Ungarn und Europa. Ungarn und Europa?

Sonnenschein, warme Luft, Freitagmittag: Eiszeit.
Der perfekt unperfekte Moment, um über Politik zu sprechen.

Oft bereits wurde mir als einer deutschen Freiwilligen, die für ein Jahr in Ungarn lebt, die Frage gestellt, wie die Einstellung der ungarischen Bürger zu Europa ist. Ich selber habe mich mittlerweile viel mit dieser Frage beschäftigt. Es liegt mir sehr am Herzen, diese Frage so gut und so fair, wie es mir möglich ist, zu beantworten.

Im Folgenden möchte ich auf drei Punkte eingehen:

  1. Wie ist die Einstellung der Ungarn zu Europa?
  2. Welche Maßnahmen ergreift Orbán, und wie arbeitet er?
    Wie findet das Volk ihn, seine Partei und deren politische Richtung?
  3. Was denken Ungarn über die Flüchtlingsproblematik?

Zuvor ist es mir noch wichtig, darauf hinzuweisen, dass alle hier geschilderten Erfahrungen, Meinungen o.ä. ausschließlich auf meinen eigenen Erlebnissen basieren und dieser Bericht außerdem, besonders aufgrund der Tatsache, dass ich mich zumeist in einer einzelnen Gesellschaftsschicht – dem Bildungsbürgertum – bewege, nur ein unvollständiges Bild voller Lücken und offen bleibender Fragen zeichnen kann. Ebenso wenig wie „den Deutschen“ oder „die Deutschen“ gibt es schließlich „den Ungarn“ oder „die Ungarn“ – alles, was ich im Folgenden schreibe, sind notwendigerweise Verallgemeinerungen, die weder dem einzelnen Menschen noch der komplexen Situation wirklich gerecht werden können.

Dennoch ist es meiner Meinung nach essentiell, einen Eindruck von der aktuellen Situation in Ungarn und der ungarischen Mentalität zu bekommen, um die Gedanken und Gefühle der Menschen hier nachvollziehen zu können.

Im Allgemeinen handelt es sich bei Ungarn um ausgesprochen fröhliche, gastfreundliche und hilfsbereite Menschen, die es jedoch in der Geschichte wie auch heutzutage nicht immer leicht hatten/haben. Sie sind – vermutlich aufgrund einer Vergangenheit, in der Ungarn regelmäßig als Spielball zwischen verschiedenen Mächten diente; oft ungerecht behandelt und zerrissen wurde – auf ihre Identität als Ungarn und somit ihre Nationalität stolz und sehr traditionsbewusst.

Die Familie hat in Ungarn eine zentrale Bedeutung, und die Kleinheit des Landes schützt die Menschen davor, sich aus den Augen zu verlieren. Auch Leistung ist wichtig, ist sie doch der Schlüssel zu einer besseren Zukunft. Aufgrund dessen stellen in den Schulen wie auch auf den Universitäten regelmäßige Wettbewerbe einen Grundbestandteil der Ausbildung dar. Junge Ungarn blicken oft eher desillusioniert in die Zukunft, konzentrieren sich mehr auf messbare Erfolge und Ergebnisse, nicht so sehr auf Träume. Sie entscheiden sich für Sicherheit und gegen Risiken – der klassische Zukunftstraum: ein guter Beruf und ein schönes Haus, um der kleinen Familie ein gutes Leben bieten zu können. Hierzu werden sie durch Eltern und Großeltern, auch aufgrund deren eigener Erfahrungen, ermutigt. Gerade die ältere Generation verfügt oft nur über geringe Mittel, vielfach zu gering zum Leben – die Renten sind niedrig und die Unterstützung durch den Staat nur in Maßen, wenn überhaupt, gewährleistet.

Auch der arbeitsfähige Teil der Bevölkerung hat keine Möglichkeit, etwa beim Verlust des Arbeitsplatzes Unterstützung zu bekommen: Ein Arbeitsloser ist – nach wenigen Monaten, in denen er Arbeitslosengeld erhält, jedoch oft kaum eine neue Anstellung finden kann – auf sich allein gestellt. In Ungarn herrscht teils, besonders auf dem Lande, noch immer große Armut; Häuser sind baufällig, Kinder schwänzen die Schule, und es mangelt an so Essenziellem wie ausreichenden Lebensmitteln. Das wenige Vorhandene wird aber stets großzügig und stolz geteilt. Auch Neues wird in Ungarn freundschaftlich und interessiert, allerdings eher leicht distanziert aufgenommen.

  1. Wie ist die Einstellung der Ungarn zu Europa?

Wie in jedem Land gilt auch hier: Verschiedene Leute, unterschiedliche Meinungen. Allgemein aber sieht vor allem die jüngere Generation Europa zumeist positiv und als eine wunderbare Chance, eine Gemeinschaft voller Möglichkeiten, deren Erhalt wichtig ist. Dass Ungarn an einem Austritt aus der EU interessiert ist, ist nicht mein Eindruck – der Wunsch nach mehr Eigenständigkeit der einzelnen Länder im Rahmen der EU ist zwar spürbar und wird auch von der Regierung propagiert. Die Vorteile der EU liegen aber auf der Hand; gerade für die schwächeren Mitgliedsländer, und dies ist auch den meisten Ungarn deutlich bewusst. Woher rührt also diese Angst vor gemeinsamen Entscheidungen, vor Autonomieverlust? Die Antwort liegt vermutlich in der Geschichte des Landes; wachgerufen wurden das Misstrauen gegenüber Europa und die Abwendung von gemeinsam beschlossenen Maßnahmen durch die Flüchtlingsproblematik (siehe Punkt drei).

  1. Welche Maßnahmen ergreift Orbán und wie arbeitet er?
    Wie findet das Volk ihn, seine Partei und ihre politische Richtung?

