wieder mit einigen Freiwilligen. Highlights meiner Zeit in São Paulo waren neben der Pinacoteca, die spannende Künstler:innen wie Marta Minujín und Cao Fei ausstellte, die Kirche São Bento und das japanische Viertel Liberdade, wo man sich wie in Fernost fühlt. São Paulo hat die größte Gemeinschaft Japaner außerhalb von Japans, denn Anfang des 20. Jahrhunderts kamen viele Einwanderer hierher, um auf den Kaffeeplantagen zu arbeiten. Die Lebensrealität dieser Einwanderer und den Werdegang der japanischen Bevölkerung in Brasilien zeigt das Museu Histórico da Imigração Japonesa no Brasil.

Obwohl ich viele interessante Dinge auf meiner kleinen Brasilienreise erleben konnte, war ich jetzt am Ende doch froh, wieder nach Uruguay zurückzukehren. Auch in Fray Bentos hatte sich einiges geändert, so hatte ich mittlerweile drei Mitbewohner:innen mehr, doch darüber vielleicht ein andermal. 

In 48 Stunden nach São Paulo

Mit den Weihnachstagen ganz nah, mache ich mich zu meiner nächsten Reise auf: Ich treffe meinen Onkel und meine Tante in Brasilien und meine Reise dorthin ist eine kleine Odyssey. 

Der zentrale Busbahnhof Tres Cruces in Montevideo

Schritt 1 ist natürlich eine Fahrt nach Montevideo, denn wenn man von Uruguay aus irgendwohin möchte, ist das immer der Anfang. Aktuell ist das Wetter wieder schlecht und es regnet viel. Auch dieses Mal präsentiert sich Montevideo grau und wolkenverhangen und damit im perfekten Wetter für einen Museumsbesuch. 

Im Museo de Artes Visuales werden vor allem uruguayische Künstler:innen des 19. und 20. Jahrhundert ausgestellt, die sich gegenseitig beeinflusst hatten und deren Kunst aufeinander aufbaute. Besonders gut gefällt mir ein Stil, den das Museum als Planísmo Urugayo bezeichnet, bei dem vor allem Pastellfarben mit breiten Strichen oder in Flächen aufgetragen werden. 

Abends geht es dann mit dem Bus Richtung Porto Alegre. Da der Busfahrer die Einreise nach Brasilien regelt, muss man seinen Pass bei ihm abgeben, was mir doch ein mulmiges Gefühl bereitet, aber an sich ist die Fahrt sehr angenehm und es gibt sogar Snacks (und am Ende meinen Pass zurück). 

In Porto Alegre werde ich dann direkt von zwei Freiwilligen begrüßt, die ich über die anderen Kulturweitler, die leider keine Zeit hatten, kennengelernt habe. Die beiden zeigen mir die Stadt, die sehr schön und grün ist, aber auch furchtbar warm, vor allem im Kontrast zum verregneten Uruguay. 

Mittags treffen wir dann auch noch zwei von den anderen Kulturweitlerinnen und essen zusammen Açai, die beiden müssen dann aber auch bald wieder los, um Wäsche zu machen – eine wichtige Reisevorbereitung, die man nicht zu lange aufschieben sollte, besonders wenn die Waschmaschine nicht mehr schleudert. 

Den Abend und die Nacht verbrachte ich dann am Flughafen in Porto Alegre, da mein Flieger erst früh am Morgen gehen würde. Die Nacht schlug ich mir mit Tagebuchführen, Podcast-Hören und Podcast-Schneiden um die Ohren. 

Während ich so im Food Court saß (mitten in der Nacht, wie ich nochmals betonen möchte), kam ein Mädchen von vielleicht 14 Jahren (+/-) auf mich zu, sprach mich auf Portugiesisch an und reichte mir ein gefaltetes Blatt. Verwirrt öffnete ich dieses und damit hatte ich auch den Kontext erhalten, was sie etwa gesagt haben könnte: Sie hatte mich gezeichnet und mir die Zeichnung vermacht! Ich fand zunächst einmal ihre künstlerischen Fähigkeiten sehr beeindruckend und fast mehr noch ihren Mut, mir die Zeichnung zu überreichen. 

Etwa um 6 Uhr ging dann mein Flug, nach vielleicht anderthalb Stunden landete ich in São Paulo und wurde dort von meinem Onkel und einem seiner Freunde, der in Brasilien wohnt abgeholt. Wir verbringen jetzt zwei Tage in Atibaia, wo besagter Freund wohnt, und fahren dann ins Inland zur Familie meiner Tante.