Ein halbes Jahr voller „Wachstumsschmerzen“

Wachstumsschmerzen. Tun unglaublich weh, meistens in den Knien, das man sich manchmal gar nicht weiter bewegen möchte, doch man freut sich wenn man an der Messlatte steht und der Strich schon wieder ein paar Zentimeter höher gemacht werden kann als einige Monate zuvor. Wachstumsschmerzen.

Die Zeit rennt und ich fühle mich bereits zu Hause hier in Mexiko nach etwas mehr als 2 Wochen. Doch mir bleiben nur noch 2 Wochen. Nicht nur hier. Sondern auch in meinem gesamten Freiwilligendienst und in meinem gesamten Auslandsjahr, das ich jetzt an verschiedenen Orten gelebt, durchlebt und erlebt habe. Komisch irgendwie. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das alles ein Ende hat. Dass ich nach einem halben Jahr wieder nach Hause komme, nach einem ganzen Jahr wieder für lange Zeit in Deutschland leben werde und direkt nach einer Woche von zu Hause wieder ausziehen werde. Ich bin im letzten Jahr 5 Mal umgezogen. Aber diesmal ist es definitiver, länger und beständiger. Natürlich freue ich mich auch endlich wieder alles was für mich „zu Hause“ bedeutet in die Arme zu schließen und bei mir zu haben, ich freue mich auf das Lernen in einer Universität und auch eben auf diese Beständigkeit; Menschen für mehr als einige Monate kennenlernen; ein langfristigeres Leben aufbauen als im vergangenen Jahr.

Aber natürlich ist ein Stück meines Herzens in Argentinien hängengeblieben, ein klitzekleines in der Dominikanischen Republik und ein Stück auch hier in Mexiko. Es gibt nun zahlreiche Orte in Süd- und Nordamerika, die ich auch „zu Hause“ nenne und von denen ich mich nur schwer trennen konnte oder trennen werde können. Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, nicht mehr täglich auf Spanisch zu kommunizieren, auf Spanisch zu träumen, zu fühlen und zu lieben – wie ich es die letzten 12 Monate tat. Ich kann mir nicht vorstellen wieder zurück in die deutsche Negativität zu tauchen, in die leistungsorientierte Gesellschaft zurückzukehren und wieder mehr über das Wetter zu reden als über die Liebe.

Natürlich wird mir vieles fehlen, aber ich habe auch gelernt wie glücklich mich mein Heimatland macht und das vieles meiner Heimat meine Persönlichkeit formt.

Geduld, Verständnis, Unverständnis und Energie raushauen und nichts zurückbekommen – hier in Mexico City fällt mir nochmal mehr auf, was ich alles in Santo Domingo erlebt habe und wie anders mein Freiwilligendienst doch hätte laufen können; mit so viel mehr Wertschätzung, Dankbarkeit, Geborgenheit und Herzlichkeit, die ich hier in Mexiko am Goethe-Institut und auch in meiner Freizeit täglich erfahren darf.

In Santo Domingo war ich von Anfang an auf mich allein gestellt, denn meine Einsatzstelle und meine Ansprechpartnerin haben sich nicht für mich interessiert, während sie mich gleichzeitig als kostenlose Deutschlehrkraft ausnutzten. Sie holten mich nicht vom Flughafen ab, unterstützten mich nicht bei der Suche einer Wohnung; sie halfen mir nicht beim Einleben und ließen mich allein. Meine Ansprechpartnerin habe ich 4 Mal während meiner Zeit gesehen(!) . Ich habe gegeben, gegeben und mich ausgepowert. Lauter Versprechungen bekam ich zu hören: Wir werden so viel mit dir unternehmen; im Sommer machen wir ein großes Sommer-Camp, wo wir deine Unterstützung brauchen; die Schule hat so viele Möglichkeiten für dich und wir tun alles – keine davon wurde wahr. Ich kollidierte mit der Oberschicht des Landes, suchte Halt, fand diesen zunächst in meiner Vermieterin, die mich jedoch auch irgendwann fallen ließ – und hier war ich, in der Einsamkeit.