Orbán Viktor ist der Parteivorstand der konservativen, jedoch nicht rechtsextremen Partei Fidesz und seit 2010 erneut Ministerpräsident Ungarns. Zuerst ist es mir wichtig, zu betonen, dass die deutsche Berichterstattung zumeist spürbar voreingenommen über die ungarische Politik berichtet, wie auch im Gegenzug die ungarische Berichterstattung über die europäische und besonders die deutsche Politik. Eine deutliche Beeinflussung der Bürger beider Länder durch die jeweiligen Medien ist in Bezug auf diese Thematik in beiden Ländern gegeben, was es schwer macht, objektive Informationen zu erhalten. Bei den ungarischen Bürgern hat dies zwei deutlich wahrnehmbare Konsequenzen: Einerseits ist da ein Gefühl der ungerechten Behandlung, der Stigmatisierung und des Nicht-Verstanden-Werdens durch die (west-)europäischen Nachbarn im Allgemeinen und die Deutschen im Besonderen, was den perfekten Nährboden für eine Abneigung gegenüber der EU und das Driften in eine rechtsextreme Richtung bietet. Andererseits führt die einseitige Berichterstattung in Kombination mit der rechten Propaganda der Regierung unter einem großen Teil der Bevölkerung zu einer sich festsetzenden, von Vorurteilen und Falschinformationen geprägten Meinung. So wird vielfach etwa angenommen, dass sich in Deutschland die Missstände mehren und – salopp formuliert – das Land aufgrund der vielen dort aufgenommenen Flüchtlinge langsam im Chaos versinkt.

Wieso aber propagieren Orbán und seine Partei einen rechten Standpunkt, handelt es sich doch bei Fidesz nicht um eine rechtsextreme Partei? Orbán greift hiermit gekonnt eine sich im Land abzeichnende Stimmung auf, kommt der rechtsextremen Jobbik-Partei entgegen, hält sie somit als politischen Gegner klein und sichert sich Macht. Orbán provoziert gekonnt und kennt seine Grenzen. Im Land wird er deshalb nicht unbedingt negativ aufgenommen, jedoch auch nicht glorifiziert. Im Allgemeinen spielen sich meinem Eindruck nach die Machtspiele der Parteien eher im Hintergrund ab, das Interesse für Politik ist oft eher klein und es fehlt an ausreichender Wissensvermittlung, an Informationen. Umso sichtbarer sind im Gegenzug die Propagandamaßnahmen der Fidesz- oder der Jobbik-Partei. Zurzeit etwa sind überall Plakate mit dem Aufdruck „Stoppt Brüssel“ zu sehen. Diese beziehen sich erneut auf die Flüchtlingsproblematik. Orbán tritt durchaus für einen Verbleib in der EU ein, aber auch für mehr Autonomie der einzelnen Länder innerhalb selbiger. Besonders wirtschaftlich sieht auch er aber die Mitgliedschaft in der EU als äußerst wichtig an. Seit einigen Wochen hat sich Orbán allerdings insbesondere unter jungen Akademikern äußerst unbeliebt gemacht – mit dem Versuch, über die Einführung eines neuen Gesetzes (das Verbot ausländischer Universitäten ohne Sitz in ihrem Heimatland) die in Budapest ansässige amerikanische CEU (Central European University) zu verbieten, also zwangszuschließen. Dies wurde als ein Angriff auf die Bildungsfreiheit aufgefasst, und in wiederholten Demonstrationen gingen tausende junge Ungarn auf die Straße, um ihren Unmut und ihre Entrüstung zu zeigen.

  1. Was denken Ungarn über die Flüchtlingsproblematik?Wenden wir uns nun der Frage zu, auf die auch die vorigen Punkte letztendlich hinausliefen. In Ungarn ist tatsächlich eine große Abneigung gegenüber Flüchtlingen spürbar. Diese baut sich auf begründeten genauso wie auf unbegründeten Ängsten auf. Es ist Tatsache, dass in Ungarn verglichen etwa mit Deutschland teils noch immer große Armut herrscht, besonders Sinti und Roma sind oft schlecht ausgebildet und haben somit keine Zukunftschancen; viele sind arbeitslos und leben in schlechten Zuständen. Dies liegt auch darin begründet, dass bereits die Kinder meist schlecht ausgebildet und unzureichend gefördert werden – ein Thema für sich, aber ein wichtiges Beispiel dafür, dass das Land viele innenpolitische Probleme und Baustellen hat, die behoben werden müssen. Viele Ungarn fühlen sich daher mit der zusätzlichen Aufnahme von Flüchtlingen im Land überfordert; sie befürchten eine sich ausbreitende Unzufriedenheit unter den Aufgenommenen, die nach einer Weile feststellen würden, dass sie keine Zukunft in Ungarn haben.

