Leaving Leőwey (magyarul, deutsch)

Sziasztok!

Probalok magyarul írni, mert szeretném hogy minden magyar ismerősöm a Leőweyben, aki szeret, tud megolvasni azt:

Tegnap volt az utolsó hivatalos munkanap a Leőweyben és en kellett mondani „Viszontlátasra“ mindenkinek. Bisztos vissza fogok jönni és bisztos megtalálkozni néhany kollégámmal a nyáron, de most nem tudom kivel és azért egy kicsit szomorú vagyok, mert tölttem a tényleg nagyon jó időt itt az aranyosok kóllegákkal.

Az előzők hétekben sok utolsók eseményék volttak – például az utolsó fáradt „Guten Morgen“ („Jó reggelt“) egy ostályiban, az utolsó óra, az utolsó iskólánap diakokkal. És az is szomorú volt, mert nem csak a kollégaim, de az édesek diakaim is fogok hyiánzik nekem.

Emelett most nem befejezték az utolsók események; lesznek meg az utolsó beszelgetni magyarul az utcán, az utolsó pizzazni a lakótársammal vagy az utolsó sétalni a Széchényi Téren…

Térmészetesen az nem végül lesz, de a pillanaton. És az éleg szomorú… De szerencsere helyette fog jönni masik új dologok amik is jók lesznek.

Most csak szeretnék megköszönni mindenkinek az iskolában – az jó ismerősöket és baratomaimat – köszönöm egy szuper időt: a néhez és a könnyü feladatokot, az érdékes tapasztalatat, a megbeszéléset és a nevetéset…

Tényleg nagyon fogtak hyiánzik nekem!

Puszi

Silja

PS: A következő szövég, ami írtam tulajdonképpen az iskolá újságotra, mond egy kicsit részletesenebb amit csináltam a Leőweyben, miért jöttem ide magyarországon, mit tetszik és fog hyiánzik nekem a legtöbbet, mit szeretnék csinálni most az önkéntes évet útán és más. De az sajnos németül van, mert, még ha nekem nagyon tetszik a magyar nyelv és szeretnék megtanulni azt, most sajnos nem beszélek éleg jól, hogy tudok írni valamit néhezebb mint azt magyarul.

PPS: Tulajdonképpen akartom azt adni a lakótársamnak, hogy ő tud korrigálni a hibák – és vannak sok, az bisztos – de ő mondat hogy cukik vannak, akkor nem korrigáltunk semmit…


Eine kleine Verschnaufpause vor dem Pécser Dom

Hallo du,

hast du letztes Schuljahr im Leőwey auch manchmal ein Mädchen gesehen, das morgens noch halb im Schlaf auf das Deutschlehrerzimmer zutaumelte, den Kopf schieflegte und angestrengt die Stirn runzelte, wenn Ungarisch gesprochen wurde, oder vor Freude strahlte, wenn es mit den Schülern lachen konnte? Klang aus einigen Klassenzimmern manchmal vielleicht zu lautes Rufen oder Musik von Alligatoah?

Dann war das vermutlich ich.

„Silja Heidbrink és egy német önkéntes iskolában vagyok.“

Das Wort „önkéntes“ lernte ich wohl etwa zur gleichen Zeit wie „Jó napot!“ – Doch obwohl ich sogar auf Ungarisch sagen konnte, was ich in Ungarn mache, wurde es selten wirklich verstanden.

Denn was macht so eine Freiwillige eigentlich? Habe ich Lehramt studiert, bin ich eine Lehrerin? Warum wollte ich gerade nach Ungarn kommen? Gefällt es mir hier, lerne ich Ungarisch? Was möchte ich später machen?

Zuerst einmal: Nein, ich bin keine Lehrerin, ich habe noch nicht studiert, sondern bin erst 18 Jahre alt und habe letztes Jahr mein Abitur in Deutschland gemacht. Danach wollte ich, wie so viele junge Menschen, etwas von der Welt sehen, ich wollte reisen, entdecken, andere Menschen kennenlernen, mich selber finden – das volle Programm.

Um ehrlich mit euch zu sein, an Ungarn hatte ich dabei nicht gedacht. Aber meine Organisation, kulturweit, bietet jedem Bewerber nur eine einzige Stelle in einem Land unserer großen weiten Welt an. Mir wurde Ungarn vorgeschlagen, und da dachte ich plötzlich: „Warum denn nicht?“

Und so kam ich hierher und habe es keine Sekunde bereut, denn ich liebe Ungarn, Pécs und all die wunderbaren Menschen, die ich hier kennenlernen durfte!

És tanulok magyarul is, mert szeretnék beszélni magyar emberekkel és a magyar egy gyönyörü nyelv. Nagyon imádom.

Aber nun zurück zu der Frage, was eine Freiwillige macht, oder auch konkreter: Was mache ich hier am Leőwey? Die Antwort ist: vieles und auch mal nichts. Spannendes und auch mal Langweiliges. Sinnvolles und auch mal Unsinniges.

Ich unterrichte Grammatik – ja, auch das muss sein -, aber lieber spiele ich mit den Schülern Activity oder quatsche mit ihnen über Gott und die Welt (oder vielleicht eher über Szabolcs und die Schule). Ich korrigiere Texte oder Hausaufgaben und übe mit den Schülern für Prüfungen. Ich kopiere aber auch mal Zettel oder hole das Essen für uns Lehrer.

Kurzum – ich versuche zu helfen, wo und wem ich kann.

Und ich bin euch wirklich dankbar für die vielen großen und kleinen Dinge, mit denen ihr mich täglich zum Lächeln bringt:

Sei es der Moment, wo beim Improvisationstheater mit meiner Deutschgruppe aus der 9kn imaginär die Musik angemacht wird und im Nebenraum tatsächlich Musik angeht (magic exists); Tee trinken mit meinen zwei Lieblingsmädels aus der 10f; die 9a, die mir plötzlich spontan ein ungarisches Volkslied vorsingt; die Deutschgruppe aus den Neunten, bei denen ich einige Wochen im Winter regelmäßig den Unterricht vertrat und die sich immer so freuten, mich zu sehen; oder die vielen ernsten und weniger ernsten Gespräche mit den älteren Schülern – im Unterrricht, in Kleingruppen in der Bibliothek oder auch in einer Kneipe –, selbstverständlich nur mit Fanta oder Cola!

Aber um auch meine Kollegen hier nicht zu vergessen: Danke für die mir immer wieder mitgebrachte Schokolade oder die gehäkelte Blume, die eines Morgens auf meinem Tisch lag: „Ich habe für meine Kinder welche gemacht und ich dachte, du freust dich auch“; das Lächeln, das ich an der Pforte geschenkt bekomme und das Lachen zusammen mit Lehrern aus ganz anderen Ecken der Schule, Physik zum Beispiel – etwa über meine Versuche, Ungarisch zu reden; die vielen Diskussionen über so verschiedene Themen, wie Lehrer verschieden sind; das Vertrauen, das ihr in mich gesetzt habt; und all die bunten Ereignisse: unsere Lehrerpolka bei der Bandweihe etwa, mit allem, was dazugehörte – von den Proben bis hin zum Kauf eines Dirndls -, oder die wunderbaren Abende zusammen bei Feiern und nicht zuletzt natürlich die zwei Fahrten nach Graz, insbesondere die Lehrerfahrt.

Und, liebe Schüler – lasst euch eines gesagt sein: Lehrer sind, tatsächlich, ehrlich, keine Lüge, auch nur Menschen. Sie sind nicht immer gut gelaunt, manchmal sicher ungerecht oder wütend, aber eigentlich meist wirklich nett, humorvoll und intelligent. Genau wie ihr also, nur älter.

Während ich diesen Text schreibe – lange Zeit,  bevor ihr ihn lest -, liegt das Schuljahr in den letzten Zügen, rückt mein Abschied immer näher. Und auch wenn ich mich darauf freue, meine Familie und Freunde daheim in Deutschland wieder etwas regelmäßiger zu sehen, so bin ich doch gerade vor allen Dingen traurig:

Ungarn; das Leőwey; meine niedliche kleine Wohnung und meine ungarische Mitbewohnerin; die gefühlt immer sonnige Belváros (ich komme aus Norddeutschland; Regen ist unser bester Freund); Kollegen, Freunde; Schüler, die begeistert „Hallo Silja!“ rufen; kleine, aber schöne Reisen durch ein kleines, aber schönes Land, mal allein, mal mit Freunden aus Ungarn, Deutschland oder ganz anderen Ländern; den ständigen Wechsel zwischen Deutsch, Englisch und Ungarisch und manchmal sogar Französisch („Nagyon magnifique von euch“), die in meinen Ohren wiederklingende Ansage im Bus „Ez a 2/2A Uránváros felé“; der Pálinka, dem aus dem Weg zu gehen unmöglich ist; meine Versuche, Ungarisch zu reden, und meine geduldige Sprachlehrerin; mein häufig besuchtes liebenswertes Budapest und die Bekanntschaften, die ich auch dort gemacht habe; die EINMALIGEN anderen Kulturweitler; das Gefühl, immer spontan irgendwo vorbeikommen zu können…

All das werde ich nun bald hinter mir lassen, zusammen mit einem ordentlichen Stück meines Herzens.

