„Wir lassen etwas von uns zurück, wenn wir einen Ort verlassen, wir bleiben dort, obgleich wir wegfahren.“
– Nachtzug nach Lissabon, Pascal Mercier
Es bleibt ein Etwas von dem Gefühl, dass da war, bevor es benannt, erkannt und wiederholt wurde. Ich komme immer wieder zurück und bewege mich nicht.
Alles ist anders, etwas ist noch da.
- Das Dreieck aus Zuhause, Kleidung und Pfirsichtee
Die Straße hat keinen Bürgersteig hier. Kokosnüsse stapeln sich in den Hauseingängen und Menschen in Schlafanzügen blicken in den Verkehr. Am Ende der kurzen Gasse ist ein weißes schmales Haus. Durch das Fenster in der zweiten Etage kann man jedes Moped und Hahnkrähen hören. Auf dem Dach sieht man den Mond und es lebt sich hier gut. An der Mündung der Gasse in die Straße, ist ein kleiner Laden der Kleider und Blusen verkauft, die schon eine Geschichte haben. Eine freundliche Frau sitzt im Schneidersitz auf dem Boden und spielt, wenn du kommst auch deine Lieblingslieder. Falls du hungrig bist und die Zeit dein Glück ist, gehe auch in die Gasse gegenüber. Auf Metallhockern kannst du Tofuskulpturen und Gesprächsfetzen kosten. Die Luft ist zu dünn, für Lärm und Abgase. In dem Cafe mit dem B findest du Ruhe und Pfirsicheistee. Auf dem Holztisch kannst du aufschreiben, was du erlebst.
Die Koordinaten:
B´s Coffee – 23B Trần Quang Diệu, Phường 13, Quận 3, Hồ Chí Minh, Vietnam
Com Chay – neben 59 Trần Quang Diệu, Phường 13, Quận 3, Hồ Chí Minh, Vietnam
Em – 2nd Handladen – 14d Tran Quang Dieu, Quan 3



- Kafka teilt eine Passion mit uns
Es war nach einem Tag im Wasserpark, als wir an Marvins Geburtstag zum ersten Mal hierhin kamen und das Passionsmousse sich uns offenbarte. Oh, Prem – du wurdest die Oase für sonntägliche Zweifel, Wiedersehensessen, Abschiedsmahlzeiten und Weihnachtsfeiern. Auf deinen Kissen lagen und lachten wir uns durch die Geschmäcker. Dieser Ort sind die Menschen – die Menschen der Ort – wir waren hier – immer wieder – wir bleiben noch hier.
Kafka würde seinen Ohren nicht trauen, wenn er unsere Dichtkunst aus dem Obergeschoss hören könnte. Doch keine Sorge, er ist viel zu beschäftigt mit Kuchenessen.
Die Oase erreichen:
Prem Bistro und Kafka Café: 204 Nguyễn Đình Chiểu, Phường 6, Quận 3, Hồ Chí Minh
- Ein Haus voller Treppen und Bühnen
Hinter der unscheinbaren Fassade verbirgt sich ein dunkles schmales Treppenhaus. An den Wänden sind Graffiti und wenn man aus den dreckigen Fenstern blickt, sieht man die Hochhäuser wie Außerirdische – in die Idylle eindringen. Fern ist diese grelle Außenwelt hier, zwischen 2nd Hand Läden, Wohnungen, Cafes und Wäscheleinen. Einige Nebengänge scheinen ganz verlassen und nur erahnen kann man, was hinter den verschlossenen Türen noch entsteht. Irgendwo findet sich hier auch eine Bühne – für Ideenskizzen oder Gitarrengesang – zwischen rissigen Tapeten und Kordsofas – ist noch Platz.
Das Haus betreten:
14 Tôn Thất Đạm, Phường Nguyễn Thái Bìn, Quận 1, Hồ Chí Minh