Auch besteht vielfach die Angst vor einer Überfremdung, einem Verlust der ungarischen Mentalität, des ungarischen Lebensgefühls. Auch hier ist der Grund für diese Angst in der Geschichte des Landes zu suchen, einer Geschichte, die durch Fremdherrschaften geprägt ist, seien es nun die Türken, die Österreicher oder die Sowjetunion. Dabei handelt es sich bei Ungarn tatsächlich um ein zutiefst multikulturelles Land – kaum ein Ungar ohne Vorfahren oder Freunde aus einem anderen Land wie etwa Österreich, Kroatien oder der Slowakei. Allerdings sind alle diese Länder mental wie auch geographisch Ungarn „näher“. Im Allgemeinen sind Ungarn wie bereits erwähnt ausgesprochen gastfreundlich, zumindest so lange keine Angst vor Einmischung, dauerhaftem Bleiben oder auch allzu großer Fremdheit besteht. Vielleicht lässt sich Ungarn mit einer kleinen Familie vergleichen, die Gäste zwar freundlich aufnimmt, jedoch auch froh ist, sobald sie schließlich wieder fort sind und die Familie in ihren gewohnten Rhythmus und ihre vielfältigen kleinen Traditionen zurückkehren kann.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass insbesondere Deutschland und Ungarn in Bezug auf die Fragen nach einer europäischen Politik und Identität, einer nationalen Selbstbestimmung, einer Aufnahme von Flüchtlingen oder einem Einreiseverbot usw. tatsächlich recht kontroverse Einstellungen und Gefühle vertreten. Wichtig ist, zu versuchen, sich von einseitiger Berichterstattung abzuheben, zu versuchen, Verständnis für die jeweils andere Meinung aufzubringen und den offenen Dialog zu suchen. Anstatt uns über dieser Frage zu entzweien, sollten wir versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden, den Argumenten des Gegenübers zuzuhören und uns dann auf der Basis unserer eigenen Recherchen, nicht aber auf der Basis medialer Beeinflussung, unsere eigene Meinung zu bilden.

In diesem Sinne wünsche ich dir und allen Menschen auf dieser Welt ein schönes Wochenende, geprägt von entspanntem Miteinander, spontanem Lachen und lieben Worten.

Grüße aus dem warmen Juniungarn

Silja

13 Mal mein Ungarn

Nachdem der vorige Beitrag sich um die Frage „Was vermisst du?“ drehte, ist es mir wichtig, an dieser Stelle einmal ganz bewusst zu betonen, dass ich hier in Ungarn glücklich bin.

Selbstverständlich – niemand ist immer glücklich, auch ich nicht; weder in Ungarn noch in Deutschland, weder auf Mallorca noch im Schlaraffenland oder meinen Träumen. Ich bin frustriert und müde, genervt oder gestresst, enttäuscht von mir selber; fühle mich allein oder unsicher. Ich bin wütend aufgrund von manch einem Zustand, traurig, wenn ich Hass oder Leid sehe. Fühle mich vielleicht hilflos.

Doch meistens geht es mir gut. Ich lache, liebe, lebe, schwebe. Ich tanze zu meinem ganz persönlichen Soundtrack durch die Stunden – schnell, dann wieder langsam.

Mir ist bewusst, dass ich viele Vorteile habe: ein leichter Start ins Leben; in der deutschen Bildungsschicht aufgewachsen, ohne materielle Probleme, eine gute Ausbildung, nun mit kulturweit ein FSJ im Ausland. Und dafür bin ich dankbar. Allerdings würde auch all dies mich nicht glücklich machen ohne Liebe.

„Glück ist Liebe, nichts anderes. Wer lieben kann ist glücklich“
Hermann Hesse

Und lieben können wir alle:
selbstverständlich Menschen, aber auch Dinge oder Orte; Gerüche, Geräusche, Gefühle, Gedanken und so vieles mehr. Schönheit finden wir überall.

An dieser Stelle eine kleine und mehr oder weniger willkürliche Auswahl der Dinge, die ich durch meinen Freiwilligendienst kennen und lieben lernen durfte:

  1. Die vielen wunderbaren Menschen, die mir begegnen: kulturweit-Freiwillige, die zu Freunden werden; meine süße Mitbewohnerin; charmante Lehrer bzw., zumindest im Deutschzweig, eher Lehrerinnen; Schüler und Schülerinnen, so verschieden wie die Farben des Regenbogens; Zufallsbekanntschaften in Pécs – über Lenau-Haus, Schwabenball oder die Uni – oder bei einer Unterhaltung im Zug oder Hostel, in Budapest auf einer Studentenparty…
  1. Die Wertschätzung von Traditionen in Ungarn – ich mag Altbekanntes, Gewohnheiten und eben auch Traditionen und empfinde Dinge wie den feierlichen Einzug der Abiturienten bei der Bandweihe als schön und wertvoll
  1. Die Tatsache, dass ich, die ich sonst gerne unpünktlich bin, noch nie meinen Bus verpasst habe, da dieser zumindest morgens genau wie ich stets treu um ein, zwei Minuten zu spät dran ist
  2. Dass mich dieses Land und seine Menschen immer wieder überraschen können – wie jener Zahnarzt, bei dem ich jeder Diskussion über die Flüchtlingsthematik lieber aus dem Weg ging, da seine Haltung dazu schon aus seiner Frage nach meiner Meinung zu dem Thema recht deutlich hervorging – und er sollte schließlich noch meinen Zahn behandeln; der mir dann aber auf die Frage, was der Zahnarztbesuch denn koste, antwortete, für mich sei er kostenlos – ich solle doch sehen, wie großzügig die Ungarn seien…
  3. Die ungarische Sprache, deren Sätze wie Zaubersprüche klingen
  4. Dass (fast) alle Post im Briefkasten für mich ist – und Briefe habe ich schon immer geliebt
  5. Den ungarischen Gentleman: ungeachtet der Tatsache, dass Frauen auch in Ungarn gleichberechtigt sind, gibt es ihn hier noch, den Gentleman alter Schule – Männer, auch schon Schüler aus der zwölften Klasse, halten die Tür auf oder bedanken sich für einen Tanz. Und auch die Grußformel „csókolom“, die frei mit „Küss die Hand“ übersetzt werden kann und nur von kleinen Kindern und von Männern Frauen gegenüber benutzt wird, würde in Deutschland wohl eher altmodisch anmuten
  1. Die unkomplizierte Freude, die hier beim Tanzen herrscht, gepaart mit der Überzeugung, dass wirklich jeder tanzen kann – mein Selbstvertrauen auf der Tanzfläche ist ungemein gewachsen; letzten Samstag führte ich zusammen mit einigen Lehrern vor der ganzen Schule eine Polka auf, und das auch noch im für mich als Norddeutsche ungewohnten Dirndl
  1. Dass die meisten Ungarn genauso gerne und viel essen wie ich
  1. Die entspannte Einstellung der Ungarn zu vielen alltäglichen Kleinigkeiten – langsam erst gewöhne ich mir ab, in jeder Kirche, jedem Museum als erstes nach dem „Fotos verboten“-Schild Ausschau zu halten und auch mein Fahrrad lehne ich mittlerweile ganz selbstverständlich überall an
  1. Das Lachen zusammen mit Schülern, wenn wir etwa ein Spiel spielen, bei dem die erste Assoziation genannt werden muss, und auf „Jesus“ der Name eines Schülers folgt; Schüler, die sich freuen, wenn ich in die Klasse komme, für jedes kleine ungarische Wort applaudieren, mir Anekdoten aus ihrem Leben erzählen, auf Facebook ein Foto mit mir posten möchten, mir eine Nachricht schicken, in der sie mich fragen, wie es mir geht, mich anlächeln oder mich fragen, ob sie mich umarmen dürfen
  1. Die Ampeln, die die Sekunden, die sie noch grün oder rot sein werden, anzeigen – das hat mir schon oft das Hetzen zu der vielleicht nur noch wenige Augenblicke grünen Ampel erspart
  2. Die große Anzahl wunderschöner Orte, die ich bereits entdeckt habe und noch entdecken werde: allen voran mein schönes Pécs, Ungarns Herz – Budapest, das Mecsek-Gebirge und viele mehr… Ungarn!