Aber ich komme wieder!

Wenn auch nur für einen Besuch – doch ich vermisse euch bereits jetzt alle, also sage ich Viszontlátasra und nicht Hélo, während in meinem Kopf leise Cat Stevens singt:

„Oh very young, what will you leave us this time
You\’re only dancin\‘ on this earth for a short while
And though your dreams may toss and turn you now
They will vanish away like your dad‘s best jeans
Denim blue, faded up to the sky
And though you want them to last forever
You know they never will
(You know they never will)
And the patches make the goodbye harder still“

Bleibt so tökjó, wie ihr seid!

Eure Silja

Ungarn und Europa. Ungarn und Europa?

Sonnenschein, warme Luft, Freitagmittag: Eiszeit.
Der perfekt unperfekte Moment, um über Politik zu sprechen.

Oft bereits wurde mir als einer deutschen Freiwilligen, die für ein Jahr in Ungarn lebt, die Frage gestellt, wie die Einstellung der ungarischen Bürger zu Europa ist. Ich selber habe mich mittlerweile viel mit dieser Frage beschäftigt. Es liegt mir sehr am Herzen, diese Frage so gut und so fair, wie es mir möglich ist, zu beantworten.

Im Folgenden möchte ich auf drei Punkte eingehen:

  1. Wie ist die Einstellung der Ungarn zu Europa?
  2. Welche Maßnahmen ergreift Orbán, und wie arbeitet er?
    Wie findet das Volk ihn, seine Partei und deren politische Richtung?
  3. Was denken Ungarn über die Flüchtlingsproblematik?

Zuvor ist es mir noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass alle hier geschilderten Erfahrungen, Meinungen o.ä. ausschließlich auf meinen eigenen Erlebnissen basieren und dieser Bericht außerdem, besonders aufgrund der Tatsache, dass ich mich zumeist in einer einzelnen Gesellschaftsschicht – dem Bildungsbürgertum – bewege, nur ein unvollständiges Bild voller Lücken und offen bleibender Fragen zeichnen kann. Ebenso wenig wie „den Deutschen“ oder „die Deutschen“ gibt es schließlich „den Ungarn“ oder „die Ungarn“ – alles, was ich im Folgenden schreibe, sind notwendigerweise Verallgemeinerungen, die weder dem einzelnen Menschen noch der komplexen Situation wirklich gerecht werden können.

Dennoch ist es meiner Meinung nach essentiell, einen Eindruck von der aktuellen Situation in Ungarn und der ungarischen Mentalität zu bekommen, um die Gedanken und Gefühle der Menschen hier nachvollziehen zu können.

Im Allgemeinen handelt es sich bei Ungarn um ausgesprochen fröhliche, gastfreundliche und hilfsbereite Menschen, die es jedoch in der Geschichte wie auch heutzutage nicht immer leicht hatten/haben. Sie sind – vermutlich aufgrund einer Vergangenheit, in der Ungarn regelmäßig als Spielball zwischen verschiedenen Mächten diente; oft ungerecht behandelt und zerrissen wurde – auf ihre Identität als Ungarn und somit ihre Nationalität stolz und sehr traditionsbewusst.

Die Familie hat in Ungarn eine zentrale Bedeutung, und die Kleinheit des Landes schützt die Menschen davor, sich aus den Augen zu verlieren. Auch Leistung ist wichtig, ist sie doch der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Aufgrund dessen stellen in den Schulen wie auch auf den Universitäten regelmäßige Wettbewerbe einen Grundbestandteil der Ausbildung dar. Junge Ungarn blicken oft eher desillusioniert in die Zukunft, konzentrieren sich mehr auf messbare Erfolge und Ergebnisse, nicht so sehr auf Träume. Sie entscheiden sich für Sicherheit und gegen Risiken – der klassische Zukunftstraum: ein guter Beruf und ein schönes Haus, um der kleinen Familie ein gutes Leben bieten zu können. Hierzu werden sie durch Eltern und Großeltern, auch aufgrund deren eigener Erfahrungen, ermutigt. Gerade die ältere Generation verfügt oft nur über geringe Mittel, vielfach zu gering zum Leben – die Renten sind niedrig und die Unterstützung durch den Staat nur in Maßen, wenn überhaupt, gewährleistet.

Auch der arbeitsfähige Teil der Bevölkerung hat keine Möglichkeit, etwa beim Verlust des Arbeitsplatzes Unterstützung zu bekommen: Ein Arbeitsloser ist – nach wenigen Monaten, in denen er Arbeitslosengeld erhält, jedoch oft kaum eine neue Anstellung finden kann – auf sich allein gestellt. In Ungarn herrscht teils, besonders auf dem Lande, noch immer große Armut; Häuser sind baufällig, Kinder schwänzen die Schule, und es mangelt an so Essenziellem wie ausreichenden Lebensmitteln. Das wenige Vorhandene wird aber stets großzügig und stolz geteilt. Auch Neues wird in Ungarn freundschaftlich und interessiert, allerdings eher leicht distanziert aufgenommen.

  1. Wie ist die Einstellung der Ungarn zu Europa?

Wie in jedem Land gilt auch hier: Verschiedene Leute, unterschiedliche Meinungen. Allgemein aber sieht vor allem die jüngere Generation Europa zumeist positiv und als eine wunderbare Chance, eine Gemeinschaft voller Möglichkeiten, deren Erhalt wichtig ist. Dass Ungarn an einem Austritt aus der EU interessiert ist, ist nicht mein Eindruck – der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit der einzelnen Länder im Rahmen der EU ist zwar spürbar und wird auch von der Regierung propagiert. Die Vorteile der EU liegen aber auf der Hand; gerade für die schwächeren Mitgliedsländer, und dies ist auch den meisten Ungarn deutlich bewusst. Woher rührt also diese Angst vor gemeinsamen Entscheidungen, vor Autonomieverlust? Die Antwort liegt vermutlich in der Geschichte des Landes; wachgerufen wurden das Misstrauen gegenüber Europa und die Abwendung von gemeinsam beschlossenen Maßnahmen durch die Flüchtlingsproblematik (siehe Punkt drei).

  1. Welche Maßnahmen ergreift Orbán und wie arbeitet er?
    Wie findet das Volk ihn, seine Partei und ihre politische Richtung?

Orbán Viktor ist der Parteivorstand der konservativen, jedoch nicht rechtsextremen Partei Fidesz und seit 2010 erneut Ministerpräsident Ungarns. Zuerst ist es mir wichtig, zu betonen, dass die deutsche Berichterstattung zumeist spürbar voreingenommen über die ungarische Politik berichtet, wie auch im Gegenzug die ungarische Berichterstattung über die europäische und besonders die deutsche Politik. Eine deutliche Beeinflussung der Bürger beider Länder durch die jeweiligen Medien ist in Bezug auf diese Thematik in beiden Ländern gegeben, was es schwer macht, objektive Informationen zu erhalten. Bei den ungarischen Bürgern hat dies zwei deutlich wahrnehmbare Konsequenzen: Einerseits ist da ein Gefühl der ungerechten Behandlung, der Stigmatisierung und des Nicht-Verstanden-Werdens durch die (west-)europäischen Nachbarn im Allgemeinen und die Deutschen im Besonderen, was den perfekten Nährboden für eine Abneigung gegenüber der EU und das Driften in eine rechtsextreme Richtung bietet. Andererseits führt die einseitige Berichterstattung in Kombination mit der rechten Propaganda der Regierung unter einem großen Teil der Bevölkerung zu einer sich festsetzenden, von Vorurteilen und Falschinformationen geprägten Meinung. So wird vielfach etwa angenommen, dass sich in Deutschland die Missstände mehren und – salopp formuliert – das Land aufgrund der vielen dort aufgenommenen Flüchtlinge langsam im Chaos versinkt.

Wieso aber propagieren Orbán und seine Partei einen rechten Standpunkt, handelt es sich doch bei Fidesz nicht um eine rechtsextreme Partei? Orbán greift hiermit gekonnt eine sich im Land abzeichnende Stimmung auf, kommt der rechtsextremen Jobbik-Partei entgegen, hält sie somit als politischen Gegner klein und sichert sich Macht. Orbán provoziert gekonnt und kennt seine Grenzen. Im Land wird er deshalb nicht unbedingt negativ aufgenommen, jedoch auch nicht glorifiziert. Im Allgemeinen spielen sich meinem Eindruck nach die Machtspiele der Parteien eher im Hintergrund ab, das Interesse für Politik ist oft eher klein und es fehlt an ausreichender Wissensvermittlung, an Informationen. Umso sichtbarer sind im Gegenzug die Propagandamaßnahmen der Fidesz- oder der Jobbik-Partei. Zurzeit etwa sind überall Plakate mit dem Aufdruck „Stoppt Brüssel“ zu sehen. Diese beziehen sich erneut auf die Flüchtlingsproblematik. Orbán tritt durchaus für einen Verbleib in der EU ein, aber auch für mehr Autonomie der einzelnen Länder innerhalb selbiger. Besonders wirtschaftlich sieht auch er aber die Mitgliedschaft in der EU als äußerst wichtig an. Seit einigen Wochen hat sich Orbán allerdings insbesondere unter jungen Akademikern äußerst unbeliebt gemacht – mit dem Versuch, über die Einführung eines neuen Gesetzes (das Verbot ausländischer Universitäten ohne Sitz in ihrem Heimatland) die in Budapest ansässige amerikanische CEU (Central European University) zu verbieten, also zwangszuschließen. Dies wurde als ein Angriff auf die Bildungsfreiheit aufgefasst, und in wiederholten Demonstrationen gingen tausende junge Ungarn auf die Straße, um ihren Unmut und ihre Entrüstung zu zeigen.