- Die Lösung für alles und Hunger – Smoothie und Supreme Master TV
Fast schon schüchtern warten in der kleinen Gasse die Glasfenster der Phuc Quan Chay auf den Zufall, der dich hierher bringt. An den vier kleinen Holztischen wird dir dann das vegane Essen serviert, welches du dir erträumt hast, während langer Schulstunden oder heißer Vormittage. Pad Thai, Sommerrollen, Pilz-Barbecues und Crepes mit Eis – hier gibt es alles was dein schwitzender Körper begehrt. Wie in einem Wohnzimmer sitzt du da und schlägst dir den Bauch voll. Schielst nur manchmal verstohlen auf den Fernseher – Supreme Master TV. Diese Bewegung ist nicht nur hier in Vietnam sehr verbreitet. „Supreme Master“ nennen sie Ching Hai, welche Botschaften zum friedvollen Umgang mit der Erde und sich selbst, verkaufswirksam an die Welt entsendet. Überall findet man im Innenraum Fotos und Bücher von ihr. Es ist ein spannendes, wenn auch zunächst für mich recht irritierendes Phänomen, diese Anhängerschaft. Oft dachte ich bei einem Mangosmoothie auf der anderen Straßenseite, im absolut besten Smoothieladen der Stadt*, noch über diese neue Art der Religion für die Umwelt, nach. Ich wunder mich aus meinem Plastikbecher schlürfend, über die riesigen Kontraste.
*bestätigt durch Leonies aufopferungsvolle Selbstversuche, mit bis zu fünf Mangosmoothies am Tag.
Den Hunger stillen:
Phuc Quan Chay – 95/32 Lê Thị Riêng, Phường Phạm Ngũ Lão, q 1, Hồ Chí Minh
Banana´s Juice Shop – 102 Lê Thị Riêng, Phường Phạm Ngũ Lão, Quận 1, Hồ Chí Minh

Und Nun?
Jeder Moment eine Erfahrung – eine Frage – ein Glück?
Wird das hier schon bald Erinnerung sein?
Wie soll ich aus all dieser materievergessenen Freude verkleidet als Aufregung, Sehnsucht, Vertrauen und Staunen – meine Geschichte entwirren. Entglitt mir doch zu aller erst schon die Zeit in den Lärm. Später dann verlor ich den Ort in das Uns. Nur damit dann auf dem Höhepunkt die Protagonisten verschwanden und der graue Himmel das einzig konstante war. Kein Kreis – keine Geschichte – nur viel zu viel Material. Es waren Tage wie Jahre und Wimpernschläge. Ich war allein mit dem Glück in der Fremde, die trug, als ich fiel. Ich badete in den Wellen unserer Strömung. In der Nacht blitzte es über der Stadt, die noch wach lag. Du und Sie und Er und Wir – in so vielen Kulturkostümen und immer wieder Ich. Ein Ich – mal mein Ich – erweitert und zerstreut in den Pausen zwischen den Zeilen – der Stille, wenn der Motor ausgeht und in den Lichtgesichtern.
Ich kann sie nicht schreiben – nicht reduzieren – nicht beenden.
Diese Realität hat zu viele Dimensionen für nur eine Geschichte.

































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Vier






Der nächste Tag beginnt viel zu früh, aber mit Vogelgesang. Erdnussbutter zum Frühstück an der Weide. Dann betreten wir offiziell Angkor, Unesco-Weltkulturerbe. Angkor bedeutet eigentlich nur Stadt. Sie umfasst 200 km², die Hauptstadt der Khmer. Die Khmer waren ein Volk von über 1 Mio. Menschen, die vom 9.-15. Jahrhundert hier siedelten. 1000 Tempel zwischen Hinduismus und Buddhismus bauten sie in den 6 Jahrhunderten. Dazu schufen sie eine beeindruckende Infrastruktur für ihr Großreich, welches sich auch über das heutige Laos, Vietnam und Thailand erstreckte. Die riesigen Wasserbecken (Barays) und die Tempelbauten, die Vishnu, Shiva, Brahman oder Ahnen geweiht sind, lassen erahnen wie gigantisch, technisch und künstlerisch versiert die Khmer waren. Denn die klimatischen Extreme von 6 monatiger Regen- und Trockenzeit stellten sie auf die Probe. Nur weil sie das Wasser beherrschten erblühte das Khmer-Reich kontinuierlich, gehörte zu den wichtigsten Imperien Südostasiens. Das Wasser, aber sorgte auch für den Niedergang des Reichs, über den immer noch viel spekuliert wird. 