In der Dominikanischen Republik habe ich oft „Wachstumsschmerzen“ gehabt, habe schwere Zeiten durchlebt, viel geweint, viel Frustration und viele Niederlagen erfahren und unglaublich viel an mir selbst gezweifelt. Ich habe gelernt was es bedeutet einsam zu sein, habe gelernt nicht den Mut zu verlieren, habe ihn dann doch manchmal verloren und habe trotzdem nie aufgegeben. Ich habe so unterschiedliche Menschen kennengelernt, habe so viel über Menschen gelernt und habe mir so viele Fragen gestellt.

Auch die Frage „Warum musste das alles genauso laufen“ ging mir oft nicht aus dem Kopf, insbesondere wenn mir andere Freiwillige aus Kolumbien oder Mexiko von ihrer großartigen Einsatzzeit berichteten. „Finde ich mein FSJ doof?“ „Warum bin ich noch hier?“

Ich bin so dankbar den letzten Monat hier in Mexiko-Stadt verbringen zu dürfen. Nicht nur weil ich all das erleben und erfahren darf, was mir in den letzten 5 Monaten in der Dominikanischen Republik verwehrt wurde oder fehlte, sondern auch weil ich Zeit habe alles zu reflektieren. Mittlerweile bin ich mit mir in Frieden gekommen mit den Erlebnissen und Erfahrungen aus Santo Domingo. Ich habe gemerkt, dass ich keine sozialen Probleme habe und dass ein Job auch ganz anders aussehen kann 🙂 .

Im Nachhinein bin ich aber dennoch sehr dankbar für diese komplizierte Zeit, in der ich mich oft verlor. So viel wie ich während meines Freiwilligendienst gelernt habe, habe ich während meiner gesamten Abizeit nicht gelernt (und da dachte ich schon ich wüsste jetzt alles 🙂 ).

Während meiner Zeit in Santo Domingo hat mich insbesondere das Kickbox-Training sehr gestärkt. Das Team und der Trainer waren großartig. Nach jedem noch so frustrierenden Tag ging es in den Parque Mirador Sur, wo wir erstmal 20 Mal die langen Treppen hoch und runter laufen mussten als Aufwärmung und später wurde all der Frust in das Kissen geboxt- bis die Hände wehtaten.

Ich finde es so ironisch, wenn ich nun am Ende der Zeit nochmal zurück an den Artikel denke, der von mir in unserer Lokalzeitung erschien, bevor ich mich auf den Weg machte. Ich erinnere mich noch gut an die Kommentare auf Facebook dazu, an einen ganz besonders, weil er mich ziemlich traf: „Karibik ist doch viel mehr Komfortzone als das Wendland!“

Ich schmunzele darüber nun, während all die Bilder in meinem Kopf des letzten halben Jahres ablaufen und merke wie ich mir über einiges im Klaren geworden bin: Wir sind alle gleich geboren; sollten alle die gleichen Rechte haben. Doch trotzdem sind wir alle verschieden. Wir sind viele verschiedene Persönlichkeiten auf dieser Welt und haben alle verschiedene Voraussetzungen und damit in gewisser Weise auch Verantwortungen. Als Deutsche haben wir so viele Privilegien. Wir haben so viele Möglichkeiten. Lasst uns diese Möglichkeiten ausschöpfen und uns kennenlernen. Lasst uns herausfinden was wir wollen und das verwirklichen, denn ja, in Deutschland können wir das! Deutschland eröffnet uns die Welt. Aber Stopp: Deutschland ist nicht die Welt. Ein Jahr bin ich nun durch Nord- und Südamerika gereist und habe die Welt dort kennengelernt; ich habe das wirkliche Leben kennengelernt (und ja, auch gelernt dass unser Landkreis die mit Abstand verdammt größte Komfortzone dieser Welt ist!!). Ich bin zur Latina geworden und bin Deutsche geblieben. Ich habe mein Herz verteilt.

Ich komme nun als wandelnder Meltingpot zurück in meine Heimat, mit so vielen Geschichten im Gepäck aus den unterschiedlichsten Ländern und mit einem anderen Blick auf die Welt und meine Heimat.

Eines kann ich ganz sicher sagen: Ich bin sooo viel an mir selbst gewachsen (und bin viiiiiel bräuner geworden, denn ja, in der Karibik scheint wirklich die Sonne 🙂 ).

Was ich so in einer der größten Städte der Erde mache

9:00 Uhr, ich ziehe die Wohnungstür meiner Airbnb-Wohnung hinter mir zu und laufe die 9 Stockwerke bis ins Erdgeschoss des großen Gebäudes runter. Bekleidet mit meiner Regenjacke, die in Santo Domingo die letzten 5 Wochen im Schrank hing, darunter einem Pullover, trete ich aus meinem Mehrfamilienblockhaus raus in die kühle Morgenluft mit 14 Grad.