  1. Was denken Ungarn über die Flüchtlingsproblematik?Wenden wir uns nun der Frage zu, auf die auch die vorigen Punkte letztendlich hinausliefen. In Ungarn ist tatsächlich eine große Abneigung gegenüber Flüchtlingen spürbar. Diese baut sich auf begründeten genauso wie auf unbegründeten Ängsten auf. Es ist Tatsache, dass in Ungarn verglichen etwa mit Deutschland teils noch immer große Armut herrscht, besonders Sinti und Roma sind oft schlecht ausgebildet und haben somit keine Zukunftschancen; viele sind arbeitslos und leben in schlechten Zuständen. Dies liegt auch darin begründet, dass bereits die Kinder meist schlecht ausgebildet und unzureichend gefördert werden – ein Thema für sich, aber ein wichtiges Beispiel dafür, dass das Land viele innenpolitische Probleme und Baustellen hat, die behoben werden müssen. Viele Ungarn fühlen sich daher mit der zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen im Land überfordert; sie befürchten eine sich ausbreitende Unzufriedenheit unter den Aufgenommenen, die nach einer Weile feststellen würden, dass sie keine Zukunft in Ungarn haben.

Auch besteht vielfach die Angst vor einer Überfremdung, einem Verlust der ungarischen Mentalität, des ungarischen Lebensgefühls. Auch hier ist der Grund für diese Angst in der Geschichte des Landes zu suchen, einer Geschichte, die durch Fremdherrschaften geprägt ist, seien es nun die Türken, die Österreicher oder die Sowjetunion. Dabei handelt es sich bei Ungarn tatsächlich um ein zutiefst multikulturelles Land – kaum ein Ungar ohne Vorfahren oder Freunde aus einem anderen Land wie etwa Österreich, Kroatien oder der Slowakei. Allerdings sind alle diese Länder mental wie auch geographisch Ungarn „näher“. Im Allgemeinen sind Ungarn wie bereits erwähnt ausgesprochen gastfreundlich, zumindest so lange keine Angst vor Einmischung, dauerhaftem Bleiben oder auch allzu großer Fremdheit besteht. Vielleicht lässt sich Ungarn mit einer kleinen Familie vergleichen, die Gäste zwar freundlich aufnimmt, jedoch auch froh ist, sobald sie schließlich wieder fort sind und die Familie in ihren gewohnten Rhythmus und ihre vielfältigen kleinen Traditionen zurückkehren kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbesondere Deutschland und Ungarn in Bezug auf die Fragen nach einer europäischen Politik und Identität, einer nationalen Selbstbestimmung, einer Aufnahme von Flüchtlingen oder einem Einreiseverbot usw. tatsächlich recht kontroverse Einstellungen und Gefühle vertreten. Wichtig ist, zu versuchen, sich von einseitiger Berichterstattung abzuheben, zu versuchen, Verständnis für die jeweils andere Meinung aufzubringen und den offenen Dialog zu suchen. Anstatt uns über dieser Frage zu entzweien, sollten wir versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden, den Argumenten des Gegenübers zuzuhören und uns dann auf der Basis unserer eigenen Recherchen, nicht aber auf der Basis medialer Beeinflussung, unsere eigene Meinung zu bilden.

In diesem Sinne wünsche ich dir und allen Menschen auf dieser Welt ein schönes Wochenende, geprägt von entspanntem Miteinander, spontanem Lachen und lieben Worten.

Grüße aus dem warmen Juniungarn

Silja

Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet

Mittlerweile gehört über die Hälfte meines Freiwilligendienstes der Vergangenheit an.

Auch wenn ich hier auf meinem Blog im letzten Artikel noch über die Weihnachtszeit berichtet habe, so sind doch auch bereits der Januar, Februar und bald der März Geschichte; ich blicke zurück auf kalte Tage, von draußen lacht die Sonne herein; es ist warm geworden. Hinter mir liegen Bandweihe und Abschlussball, auch Schwabenbälle und der Ball des französischen Klassenzuges, Gedenkfeiern, ein weiterer Nationalfeiertag – der 15. März -, ich war Juror bei Wettbewerben wie JdI (Jugend debattiert International) und dem Rezitationswettbewerb der Grundschulen, war in Szeged, Oroshaza und Budapest sowie mit einem Teil des Kollegiums auf Lehrerfahrt in Graz und vielen weiteren Orten – es ging von Ungarn nach Österreich und anschließend über Slowenien zurück nach Ungarn. Ich sah den berühmten Mohácser Karneval, trat einer englischen Improvisationstheatergruppe bei, ging weiter zum Ungarischsprachkurs und machte tatsächlich auch endlich einmal Fortschritte…  Einiges davon erlebte ich sogar gemeinsam mit Joshua, meinem Freund, denn ich hatte drei schöne Wochen lang Besuch von ihm.

Es ist nicht mehr lange hin, bis ich wieder Besuch bekomme, von Luzie, einer sehr guten Freundin aus Deutschland; dann kommen meine Eltern und später auch mein Bruder und wir fahren über Ostern an den Plattensee.

Vorher werde ich noch mit den anderen drei Freiwilligen aus Pécs nach Budapest fahren, um den Geburtstag von Milena, der Freiwilligen aus Iklad, zu feiern. Außerdem wollen wir nach der Landesrunde von JdI nach Bratislava und nächste Woche im Pécser Theater Macbeth sehen; gestern waren wir im Kino, es wurde „Wüstenblume“ auf Englisch mit ungarischen Untertiteln gezeigt, letzten Sonntag hängte ich in meinem Zimmer endlich die Fotos auf, die schon seit Januar hängen sollten, und die Wäsche vom Wochenende ist noch immer ungefaltet, da ich noch keine Zeit dazu fand – heute treffe ich einen Bekannten und habe Sprachkurs, morgen ist noch eine Nachholstunde…

Es ist also weiterhin viel los, ständig geschehen neue Dinge; da sollte man meinen, dass kaum Zeit zum Nachdenken bliebe, doch tatsächlich ist das Gegenteil der Fall.

Mittlerweile gehört über die Hälfte meines Freiwilligendienstes der Vergangenheit an.

Dies und auch die vielen aufgeregten ersten Blogeinträge der neu ausreisenden Freiwilligen sowie die Aussagen der Mitfreiwilligen, die wie ich bereits ein halbes Jahr hier sind und wie aus einem Munde erklären, mittlerweile sein sie wirklich angekommen – dies alles lässt mich nachdenklich werden; ich bin nicht wirklich angekommen und werde es wohl auch nicht, auch dies ist keine perfekt glückliche Zeit, auch dieses Jahr erzählt nicht die Geschichte eines Conni-Buches.

Während ich weitestgehend allein durch Ungarn spaziere, wechselnde Begleiter an der Seite, folgen mir auch meine Gedanken auf Schritt und Tritt; angespannt und konzentriert beobachte ich, lese dort, wo ich die Worte nicht verstehe, Gesichter; Gefühle stehen immer zwischen den Zeilen.

Wohin werden uns unsere Leben noch führen? Der eine stürzt sich in immer neue Erlebnisse, vielleicht auch in die Arbeit, der andere spielt sich selbst am besten vor, dass ihm nichts fehle.

Moment um Moment treibt an mir vorbei, kaum geschehen bereits vergangen, so schnell wie ein Wimpernschlag.

Worte fallen aufs Papier, leise spielt Chopin in meinen Ohren; Zeit zieht vorbei: Landschaften, Städte, Häuser, Gesichter – der Geruch nach frischgebackenem Kuchen, nebenan spielt jemand Klavier.

In diesem Zug mit unbekanntem Ziel. Zwischen Traum und Realität, Vergangenheit und Zukunft. Szenen noch so präsent wie ein altes verblasstes Foto, eine Ecke geknickt; in meinem Kopf ein Kinderlachen. Irgendwo scheppert Geschirr. Ich liebe dich; Worte so alt wie die Welt selbst. Unendlich oft gesagt und doch noch immer kraftvoll. „Den Fahrschein bitte.“ Ich erinnere mich nicht, einen gekauft zu haben, doch ich besitze einen, geschrieben auf meiner Haut.

Es geht immer weiter, immer weiter, niemals zurück.

