Klassenräume haben nicht immer 4 Wände

„Wir müssen bereit sein, uns von dem Leben zu lösen, das wir geplant haben, damit wir das Leben finden, das auf uns wartet.“ – Oscar Wilde

Am Mittwoch, 12. Juni fanden im Colegio Déroly die Festivitäten zum Schuljahresende statt. Wir bastelten den Vormittag an der Deko und bereiteten alles für das Finale der Wissensolympiade unter den Schülern vor.

Beginn der Sommerferien am Décroly

Dann waren Sommerferien. Auch für mich. In meiner Einsatzstellenbeschreibung stand, dass die Schüler erst am 15.07. in die Sommerferien aufbrechen werden, also war ich etwas überrascht. Einige der Schüler umarmten mich zum Abschied und bedankten sich für den Unterricht. Eine Schülerin sagte mir, sie wolle in den Ferien weiter Deutsch lernen und dabei bleiben, da meine Eltern ihr gesagt hätten wie viel Potenzial sie hätte, als sie hier zu Besuch waren. Ich freue mich, dass ich wenigstens bei einigen Schülern etwas hinterlassen konnte und sie sogar etwas traurig waren, dass ich nach den Ferien nicht mehr hier sein werde. Denn die Sommerferien gehen hier bis Mitte August. 2 Monate Sommerferien, ist das nicht viel zu viel, dachte ich, was machen die Schüler so lange? Ich fragte eine kleine 7-jährige Schülerin nach ihren Plänen. Sie antwortete: „Erst fliegen wir nach New York. Dann geht’s weiter nach Hawaii und später fahren wir nochmal nach Casa de Campo (ein Luxusvillenresort hier an der Küste)“. So viel dazu.

Meine Aussichten für die „Sommerferien“  waren nicht ganz so extravagant. Eigentlich war geplant, dass ich im Summer Camp der Schule tätig bin und dort weiterarbeite, einer der Gründe warum ich mich auch im März gegen einen Wechsel der Einsatzstelle entschied, weil ich mich bereits auf das angekündigte Camp mit „Tanz, Gesang und Theater“ freute – Pustekuchen.

Bestätigung meiner erneuten Frustration fand ich im netten Austausch mit drei der weltwärts- Freiwilligen, die ich endlich ausfindig machen konnte. Wir trafen uns zwei Mal zu sehr netten Gesprächen. Die drei Mädchen sind nun schon ein Jahr hier und fliegen in den kommenden Wochen nach Hause zurück. Es war spannend, wie sie ähnliche Auffassungen der Mentalität und des dominikanischen Lebens haben und dass es auch bei ihnen zu Beginn eine schwere Zeit gab. Auch faszinierend war es, sich über die Einsatzstellen auszutauschen, denn zwei Freiwillige arbeiten in einer Schule für sehr arme Kinder – das komplette Gegenteil zum Colegio Décroly. Schade, dass es für die drei nun schon wieder zurück geht, doch der Austausch mit ihnen war eine tolle Bereicherung und Bestätigung.

Direkt nach Schuljahresende des Colegio stand für mich nun erstmal der Sprachkurs an, den ich aufgrund der vielen Probleme und des Durcheinander aufschieben musste. Ein Sprachkurs ist Teil des kulturweit-Programms und soll eigentlich zu Beginn des Aufenthalts gemacht werden. Mein Kurs fand im Instituto Intercultural del Caribe statt. Ein kleines Haus mit ganz viel Liebe. Die Schule bietet je nach Sprachniveau Kurse in kleinen Gruppen an und die Lehrer sind sehr persönlich. Die anderen Sprachschüler dort bleiben meist länger als eine Woche, meistens 5-8 Wochen. Aber es kommen und gehen auch immer wieder Schüler, sodass viel Leben dort herrscht. Der Kurs gefiel mir sehr, denn endlich konnte ich meine alltäglichen grammatikalischen Fehlerchen ausbessern und viel Neues dazulernen. Das Highlight war jeden Tag um 10:30 Uhr das frische karibische Obst in der Kaffeepause – Instituto del Caribe eben J Eine meiner Mitschülerinnen startete mit mir zusammen in der Sprachschule und war einige Tage zuvor erst angekommen. Sie weinte den ersten Tag nur. „Dieses Land ist so doof, nirgendwo kann man allein zu Fuß gehen und es ist so heiß. Europa ist viel besser.“ Ich war zunächst etwas erschrocken, denn klar, das Leben ist anders hier und wirklich erstmal ein „Kulturschock“ für uns Europäer, doch direkt am zweiten Tag so zu urteilen?  Spannend, wie andere mit diesem Schock umgehen und sich hier in dem Land verhalten. Die nächsten Tage besserte sich die Stimmung des Mädchens, doch ein „Carro Publicos werde ich nie fahren, ich werde nur UBER benutzen“ zeigte mir, wie wenig sie bereit dazu war, sich auf die Kultur hier einzulassen. Schade. Als die Sprachschule zu Ende ging war ich etwas traurig, denn die Zeit dort hat mir sehr gefallen. Gerade erst vor ein paar Tagen habe ich nochmal dort vorbei geschaut, um mich zu verabschieden – wirklich ein kleines Zuhause.

