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Kambodscha – Eine Reise

Dann überqueren wir die Grenze. Zwei Gebäude am Straßenrand, ein neuer Stempel im Pass. Die Schilder nun in fremden Schriftzeichen, flackern genauso grell. Schlagloch Straßen und Stelzenhäuser vor dem Busfenster. Dahinter Felder, flaches Land. Wir sind in Kambodscha, nur drei Stunden von Saigon entfernt.
Kambodscha, ein Land, das nur einige vage fragwürdige Assoziationen hervorruft in uns. Reiseführerfakten können Kontur konstruieren: 16 Millionen Einwohner. Altersdurchschnitt 22 Jahre. Landessprache: Khmer. Ich schaue den Dörfern beim Vorbeiziehen zu und frage mich: wie man reisen kann in einem Land, welches laut Einkommensstatistik zu den ärmsten der Erde gehört. Platz 50 auf der Liste der fragilen Staatlichkeit, gleich hinter dem Iran. Platz 143 von 188 auf der Entwicklungsskala weltweit. Die drei häufigsten Todesursachen in Kambodscha sind: HIV, Verkehrsunfälle und Landminenexplosionen.

Ich schlucke.

Wie vier Millionen andere jedes Jahr, werde ich hier einfach Touristin sein. In einem Podcast über deutsche Backpacker, ekelt mich das Chaos, der unsicheren phrasieren Geschichten, über die authentische Erfahrung der Armut und des Selbst und die Partynächte im Hostel, an. Ich starre hilflos in mein müdes Spiegelbild im Fenster.

Nachdem es dunkel geworden ist, erreichen wir Siem Reep. Tuk-Tuk Fahrer warten mit einem Namensschild in der Hand auf uns. Den lauen Abendwind im Haar fühle ich Scham. Wir werden zu unserer Unterkunft am Rande der Stadt gefahren. Dieses Tuk-Tuk Gefühl, des westlichen Privilegs, wird mich die ganze Reise begleiten. Es ist absurd gefahren zu werden, einen privaten Fahrer zu haben, allzeit bereit. Ich trete koloniale Spuren breit.

Der nächste Tag beginnt viel zu früh, aber mit Vogelgesang. Erdnussbutter zum Frühstück an der Weide. Dann betreten wir offiziell Angkor, Unesco-Weltkulturerbe. Angkor bedeutet eigentlich nur Stadt. Sie umfasst 200 km², die Hauptstadt der Khmer. Die Khmer waren ein Volk von über 1 Mio. Menschen, die vom 9.-15. Jahrhundert hier siedelten. 1000 Tempel zwischen Hinduismus und Buddhismus bauten sie in den 6 Jahrhunderten. Dazu schufen sie eine beeindruckende Infrastruktur für ihr Großreich, welches sich auch über das heutige Laos, Vietnam und Thailand erstreckte. Die riesigen Wasserbecken (Barays) und die Tempelbauten, die Vishnu, Shiva, Brahman oder Ahnen geweiht sind, lassen erahnen wie gigantisch, technisch und künstlerisch versiert die Khmer waren. Denn die klimatischen Extreme von 6 monatiger Regen- und Trockenzeit stellten sie auf die Probe. Nur weil sie das Wasser beherrschten erblühte das Khmer-Reich kontinuierlich, gehörte zu den wichtigsten Imperien Südostasiens. Das Wasser, aber sorgte auch für den Niedergang des Reichs, über den immer noch viel spekuliert wird.

Die Tempelbauten sind als Referenz zum heiligen Berg Meru häufig Pyramidenartig gebaut. Die Hitze ist unerträglich. Doch oben angekommen blickt man auf ein Becken aus Bäumen aus dem einzelne Tempelspitzen hervorragen. Die Natur eroberte über Jahrhunderte die Tempel zurück. Diese magische Symbiose aus Zeit, Wurzeln und Ruinen macht einen Besuch besonders einzigartig. Fern der Touristenmassen strahlen die Bauten eine religiöse Ruhe aus. Irgendwo zwischen den restaurierten Mauern, Wurzeln und Reliefs scheint ein Geheimnis geborgen zu sein.

Umso schwerer fällt es wieder herauszutreten. Schweißüberströmt, überwältigt uns die moderne Realität. Kinder stürmen auf uns zu, wollen Postkarten, Getränke, Souvenirs verkaufen. Wir lächeln die Ungerechtigkeit an. Später kaufen wir Süßigkeiten, die wir dann doch nicht verschenken.