Blende

Die Sonne lacht mir ins Gesicht, warm auf meiner Haut, die Sonne; vor mir eine Straße in Gold getaucht, einen Fuß setze ich vor den anderen, automatisch lenken mich meine Schritte, das Unterbewusstsein übernimmt die Führung. Bilder großer Abenteuer, fantastische Geschichten, Gefühle – rau in meinem Herzen – weben den Stoff, aus dem meine Träume gemacht sind.

Blende

Ich stehe an der Bushaltestelle, den Blick nach innen gerichtet. Es ist Nacht, meine Haare wippen, als ich mich anschicke, zu gehen; der Busfahrer, das große Gefährt – beinahe lebendig, erfüllt von fremden Leben – zurück auf die Straße lenkend, hebt die Hand, winkt und lächelt mir zu. Auch meine Hand hebt sich zum Gruß, ein Lächeln breitet sich auf meinem Gesicht aus; wie leicht ist es doch, ein Lächeln zu schenken.

Blende

Morgens, das Bett so weich, weigert sich jede Faser meines Körpers aufzustehen. Ist es wirklich die Wärme, die uns jeden Morgen unter der Decke hält? Ist es nicht diese Chance, alles zu sein? Einige Augenblicke länger einfach die Arme auszubreiten, um zu fliegen, schwerelos?

Mittlerweile gehört über die Hälfte meines Freiwilligendienstes der Vergangenheit an.

Das Leben ist nie leicht – und doch war es noch nie leichter, hier zählt nur der Moment, was hat denn schon Konsequenzen? Ein Abenteuer, die große Chance, so heißt es oft. Doch was ist dein Leben, wenn das größte daran ist, es für ein Jahr hinter dir zu lassen? Sollte uns nicht unser ganzes Leben Abenteuer und Chance sein?

Ein besonders kräftiger Nordwestwind verschlug mich aus dem Herzen Schleswig-Holsteins in diese Stadt, die Stadt Pécs, hier in Ungarn. Und im verzweifelten Versuch, aus diesem Ort hier ein Zuhause zu machen, merke ich: Es funktioniert. Mit jedem neuen Tag hier lasse ich ein Stück meiner selbst in den Straßen von Pécs. Doch wird es mir nicht fehlen – in der Zukunft?

Wahr ist auch: Meine Zweifel und Fragen, Unsicherheiten und Ängste begleiten mich, wohin ich auch gehe. Ich kann sie weder in Ungarn lassen noch im Haus meiner Kindheit oder in den Armen meines Freundes – jeder muss sich selbst die Hand reichen und sich aus der eigenhändig gegrabenen Grube helfen. Immer und immer wieder.

Ein Auslandsjahr, das ist eine wirklich gute Zeit voller wunderbarer Momente und faszinierender Bekanntschaften. All die Menschen und Erlebnisse, von denen wir auf unseren Blogs berichten, erweitern unseren Horizont und fügen dem nie zu beendenden Puzzle neue Teile hinzu.

Aber ein Auslandsjahr, das ist auch: auf dem Bett sitzen und die Wand anstarren, sich fehl am Platz fühlen. Auch: Augenblicke und Begegnungen festhalten wollen. Auch: sich wünschen, Skype wäre ein magisches Portal.

Im Grunde also fast wie zuhause. Denn wir bleiben die Gleichen, wohin es uns auch verschlägt, wohin wir auch fliehen. „Umarme den Moment, nutze deine Chance, genieß diese Zeit, nie wieder wirst du so viel erleben!“ Diese und ähnliche Aussagen höre ich immer wieder; doch ich möchte nicht nur diesen, sondern alle Momente umarmen, mein Leben als Chance nutzen und jede Zeit genießen; ich hoffe, noch viel mehr zu erleben.

Notizzettel

Du trägst nicht nur deine Zweifel und Fragen, Unsicherheiten und Ängste in dir, sondern ebenso jedes Lächeln und all die Wärme, deine eigene Stärke, Hoffnung, Mut und einen bunten Rucksack voller Ideen, Träume und Liebe.

Das Karussell

Jardin du Luxembourg

Mit einem Dach und seinem Schatten dreht
sich eine kleine Weile der Bestand
von bunten Pferden, alle aus dem Land,
das lange zögert, eh es untergeht.
Zwar manche sind an Wagen angespannt,
doch alle haben Mut in ihren Mienen;
ein böser roter Löwe geht mit ihnen
und dann und wann ein weißer Elefant.

Sogar ein Hirsch ist da, ganz wie im Wald,
nur dass er einen Sattel trägt und drüber
ein kleines blaues Mädchen aufgeschnallt.

Und auf dem Löwen reitet weiß ein Junge
und hält sich mit der kleinen heißen Hand
dieweil der Löwe Zähne zeigt und Zunge.

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und auf den Pferden kommen sie vorüber,
auch Mädchen, helle, diesem Pferdesprunge
fast schon entwachsen; mitten in dem Schwunge
schauen sie auf, irgendwohin, herüber –

Und dann und wann ein weißer Elefant.

Und das geht hin und eilt sich, dass es endet,
und kreist und dreht sich nur und hat kein Ziel.
Ein Rot, ein Grün, ein Grau vorbeigesendet,
ein kleines kaum begonnenes Profil -.
Und manchesmal ein Lächeln, hergewendet,
ein seliges, das blendet und verschwendet
an dieses atemlose blinde Spiel. . .

Rainer Maria Rilke, Juni 1906, Paris

Flashback II

Wir schreiben den ersten März; Aschermittwoch, aschgrauer Himmel, Himbeerteewetter – der perfekte Tag, sich in die dunklen, aber gemütlichen Tage der Weihnachtszeit zurückzuversetzen:

Die Adventszeit 2016 war für mich einerseits geprägt von der Suche nach Geschenken und dem Schreiben von Karten, während aus meiner kleinen Bluetoothbox in Dauerschleife Weihnachtsmusik und auch von Zeit zu Zeit das eine oder andere Hörbuch klangen. Auf dem Pécser Weihnachtsmarkt war ich wohl ein halbes Dutzend Mal, immer wieder fehlte mir noch ein Geschenk. Ich fühlte mich wie ein Weihnachtswichtel. Nebenbei erlebte ich wieder eine Menge: Schul- und Gospelchorkonzerte, das Weihnachtsprogramm der Schule inklusive Abendessen für den Lehrkörper, meine ersten Polkatanzstunden mit der Lehrertanzgruppe, Pécs weihnachtlich geschmückt – in ein Lichterkleid gehüllt, Rentiere im Arkad (zugegeben aus Plüsch) -, nicht zu vergessen die Fahrt zum Grazer Christkindlmarkt…

Andererseits war diese Zeit für mich geprägt von einer starken Vorfreude auf die Wochen zuhause und Sehnsucht nach meiner Familie, meinem Freund und dem windzerzausten Schleswig-Holstein. In meinem kleinen Pécser Zimmer kuschelte ich mich in Kerzenschein und Orangenduft umgeben von lauter Adventspäckchen, immer wieder fand ich einen Abholschein im Briefkasten, an dieser Stelle ein kleines Danke an meine Familie; ihr seid die besten!

Nun aber zu meinen Erlebnissen, Fotos gibt es natürlich auch wieder reichlich.

Aus Zagreb zurück, empfing mich ein strahlend geschmücktes Pécs; ich bummelte über den Weihnachtsmarkt, hörte Konzerte auf dem Széchenyi tér, traf Schüler in der Stadt, half bei dem Schnupperunterricht für Achtklässler und – nicht zu vergessen – entwarf und besprach Unmengen an Arbeitsmaterial über Advent und Weihnachten: Suchsel, Quiz, Vokabellisten und informative Texte; wir erstellten Präsentationen und hörten deutsche Weihnachtslieder.

In dieser Zeit versuchte ich auch, Schüler mit einem liebevoll erstellten Plakat, Schokolade, Keksen und Saft zu einem Deutschclub am Dienstagnachmittag zu motivieren; leider kam jedoch kaum jemand, so dass das Projekt rasch im Sande verlief.

Interessant auch der Versuch, mein Zimmer zu dekorieren – Kerzen, Süßigkeiten und Orangen waren zwar rasch gekauft, kleine Christbaumkugeln für einen Adventsstrauß lagen in dem Adventspaket von meinen Eltern, doch Tannenzweige sowie eine Vase für selbige fand ich lange nicht. Im Blumengeschäft kosteten erstere ein Vermögen, und woanders fand ich keine – bis mir schließlich eine Kollegin, Kriszta, Zweige aus ihrem Garten mitbrachte. Als Vase diente eine große Glaskanne.

Bald folgte die Fahrt nach Graz zum Christkindlmarkt. Kriszta, Timi, eine Busladung Schüler und ich machten uns freitagvormittags auf den Weg. Nach fünf Stunden Busfahrt, Zwischenstopp bei einem riesigen Tesco und einem äußerst mühseligen Weg mit einem viel zu großen Bus durch viel zu kleine und zugeparkte Grazer Straßen erreichten wir schließlich das Schülerwohnheim der Grazer Partnerschule des Leöwey.