Im Park gegenüber ist wie jeden Morgen ein Zumba Training zu Gange, direkt daneben sehe ich zwei sich küssende Pärchen auf den Parkbänken am Rand. Hier wird gelebt was das Zeug hält – denke ich mir, als ich die Straße überquere, die meinen Stadtteil Doctores zu dem hippen Stadtteil Roma Norte trennt. Das Leben findet hier von morgens bis spät auf der Straße statt. Die Mexikaner haben eine ganz andere Wahrnehmung von „Öffentlichkeit“ als wir Deutschen: Es wird gegessen, geredet, gelacht, telefoniert, getanzt und gearbeitet auf der Straße. Öffentlichkeit gehört allen und alle sind dort anzutreffen.

Ich gehe weiter und mir kommen Hundespaziergänger aller Art entgegen: Der Anzugtragende Geschäftsmann, telefonierend mit seinem sportlichen mittelgroßen Hund, die geschäftige Mutter mit dem kleinem wuscheligem Hund am Kinderwagen, der Hipster mit einer Bulldogge und der Jogger mit einem muskulösen Hund, der ganz und gar nicht in die 4. Größte Stadt Mexikos gehört.

Zwischen den passierenden Menschen sehe ich Straßenreiniger. Sie beseitigen die Überreste der vergangenen Nacht, pausieren wenn man vorbei geht.

Ich gehe weiter, vorbei an Straßenessensstände, die ihr Essen vorbereiten. Die Verkäufer rufen sich gegenseitig die Neuigkeiten des Tages zu, während sie ihr Fleisch einlegen. Einige Stände haben schon Kunden: Es gibt pikante Tacos zum Frühstück.

Es geht weiter vorbei an der hippen belgischen Panadería. Amerikaner, Europäer oder die hippen Bewohner von Roma Norte, kaufen hier ihr Frühstück bevor es zum ersten Meeting geht.

Alle Leute sind schnell unterwegs zum Weg zur Arbeit, ein normaler Arbeitstag besteht hier aus 9 Stunden. Einige arbeiten bereits: Die Bauarbeiter sagen „Buenos días“ im Vorbeigehen. Sie bauen die neuen schicken Gebäude; die Ergebnisse der fortschreitenden Gentrifizierung. Noch einmal abbiegen und dann stehe ich vor dem großen weißen Gebäude mit den grünen Buchstaben – dem 3. Größten Goethe-Institut der Welt – meinem derzeitigen Arbeitsplatz. Die Security begrüßt mich mit einem Lächeln und die Sekretärin Barbara winkt mir wie jeden Morgen zu und ruft mir ein „Guden Morgän“ entgegen – jeden Morgen ein wunderbarer Start in meinen Arbeitstag in der Sprachabteilung am Goethe Institut Mexiko-Stadt. Einen richtigen Büro-Job habe ich hier und ordentlich was zu tun. Ich arbeite nicht nur an administrativen Aufgaben, sondern momentan auch an einer Rallye zu Alexander von Humboldt für den Tag der deutschen Sprache, einer Veranstaltung hier am Goethe-Institut im September. Eine tolle kreative Phase, die ich hier erlebe, vor meinem unkreativen Studium 🙂

Also nochmal im Klartext: Ich wohne jetzt in der 4. Größten Stadt der Welt. Ich wohne jetzt in Mexico City. Das muss man sich erstmal auf der Zunge zergehen lassen, ohne eine erhöhte Herzfrequenz dabei zu bekommen. Aber ich fühle mich hier sehr wohl und nach 2 Wochen bereits zu Hause. Zu Beginn war das aber eine ordentliche Umstellung: Lauter Highlife-Probleme stürzten auf mich ein: Ich hatte nicht nur einen Klimaschock sondern auch einen Höhenschock und war erstmal leicht angeschlagen. Von 0m Karibik auf 2500m Mexiko-Stadt hatte ich total unterschätzt. Es wird einem sogar dringlich geraten, die ersten Wochen keinen Sport zu treiben, weil der Körper sich erstmal an den Unterschied gewöhnen muss. Hinzu kommt die Temperatur: Ich kam aus der karibischen Luft mit 38 Grad Celsius nach hier her mit maximal 20 Grad am Tag und nachts Tiefsttemperaturen von 12 Grad, mit einem Koffer voller luftiger Kleider und Bikinis.