Kindermönche, welche ich nur aus GEOlino Fotos kannte, kreuzen angekommen in Phnom Penh, fast minütlich meinen Weg. Der Buddhismus befindet sich im Aufschwung, so wie die Hauptstadt selbst. Überall Jeeps, Hochhäuser, Baustellen. Chinesische Flaggen. Die sozialistische Regierung auf ausländische Gelder angewiesen. Im Sommer ist Wahl. Doch viele wollen nicht wählen gehen. Die Opposition und freie Journalisten werden unterdrückt, verhaftet, ins Ausland verjagt. Der Premierministers Hun Sen, ist seit 1985 im Amt und führt die parlamentarische Wahlmonarchie an. Ob die Wahlen daran etwas ändern werden?
Kambodscha müht sich sehr aus der tiefen Schlucht seiner Vergangenheit zu klettern. Eine stabile Führung wird deshalb geschätzt, auch vom Ausland. Der Absturz begann am 17.April 1975. Die roten Khmer unter der Führung des „ersten Bruders“ Pol Pots „befreiten“ und evakuierten Phnom Penh. Die Städte sollten entvölkert werden. Menschen kollektiv auf dem Land leben, im Sinne eines Agrar-Kommunismus. Bildung wurde nicht nur abgewertet, sie wurde vernichtet. Eine Brille, eine Fremdsprache, weiche Hände, ein Mönchskleid oder ein falscher Blick – kosteten deshalb über 2 Millionen Menschen (ein Drittel der Bevölkerung) das Leben. Pol Pot selbst hatte, wie viele aus dem Führungskader des neuen demokratischen Kambodschas, in Paris studiert. Zeugnisse der „Säuberung“ sind die über 300 Killingfields überall im Land. Als ich auf dem bekanntesten Killingfield bei Phnom Penh stehe und den Geschichten der Überlebenden folge, kann ich nicht mehr fühlen. Ich suche die Menschlichkeit, an die ich glaube, suche sie im Kontext der Katastrophe. Es begann wohl schon vor dem 17. April. Damit, dass die Amerikaner, vermeintlich um die Belieferung der Nordvietnamesen aus Kambodscha zu stoppen, das Land mit 2 756 941 Bomben beschossen. Wahrscheinlich auch schon davor, mit der französischen Kolonialherrschaft. Die ausländischen Herren waren noch im Land, als vermehrt Jungendliche aus den armen ländlichen Regionen, sich den roten Khmer anschlossen, um ihr Land zurückzuerobern. Es waren ideologisierte Kindersoldaten, die die Menschen in Arbeitslager trieben. Die Ernte sollte vervierfacht werden. Tausende verhungerten. Es gab nicht genug Gräber für all die Toten. Fast vier Jahre später befreiten die Vietnamesen die Überlebenden, nachdem die roten Khmer versucht hatten ihr Territorium zu erweitern. Allerdings bestand die Gruppierung der roten Khmer aktiv an der thailändischen Grenze weiter bis 1998. Das Jahr in dem ich geboren bin. Die UN erkannte sie bis in die 90er als legitime Vertretung Kambodschas an. Der neue Staatsführer war von den Vietnamesen eingesetzt worden. Die Weltgemeinschaft hatte zugesehen, man hatte andere Probleme. Es gab vier Verurteilungen der Anführer der roten Khmer in Den Haag. Vier. Die meisten Funktionäre starben eines natürlichen Todes, viele waren, sind, an der nachfolgenden Regierung beteiligt. Die Unterdrücker wurden zu Nachbarn.


Quellen:

Der erste Abend in Saigon