Mit Timi, Kriszta und Timis Tochter beim Bummel durch die weihnachtlich geschmückte Altstadt von Graz

Auf ein schnelles Abendessen folgte ein ausgedehnter Bummel durch die Innenstadt über die vielen kleinen Weihnachtmärkte mit gemütlichem Punschtrinken und Unterhaltungen. Zusammen mit Timi, Kriszta und Timis Tochter schlenderte ich durch die festlich beleuchteten Straßen.

Am darauffolgenden Tag, Samstag, ging es bereit um zehn wieder in die Stadt. Mit der Schlossbergbahn fuhren wir – nun, zum Schloss. Dort erneut ein kleiner Weihnachtsmarkt, tolle Ausblicke und, im Gegensatz zu den anderen beiden Punkten eher unerwartet, drei flauschige Lamas. Mittags trennten wir uns – Freizeit. Während die Schüler diese wohl weitestgehend mit Shopping oder ähnlichem verbrachten, ging unser Vierergrüppchen auf eine Sightseeingtour. Von der berühmten Grazer Doppelwendeltreppe bis hin zum Dom sahen wir die Highlights des Stadtbildes. Auch für Shopping bei Zara und einige weitere Themenweihnachtsmärkte blieb Zeit – besonders toll fand ich den Kunsthandwerksmarkt und den internationalen Weihnachtsmarkt, auf dem ich als Andenken ein Paar Ohrringe fand. Hungern mussten wir auch nicht, gingen wir doch zu „Nordsee“ zum Mittagessen – und dafür fahre ich nach Ungarn beziehungsweise Österreich?

Von den vielen Eindrücken der kaum 24 Stunden in Graz redlich müde, stiegen wir in den Bus zurück nach Pécs, der eine halbe Stunde später auch schließlich losfuhr, nachdem alle Mädchen noch einmal schnell zur Toilette gegangen waren – an der Raststätte, an der wir von der (an Adventsonntagen übrigens kostenlosen) Straßenbahn in den Bus wechselten, gab es genau eine.

Bei der Rückkehr nach Pécs erwartet uns Schnee

Verschlafen erreichten wir schließlich Pécs, wo eine Überraschung auf uns wartete: Schnee! Hinter der Schule aber war die weiße Pracht schon zu Ende – eine Schneekante…

 

 

 

Es folgten noch einige Tage Schule, angefüllt mit Festprogrammen wie Weihnachtskonzerten des Schulchors oder einer in die Schule eingeladenen Big Band, Weihnachtsfeiern – offiziell im Festsaal der Schule, privat zwischen den Stunden im Lehrerzimmer, aber dennoch mit großem Buffet-, und am letzten Abend vor den wohlverdienten Ferien die große Feier des gesamten Kollegiums, zu der auch ich eingeladen war. Leckeres Essen und interessante Gespräche – mit einem seltsamen Gefühl im Magen verließ ich schließlich die Schule, die nächsten zweieinhalb Wochen würde ich wieder in Deutschland verbringen.

Die Entscheidung, über Weihnachten nach Hause zu fahren, bereue ich übrigens in keinster Weise. Sicher wäre es auch interessant gewesen, die Feiertage in Ungarn zu verbringen oder das Jahr 2017 in Budapest zu beginnen, doch ebenso wichtig, wie es ist, neue Erfahrungen zu machen, ist es, über lauter aufregenden neuen Erlebnissen seine Wurzeln und die Menschen, die nicht nur flüchtig das eigene Leben streifen, sondern fest verankert im Herzen sind, nicht zu vergessen. Es war unglaublich schön, meine Familie, Freunde und meinen Freund wiederzusehen, den Hund zu knuddeln oder am Ufer des Meeres zu stehen, eiskalte Salzluft in der Nase, sanftes Rauschen in den Ohren – die Gedanken auf den Schwingen des Windes treiben lassen…

Beruhigend zu wissen, dass, auch wenn sich manches verändert hat, einige Dinge doch immer gleich bleiben.

Zwischen viel Weihnachtsstress und diversen Erledigungen flogen die Tage geradezu vorbei, kaum hatte ich Zeit, mich einmal hinzusetzen; die Großeltern kamen oder wurden besucht, die Freunde zur Feuerzangenbowle eingeladen, mein neues altes Kleid aus Zagreb wurde bei der Hochzeit meiner Patin eingeweiht, und selbst den Stadtbummel mit meiner besten Freundin nutzte ich noch für den Gang zur Versicherung. Nur wenige Tage blieben einzig dem Genuss vorbehalten – dem Spaziergang mit meiner Mutter am Meer oder dem Ausflug mit meinem Freund nach Hamburg.

Dennoch fand ich zwischen all dem Trubel eine alte Ruhe, schnell kamen bekannte Routinen zurück, bald war es, als wäre ich nie weggewesen.

Nach einem erneuten Abschied und einer äußerst abenteuerlichen Zugfahrt inklusive langem Warten am unglaublich kalten Bahnhof – durch die schließlich notwendige Umbuchung auf einen Nachtzug auf Kosten der Bahn blieb mir allerdings angenehmerweise die Zwischenübernachtung in Budapest erspart – hatte mich schließlich Pécs wieder. Das alte Lied: Wer günstig reist, reist unbequem.

Zum Abschluss möchte ich euch nun noch einige Impressionen des Pécser Schneezaubers nicht vorenthalten:

Bis auf ein Weiteres

Silja

Flashback I

Ende Februar und schönster Sonnenschein, doch die bereits langsam verblassenden Erinnerungen an das Zwischenseminar und die Weihnachtszeit klopfen an, möchten endlich aufgeschrieben, festgehalten werden, schon beinahe verdrängt von vielen aufregenden und schönen neuen Erlebnissen.

Auf die Herbstferien in Budapest folgte eine kurze trubelige Zeit in Pécs, in der ich kaum Zeit hatte, meine Koffer auszupacken – an einem Freitagnachmittag im November fuhren Isi, Greta, Peter und ich schließlich los nach Budapest, wo wir Lorenz, Marvin und am Samstag auch noch Marius trafen. Bis Sonntagnachmittag durchstreiften wir die Stadt, spazierten an der Donau entlang und wanderten hoch zur Fischerbastei, zogen abends von Bar zu Bar und tranken Cocktails, aßen scharfes Gulasch im Brot und spielten Wizard; ich traf auch noch einen Bekannten aus den Herbstferien. Teuer, aber ein Erlebnis besonderer Art der Besuch in der Széchenyi-Therme: Heißes Wasser, kalte Luft, Dampfwolken ziehen über die Köpfe der Badenden, die gelben Wände leuchten in der Abendsonne (an dieser Stelle ein kleiner Hinweis: Wer im 50-Meter-Becken schwimmen möchte, braucht eine Badekappe); und in den Innenräumen Schwefelbäder, Dampfsauna, Sauna, Eisbad und Eiswürfel.

Am Sonntagnachmittag schließlich das Treffen mit unseren zwei Teamerinnen, Steffi und Anja, und den übrigen Freiwilligen. Im Anschluss an ein kleines (Wieder-)Kennenlern-Programm und die Frage, wie es uns so ginge, liefen wir durch die Stadt und machten etwas, das ich das letzte Mal wohl vor acht Jahren auf einem Kindergeburtstag gemacht habe: Dinge tauschen. Vom Überraschungsei über Kugelschreiber und Feuerzeuge hin zu Metrotickets und Salzstangen, und ganz nebenbei wurden wir zu einer Hochzeit nach London eingeladen. Später das Musical „Fame“ im Operettentheater – eine typische amerikanische Teeniestory, aber meisterhafte Tanz- und Gesangseinlagen.

Am Ende eines langen Tages, um ein Uhr nachts, bezogen wir unsere Zimmer im beschaulichen Gardony bei Budapest, und das Zwischenseminar begann wirklich.

Auf anderen Blogs wurde bereits viel darüber berichtet, meist ausschließlich positiv. Für mich war es zwar auch eine gute und wichtige Zeit mit vielen wunderbaren Momenten, jedoch recht anstrengend und teils positiv wie negativ sehr emotional. Eine Menge wurde angestoßen, manches aufgewühlt; etliche Fragen gestellt, manche auch beantwortet. Zwischen gemütlichen Momenten in der Küche, dem Versammlungsraum und am Seeufer lagen viel ernsthafte Arbeit und die Reflektion unserer Erfahrungen und unseres Verhaltens. So stellten wir uns die Frage, was für uns Zuhause bedeutet, analysierten unser Auftreten in der Gruppe oder dachten über Probleme und Konfliktlösungen nach.

Äußerst interessant, ja schockierend der Vortrag zur Situation von Sinti und Roma in Ungarn mit dem Fokus auf Antiromaismus, zur weiteren Information gab es eine von Steffi und Anja aufgebaute kleine Ausstellung. Entspannend unser kreativer Nachmittag, amüsant der Talentabend am letzten Tag, für den Chris und ich aus meinen Fotos der letzten Tage ein Video zusammenstellten. Langwierig, letztendlich aber immerhin erfolgreich, Leos und mein Versuch, den bereits kaputten Korken aus einer Weinflasche zu ziehen. Schade meine Erkältung, die sich erstaunlicherweise nicht gut mit pausenloser Action und wenig Schlaf vertrug; aus diesem Grund ging ich an unserem letzten Abend auch als erste schlafen – um zwei Uhr nachts.