13 Blicke auf mein Ungarn. 13 einmal als Glückszahl. 13 der vielen kleinen und großen Dinge, die mich hier glücklich machen. Ich wünsche uns allen offene Augen und Herzen für all das, was unser Leben jeden Tag aufs Neue lebenswert macht.

Eure Silja

Die kleine Schwester von Paris

Nach langen Überlegungen, was ich mit meinen Herbstferien anfangen sollte, entschied ich mich, nach Budapest zu fahren. Geplant waren ursprünglich nur einige Tage, schließlich blieb ich die gesamten Ferien. Ich hatte das Glück, dass ich bei Fabian, einem deutschen Studenten, den ich im Zug kennengelernt hatte, übernachten konnte.

Tagsüber streifte ich meist allein mit meiner Kamera durch die zauberhafte Stadt, bis mir in meiner viel zu dünnen Jacke wirklich zu kalt geworden war und ich vor dem schneidenden Wind ins Warme floh, erst in die Straßenbahn oder U-Bahn, dann in die Wohnung. Oft blieb ich dort jedoch kaum und zog mit Fabian gleich wieder los, zu einer WG-Party, zu Freunden, in eine Kneipe – so lernte ich nicht nur die für Budapest typischen Ruinenbars kennen, sondern auch eine Menge wirklich netter Leute.

Viel mehr möchte ich an dieser Stelle zu den Herbstferien auch nicht schreiben, stattdessen lasse ich die vielen folgenden Fotos für sich sprechen.

Zusammenfassend kann ich jedoch sagen, dass mir die Zeit in Budapest unglaublich gut tat. Ich habe mich nicht nur in die Stadt verliebt und konnte ohne Termine und Verpflichtungen einfach umherstreifen, entdeckte ständig Neues, sondern konnte mich auch mal wieder entspannt auf Deutsch unterhalten – im gleichen Atemzug über Partys und hochpolitische Themen -, einfach mal wieder tanzen und mich im Kreise eigentlich fremder Personen wirklich wohlfühlen. Es war eine richtig gute Zeit!

Nachdem wir den ersten Abend bereits lange aus gewesen waren und am folgenden Tag in Ruhe eingekauft und gekocht hatten, bekam ich den ersten richtigen Eindruck von der Stadt im Dunkeln; meine Schritte führten mich zuerst in Richtung Heldenplatz, dann stieg ich in die nächstbeste Metro, die an die Donau fuhr – atemberaubend schön!

Zurückschreckend vor den vielen kulturellen Highlights, die Budapest zu bieten hat, begann ich meine Erkundungstour ganz entspannt mit einem ausgedehnten Bummel über die Margareteninsel und streifte anschließend noch etwas das Pester Donauufer entlang:

Mittlerweile trieb mich meine Neugier doch zu dem Touristenhighlight in Budapest – das Burgviertel in Buda. Zu sehen gibt es dort die Fischerbastei, die Matthiaskirche, weite Ausblicke über Buda, die Donau und Pest, hübsche kleine Gassen mit alten Häusern und niedlichen Cafés und Läden und nicht zuletzt den Burgpalast. Ursprünglich hatte ich mir alles für einen Tag vorgenommen, da ich mich jedoch insbesondere bei den Ausblicken zu lange aufhielt, den Aufstieg in einem großen Umweg machte und abends noch verabredet war, verschob ich den Burgpalast auf einen anderen Tag – ich hatte ja noch so viele…

Abends spazierten Finn, ein neu gewonnener Freund, und ich noch durch Pest; er zeigte mir die Stephansbasilika und das Parlament von nahem und später setzten wir uns noch in eine Bar und schnackten.

Tags darauf zog ich erneut los, das Burgviertel zu erkunden. Dort blieb ich, bis es dunkel geworden war, und die Stadt zu meinen Füßen ein Lichtermeer.

Mittwoch, der 02. November, die Hälfte meiner Zeit in Budapest vorbei, und noch lange nicht alles entdeckt. Doch an diesem Tag lag etwas anderes Spannendes an: Besuch in der deutschen Botschaft in Budapest.