Also: Wärmflasche und Pullover gekauft. Ganz viele Mangos gegessen. Noch mehr Taccos und Tamales gegessen und schwups, nach 2 Wochen war ich mexikanisiert.

Letzten Sonntag bin ich dann sogar 9km joggen gewesen auf der Avenida Reforma. Die breite Straße, die quer durch die Stadt führt wird sonntags immer bis 14 Uhr für Läufer und Fahrradfahrer von Polizei und Mithelfern gesperrt. Am Straßenrand gibt es Stände für Fahrradreparatur und  Informationsstände zu Sport und Gesundheit – wie ein Volkslauf, obwohl das Land eigentlich die Bevölkerung mit der größten Fettleibigkeits- und Diabetesrate hat – irgendwie ironisch, aber schön!

Letzten Freitag war ich mit einigen Freunden in einem alternativen Theater im südlichen Stadtteil Coyoacan. Sie sind Teil der Theatergruppe, dessen Lehrer an dem Abend der Hauptdarsteller eines Monologs war. Das Thema: Die Flucht in die USA – ein Traum, Schicksal und eine Zukunft, die sich durch die mexikanische Gesellschaft zeiht. Unter den Leuten, im Gespräch mit dem Schauspieler Manuel, lachend, diskutierend – irgendwie spürte ich so ein erfülltes Gefühl in meinem Herzen, fühlte genauer hin und merkte: Ich möchte hier in Mexiko bleiben! Im Anschluss ließen wir  den Abend mit ganz vielen anderen Mexikanern in einer Bar mit einer 2,5l großen Säule vollem mexikanischen Bier ausklingen.

Aber nicht nur im Dunkeln bin ich begeistert von dieser Stadt: Letzten Samstag habe ich mich spontan bei einer Free Walking Tour durch das Centro Historico eingeschrieben und stand am Ende allein dort mit einem super übermotivierten Guide mit orangefarbenen Regenschirm, der sich Jesus Christus als großes Vorbild zu nehmen schien. Er erzählte mir die nächsten 3,5 Stunden enthusiastisch alles was ihm so einfiel und hörte gar nicht mehr auf :).

Am Sonntag war ich dann mit einer Freundin auf dem großen Blumenmarkt Jamaica. Wir probierten Früchte, die ich noch nicht kannte, tranken frische Säfte, aßen und bestaunten die zahlreichen Piñatas. Ich bin erstaunt, dass man die Mexikaner für so viel begeistern kann. Hier scheint sich alles viel mehr um Liebe, Leben und Freude zu drehen als um Leistung, wie in Deutschland. Es gibt wenig Geld, doch trotzdem kaufen alle Luxusgüter wie Piñatas, Blumen etc.

Auch eine coole Erfahrung war die feierliche Eröffnung der 18. deutschen Filmwoche, organisiert vom Goethe-Institut im 100 Jahre alten Teatro de la Ciudad am vergangenen Dienstag. In den kommenden 2 Wochen werden 17 verschiedene deutsche Filme in unterschiedlichen Kinos und Theatern hier in Mexiko Stadt gezeigt, die die aktuelle Filmszene Deutschlands wiederspiegeln. Es handelt sich nur um preisgekrönte Filme, die teilweise noch nicht mal in Deutschland in den Kinos waren. Dazu wurden diverse Regisseure und Schauspieler von diesen Filmen vom Goethe-Institut eingeladen. Nach der Eröffnung, gab es eine krachende Aftershow-Party mit den VIP-Gästen. Es war mega cool einige Schauspieler mit einer Flasche Bier in der Hand zu treffen und im Small-Talk bis in die frühen Morgenstunden zu feiern.

Die Zeit rennt. In 2 Wochen bin ich wieder in Deutschland. Das fühlt sich gerade irgendwie merkwürdig für mich an. Nächste Woche habe ich aber noch ein kleines Abenteuer vor mir. Ich fliege nach Puerto Escondido im Bundesstaat Oaxaca und werde dort einige Tage mit Surfen und Yoga am Pazifik verbringen. Ein kleiner Mutausbruch noch zum Abschluss 🙂

Dann wird alles ganz schnell gehen: Abschied in Mexiko, noch eine Nacht zurück nach Santo Domingo, eine Nacht nochmal in meinem Zimmer schlafen, mit meinen WGlern dort lachen, kochen und quatschen und dann fliegt mich Condor in nur 10 Stunden mitten rein in meinen neuen Lebensabschnitt.