Abschiede und drei Tage später, erreichen wir den Markt von Battambang, Kambodschas zweitgrößter Stadt. Wir bummeln durch die kolonialen Gassen und am begrünten Fluss beobachten wir Schulkinder beim Ballspielen. Wir genießen, dass es absolut nichts zu sehen gibt in dieser Stadt. So können wir verweilen und naiv entdecken, zum Beispiel die Kunstgalerie „Romcheik 5 Artspace“, ein Ort an dem fünf junge Männer, die ihren thailändischen Menschenhändlern entflohen sind, ihre Kunst teilen. Ein Prozent der Kambodschaner ist Opfer des Menschenhandels. Sie werden nach China zwangsverheiratet, zur Prostitution oder Plantagenarbeit in Thailand gezwungen. Haben keine legale Einreiseberechtigung, so auch keine Rechte. Die zurückgebliebenen Familien brauchen das Geld und hoffen auf eine bessere Zukunft der Kinder im Ausland. Die Gesetze zur Einschränkung des Milliardengeschäfts bestehen in Kambodscha bereits, aber kaum jemand kann es sich leisten sie einzuhalten. Platz 156 von 175 im Korruptionsindex. Ich verstehe, verstehe nicht. 

Auch die Phare Zirkus Schule, welche wir am Abend besuchen, bemüht sich auf kreativen Wege zu befreien. Sie bietet benachteiligten Kindern eine kostenlose künstlerische Ausbildung. Einige treten später im Ausland auf oder touren mit dem Zirkus um die Welt. Sie schaffen den Absprung aus der armen Provinz, sie fliegen oft weit über die Grenzen Kambodschas hinaus.

Kindermönche, welche ich nur aus GEOlino Fotos kannte, kreuzen angekommen in Phnom Penh, fast minütlich meinen Weg. Der Buddhismus befindet sich im Aufschwung, so wie die Hauptstadt selbst. Überall Jeeps, Hochhäuser, Baustellen. Chinesische Flaggen. Die sozialistische Regierung auf ausländische Gelder angewiesen. Im Sommer ist Wahl. Doch viele wollen nicht wählen gehen. Die Opposition und freie Journalisten werden unterdrückt, verhaftet, ins Ausland verjagt. Der Premierministers Hun Sen, ist seit 1985 im Amt und führt die parlamentarische Wahlmonarchie an. Ob die Wahlen daran etwas ändern werden?

Ich würde so gerne die Demokratie verteidigen können.

Kambodscha müht sich sehr aus der tiefen Schlucht seiner Vergangenheit zu klettern. Eine stabile Führung wird deshalb geschätzt, auch vom Ausland. Der Absturz begann am 17.April 1975. Die roten Khmer unter der Führung des „ersten Bruders“  Pol Pots „befreiten“ und evakuierten Phnom Penh. Die Städte sollten entvölkert werden. Menschen kollektiv auf dem Land leben, im Sinne eines Agrar-Kommunismus. Bildung wurde nicht nur abgewertet, sie wurde vernichtet. Eine Brille, eine Fremdsprache, weiche Hände, ein Mönchskleid oder ein falscher Blick – kosteten deshalb über 2 Millionen Menschen (ein Drittel der Bevölkerung) das Leben. Pol Pot selbst hatte, wie viele aus dem Führungskader des neuen demokratischen Kambodschas, in Paris studiert. Zeugnisse der „Säuberung“ sind die über 300 Killingfields überall im Land. Als ich auf dem bekanntesten Killingfield bei Phnom Penh stehe und den Geschichten der Überlebenden folge, kann ich nicht mehr fühlen. Ich suche die Menschlichkeit, an die ich glaube, suche sie im Kontext der Katastrophe. Es begann wohl schon vor dem 17. April. Damit, dass die Amerikaner, vermeintlich um die Belieferung der Nordvietnamesen aus Kambodscha zu stoppen, das Land mit 2 756 941 Bomben beschossen. Wahrscheinlich auch schon davor, mit der französischen Kolonialherrschaft. Die ausländischen Herren waren noch im Land, als vermehrt Jungendliche aus den armen ländlichen Regionen, sich den roten Khmer anschlossen, um ihr Land zurückzuerobern. Es waren ideologisierte Kindersoldaten, die die Menschen in Arbeitslager trieben. Die Ernte sollte vervierfacht werden. Tausende verhungerten. Es gab nicht genug Gräber für all die Toten. Fast vier Jahre später befreiten die Vietnamesen die Überlebenden, nachdem die roten Khmer versucht hatten ihr Territorium zu erweitern. Allerdings bestand die Gruppierung der roten Khmer aktiv an der thailändischen Grenze weiter bis 1998. Das Jahr in dem ich geboren bin. Die UN erkannte sie bis in die 90er als legitime Vertretung Kambodschas an. Der neue Staatsführer war von den Vietnamesen eingesetzt worden. Die Weltgemeinschaft hatte zugesehen, man hatte andere Probleme. Es gab vier Verurteilungen der Anführer der roten Khmer in Den Haag. Vier. Die meisten Funktionäre starben eines natürlichen Todes, viele waren, sind, an der nachfolgenden Regierung beteiligt. Die Unterdrücker wurden zu Nachbarn.

