Alltag ≠ Alltag

Normalerweise mag ich Abläufe nicht, wenn sie immer gleich sind. Es langweilt mich auf Dauer. Und ich hatte mich auch darauf eingestellt, dass mich hier in Budapest nach ein paar Wochen der langweilige Alltag einholen würde. Dass alles gewohnt sein würde, ich immer die gleichen Wege gehen würde, die gleichen Menschen treffen würde und ansonsten vieles so machen würde, wie ich es aus Deutschland gewohnt bin.
Der Alltag hat mich mittlerweile. Nur ist er keineswegs mit dem in Deutschland zu vergleichen. Hier macht er mich jeden Tag wieder glücklich.
Ich stehe gegen 5.30 auf, verlasse um 6.45 spätestens das Haus. Das Wetter ist mittlerweile so gut, dass ich einfach im Tshirt losgehe. Sonnenbrille vergessen ist ein Anfänger_innenfehler, passiert nicht mehr. Die Metrostation Astoria ist nicht weit von zuhause entfernt, in fünf Minuten bin ich da, fahre dann zum Örs vezer tere. Da ist meistens ein bisschen Stress angesagt, weil die Busse so knapp nach dem Eintreffen der Metro losfahren, dass „Catch the bus“ zu meinem neuen Frühsport geworden ist. Um 7.45 komme ich dann in der Schule an, werde von ein paar kleineren Kindern mit Umarmung begrüßt, die Älteren sagen meist „Guten Tag, Merle“. Wenn ich nicht zu müde bin, schaffe ich es mittlerweile sogar, ihnen auf Ungarisch zu antworten und zu fragen, wie es ihnen geht. Im Lehrer_innenzimmer angekommen, spreche ich mit den Lehrer_innen, in deren Klassen ich an dem Tag bin, den Unterricht durch, trinke meinen scheußlichen instant coffee (irgendwie trinkt hier niemand richtigen Kaffee…) und dann beginnt der Schultag. Zwischendurch hab ich ab und zu Zeit, was zu schreiben, Unterricht vorzubereiten oder mich ein bisschen zu erholen.
Nach dem Unterricht fahre ich mit dem Bus zurück, im Moment lese ich ein so tolles Buch, dass mir die Fahrt viel zu kurz vorkommt. Meistens gehe ich im Anschluss direkt zum Sport, denn ich habe gemerkt, dass es für mich einfach nicht ohne geht. Dort kennen mich auch schon ein paar und wissen, dass sie mit mir sehr langsam sprechen und/oder notfalls auf Englisch ausweichen müssen. Gegen 16.30/17.00 bin ich dann wieder zuhause.
Die Nachmittage sind ganz unterschiedlich. Aber die Stadt und das Wetter verleiten immer dazu, nochmal aus dem Haus zu gehen, auch wenn es manchmal nur für einen Kaffee reicht. Montags und mittwochs habe ich von 18 bis 20.30 Uhr Sprachschule. Der Unterricht ist anstrengend, macht aber in meiner Gruppe trotzdem sehr viel Spaß. Ansonsten gibt es in meinem Viertel ein paar tolle Cafés, wo ich mich ab und zu hinsetze um Unterricht vorzubereiten. Ansonsten trifft man sich abends mal auf ein Bier (oder zwei), denn das Wetter lädt wirklich dazu ein. Im Park am Déak Ferenc Tér sitzen wir dann, hören den Musiker_innen oder gucken den Skater_innen zu und genießen die Wärme. Selbst nachts kann man nun schon in kurzen Sachen draußen sein.

Aber auch die Dinge, die sonst so festgefahren sind, haben mich nun, nach zwei Monaten noch nicht eingeholt. Ich gehe nie die gleichen Wege. Manchmal setze ich mich einfach in eine Straßenbahn, die in etwa in die richtige Richtung fährt. Manchmal verlaufe ich mich auch in den schmalen Gassen und finde mich dann wo ganz anders wieder, finde da wiederum auch wieder schöne Dinge und genieße einfach den Flair, der diese Stadt ausmacht. Es wird nicht langweilig. Es bleibt jeden Tag wunderschön und ich weiß, dass Budapest auch für die nächsten drei Monate noch viel zu bieten hat.

Nun noch zur letzten Woche: Erwähnenswert ist auf jeden Fall, dass ich bei der Judo-Europameisterschaft war. Der Vater eines Schülers ist ehemaliger Olympia-Sieger und hat so einigen Klassen von meiner Schule Freikarten besorgt. So kam es dann, dass ich mit einer 7. Klasse hingefahren bin. Für mich war es relativ langweilig, weil immer vier Kämpfe gleichzeitig stattfanden, ich die Regeln nicht wirklich kenne und man nie wusste, wer wer ist. Und von dem stumpfen Abfeiern, wenn ein_e Deutsche_r oder ein_e Ungar_in kämpft, halte ich eh überhaupt nichts. Trotzdem war es ein schöner Tag, wir hatten Spaß und ich kenne das Puskás Ferenc Station nun auch von innen.
Heute war ich zum ersten Mal auf der Margaretheninsel, der Insel, die mitten in der Stadt in der Donau ist. Ich bin barfuß mit den Füßen im Wasser einmal rund herum gelaufen, etwa 5 km, und habe nun einen leichten Sonnenbrand (wird natürlich alles noch braun…). Es ist dort perfekt zum Laufen oder Spazieren gehen, da ein befestigter Weg komplett um die Insel führt. Obwohl die Insel mitten in der Stadt liegt, hört man dort nur das Rauschen der Wellen. Die Polizeisirenen und die Autos sind auf einmal ganz weit entfernt. Damit habe ich mich genug erholt und starte morgen frisch und munter in den Montag.
Die neue Woche hat allerdings nur zwei Schultage, da danach der 1. Mai ansteht und der Donnerstag und Freitag bewegliche Ferientage sind. Den 1. Mai werde ich, so wie in Deutschland auch schon in den letzten Jahren, auf einer Maikundgebung verbringen. Dieses Jahr bin ich bei der MSZP, der Ungarischen Sozialistischen Partei. Hier wird nicht nur der Tag der Arbeit gefeiert, sondern auch der 9. Jahrestag des EU-Beitritts Ungarns. Deshalb gibt es eine ganztägige Feier mit etwa 600 Genoss_innen. Ich bin schon gespannt.

Soviel erstmal, ich berichte dann wohl wieder vom 1. Mai.