Liebe auf Distanz


Vermissen, plötzlich Tränen in den Augen haben, Zeitverschiebung, tausende von Kilometern, lange Telefonate wenn man Glück hat; keine Zeit, schlechte Internetverbindung, verpixelte Bilder und eine verzerrte Stimme wenn’s mal wieder nicht so läuft wie geplant. Schweigen, Frustration, den Wunsch alles aufzugeben. Lernen mit Worten zu umarmen, mit einem Lächeln zu küssen. Tage zählen, Ausweglosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Zweifel.

– 3 Monate waren mein Freund und ich im August letzten Jahres gerade einmal zusammen, da trennten sich bereits unsere Wege. Unsere Wege trennten sich, doch wir uns nicht. Wir stürzten uns in eine große Challenge: Alles das, was für uns unsere Beziehung bedeutete; Umarmungen, Küsse, durch die Haare strubbeln, einander anschauen und glücklich sein, laut gemeinsam drauf loslachen, sich gegenseitig durchkitzeln, Fahrrad fahren, ins Kino gehen, lange Spaziergänge, warmen Kakao trinken und dem Anderen die Schokoreste wegwischen, zusammen kochen und in der Küche tanzen…..- all das sollte in den kommenden Monaten durch eine einzige Sache ersetzt werden: Durch Worte.

Denn während mein Freund Corin nach Hamburg zog, entschied ich mich das kommende Jahr um die Welt zu ziehen: Erst nach Argentinien, dann nochmal zurück – ein Zwischenstopp für ein paar Monate in Deutschland – weiter in die Dominikanische Republik und schließlich nach Mexiko. Erst sollten wir also 3, dann 6 Monate getrennt voneinander sein; insgesamt sollten uns 9 Monate über 10 000km und ein riesiger Ozean trennen. Schaffbar, dachten wir. Wie naive Kleinkinder, die sich von einem Abenteuer ins nächste stürzen. Schaffbar dachten wir – challenge accepted.

Ich glaube dieses Jahr mit Liebe auf Distanz war das längste Jahr meines bisherigen Lebens und auch eines der schönsten. Wie oft habe ich mich gefragt, warum ich das eigentlich alles mache. Wie oft habe ich mich nicht verstanden gefühlt, gezweifelt und gedacht das war’s.

Aber ich habe auch oft gespürt, dass das genau die richtige Entscheidung war zu gehen; mein Ding zu machen; unabhängig zu sein und mein Leben zu leben. Ich habe oft gespürt, dass wir das schaffen und dass es das wert ist. z.B. als ich am Abendbrotstisch mit meiner argentinischen Gastfamilie saß und mit einem Lächeln im Gesicht von Corin auf Spanisch erzählt habe oder als mir meine Gastmama ein Foto von einem Brief von ihm schickte, der eingetroffen war während meiner Patagonien-Reise. Oder als ich mitten in der Nacht meinen Freund anrief weil ich während des lauten südamerikanischen Gewitters nicht schlafen konnte und er mir die Angst nahm. Oder als sich im Februar noch 6 Monate Dominikanische Republik für mich viel zu gruselig anhörten und Corin mir in langen Gesprächen Mut machte obwohl er mich am liebsten bei sich behalten wollte. Dann immer wieder, wenn ich erneut frustriert auf meinem Bett unter dem Mückennetz in Santo Domingo saß, weil ich wieder einmal gescheitert war und an mir selbst zweifelte, mich auf meinem Handy aber über FaceTime ein lächelndes Gesicht ansah und mir sagte: Ich glaub an dich.

Und was für schöne Motivationsgeschichten habe ich erzählt bekommen! Meine Gastmama hat mir von ihren Sorgen erzählt, als mein Gastpapa als Soldat in Kroatien eingesetzt war und ihre kurzen Telefongespräche abgehört wurden und jetzt sind sie lange verheiratet. Meine Mama erzählte mir von ihrer Verzweiflung als sie weit entfernt von meinem Papa studierte und später in den USA arbeitete und wie sie auf teure Telefonzellen geflucht hatte.