Die bisherige Zeit meines Freiwilligendienstes hat mir gezeigt, wie schmerzhaft Emotionen wie Sehnsucht, Heimweh und Vermissen sein können. Aber ich habe auch spüren gelernt, dass diese Gefühle sehr wertvoll sind, die einem zeigen wer einem eigentlich wie viel bedeutet. Immer wieder Sehnsucht zu haben hat mich unheimlich gestärkt. Meiner Familie und meinen Freunden bin ich sehr dankbar für die Unterstützung, das Mut machen und die geteilten Freuden und auch auf meinen Freund bin ich sehr stolz, der mich dieses Jahr trotz den tausenden von Kilometern Entfernung auf meiner Achterbahn-Fahrt begleitet.

Während meiner Zeit hier stelle ich mir oft Fragen wie: „Was brauche ich?“ und „Was ist mir wichtig?“ Darauf habe ich wunderbare, schwierige und spannende Antworten gefunden.

So habe ich vor einigen Wochen meinen lang ersehnten Umzug verwirklicht. Ich zog zu einer Freundin von mir, und ihrem Freund. Sie wohnen direkt am Meer im 20. Stock. Von nun an veränderte sich meine Lebensqualität total: Ich erfuhr nicht nur viel Geborgenheit und Herzlichkeit der beiden, sondern ich schlief ein mit Meeresrauschen und wachte auf vom Meeresrauschen, ich frühstückte mit Blick auf die Karibik und putzte Zähne mit dem salzigen Wind um die Nase – herrlich.

Neben dem Sprachkurs gab ich weiterhin Deutschnachhilfe für eine Ärztin und ihre Tochter im Norden der Stadt und gab an einem Samstag auch Vertretungsunterricht an der APEC-Universität.

Jetzt, wo ich an einem anderen Ort wohnte, lohnte es sich auch mal die Metro zu benutzen, die nur zwei Linien hat und nur einige Orte abdeckt. Echt lustig, wie auch die Metro „dominikanisch“ ist. Es gibt keinen Fahrplan, noch eine Anzeige wann der nächste Zug kommt und auch Kartenautomaten gibt es nicht, sondern nur einen Schalter. Manchmal muss man sogar fragen in welche Richtung der Zug genau fährt, da die Ausschilderung fehlt. Die Züge und auch die Bahnsteige sind jedoch hoch modern, da es die Metro erst seit 3 Jahren gibt. Auch in der Bahn vergisst man nicht wo man ist: Jeder sagt Guten Tag, wenn er rein kommt und neben mir hörte ich einer Diskussion darüber zu, ob man erst die Personen aussteigen lassen muss und dann einsteigen darf. Eine Wortmeldung dazu bestätigt, dass es in New York ja auch so sei – Ich liebe es 🙂

Die Metro.

Mein Sommerferien-Highlight (besser als New York, Hawaii und Casa de Campo zusammen) rückte immer näher: Mein Freund kam mich für 3 Wochen besuchen und wir reisten gemeinsam. Meine Vorfreude darauf wuchs Tag um Tag, doch die Zeit nach meinem Urlaub blieb immer noch ein Fragezeichen, denn die Arbeit in der Schule war beendet.

