Weite Kulturen mit kulturweit

“Kulturweit setzt sich für eine weltoffene Gesellschaft im Sinne der UNESCO ein. Im Zentrum steht ein lebenslanger Prozess der Persönlichkeitsentwicklung entlang der Themen Kultur, Bildung und Menschenrechte. Zentral ist die Vermittlung einer ethischen Haltung, die den Werten des Friedens, der Menschenwürde und der Gerechtigkeit verpflichtet ist.“*

Mit kulturweit bin ich hier in der Dominikanischen Republik als Vertreterin deutscher Kultur. Was ist das, deutsche Kultur? Ich bin 19 Jahre alt und kenne viele Teile Norddeutschlands ziemlich gut würde ich behaupten. Doch dann… Berlin und Dresden auch noch, Bonn und Stuttgart war ich schon mal und südlicher in einigen Städten. Also was kann ich über die deutsche Kultur sagen? Gibt es überhaupt DIE eine?

Ich glaube bei kulturweit und meinem Einsatz geht es vielmehr um mich als eine deutsche, eine Vertreterin aus einer Region Deutschlands, die ihr Leben teilt. Wenn mich jemand fragt was für mich Deutschland ist, antworte ich: Sicherheit, Vertrauen, Möglichkeiten, Schützenfest, Vollkornbrot und Weihnachtsmärkte. Niemand anders wird so antworten oder wenn, dann nur ähnlich. Für mich sind zum Beispiel Familie und Feste sehr wichtig, weshalb ich mit meinen Schülern viel zum Thema Ostern gearbeitet habe: Wir haben gesungen, Eier bemalt, Texte gelesen und einander erzählt wie wir das Fest jeweils feiern. Sicherlich wird der nächste Freiwillige ganz andere Prioritäten setzen und möglicherweise Deutschland als Fußball-Nation hervorheben, was mich z.B. weniger interessiert. Dafür finde ich es spannend von meinem Sport, dem Fechten zu berichten, den viele hier gar nicht kennen. So ist jeder Deutsche anders und jeder Freiwillige hat verschiedene Eigenschaften und bringt andere Vorstellung von „seiner Heimat“ mit. Trotzdem gehören wir alle dem Kollektiv „Deutschland“ an, weil uns sicher auch vieles verbindet.

Spannend finde ich auch unsere Mission als kulturweit-Freiwillige (s.o.), eine ethische Haltung, Werte des Friedens, Menschenwürde und Gerechtigkeit zu vermitteln. Ich denke das sollte die Aufgabe eines jeden Reisenden zur Völkerverständigung sein und ist darüber hinaus ein sehr interessanter Austausch. In der Schule, in der ich arbeite kommen die meisten Schüler aus der sozialen Oberschicht des Landes. Ihre Eltern bezahlen viel Geld für die Bildung ihrer teilweise schwererziehbaren Kinder und die Schule erhält die Aufgabe der Erziehung oder manchmal schlichtweg die der Beaufsichtigung. An dieser  Stelle fehlt, meiner Meinung nach, die Vermittlung der „Weltbürger-Werte“: Höflichkeit, einander Zuhören und ausreden lassen, als Team voneinander und miteinander lernen, Fantasie, reflektiertes Denken… einige der Fähigkeiten, an denen ich gemeinsam mit meinen Schülern gearbeitet habe und zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen bin.

Ich bin hier zum Austausch. Ich bin hier um meinen Teil deutscher Kultur mit dem Teil dominikanischer Kultur, den ich während meiner 6 Monate hier kennen lernen darf, zusammenstoßen und verschmelzen zu lassen. Auch hier betrachte ich den Begriff „Kultur“ als etwas Offenes und Diverses. Ich bin sechs Monate in diesem Land, lerne nur bestimmte Menschen kennen, die mir zwar alle verschiedene Geschichten und Sichtweisen auf das Land zeigen, aber trotzdem gibt es noch viel mehr Menschen und so viel mehr Geschichten, die ich nicht kennen lernen werde. Also habe ich mir folgende Frage gestellt: Was ist anders hier für mich als in Deutschland? Was ist der Unterschied zwischen meinem Leben in Deutschland und meinem Leben hier?

Das wohl Offensichtlichste: Die Hitze. Das, was hier alles beeinflusst. Es gibt zwei Jahreszeiten sagen viele Dominikaner: Sommer und Hölle. Dieses Jahr fiel die Regenzeit im Mai komplett aus, weshalb der Juni bereits so heiß ist, wie es normalerweise erst im August wird. Die Menschen arbeiten deswegen weniger und langsamer. An der Supermarktkasse kann das ein durchgetaktetes deutsches Leben sehr gut aus der Ruhe bringen, wenn die Kassiererin 10 Minuten pro Klienten benötigt. Aber dafür sind die Supermärkte beeindruckend. Sie sind riesengroß und man findet alles was man braucht und noch mehr. Leider sind die Lebenshaltungskosten hier sehr hoch. Viele Dominikaner leben von jetzt bis jetzt, ohne an die Zukunft zu denken und geben ihr Geld häufig direkt aus.
Ebenfalls überrascht mich, dass Bildung in diesem Land häufig nicht mehr als persönliche Anreicherung ist. Bildung ist hier kein Schlüssel zur Karriere, im Gegenteil. Meine 15-jährigen SchülerInnen wussten bereits in welche Jobs der Papa oder der Onkel sie reinschleusen wird. Oft habe ich mitbekommen, dass es auf dem Jobmarkt der Dominikanischen Republik nicht um Bildung, sondern nur um Vitamin B geht. Kein Wunder, dass einige Schüler teilweise mit verschränkten Armen vor mir saßen und sagten: „Was willst du? Wir brauchen kein Deutsch.“ Jeder scheint also tatsächlich in seine Rolle hineingeboren zu sein. Was für ein Luxus, den wir in Deutschland doch haben und wie wenige ihn zu schätzen wissen, wenn sie stöhnend vor der Studienwahl stehen und „irgendwas“ beginnen zu studieren, was ihnen nicht gefällt. Wie cool, dass wir unsere Leidenschaft zu unserem Beruf machen können und damit eine ganze Familie ernähren können.

Trotzdessen bin ich wunderbar überrascht von der dominikanischen Mentalität als Reaktion auf diese Probleme und Missstände. Gott ist hier alles. Und deshalb wird auch alles gut, weil Gott alle liebt – das Lebensmotto der Dominikaner.

Die Menschen stöhnen nicht oder regen sich nicht stundenlang über etwas auf, wenn etwas nicht funktioniert, sondern sie werden erfinderisch. Sie helfen einander und nirgendwo bist du allein. Denn man hat Familie ohne eine zu haben. Dazu gehören die Nachbarn, der Handwerker, die Freunde und die Kollegen. Das ist alles sehr oberflächlich für deutsche Verhältnisse aber für den Moment weiß man wer da ist und darum geht es hier in der Dominikanischen Republik: um den Moment.

*Auszug Internetauftritt kulturweit.