Fassungslos reise ich weiter. Ich kann absolut nichts sinnvolles dazu denken. Wir fahren vorbei an den Textilfabriken heraus aus der Stadt.

Das Meer ist türkis und der Himmel blau. Der Sand so fein und weiß. Ich bin in einem Reisekatalog gestrandet. Kann endlich ein und ausatmen, es stinkt nicht mehr. Schnorchelnd stimuliere ich meine Sinne.

Flip-Flops, Plastikflaschen, bunte Kreise und dunkle Kanister werden am nächsten Morgen an den Strand gespült. In Pnom Penh wurde ich mitgenommen zu den Mülldeponien am Stadtrand, die einfach Berge sind an denen die Familien hausen, die den Müll sortieren. Absuchen nach Papier, Plastik, Metall, nach dem Dollar zum Überleben für heute. In einem Kindergarten, der versucht den Kindern der Müllsammlern einen alternativen Aufenthaltsort und den Einstieg in das Bildungssystem zu bieten, werde ich zum Mittagessen eingeladen und darf zuhören. Die intensive Arbeit der vielen NGO´s in Kambodscha ist bemerkenswert und sehr konfliktreich. Konflikte zwischen den NGO´s, der Bevölkerung, der Regierung. Dazu die Kapitalisierung des Waisenkindlächelns. Der Müllberg wird, wenn er zu hoch wird, zugeschüttet. Neues Bauland entsteht. Investoren warten. Vereinfachte Chronologie.

Ich fische zwei Plastikflaschen aus dem Ozean. Schwimme dann den Wellen entgegen. Was für eine Reise. Verunsicherte Touristenlogik.

Quellen:

Allgemeines:

https://de.wikipedia.org/wiki/Kambodscha

Reiseführer: Kambodscha – National Geographic, Marco Polo

Müll:

http://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/kambodscha-ueberleben-im-muell-13495228/seu-ist-13-jahre-alt-mit-13495246.html

Politik:

Podcast – hr.info (26.12.2017) – „Zeitenwende in Kambodscha?“ – Holger Senzel

https://www.asienhaus.de/fileadmin/uploads/soai/Zeitschrift_SOA/2014/2014-3/SOA_2014-03_karbaum_markus_web.pdf

https://de.wikipedia.org/wiki/Hun_Sen

Menschenhandel und Kinderarmut:

https://www.swr.de/swr2/programm/sendungen/wissen/kambodscha-menschenhandel/-/id=660374/did=19420334/nid=660374/ipcuv4/index.html

https://www.tagesspiegel.de/themen/reportage/menschenhandel-in-kambodscha-verschleppt-und-versklavt/20161924.html

Podcast: Weltspiegel (10.07.2017) – Kambodscha: Eine Zirkusschule als Sprungbrett fürs Leben

Geschichte:

Khmer:

https://en.wikipedia.org/wiki/Angkor

https://de.wikipedia.org/wiki/Khmer_(Volk)

Rote Khmer:

https://de.wikipedia.org/wiki/Rote_Khmer

Film und Buch: „First they killed my father“ – Regie: Angelina Jolie, Autor: Loung Ung

Film: „The killing fields“- Regie: Roland Joffé

Podcasts über das Reisen in Kambodscha:

WDR Weltweit (07.08.2017) – „Zwischen Karma und Koma: Mit dem Rucksack durch Kambodscha“ – Norbert Lübbers, Ullrich Bentele

hr.info (18.06.2017) – „Kambodscha 2017: helfen und Erinnern. Wie ein traumatisiertes Land wieder aufstehen kann“ – Daniella Baumeister

Statistiken:

http://fundforpeace.org/fsi/data/

http://www.kambodscha.don-kong.com/2014/12/07/kambodscha-im-korruptions-index-2014-verbessert.html

http://hdr.undp.org/en/composite/HDI

 

 

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