Waren wir anfänglich wohl alle etwas enttäuscht, dass unser Zwischenseminar nicht etwa in Budapest oder Bratislava in einer schicken Jugendherberge mit Vollverpflegung, sondern im menschenleeren Gardony in einem kleinen Schullandheim und mit selbst zu kochendem Essen stattfand, so erwies sich diese Entscheidung im Nachhinein als genau richtig: der gemeinsame Großeinkauf für 17 Leute am Montagmorgen; das selbstgekochte Essen, besser als jede Kantinenkost; unser allmorgendliches großzügiges Frühstücksbuffet; die Abgeschiedenheit des Ortes, in der wir – ich etwa beim Spaziergang mit Chris und Lina am Seeufer – das Erlebte wunderbar verarbeiten, Probleme besprechen und über die Welt, unsere Existenz und den Sinn des Lebens philosophieren konnten. All das trug dazu bei, dass diese Tage den perfekten Raum boten, sich einmal auszutauschen, Abstand vom Alltag zu finden und die eigene Situation zu reflektieren.

Donnerstagnachmittag fuhren die meisten von uns direkt weiter nach Zagreb. Auch wenn ich mich schon lange auf dieses Wochenende gefreut hatte, hätte ich in diesem Moment auch nichts dagegen gehabt, einfach nach Pécs zurückzufahren und zu schlafen, schlafen, schlafen…

In  Zagreb bezogen wir unsere Unterkünfte: fünf von uns eine AirBnb-Wohnung, sieben das enge Achter-Zimmer eines Hostels zusammen mit einem einzelnen Argentinier, einem ehemaligen Tennisprofi – immerhin fand an diesem Wochenende das Davis-Cup-Finale zwischen Kroatien und Argentinien in Zagreb statt. Woher ich das weiß? Während die anderen gleich am Donnerstagabend loszogen, verbrachten Ulrike und ich den Abend in der Hostelbar mit ihm und unterhielten uns. Sie verspürte wenig Lust, noch loszugehen und auch ich wollte mich lieber ausruhen, da ich immer noch angeschlagen war.

Voll frischer Energie brachen Ulrike und ich dann am nächsten Morgen mit Leo und Marius zu einer Free Walking Tour durch Zagreb auf; wir waren stundenlang unterwegs und lernten dank eines sehr kompetenten und sympathischen Guides sowohl touristische Punkte als auch versteckte Ecken kennen. Ganz nebenbei erfuhren wir viel über die Geschichte der hübschen Stadt und die politische Situation in Kroatien. Nach so viel Input bummelten wir den Rest des Tages entspannt durch die Innenstadt, verbrachten  viel Zeit in einem kleinen Secondhandshop – tolles neues/altes Kleid gekauft!-, trafen Freiwillige des Zagreber Zwischenseminars… und entdeckten anschließend in einer riesigen Gruppe aus kulturweit-Freiwilligen das Zagreber Nachtleben.

Am Morgen darauf brunchte unsere Gruppe sehr gemütlich, und als Marius und ich endlich Richtung Unterstadt spazierten, wurde es schon bald dunkel. Lebkuchen knabbernd ließen wir alte, charmant abblätternde Hausfassaden und Sehenswürdigkeiten, die große Zagreber Eisbahn, eine Bühne mit Vielzulautsprechern und den frisch eröffneten Weihnachtsmarkt – Gelegenheit für den Erwerb erster Weihnachtsgeschenke – auf uns wirken; trafen die anderen und gingen gemeinsam etwas essen; Ulrike und ich schlenderten erneut über den Weihnachtsmarkt, wo wir uns mit viel zu süßer heißer Schokolade mit Marshmallows in einen Hauseingang setzten und über unserer Unterhaltung die Zeit vergaßen.

Am nächsten Morgen ging es auch schon zum mit den anderen Pécsern zum Zug, wo wir alle schon mal etwas Schlaf nachholten. Bis heute gibt uns die kroatische Ticketpreisgestaltung Rätsel auf, war doch tatsächlich eine Hin- und Rückfahrt günstiger als eine einfache Fahrt…

Als wir schließlich in Pécs ankamen, herrschte auch hier vorweihnachtliche Stimmung – aber davon ein andermal, jetzt ist es zunächst einmal Zeit, wieder in die Gegenwart zurückzukehren. Liebe Grüße an alle, die mich auf dieser kleinen Reise in die Vergangenheit begleitet haben

Eure Silja

13 Mal mein Ungarn

Nachdem der vorige Beitrag sich um die Frage „Was vermisst du?“ drehte, ist es mir wichtig, an dieser Stelle einmal ganz bewusst zu betonen, dass ich hier in Ungarn glücklich bin.

Selbstverständlich – niemand ist immer glücklich, auch ich nicht; weder in Ungarn noch in Deutschland, weder auf Mallorca noch im Schlaraffenland oder meinen Träumen. Ich bin frustriert und müde, genervt oder gestresst, enttäuscht von mir selber; fühle mich allein oder unsicher. Ich bin wütend aufgrund von manch einem Zustand, traurig, wenn ich Hass oder Leid sehe. Fühle mich vielleicht hilflos.

Doch meistens geht es mir gut. Ich lache, liebe, lebe, schwebe. Ich tanze zu meinem ganz persönlichen Soundtrack durch die Stunden – schnell, dann wieder langsam.

Mir ist bewusst, dass ich viele Vorteile habe: ein leichter Start ins Leben; in der deutschen Bildungsschicht aufgewachsen, ohne materielle Probleme, eine gute Ausbildung, nun mit kulturweit ein FSJ im Ausland. Und dafür bin ich dankbar. Allerdings würde auch all dies mich nicht glücklich machen ohne Liebe.

„Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann ist glücklich“
Hermann Hesse

Und lieben können wir alle:
selbstverständlich Menschen, aber auch Dinge oder Orte; Gerüche, Geräusche, Gefühle, Gedanken und so vieles mehr. Schönheit finden wir überall.

An dieser Stelle eine kleine und mehr oder weniger willkürliche Auswahl der Dinge, die ich durch meinen Freiwilligendienst kennen und lieben lernen durfte:

  1. Die vielen wunderbaren Menschen, die mir begegnen: kulturweit-Freiwillige, die zu Freunden werden; meine süße Mitbewohnerin; charmante Lehrer bzw., zumindest im Deutschzweig, eher Lehrerinnen; Schüler und Schülerinnen, so verschieden wie die Farben des Regenbogens; Zufallsbekanntschaften in Pécs – über Lenau-Haus, Schwabenball oder die Uni – oder bei einer Unterhaltung im Zug oder Hostel, in Budapest auf einer Studentenparty…
  1. Die Wertschätzung von Traditionen in Ungarn – ich mag Altbekanntes, Gewohnheiten und eben auch Traditionen und empfinde Dinge wie den feierlichen Einzug der Abiturienten bei der Bandweihe als schön und wertvoll
  1. Die Tatsache, dass ich, die ich sonst gerne unpünktlich bin, noch nie meinen Bus verpasst habe, da dieser zumindest morgens genau wie ich stets treu um ein, zwei Minuten zu spät dran ist
  2. Dass mich dieses Land und seine Menschen immer wieder überraschen können – wie jener Zahnarzt, bei dem ich jeder Diskussion über die Flüchtlingsthematik lieber aus dem Weg ging, da seine Haltung dazu schon aus seiner Frage nach meiner Meinung zu dem Thema recht deutlich hervorging – und er sollte schließlich noch meinen Zahn behandeln; der mir dann aber auf die Frage, was der Zahnarztbesuch denn koste, antwortete, für mich sei er kostenlos – ich solle doch sehen, wie großzügig die Ungarn seien…
  3. Die ungarische Sprache, deren Sätze wie Zaubersprüche klingen
  4. Dass (fast) alle Post im Briefkasten für mich ist – und Briefe habe ich schon immer geliebt
  5. Den ungarischen Gentleman: ungeachtet der Tatsache, dass Frauen auch in Ungarn gleichberechtigt sind, gibt es ihn hier noch, den Gentleman alter Schule – Männer, auch schon Schüler aus der zwölften Klasse, halten die Tür auf oder bedanken sich für einen Tanz. Und auch die Grußformel „csókolom“, die frei mit „Küss die Hand“ übersetzt werden kann und nur von kleinen Kindern und von Männern Frauen gegenüber benutzt wird, würde in Deutschland wohl eher altmodisch anmuten
  1. Die unkomplizierte Freude, die hier beim Tanzen herrscht, gepaart mit der Überzeugung, dass wirklich jeder tanzen kann – mein Selbstvertrauen auf der Tanzfläche ist ungemein gewachsen; letzten Samstag führte ich zusammen mit einigen Lehrern vor der ganzen Schule eine Polka auf, und das auch noch im für mich als Norddeutsche ungewohnten Dirndl
  1. Dass die meisten Ungarn genauso gerne und viel essen wie ich
  1. Die entspannte Einstellung der Ungarn zu vielen alltäglichen Kleinigkeiten – langsam erst gewöhne ich mir ab, in jeder Kirche, jedem Museum als erstes nach dem „Fotos verboten“-Schild Ausschau zu halten und auch mein Fahrrad lehne ich mittlerweile ganz selbstverständlich überall an
  1. Das Lachen zusammen mit Schülern, wenn wir etwa ein Spiel spielen, bei dem die erste Assoziation genannt werden muss, und auf „Jesus“ der Name eines Schülers folgt; Schüler, die sich freuen, wenn ich in die Klasse komme, für jedes kleine ungarische Wort applaudieren, mir Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, auf Facebook ein Foto mit mir posten möchten, mir eine Nachricht schicken, in der sie mich fragen, wie es mir geht, mich anlächeln oder mich fragen, ob sie mich umarmen dürfen
  1. Die Ampeln, die die Sekunden, die sie noch grün oder rot sein werden, anzeigen – das hat mir schon oft das Hetzen zu der vielleicht nur noch wenige Augenblicke grünen Ampel erspart
  2. Die große Anzahl wunderschöner Orte, die ich bereits entdeckt habe und noch entdecken werde: allen voran mein schönes Pécs, Ungarns Herz – Budapest, das Mecsek-Gebirge und viele mehr… Ungarn!