Nach einem ausführlichen Bummel durch die zentrale Markthalle, in der ich mich auch mit ausreichend Picknick für den Nachmittag eindeckte, traf ich um 14 Uhr Isabella und Greta vor der Tür der deutschen Botschaft. Diese ist übrigens in traumhafter Lage in einem Gebäude auf dem Burgberg untergebracht; langsam bekam ich das Gefühl, mich dort auszukennen…

Im Anschluss an das informative Gespräch in der Botschaft verabschiedete ich mich gleich wieder von Isi und Greta (die beiden waren noch zum Essen verabredet) und machte es mir mit meinem Picknick gemütlich; nun, so gut das in der Kälte eben ging. Halb erfroren bummelte ich noch ein wenig durchs Burgviertel und genoss die Lichter, bis ich schließlich Gefahr lief, ganz zu erfrieren, und in das nächstbeste öffentliche Verkehrsmittel floh. Da es noch recht früh war, verschlug es mich in ein Shoppingcenter, wo ich schließlich auch endlich einen neuen Wintermantel für mich fand – und was war der kuschelig warm!

Nach so vielen Tagen auf der Budaer Seite blieb ich am Donnerstag in den Straßen von Pest. Ich sah mir den Heldenplatz bei Tag an, unterhielt mich vor den Toren von Burg Vajdahunyad ein Stündchen mit einem netten jungen Mann, spazierte durch das Stadtwäldchen, warf einen Blick auf und in das Széchenyi-Heilbad und nahm schließlich die Metro in Richtung Jüdisches Viertel.

Dieses fand ich jedoch nicht auf Anhieb. Stattdessen lief ich durch eine bei Tag recht ausgestorbene Partygasse und stolperte auf der Suche nach einem Café in einen Club, in dem gerade für den Abend vorbereitet wurde. Schließlich stand ich aber doch im Jüdischen Viertel, einer ausgesprochen charmanten Ecke von Budapest. Mein Plan, die Große Synagoge und vielleicht auch noch eine weitere zu besichtigen, ging jedoch nicht auf – Eintrittspreis und Uhrzeit in Kombination sprachen dagegen. Ich musste am nächsten Tag wiederkommen.

Und so kam ich am nächsten Tag wieder – bei mittlerweile nicht mehr ganz so strahlend sonnigem Herbstwetter wie in den ersten Tagen schien es genau das Richtige, erst die Große Synagoge und das anschließende Jüdische Museum zu besichtigen, dann die Staatsoper. Letztere ist übrigens an Prunk und Pracht der Opéra Garnier in Paris ebenbürtig, nur die Decke ist, wenn auch schick, so doch kein Vergleich mit der Chagall-Decke in Paris.

Samstag, mein letzter Tag und grau. Meine Schritte führten mich zur Kathedrale, die ich von innen besichtigte, bevor ich auf den Kirchturm stieg, auf dem ich lange blieb. Wieder am Boden angelangt, begann es zu regnen, aber egal, ich wollte noch einmal zur Donau. Vorbei an den Klothildenpalästen stiefelte ich über die Freiheitsbrücke, am Gellért-Bad vorbei und, Schutz suchend vor dem Regen, verschlug es mich in eine merkwürdige kleine Höhlenkirche, bevor ich auf den Gellértberg kletterte… Doch seht selbst:

Nach vielen Worten und Bildern habe ich nun erneut das Ende meiner Zeit in Budapest erreicht. Ich hoffe, euch hat die Reise in Bildern und Gedanken mit mir gefallen! Und wer plant, demnächst Budapest zu besichtigen – was sich allemal lohnt! -, findet hier vielleicht die eine oder andere Anregung…

♡ Silja

23. Oktober

Der 23. Oktober ist einer von immerhin drei ungarischen Nationalfeiertagen.  An diesem Tag begann im Jahr 1956 der Volksaufstand mit einer von Studenten organisierten Großdemonstration in Budapest. Diese forderten bürgerliche Freiheitsrechte, Parlamentarismus, nationale Unabhängigkeit und schließlich das Wiedereinsetzen von Imre Nagy als Staatsoberhaupt.

Dieser war von 1953-55 Ministerpräsident gewesen; durch die Förderung von Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie stieg der Lebensstandard unter ihm erheblich. Sein von Stalin eingesetzter und von Chruschtschow seines Amtes enthobener Vorgänger, Mátyás Rákosi, hatte vor allem die Schwerindustrie subventioniert. Nagy führte auch die Terrorherrschaft Rákosis nicht fort. Dieser hatte tausende Regimegegner ohne Gerichtsverfahren verhaften und in Arbeitslager bringen oder ermorden lassen. Mehr noch: In seiner Amtszeit 1952-53 waren rund 10 Prozent der ungarischen Bevölkerung angeklagt worden. Unter Nagy hingegen besserte sich die Situation im Ungarn der 1950er stetig. 1955 gelang es jedoch Rákosi als Oberhaupt der kommunistischen Partei, Nagy des Amtes als Ministerpräsident zu entheben und ihn aus der Partei auszuschließen.

Symbol des Volksaufstandes: die ungarische Nationalflagge, in der das in der Mitte herausgeschnittene sozialistische Wappen fehlt

Die Unzufriedenheit in Ungarn stieg nun erneut an und führte schließlich im Oktober 1956 dazu, dass die ursprünglich friedliche Studentendemonstration über Nacht in einen teils blutigen Volksaufstand überging; selbst Polizei und Militär schloss sich den Regimegegnern an. Imre Nagy wurde noch in derselben Nacht vom Zentralkomitee der Partei der Ungarischen Werktätigen zum Ministerpräsidenten berufen.

Die ungarischen Bürger lehnten sich gegen die sowjetische Unterdrückung auf – mit Erfolg, wie es zwei Wochen lang schien.

Der Aufstand weitete sich auf andere Städte aus; im ganzen Land wurden Arbeiter-, Revolutions- und Nationalräte gegründet, auch ein landesweiter Generalstreik wurde organisiert, und es erschienen wieder erste Ausgaben unabhängiger Zeitungen. Imre Nagy bereitete Wahlen vor und führte erneut ein Mehrparteiensystem ein. Außerdem erklärte er am 1. November 1956 die Neutralität Ungarns.

Auf dem Szechény ter in Pécs stand zum Gedenken an die Revolution von 1956 tagelang ein Panzer

Die Revolutionäre lieferten sich blutige Kämpfe mit den in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen, und schon bald schien die Revolution gewonnen. Die Sowjetunion jedoch schickte Verstärkung, am 4. November rollten sowjetische Panzer in Ungarn ein, die Sowjetarmee griff an; der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, die Regierung Nagy für ungültig erklärt.

Über 200 000 Ungarn flohen über Österreich in den Westen. Imre Nagy sowie 350 weitere Menschen wurden hingerichtet.

Gesichter der Revolution
Statue von Imre Nagy in Budapest

Heute werden sie als Helden gefeiert; kaum eine Stadt, in der keine Statue von Imre Nagy steht.

 

 

 

Die Statue Nagys blickt direkt auf das Parlament; vor der Brücke liegen Blumen und Kerzen

Besonders am 23. Oktober wird der Opfer gedacht – Imre Nagy, aber auch Menschen wie dem beim Aufstand erst 15jährigen Péter Mansfeld, der aufgrund seiner Jugend zunächst zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, um dann nur 11 Tage nach seinem 18. Geburtstag doch hingerichtet zu werden.

Das große Plakat an den Treppen zeigt Péter Mansfeld

In diesem Jahr waren aufgrund des 60. Jahrestags die Feierlichkeiten besonders aufwendig, noch Tage und Wochen lang fand man Plakate oder Installationen, Kerzen und Blumen.

Auch auf einem Kreisel wird an die Revolution erinnert

Mit den Aufnahmen möchte ich zeigen, wie wichtig der 23. Oktober für Ungarn ist. Vielleicht seid ihr beim Betrachten insbesondere des Videos ähnlich ergriffen wie ich. Mir ist dabei wieder einmal aufgefallen, wie wenig wir in der Schule über die Geschichte anderer Länder gelernt haben, selbst über die jüngste Geschichte der anderen europäischen Nationen – und doch wäre dieses Wissen so wichtig, um die Menschen dort und ihr Denken zu verstehen.

Hier fängt die Geschichte an.

Oder eigentlich fing sie bereits vor einigen Tagen, Wochen, Monaten oder sogar Jahren an.

Lasst uns eine kleine Zeitreise machen:

Vor Jahren bereits entschied ich mich, nach meinem Abitur ein Jahr im Ausland zu verbringen, am besten im Rahmen eines Freiwilligendienstes. Nach langem Suchen und dem Besuch mehrerer Messen zum Thema Auslandsaufenthalt war die Organisation kulturweit gefunden. kulturweit

Ich fieberte dem Zeitpunkt entgegen, an dem ich mich bewerben konnte, doch als er endlich da war, hatte ich so viel um die Ohren, so viel anderes im Kopf, dass ich die Bewerbung nur als eine lästige Pflicht empfand. Stundenlang mussten Dokumente zusammengesucht werden, ich bat um Bescheinigungen für dieses und für jenes und auch um eine Referenz. Texte über meine Motivation, über den Umgang mit verschiedenen Situationen, über meine Vorstellungen und Wünsche wurden geschrieben, verworfen, um Mitternacht neu geschrieben.

Die Bewerbung Ende November endlich abgeschickt, konnte ich mich wieder auf Anderes konzentrieren: Die Vorweihnachtszeit, Weihnachten, die ersten Januarwochen zogen vorbei, bis schließlich Ende Januar die Nachricht kam – ich war zu einem Auswahlgespräch bei der Organisation PAD/ZfA eingeladen worden. Zusammen mit einem Freund von mir, Rune, der sich auch bei kulturweit beworben hatte und bei der gleichen Organisation, am gleichen Tag, zur gleichen Zeit wie ich sein Auswahlgespräch hatte, fuhr ich den von Schleswig-Holstein aus doch recht weiten Weg nach Bonn.

Auswahlgespräch – aufgeregt, aufgedreht… aufgerufen… aufgepasst, aufgetaut, aufgefallen und vorbei.

Für diese halbe Stunde und einige neue Bleistifte so viele Stunden Zugfahrt? Das Warten begann, das Abitur rückte näher – schriftliche Prüfungen, Ferien, Mottowoche und mittendrin die Zusage.

Ungarn? Pécs? Emotionen, Überlegungen, Gedanken überschlugen sich. Pause. Warum eigentlich nicht?

Es folgten die Platzannahme und der motivierte Versuch, erstes Ungarisch zu lernen, der jedoch allzu bald überlagert wurde von Reisen, Treffen mit Freunden und dem Lernen für die mündlichen Abiturprüfungen, schließlich Abistreich, -entlassung, -ball.

Abiturentlassung
Mein Jahrgang bei der Abiturentlassung

So viele Dinge hatte ich noch vor, so viel war noch zu erledigen – von Frankreich aus die Suche nach einer Wohnung mithilfe von Facebook, Googleübersetzer und Englisch; bald schon die ersten Verabschiedungen. Ich versuchte, mich dazu zu motivieren, einen Blog zu erstellen, scheiterte jedoch bereits an der Wahl eines Namens, ich versuchte, mich dazu zu motivieren, die ersten Sachen zu packen, doch was packt man ein, was lässt man da? Stress. Und schon saß ich im Zug Richtung Hamburg, dann Richtung Berlin, Richtung Vorbereitungsseminar.

So schnell war die Zeit vergangen, hatte ich mich nicht eben erst beworben?

Vor dem Berliner Bahnhof traf ich die ersten Mitfreiwilligen, unter anderem Isabella, Margareta und Peter, die anderen „Pécser”. Es folgten gefühlt tausendfach die Fragen: „Wie heißt du? Wohin gehst du? Und wie lange? Auch ein Jahr? Hast du auch gerade Abitur gemacht oder studierst du schon?” Zum Glück bekamen wir nach einer über eine Stunde langen Busfahrt, auf der ich mich mit Nicolas, den ich bereits in Bonn kennengelernt hatte, unterhielt, Schilder mit Namen und Einsatzland, die zumindest die ersten Fragen etwas seltener werden ließen. Außerdem erhielten wir eine Kulturweit-Trinkflasche und unsere Zimmerschlüssel. Eigentlich. Denn auf der Liste für die Zimmer fehlten ein paar Namen, unter anderem der von Lukas, Hannes und mir. Also brachten wir unser Gepäck ins Seminarhaus und gingen erst einmal an den wunderschönen See.

Werbellinsee
Entspannte Stimmung am Werbellinsee
Werbellinsee
Am Ufer sind neben der großen Badestelle regelmäßig kleine Badebuchten zu entdecken

Bald begann das Seminar offiziell; schon die Einführungsveranstaltung warf Fragen auf und irritierte. Schnell stellte sich heraus, dass das Hauptthema des Vorbereitungsseminars Rassismus, die priviligierte Stellung Weißer sein würde. Im Verlaufe des Seminars hörten wir Vorträge und diskutierten, verschiedene Meinungen kristallisierten sich heraus. Besonders die ersten unserer zehn Tage am Werbellinsee waren durchaus anstrengend, emotional, in jedem Fall aber lernten wir daraus. Später wurde es etwas ruhiger, wir verbrachten viel Zeit in den sogenannten „Mikroblicken”, kleinen Gruppen mit jeweils einem Trainer oder einer Trainerin. Bald kannte man sich, wir sangen zusammen, lösten einen „Gordischen Knoten”, ernste Gespräche fanden aber auch Raum. Aufgelockert wurde die Thematik zusätzlich durch Workshops zu anderen Themen, wie etwa Theater oder Unterrichtsgestaltung.

Das Gästehaus
Das Gästehaus

Doch zurück zu jenem ersten Abend, an dem wir schließlich doch ein Zimmer zugewiesen bekamen; im Gästehaus, etwas abseits von den anderen, aber dafür näher am See und mit gemütlichen Sofaecken ausgestattet, teilte ich mir ein Zimmer mit Benni. Wir packten aus und fielen ins Bett. Dieser Abend sollte der einzige bleiben, an dem ich verhältnismäßig früh schlafen ging, der Tag mit Ausnahme von zwei kalten Regentagen der einzige, an dem ich nicht schwimmen ging. Der Werbellinsee war warm und das Wasser klar. Bei Sonnenschein lagen wir in den Pausen am Wasser, schwammen, redeten, träumten. Abends dann sahen wir vom Steg aus zu den Sternen hinauf, Sternschnuppen so zahlreich, dass sie für unser aller Wünsche genügten, Musik und verständnisvolle Menschen, beginnende Freundschaften, wir teilten Erwartungen und Erinnerungen, blickten in Zukunft und Vergangenheit – bald waren die Abende das vielleicht Schönste. Ein großes Danke an euch, die ihr mit mir diese besonderen Momente teiltet und sie überhaupt erst möglich machtet. Ihr wisst es bestimmt, wenn ihr gemeint seid, deshalb zähle ich an dieser Stelle keine Namen auf. Ich hoffe, dass wir uns nicht aus den Augen verlieren!

Hervorheben möchte ich noch die Werwolfrunden – Chris, du bist ein grandioser Spielleiter – und den Abend, an dem wir mit einer kleinen Gruppe Improtheater spielten, ich habe lange nicht mehr so gelacht. Außerdem das Regionenabendessen und unseren anschließenden Abend zusammen, ich freue mich sehr darauf, euch alle beim Zwischenseminar im November wiederzusehen! Und schließlich unsere Abschiedsfeier am letzten Abend und die Spaziergänge am Seeufer, tags wie auch nachts.

Zauberhafte Abendstimmung
Zauberhafte Abendstimmung
Danke, Cécile, für dieses tolle Foto!
Danke, Cécile, für dieses tolle Foto!

Alles in allem war das Vorbereitungsseminar eine wirklich schöne Zeit, die mich bereits verändert hat. Danach wieder nach Hause zu fahren war ein seltsames Gefühl. Mein Zuhause fühlte sich plötzlich zu klein an. Als ich nach zwei Tagen mit viel zu viel Gepäck schließlich losfuhr, wollte ich plötzlich aber doch noch ein wenig bleiben.

Nach etwa 24 Stunden kam ich schließlich hier in Pécs an. Bis Budapest war die Fahrt ruhig gewesen und ich lernte hilfreiche und interessante Menschen kennen, in Budapest jedoch verpasste ich meine Haltestelle (hier ein Dankeschön an die ungarische Bahn dafür, dass die Stationen oft nicht angesagt werden) und musste mit meinem doch recht schweren Gepäck per U-Bahn quer durch Budapest fahren, nur um dann wieder zurückzufahren, da der Bahnhof, an dem ich fälschlicherweise ausgestiegen war, sich schließlich als sinnvollste Alternative erwies.  Nachmittags, statt wie geplant mittags, erreichte ich aber doch Pécs – und das mit allen Gepäckstücken.

Meine ausgesprochen nette Ansprechpartnerin, Timi, holte mich ab und fuhr mich zu meinem Zuhause für das nächste Jahr, ein Zimmer in einer kleinen, alten, aber gemütlichen Wohnung etwas außerhalb vom Zentrum im vierten Stock eines Wohnblocks, die ich mir mit einer ungarischen Studentin, Dóra, teile. Sie traf ich dann auch vor der Wohnung und zusammen trugen wir mein Gepäck die Treppen hoch… Anschließend saßen wir zusammen, redeten, ich richtete mich ein und fiel müde ins Bett.

Das Leöwey Klára Gimnazium, meine Einsatzstelle
Das Leöwey Klára Gimnazium, meine Einsatzstelle

Am nächsten Morgen brachte mich Dóra mit dem Bus zu meiner Einsatzstelle, dem Leöwey Klára Gimnázium. Mein erster Arbeitstag dort. Gespannt betrat ich die Schule, auf den ersten Blick ein Labyrinth, doch schon bald fand ich mich besser zurecht. Von den anderen Deutschlehrer_innen sowie ausnahmslos allen weiteren Menschen, denen ich vorgestellt wurde, wurde ich sehr freundlich aufgenommen, und schon bald standen erste Sachen auf meinem Schreibtisch, zwei weitere Schlüssel hingen an meinem Schlüsselbund. Hinzu kam der Fahrradschlüssel für mein „Dienstfahrrad”, ein Fahrrad, welches eigentlich dem gesamten Kollegium zur Verfügung steht, das ich aber freundlicherweise dauerhaft benutzen darf. Mittags schlenderte ich das erste Mal durch die Innenstadt von Pécs, die aufgrund ihrer vielen Farben von innen heraus zu strahlen scheint, aß mein erstes Pécser Eis (es gibt hier an jeder Ecke Eisdielen, günstig und viel zu lecker…) und bekam einen ersten traumwandlerischen Eindruck von der Stadt. Später machte ich mich mithilfe einer Karte aus der Touristeninfo mit dem Fahrrad auf den Rückweg und fand auch tatsächlich ohne Probleme heim. Der erste Einkauf (im Laden stand ich verzweifelt vor der Obst- und Gemüsewaage, fand die Zwiebeln nicht, die ich kaufen wollte – Insidertipp: „tovább” heißt weiter), das erste auf dem alten, mehr oder weniger funktionierenden Gasherd gekochte Essen und schließlich, endlich, schlafen.

Nach einem weiteren Tag – noch waren meine Aufgaben in der Schule nicht recht definiert, ich musste meinen Platz noch finden – war bereits Wochenende. Dieses nutze ich dazu, die Stadt zu erkunden, meine Kamera und ich entdeckten neue Straßen, besichtigten den Dom und kletterten auf den Turm, trafen im Zuge des Stadtfestes mehrfach auf einen Karnevalsumzug und besichtigten die Synagoge. Ich traf mich außerdem mit Anna, einer weiteren ungarischen Studentin, die ich über die Wohnungssuche kennengelernt hatte, versuchte, meine ersten Ungarischkenntnisse anzuwenden: „Szeretnék egy Döner”, die Antwort: „Spicy?”, traf mich mit den anderen Freiwilligen und entspannte.

Pécs am Tag:

Pécs abends und nachts:

Die Kathedrale St. Peter und Paul:

Die Synagoge von Pécs:

Mittlerweile sind wir beinahe im Jetzt angekommen. Es ist Mittwochabend, drei weitere Tage an der Schule sind vergangen, ich lerne langsam die Namen, zumindest die der Lehrkräfte, und es bilden sich Aufgaben heraus – Korrigieren, Hospitieren, DSD-Vorbereitung, Hilfe in der Bücherei…

An sich komme ich inzwischen gut zurecht, Forint werden mir immer geläufiger, es fügen sich einige neue Wörter auf Ungarisch in meinen Wortschatz ein, ich erkenne, welcher Schlüssel zu welchem Schloss gehört, das Fahrrad ist auf meine Größe eingestellt und ich finde mich in Schule und Stadt zurecht. Letzteres zumindest, solange ich nicht versuche, mit Einkäufen bepackt bei Regen einen neuen Weg nach Hause zu nehmen. Das führt nur dazu, dass ich mich am völlig falschen Ende der Stadt unter einem Dach wiederfinde, wartend, dass der Regen aufhört, auf meinen Stadtplan blickend, während es langsam dunkler wird.

Ich schmecke noch die Pfannkuchen nach, die ich eben mit meiner wunderbaren Mitbewohnerin gegessen habe, und ich möchte meine Wohnung etwas außerhalb mit der Viertelstunde Fahrradweg nicht gegen eine Wohnung innerhalb mit fünf Minuten Fußweg tauschen. Ich habe mich sogar beinahe daran gewöhnt, mitten auf der Straße zu fahren und mich wie ein Auto auf einem Abbiegestreifen einzuordnen.

Es bleibt noch der Gang zum Einwohnermeldeamt, das endgültige Organisieren eines Sprachkurses, das Verzieren meiner Wände, vielleicht der Kauf eines Papierkorbes und eines Spiegels und schließlich noch so viel zu lernen, zu entdecken, zu erleben, so viele Leute kennenzulernen!

Meinen ersten, verspäteten, aber dafür ausführlichen Blogeintrag möchte ich jedoch nicht mit einem Blick auf Ungarn, sondern auf Deutschland schließen, genauer gesagt auf die Menschen dort, die mich geprägt und unterstützt haben und so dafür verantwortlich sind, dass ich heute hier, in Pécs, an meinem Schreibtisch sitze und diesen Text schreibe. Danke, dass ihr immer für mich da seid!

Liebe Grüße aus Ungarn!