Ich schrieb diverse kulturelle Institutionen und Organisationen von Veranstaltungen an, nahm Kontakt zu NGOs und sozialen Einrichtungen auf, um eine alternative Beschäftigung im Rahmen meines kulturweit-Freiwilliendienstes zu finden, doch ohne Erfolg.

So habe ich also den Entschluss gefasst, die letzten fünf Wochen meines Freiwilligendienstes nicht mehr in Santo Domingo verbringen zu können und zu wollen und nahm Kontakt zu kulturweit auf, schilderte meine Situation.  Sehr habe ich mich einige Wochen später über die Einladung mit Sponsoring des Goethe-Instituts zur fünfwöchigen Hospitation in Ciudad de Mexico gefreut. Ich habe mich also entschieden noch mal kurz vor Ende einen Sprung über den Tellerrand zu wagen und nach Mexiko zu ziehen.

Ich denke die wichtigsten Dinge, die ich in meinem „Klassenraum“ Santo Domingo gelernt habe, sind Prioritäten zu setzen, „lernen“ zu wollen und nicht zu müssen und sehr viel über mich selbst.

Weite Kulturen mit kulturweit

“Kulturweit setzt sich für eine weltoffene Gesellschaft im Sinne der UNESCO ein. Im Zentrum steht ein lebenslanger Prozess der Persönlichkeitsentwicklung entlang der Themen Kultur, Bildung und Menschenrechte. Zentral ist die Vermittlung einer ethischen Haltung, die den Werten des Friedens, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit verpflichtet ist.“*

Mit kulturweit bin ich hier in der Dominikanischen Republik als Vertreterin deutscher Kultur. Was ist das, deutsche Kultur? Ich bin 19 Jahre alt und kenne viele Teile Norddeutschlands ziemlich gut würde ich behaupten. Doch dann… Berlin und Dresden auch noch, Bonn und Stuttgart war ich schon mal und südlicher in einigen Städten. Also was kann ich über die deutsche Kultur sagen? Gibt es überhaupt DIE eine?

Ich glaube bei kulturweit und meinem Einsatz geht es vielmehr um mich als eine deutsche, eine Vertreterin aus einer Region Deutschlands, die ihr Leben teilt. Wenn mich jemand fragt was für mich Deutschland ist, antworte ich: Sicherheit, Vertrauen, Möglichkeiten, Schützenfest, Vollkornbrot und Weihnachtsmärkte. Niemand anders wird so antworten oder wenn, dann nur ähnlich. Für mich sind zum Beispiel Familie und Feste sehr wichtig, weshalb ich mit meinen Schülern viel zum Thema Ostern gearbeitet habe: Wir haben gesungen, Eier bemalt, Texte gelesen und einander erzählt wie wir das Fest jeweils feiern. Sicherlich wird der nächste Freiwillige ganz andere Prioritäten setzen und möglicherweise Deutschland als Fußball-Nation hervorheben, was mich z.B. weniger interessiert. Dafür finde ich es spannend von meinem Sport, dem Fechten zu berichten, den viele hier gar nicht kennen. So ist jeder Deutsche anders und jeder Freiwillige hat verschiedene Eigenschaften und bringt andere Vorstellung von „seiner Heimat“ mit. Trotzdem gehören wir alle dem Kollektiv „Deutschland“ an, weil uns sicher auch vieles verbindet.

Spannend finde ich auch unsere Mission als kulturweit-Freiwillige (s.o.), eine ethische Haltung, Werte des Friedens, Menschenwürde und Gerechtigkeit zu vermitteln. Ich denke das sollte die Aufgabe eines jeden Reisenden zur Völkerverständigung sein und ist darüber hinaus ein sehr interessanter Austausch. In der Schule, in der ich arbeite kommen die meisten Schüler aus der sozialen Oberschicht des Landes. Ihre Eltern bezahlen viel Geld für die Bildung ihrer teilweise schwererziehbaren Kinder und die Schule erhält die Aufgabe der Erziehung oder manchmal schlichtweg die der Beaufsichtigung. An dieser  Stelle fehlt, meiner Meinung nach, die Vermittlung der „Weltbürger-Werte“: Höflichkeit, einander Zuhören und ausreden lassen, als Team voneinander und miteinander lernen, Fantasie, reflektiertes Denken… einige der Fähigkeiten, an denen ich gemeinsam mit meinen Schülern gearbeitet habe und zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen bin.