13 Blicke auf mein Ungarn. 13 einmal als Glückszahl. 13 der vielen kleinen und großen Dinge, die mich hier glücklich machen. Ich wünsche uns allen offene Augen und Herzen für all das, was unser Leben jeden Tag aufs Neue lebenswert macht.

Eure Silja

Jung, allein, im Ausland – was vermisst du? (English version below)

Ein guter Freund, der gerade ein Auslandsjahr in Vietnam macht, bat mich, ihm, für den ersten Artikel seines neuen Blogs, einige Zeilen über die Frage zu schreiben, was ein Freiwilliger während seines Auslandsjahres vermisst.

Runes Blog findet ihr unter: http://www.aswildaswise.com/

Auch mit euch möchte ich folgenden Text gerne teilen:

Jung, allein, im Ausland – was vermisst du?

Das gewohnte Essen, den großen Kleiderschrank, die Kinderfotos im Flur des Elternhauses
– am schmerzlichsten vermisst du jedoch selbstverständlich die Familie, den Freund oder die Freundin und alle anderen liebgewonnenen Menschen. Aber nicht nur sie fehlen, auch über Jahre gewonnene Routinen: Straßen in- und auswendig gekannt. Das Café dort an der Ecke, in das man schon mit fünf Jahren an Mamas Hand ging. Der Geruch des Waschmittels von Zuhause, das Geräusch des Windspiels über der Tür, das Bellen des Hundes im Garten. Das Klima, vielleicht den Wind oder Sonnenschein. Small Talk an einer Ampel, entspannt und ohne Sprachbarriere; ein alter Freund, auf dem Marktplatz wiedergetroffen. Die Möglichkeit, dich nicht zu verstellen, ganz du selbst und auch einmal ohne Grund schlecht gelaunt zu sein; jemand, der sieht, dass es dir nicht gut geht, auch ohne dass du darauf hinweist – eine Umarmung.

Doch auch wenn es manchmal so scheint, als wäre all dies unerreichbar, Lichtjahre entfernt, so ist es doch nur eine Erinnerung weit. Und während wir uns erinnern, schreiben wir neue Notizen in das Tagebuch unseres Lebens, ziehen weiter und bleiben doch stehen, jederzeit bereit, zurückzukehren – und wenn auch nur auf einen Kaffee und ein Stück hausgemachten Apfelkuchen in das Café dort an der Ecke.

Young, alone, abroad – what do you miss?

The food you’re used to, the big wardrobe, the kids photos in the corridor of your parents’ home – but the hardest you certainly miss your family, your boyfriend or girlfriend and all the other people you hold dear. Not only they are missing, but also the last years’ routines; the streets you know by heart. The café at the corner where you already went by your mother’s hand when you were only five; the smell of the washing powder they use at home; the sound of the wind chime above the door; the dog barking in the garden. The weather – wind or sunshine maybe. Small talk at the traffic lights, relaxed and without any language barrier; an old friend met on the town square. The possibility of no disguise, of being fully yourself, of being bad-tempered without any reason; somebody realizing you’re not well even without being told – a hug.

But even if it sometimes seems completely out of reach, lightyears away – it’s only a short memory to go. And whilst remembering we write new notes into our life’s diary, go on and stand still, always ready to return, if only for a coffee and a piece of home baked apple pie, into that café at the corner.

Die kleine Schwester von Paris

Nach langen Überlegungen, was ich mit meinen Herbstferien anfangen sollte, entschied ich mich, nach Budapest zu fahren. Geplant waren ursprünglich nur einige Tage, schließlich blieb ich die gesamten Ferien. Ich hatte das Glück, dass ich bei Fabian, einem deutschen Studenten, den ich im Zug kennengelernt hatte, übernachten konnte.

Tagsüber streifte ich meist allein mit meiner Kamera durch die zauberhafte Stadt, bis mir in meiner viel zu dünnen Jacke wirklich zu kalt geworden war und ich vor dem schneidenden Wind ins Warme floh, erst in die Straßenbahn oder U-Bahn, dann in die Wohnung. Oft blieb ich dort jedoch kaum und zog mit Fabian gleich wieder los, zu einer WG-Party, zu Freunden, in eine Kneipe – so lernte ich nicht nur die für Budapest typischen Ruinenbars kennen, sondern auch eine Menge wirklich netter Leute.

Viel mehr möchte ich an dieser Stelle zu den Herbstferien auch nicht schreiben, stattdessen lasse ich die vielen folgenden Fotos für sich sprechen.

Zusammenfassend kann ich jedoch sagen, dass mir die Zeit in Budapest unglaublich gut tat. Ich habe mich nicht nur in die Stadt verliebt und konnte ohne Termine und Verpflichtungen einfach umherstreifen, entdeckte ständig Neues, sondern konnte mich auch mal wieder entspannt auf Deutsch unterhalten – im gleichen Atemzug über Partys und hochpolitische Themen -, einfach mal wieder tanzen und mich im Kreise eigentlich fremder Personen wirklich wohlfühlen. Es war eine richtig gute Zeit!

Nachdem wir den ersten Abend bereits lange aus gewesen waren und am folgenden Tag in Ruhe eingekauft und gekocht hatten, bekam ich den ersten richtigen Eindruck von der Stadt im Dunkeln; meine Schritte führten mich zuerst in Richtung Heldenplatz, dann stieg ich in die nächstbeste Metro, die an die Donau fuhr – atemberaubend schön!

Zurückschreckend vor den vielen kulturellen Highlights, die Budapest zu bieten hat, begann ich meine Erkundungstour ganz entspannt mit einem ausgedehnten Bummel über die Margareteninsel und streifte anschließend noch etwas das Pester Donauufer entlang:

Mittlerweile trieb mich meine Neugier doch zu dem Touristenhighlight in Budapest – das Burgviertel in Buda. Zu sehen gibt es dort die Fischerbastei, die Matthiaskirche, weite Ausblicke über Buda, die Donau und Pest, hübsche kleine Gassen mit alten Häusern und niedlichen Cafés und Läden und nicht zuletzt den Burgpalast. Ursprünglich hatte ich mir alles für einen Tag vorgenommen, da ich mich jedoch insbesondere bei den Ausblicken zu lange aufhielt, den Aufstieg in einem großen Umweg machte und abends noch verabredet war, verschob ich den Burgpalast auf einen anderen Tag – ich hatte ja noch so viele…

Abends spazierten Finn, ein neu gewonnener Freund, und ich noch durch Pest; er zeigte mir die Stephansbasilika und das Parlament von nahem und später setzten wir uns noch in eine Bar und schnackten.

Tags darauf zog ich erneut los, das Burgviertel zu erkunden. Dort blieb ich, bis es dunkel geworden war, und die Stadt zu meinen Füßen ein Lichtermeer.

Mittwoch, der 02. November, die Hälfte meiner Zeit in Budapest vorbei, und noch lange nicht alles entdeckt. Doch an diesem Tag lag etwas anderes Spannendes an: Besuch in der deutschen Botschaft in Budapest.

Nach einem ausführlichen Bummel durch die zentrale Markthalle, in der ich mich auch mit ausreichend Picknick für den Nachmittag eindeckte, traf ich um 14 Uhr Isabella und Greta vor der Tür der deutschen Botschaft. Diese ist übrigens in traumhafter Lage in einem Gebäude auf dem Burgberg untergebracht; langsam bekam ich das Gefühl, mich dort auszukennen…

Im Anschluss an das informative Gespräch in der Botschaft verabschiedete ich mich gleich wieder von Isi und Greta (die beiden waren noch zum Essen verabredet) und machte es mir mit meinem Picknick gemütlich; nun, so gut das in der Kälte eben ging. Halb erfroren bummelte ich noch ein wenig durchs Burgviertel und genoss die Lichter, bis ich schließlich Gefahr lief, ganz zu erfrieren, und in das nächstbeste öffentliche Verkehrsmittel floh. Da es noch recht früh war, verschlug es mich in ein Shoppingcenter, wo ich schließlich auch endlich einen neuen Wintermantel für mich fand – und was war der kuschelig warm!