Von meinem Opi weiß ich, wie er selbst in meinem Alter um die Welt, auf hoher See, gereist ist und trotz wochenlanger Postwege der Briefe die Liebe zu meiner Omi niemals aufhörte.

Diese Geschichten und Menschen geben mir die ganze Zeit lang Mut und Kraft, weil sie auch mal in meiner Situation waren und mich bestärken. Wer weiß, vielleicht erzähle ich auch irgendwann meinen Kindern so eine Geschichte. Selbst wenn nicht, selbst wenn sich die Wege von mir und meinem Freund irgendwann wirklich trennen sollten und ich jemanden ganz anders und dann wieder jemand anders kennenlernen sollte und dann erst glücklich verheiratet bin oder es vielleicht auch nie sein werde – denn wer weiß das schon – selbst dann weiß ich, dass das hier etwas Einzigartiges und Einmaliges ist, was wir durchleben und teilen und das macht mich glücklich.

Es war Ende Juni als Corin und ich uns schon wieder 4 Monate lang nicht gesehen hatten. Wieder trennten uns tausende von Kilometern, wieder schien der Countdown zum Wiedersehen stehen geblieben und die Tränen immer noch nicht leer zu sein.

Doch mein Freund hatte mir ein großartiges Versprechen gegeben, welches er wahr machte.

Auf einmal, am 27. Juni um 4 Uhr morgens kam der Junge, den ich in den vergangenen Monaten nur auf meinem Handybildschirm und auf Fotos gesehen hatte, etwas verschlafen aber mit einem großen Grinsen durch die automatischen Schiebetüren in der Ankunftshalle des Flughafens in Santo Domingo. Ich konnte es nicht glauben. Ich lief auf ihn zu und in seine offenen Arme. Hier war er nun. Mit mir in meinem derzeitigen Zuhause. Wie komisch und schön!

Wir hatten uns in den kommenden 3 Wochen, die er mich besuchte, so viel zu erzählen und gleichzeitig wussten wir gefühlt schon so viel aus dem Leben des Anderen der letzten Monate. Es fühlte sich so besonders an, wieder Zeit miteinander verbringen zu können.

Die erste Woche zeigte ich ihm mein Zuhause der vergangenen Monate; wir besichtigten die Zona Colonial und mein Viertel Piantini, nahmen Tanzstunden, kochten in meiner WG auf Spanisch, deutsch und englisch, lachten, sprangen in den Pool, machten zusammen Sport, schauten einen schrecklichen Tatort und erzählten uns lange Geschichten.

Dann ging es ins Paradies an die Ostküste der Dominikanischen Republik; in die Region Punta Cana. Hier genossen wir die Zweisamkeit, den weißen Sandstrand, die Karibik und die Sonne jeden Tag aufs Neue. Von dort ging unsere Inseltour weiter gen Norden auf die Halbinsel Samaná, wo wir sehr romantisch in Palmenhütten schliefen, umgeben von tausenden von Mücken und morgens die Früchte von den Bäumen frühstückten. Wir schnorchelten, fuhren Boot, wanderten, diskutierten und sonnten uns. Sooo viel Glück auf einmal 🙂
Doch auch die schönste Zeit hat irgendwann ein Ende.

So plötzlich wie mein Freund am Flughafen aufgetaucht war, so schnell verschluckten ihn die großen Schiebetüren drei Wochen später wieder, diesmal zur Abflughalle zurück Richtung Heimat.

Die Tränen liefen und einige Stunden später fühlte ich mich als wäre ich gerade aus einem Traum erwacht. Zwei Tage später verschwand jedoch auch ich hinter denselben Schiebetüren des Flughafens, jedoch mit dem Ziel Mexiko Stadt – wieder ein neuer Umzug; wieder in ein neues Land; wieder Kopfüber in ein neues Abenteuer. Aber das hieß auch wieder weit entfernt von Corin zu sein. Doch uns bleiben die Erinnerungen, die Vorfreude, denn in 5 Wochen würde uns nicht mehr eine lange Flugreise trennen, sondern nur noch eine Fahrradfahrt durch den Hamburger Park Planten un Bloomen und noch etwas:

Die Erkenntins, dass Liebe auf Distanz eine Geheimformel ist. Die Liebe wächst nämlich exponentiell mit der gemeinsam durchlebten Distanz. Challenge completed.