Ich bin hier zum Austausch. Ich bin hier um meinen Teil deutscher Kultur mit dem Teil dominikanischer Kultur, den ich während meiner 6 Monate hier kennen lernen darf, zusammenstoßen und verschmelzen zu lassen. Auch hier betrachte ich den Begriff „Kultur“ als etwas Offenes und Diverses. Ich bin sechs Monate in diesem Land, lerne nur bestimmte Menschen kennen, die mir zwar alle verschiedene Geschichten und Sichtweisen auf das Land zeigen, aber trotzdem gibt es noch viel mehr Menschen und so viel mehr Geschichten, die ich nicht kennen lernen werde. Also habe ich mir folgende Frage gestellt: Was ist anders hier für mich als in Deutschland? Was ist der Unterschied zwischen meinem Leben in Deutschland und meinem Leben hier?

Das wohl Offensichtlichste: Die Hitze. Das, was hier alles beeinflusst. Es gibt zwei Jahreszeiten sagen viele Dominikaner: Sommer und Hölle. Dieses Jahr fiel die Regenzeit im Mai komplett aus, weshalb der Juni bereits so heiß ist, wie es normalerweise erst im August wird. Die Menschen arbeiten deswegen weniger und langsamer. An der Supermarktkasse kann das ein durchgetaktetes deutsches Leben sehr gut aus der Ruhe bringen, wenn die Kassiererin 10 Minuten pro Klienten benötigt. Aber dafür sind die Supermärkte beeindruckend. Sie sind riesengroß und man findet alles was man braucht und noch mehr. Leider sind die Lebenshaltungskosten hier sehr hoch. Viele Dominikaner leben von jetzt bis jetzt, ohne an die Zukunft zu denken und geben ihr Geld häufig direkt aus.
Ebenfalls überrascht mich, dass Bildung in diesem Land häufig nicht mehr als persönliche Anreicherung ist. Bildung ist hier kein Schlüssel zur Karriere, im Gegenteil. Meine 15-jährigen SchülerInnen wussten bereits in welche Jobs der Papa oder der Onkel sie reinschleusen wird. Oft habe ich mitbekommen, dass es auf dem Jobmarkt der Dominikanischen Republik nicht um Bildung, sondern nur um Vitamin B geht. Kein Wunder, dass einige Schüler teilweise mit verschränkten Armen vor mir saßen und sagten: „Was willst du? Wir brauchen kein Deutsch.“ Jeder scheint also tatsächlich in seine Rolle hineingeboren zu sein. Was für ein Luxus, den wir in Deutschland doch haben und wie wenige ihn zu schätzen wissen, wenn sie stöhnend vor der Studienwahl stehen und „irgendwas“ beginnen zu studieren, was ihnen nicht gefällt. Wie cool, dass wir unsere Leidenschaft zu unserem Beruf machen können und damit eine ganze Familie ernähren können.

Trotzdessen bin ich wunderbar überrascht von der dominikanischen Mentalität als Reaktion auf diese Probleme und Missstände. Gott ist hier alles. Und deshalb wird auch alles gut, weil Gott alle liebt – das Lebensmotto der Dominikaner.

Die Menschen stöhnen nicht oder regen sich nicht stundenlang über etwas auf, wenn etwas nicht funktioniert, sondern sie werden erfinderisch. Sie helfen einander und nirgendwo bist du allein. Denn man hat Familie ohne eine zu haben. Dazu gehören die Nachbarn, der Handwerker, die Freunde und die Kollegen. Das ist alles sehr oberflächlich für deutsche Verhältnisse aber für den Moment weiß man wer da ist und darum geht es hier in der Dominikanischen Republik: um den Moment.

*Auszug Internetauftritt kulturweit.