Nach so vielen Tagen auf der Budaer Seite blieb ich am Donnerstag in den Straßen von Pest. Ich sah mir den Heldenplatz bei Tag an, unterhielt mich vor den Toren von Burg Vajdahunyad ein Stündchen mit einem netten jungen Mann, spazierte durch das Stadtwäldchen, warf einen Blick auf und in das Széchenyi-Heilbad und nahm schließlich die Metro in Richtung Jüdisches Viertel.

Dieses fand ich jedoch nicht auf Anhieb. Stattdessen lief ich durch eine bei Tag recht ausgestorbene Partygasse und stolperte auf der Suche nach einem Café in einen Club, in dem gerade für den Abend vorbereitet wurde. Schließlich stand ich aber doch im Jüdischen Viertel, einer ausgesprochen charmanten Ecke von Budapest. Mein Plan, die Große Synagoge und vielleicht auch noch eine weitere zu besichtigen, ging jedoch nicht auf – Eintrittspreis und Uhrzeit in Kombination sprachen dagegen. Ich musste am nächsten Tag wiederkommen.

Und so kam ich am nächsten Tag wieder – bei mittlerweile nicht mehr ganz so strahlend sonnigem Herbstwetter wie in den ersten Tagen schien es genau das Richtige, erst die Große Synagoge und das anschließende Jüdische Museum zu besichtigen, dann die Staatsoper. Letztere ist übrigens an Prunk und Pracht der Opéra Garnier in Paris ebenbürtig, nur die Decke ist, wenn auch schick, so doch kein Vergleich mit der Chagall-Decke in Paris.

Samstag, mein letzter Tag und grau. Meine Schritte führten mich zur Kathedrale, die ich von innen besichtigte, bevor ich auf den Kirchturm stieg, auf dem ich lange blieb. Wieder am Boden angelangt, begann es zu regnen, aber egal, ich wollte noch einmal zur Donau. Vorbei an den Klothildenpalästen stiefelte ich über die Freiheitsbrücke, am Gellért-Bad vorbei und, Schutz suchend vor dem Regen, verschlug es mich in eine merkwürdige kleine Höhlenkirche, bevor ich auf den Gellértberg kletterte… Doch seht selbst:

Nach vielen Worten und Bildern habe ich nun erneut das Ende meiner Zeit in Budapest erreicht. Ich hoffe, euch hat die Reise in Bildern und Gedanken mit mir gefallen! Und wer plant, demnächst Budapest zu besichtigen – was sich allemal lohnt! -, findet hier vielleicht die eine oder andere Anregung…

♡ Silja

23. Oktober

Der 23. Oktober ist einer von immerhin drei ungarischen Nationalfeiertagen.  An diesem Tag begann im Jahr 1956 der Volksaufstand mit einer von Studenten organisierten Großdemonstration in Budapest. Diese forderten bürgerliche Freiheitsrechte, Parlamentarismus, nationale Unabhängigkeit und schließlich das Wiedereinsetzen von Imre Nagy als Staatsoberhaupt.

Dieser war von 1953-55 Ministerpräsident gewesen; durch die Förderung von Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie stieg der Lebensstandard unter ihm erheblich. Sein von Stalin eingesetzter und von Chruschtschow seines Amtes enthobener Vorgänger, Mátyás Rákosi, hatte vor allem die Schwerindustrie subventioniert. Nagy führte auch die Terrorherrschaft Rákosis nicht fort. Dieser hatte tausende Regimegegner ohne Gerichtsverfahren verhaften und in Arbeitslager bringen oder ermorden lassen. Mehr noch: In seiner Amtszeit 1952-53 waren rund 10 Prozent der ungarischen Bevölkerung angeklagt worden. Unter Nagy hingegen besserte sich die Situation im Ungarn der 1950er stetig. 1955 gelang es jedoch Rákosi als Oberhaupt der kommunistischen Partei, Nagy des Amtes als Ministerpräsident zu entheben und ihn aus der Partei auszuschließen.

Symbol des Volksaufstandes: die ungarische Nationalflagge, in der das in der Mitte herausgeschnittene sozialistische Wappen fehlt

Die Unzufriedenheit in Ungarn stieg nun erneut an und führte schließlich im Oktober 1956 dazu, dass die ursprünglich friedliche Studentendemonstration über Nacht in einen teils blutigen Volksaufstand überging; selbst Polizei und Militär schloss sich den Regimegegnern an. Imre Nagy wurde noch in derselben Nacht vom Zentralkomitee der Partei der Ungarischen Werktätigen zum Ministerpräsidenten berufen.

Die ungarischen Bürger lehnten sich gegen die sowjetische Unterdrückung auf – mit Erfolg, wie es zwei Wochen lang schien.

Der Aufstand weitete sich auf andere Städte aus; im ganzen Land wurden Arbeiter-, Revolutions- und Nationalräte gegründet, auch ein landesweiter Generalstreik wurde organisiert, und es erschienen wieder erste Ausgaben unabhängiger Zeitungen. Imre Nagy bereitete Wahlen vor und führte erneut ein Mehrparteiensystem ein. Außerdem erklärte er am 1. November 1956 die Neutralität Ungarns.

Auf dem Szechény ter in Pécs stand zum Gedenken an die Revolution von 1956 tagelang ein Panzer

Die Revolutionäre lieferten sich blutige Kämpfe mit den in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen, und schon bald schien die Revolution gewonnen. Die Sowjetunion jedoch schickte Verstärkung, am 4. November rollten sowjetische Panzer in Ungarn ein, die Sowjetarmee griff an; der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, die Regierung Nagy für ungültig erklärt.

Über 200 000 Ungarn flohen über Österreich in den Westen. Imre Nagy sowie 350 weitere Menschen wurden hingerichtet.

Gesichter der Revolution
Statue von Imre Nagy in Budapest

Heute werden sie als Helden gefeiert; kaum eine Stadt, in der keine Statue von Imre Nagy steht.

 

 

 

Die Statue Nagys blickt direkt auf das Parlament; vor der Brücke liegen Blumen und Kerzen

Besonders am 23. Oktober wird der Opfer gedacht – Imre Nagy, aber auch Menschen wie dem beim Aufstand erst 15jährigen Péter Mansfeld, der aufgrund seiner Jugend zunächst zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, um dann nur 11 Tage nach seinem 18. Geburtstag doch hingerichtet zu werden.

Das große Plakat an den Treppen zeigt Péter Mansfeld

In diesem Jahr waren aufgrund des 60. Jahrestags die Feierlichkeiten besonders aufwendig, noch Tage und Wochen lang fand man Plakate oder Installationen, Kerzen und Blumen.

Auch auf einem Kreisel wird an die Revolution erinnert

Mit den Aufnahmen möchte ich zeigen, wie wichtig der 23. Oktober für Ungarn ist. Vielleicht seid ihr beim Betrachten insbesondere des Videos ähnlich ergriffen wie ich. Mir ist dabei wieder einmal aufgefallen, wie wenig wir in der Schule über die Geschichte anderer Länder gelernt haben, selbst über die jüngste Geschichte der anderen europäischen Nationen – und doch wäre dieses Wissen so wichtig, um die Menschen dort und ihr Denken zu verstehen.

Ein Lebenszeichen

Um ehrlich zu sein – einen Blog führen, das ist nicht mein Ding. Aus diesem Grund fand sich hier auch so lange kein Eintrag mehr. Entweder habe ich wirklich keine Zeit oder ich mache so ziemlich alles andere lieber, manchmal sogar Wäsche falten. Das liegt vermutlich daran, dass ich zwar gerne schreibe, allerdings dazu neige, stundenlang an den Texten zu feilen; und es zwar liebe zu fotografieren und Fotos zu zeigen, es aber hasse, sie zu sortieren. Dennoch ist es mir wichtig, diesen Blog fortzuführen; um euch zu erzählen, was ich erlebe, um ein kleines Erinnerungsbuch auch für mich persönlich zu schaffen, und weil mich ein neuer Artikel stets stolz macht.

Insofern versuche ich in den nächsten Einträgen nachträglich die letzten zwei, drei Monate zusammenzufassen; an dieser Stelle bereits ein paar Stichworte: Herbstferien in Budapest, Nationalfeiertag, Zwischenseminar in Gardony bei Budapest, Kurztrip nach Zagreb, DSD-Prüfungen, neue Freunde, ausgefüllte Tage und daraus resultierender Schlafmangel, Weihnachtsmärkte, Geschenkekauf und Weihnachtskarten, Ausflug mit der Schule nach Graz, Wiedersehen in Deutschland…

In diesem Sinne bis bald

eure Silja

Hier zum Schauen schon mal ein paar bereits im Oktober aufgenommene Fotos von dem wöchentlichen Pécser Kunsthandwerksmarkt – jeden Freitag vor der Synagoge: