Archiv für den Monat: Juli 2017

Colombia the Beautiful #3 Sierra Nevada del Cocuy

Noch im Halbschlaf steigen wir aus unserem Nachtbus aus. Es ist erst 6 Uhr morgens, Sonntag, und dementsprechend verschlafen empfängt uns El Cocuy mit Kälte und kleinen, leeren Strassenzügen aus weissen Häusern mit Sockeln in Einheitstürkisgrün. Nur ein einzelner Mann eilt schon putzmunter zu dieser frühen Stunde auf uns zu. Er hat seine Chance gewidmet: blonde Haare, grosser Rucksack, das sind doch bestimmt Touristen, die ihre nächsten Tage in den Bergen, im Parque Nacional El Cocuy verbringen wollen. Er liegt richtig. Dankbar sind wir dafür, von ihm eine kleine Einführung in die Sierra Nevada, die örtlichen, schneegekrönten Berge, zu erhalten. Das geht am Besten natürlich am riesigen Modell, das den Hauptplatz des Dorfes schmückt. Wie erwartet ist es noch immer nicht möglich, nachts innerhalb des Nationalparks zu bleiben. Nach monatelanger kompletter Schliessung sind wir froh, überhaupt dieses kolumbianische Höhenparadies betreten zu dürfen. Die Gründe der Schliessung bleiben nicht ganz klar. Laut Regierung war es ein Konflikt mit der lokalen Bevölkerung, die im Park leben, vor Ort hören wir die Theorie, dass vielleicht doch illegale Gruppierungen verwickelt sind, die auf ihren Routen das Nationalparkgebiet passieren.

Eindeutig hingegen: es heisst Adios, Zeltplätze mit Gletscherblick. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, am Ende jeder Wanderung wieder auf etwas sauerstoffreichere Höhen abzusteigen. Denn wir dürfen uns trotzdem auf zwei Tagestouren freuen, die bis auf 4900 Meter hochführen. Doch erstmal ist ein Bisschen Schlaf nachzuholen, der im Nachtbus ein wenig kurz kam, und den restlichen Tag wenigstens schon einmal zur Akklimatisierung auf 2700 Metern zu nutzen.

Denn schon am nächsten Tag geht es los, noch vor vier stehen wir auf. Währen die Sonne langsam aufgeht, hoppeln wir 2 Stunden im Jeep über die unbefestigten Gebirgsstrassen, bis hin zu einer Berghütte, wo wir loslaufen und auch die nächste Nacht verbringen können. Unser Ziel des Tages lautet El Blanco, der Weisse, ein sehr passender Name für einen riesigen Gletscher. Seit der Wiedereröffnung des Parks ist das Wandern ohne Guide nicht mehr möglich, und so leitet uns ein netter Einheimischer aus El Cocuy namens Yamid sicher durch die noch vom Morgennebel verschleierte Paramo-Landschaft.

Frailejones, die wunderschönen Anden-endemischen Sukkulenten, säumen unseren Weg. Mit zunehmender Höhe wird dieser zunehmend karg, aber bleibt konstant schön. Aussichten belohnen die Anstrengung und Arbeit, die mehr Lunge und Herz als tatsächlich die Beine zu leisten scheinen, denn die Luft wird dünner. Und plötzlich fängt es auch noch der für Kolumbien untypischste Niederschlag an: tatsächlich schneit es. Leider wird dieses Bisschen Schnee nie das zu kompensieren schaffen, was dem Gletscher oben schon an Grösse fehlt. Weggeschmolzen ist ein Grossteil der einstigen Eisflaeche von El Blanco und hat ein rotes, abgeschliffenes Gestein hinterlassen, was allen Besuchern die Folgen der Erderwärmung drastisch verdeutlicht.

Hinunter geht es deutlich schneller als hinauf, zumal uns eine gemütliche Berghütte mit der Aussicht auf eine warme Dusche, ein Feuer im Kamin und heissem agua de panela lockt. Letzteres besteht, wie der Name schon vermuten lässt, aus zwei blossen Zutaten: Wasser und Panela, einer aus Zuckerrohrsaft gekochten und anschliessend getrockneten Masse. Es gibt nichts besseres!

Auch am nächsten Tag geht es wieder hoch hinauf, bis zur grossen Lagune der Sierra Nevada, die von begletscherten Gipfeln und schroffen Felsformationen umgeben ist. Die Mittagspause legen wir direkt am Fusse des Grössten der Gletscher ein. Trotz vor Kaelte tauber Finger lohnt sich der Picknickplatz, denn mit Blick auf Eismassen schmeckt ein Avocado-Brot gleich doppelt so gut. Die Laune auf dem Rückweg kann uns noch nicht einmal das Einsetzen eines ergiebigen Regens verderben. Denn die Paramos Kolumbiens haben nicht umsonst den Beinamen „Fuentes de agua“, Wasserquellen, sondern speichern und distribuieren das wertvolle Regenwasser unglaublich gut. Nur 1,7% der Fläche Kolumbiens ist von Paramos bedeckt, dennoch entstammen aus ihnen beeindruckende 85% des im Land vorhandenen Trinkwassers. Ein vom ganzen Land sehr willkommener Regen also.

Am dritten Tag sind wir zurück im Dörfchen und treffen durch Zufall auf unseren Guide. Er freut sich und lädt uns gleich zu einer kleinen Dorftour ein. Bei strahlendem Sonnenschein schlendern wir die ehemalige Hauptstrasse entlang, die heute erholsam ruhig ist.
Kartoffeln, die aus der Region Boyacá in viele viele Teile Kolumbiens exportiert werden, liegen in grossen Säcken vor einer der vielen helltürkis gestrichenen Türen. Ein Motiv wie für die Postkarte.

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Mehr Fotos von Dorf & Bergen findet ihr hier

Ein Bisschen Klassik

Über ein halbes Jahr durfte ich im Orchester der Universidad Central Bogotá als Gast mitspielen. Das hieß: mit dem Cello quer durch Bogotá bis ins Zentrum, zweimal in der Woche 3 Stunden Probe, neue und bereits bekannte Orchestermusik, ein Konzert alle zwei Monate, aber vor Allem neue Kontakte zu 60 Musikstudent*innen, die sich mit der Zeit izu guten Freundschaften weiterentwickelten. Jede Woche wieder im schönsten Konzertsaal, in dem ich bisher auf regelmässiger Basis proben durfte. Teppichbedeckt, moderne Architektur, weiträumig, sehr gute Akustik. Besonders mit den 4 anderen Cellistinnen verstand ich mich von Anfang an bestens. Umso mehr Spaß machte es, Stücke wie Beethovens erste Sinfonie, Tchaikovskys Slawischen Tanz oder Mozarts Zauberflötenouvertüre zu spielen, aber auch Tolú, im Ursprung bekannt durch den kolumbianischen Cumbiakomponisten und -interpreten Lucho Bermúdez und später für sinfonisches Orchester adaptiert.

Es ist kurz vor den Semesterferien und das Orchesterjahr endet mit zwei Highlights. Zum Einen verleiht die Universidad Central einen Ehrendoktor an Humberto de la Calle- einen kolumbianischen Anwalt und Politiker, der Verhandlungsführer auf Seiten der Regierung bei den Friedengesprächen mit der FARC in Havanna war. Wir dürfen die Zeremonie musikalisch mit Händel umrahmen.

Zum anderen findet die erste große interuniversitäre Chor- und Orchesterbegegnung statt. Für uns bedeutet das, zusammen mit dem Orchester der Universidad Distrital in einem der bedeutendsten Säle Bogotás ein Konzert geben zu dürfen: im Auditorium „Leon de Greiff“ der Universidad Nacional. Erst spielt das eine Orchester, dann das andere und am Ende vereinen wir uns, um Tchaikovsky und Bermúdez mit noch grösserer Klangfülle zu spielen.

Am Sonntag folgt dann das grosse Abschlusskonzert des Treffens. Dazu waren alle Musiker*innen der teilnehmenden Orchester eingeladen, mit den Student*innen der Universidad Nacional mitzuspielen. Die Nacho, wie die Uni kurz genannt wird, ist national in vielen Fachbereichen führend. Auch die Musikfakultät ist die beste des Landes, was man am Niveau der einzelnen Student*innen und auch am Gesamtorchesterklang klar merkt. Eine Ehre also, für ein Konzert einmal mit diesem Orchester spielen zu dürfen.

Auf dem Programm stehem die Estancia-Suite von Ginastera und Beethovens Chorfantasie. Wir spielen das Konzert vor ausverkauftem Saal. Der Klaviersolist, durch einen interuniversitären Wettbewerb ausgewählt, spielt makellos und wunderbar musikalisch. Die Gesangssolisten leiten mit Ausdrucksstärke hin zum majestätischen Finale, das besonders durch den Einsatz des Chores an unglaublicher Grösse gewinnt. Ich sitze mit Gänsehaut auf der Bühne, tausche ein zufriedenes Lächeln mit meinem lieben Pultnachbarn aus und bin gleichzeitig ein Bisschen traurig, dass dies mein letztes Konzert in Kolumbien sein wird.