Archiv für den Monat: März 2017

Frag doch mal in Kolumbien #1 Kindheitserinnerungen

Zusammen mit einigen meiner lieben Mitfreiwilligen, die gerade in der Welt verstreut sind, ist das Projekt Frag doch mal in… zustande gekommen. Das Konzept: ein Thema monatlich, zu dem so viele Freiwillige wie möglich in den verschiedenen Ländern eine einheimische Person befragen. Thema für den Monat März: Kindheitserinnerungen.

Die gesammelten Beiträge finden sich hier

Für mein erstes Interview durfte ich die Schulleiterin des SCALAS befragen, Clara. Sie ist seit vielen Jahren Schulleiterin und wird von Allen sehr für ihre engagierte und verständnisvolle Art geschätzt. Sie erzählt uns über ihre Kindheit mit vielen Geschwistern und über das, was sich seitdem in Bogotá verändert hat.

Unser Thema für den Monat März lautet Kindheitserinnerungen. Sie sind in Kolumbien aufgewachsen. Was sind Ihre lebhaftesten Erinnerungen an die Kindheit?

Ich wurde in Bogotá geboren, vor 59 Jahren. Erinnerungen an meine Kindheit habe ich viele. Zuallererst, dass wir in einem großen, großen Haus wohnten mit einem Garten. Riesig groß, wir waren schließlich 10 Kinder. Also kann man sich sicher vorstellen, dass ich mich noch sehr gut an das Gefühl erinnere, immer von meinen Geschwistern umgeben zu sein. Von den Älteren wie von den Jüngeren. Ich war altersmäßig ungefähr in der Mitte. Ich erinnere mich genau daran, wie wir im Garten spielten, Kinderspiele, die man heutzutage fast gar nicht mehr sieht. Kinderlieder, Fangen, mit Puppen spielen, erwachsen spielen.

Wir sahen die Hausarbeiten, die unsere Mutter machte, und bauten es in unsere Spiele ein. Früh aufstehen, den Plan für den Tag schon im Kopf, Wäsche waschen, bügeln, kochen, putzen, zum Markt gehen, den Ehemann und die Kinder versorgen. Unter den Geschwistern mussten wir uns viel teilen, auch die Hausarbeit, weil meine Mutter das alleine mit 10 Kindern natürlich nicht schaffen konnte. Wir Mädchen haben ihr damals viel geholfen.

Ich erinnere mich, dass mein Vater immer sehr böse war. Er kommt aus einer Region von Kolumbien namens Santander. Die Menschen von dort haben den Ruf, sehr temperamentvoll zu sein. Heute weiß ich, dass mein Vater also gar nicht wirklich böse war. Es war einfach seine Art, zu reden. Weil man in Santander nun mal so spricht. Heute habe ich sogar ein paar dieser Muster übernommen. Ich rede streng, ich rede kräftig. Meine Tochter hat mich einmal gefragt: “Mama, schimpfst du gerade mit mir?” Ich meinte “Aber nein, ich spreche einfach nur laut.” Aber so muss man als Lehrerin auch reden, fest, klar und etwas lauter, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu erhalten.

Besonders schöne Erinnerungen habe ich an meine Geburtstage und an Weihnachten. Wir freuten uns jedes Jahr wieder schon lange vorher schon auf diesen Tag und konnten es gar nicht erwarten. Es war der Tag, an dem wir alles, komplett alles, neu bekamen. Socken, Schuhe, Kleider. Das gab es so wirklich nur an diesem Tag, weil wir eben so viele Kinder waren. Mein Vater hatte nicht die finanziellen Mittel, um uns jedes Mal, wenn wir etwas brauchten, das auch zu kaufen. Wir mussten also alles so lange benutzen bis es ausgedient hatte, weil die wirtschaftliche Situation nicht einfach war. Trotzdem sind wir alle zur Schule gegangen, haben gelernt und unseren Abschluss gemacht.

Was hat Ihr Vater beruflich gemacht?

Mein Vater war selbstständig. Er hat hier in Bogotá mit einheimischen Produkten gehandelt. Er hatte sein eigenes Auto, fuhr durch die Gegend und betrieb so eben seinen Handel. Meine Mutter war die ganze Zeit zu Hause. Wir hatten dieses Muster: die Mutter blieb zu Hause, der Vater ging zur Arbeit. Ein Muster, das wir Töchter alle aufgebrochen haben. Wir sind zur Universität gegangen und haben später beides gemacht: Arbeit draußen und Arbeit zu Hause.

Und wie hat sich Bogotá seit dieser Zeit verändert?

Das Klima hat sich verändert. In meiner Kindheit war das Wetter so. Zeigt nach draußen auf grauen Himmel und Nieselregen. Ja, momentan ist es zwar auch kalt, aber damals war es wirklich immer so. Die Leute gingen nur mit Hut und Regenschirm aus dem Haus. Stück für Stück hat sich seitdem das Wetter immer mehr gewandelt, besonders die Temperatur. Heute haben wir in Bogotá auch wirklich warme Tage.

Noch etwas hat sich in Bogotá verändert: die Lebensqualität. Mit der Menge an Transport und Menschen, die sich durch die Stadt bewegen, ist es wirklich sehr kompliziert geworden, auszugehen und zu genießen. Auf eine Stadt zu treffen, die freundlich ist. Nach Bogotá kommen viele Leute aus allen möglichen Teilen des Landes. Bogotá ist die Stadt von Allen und die Stadt von Niemandem. Deswegen sieht man viele schmutzige Straßen, verwahrloste Parks, die Leute kümmern sich nicht.

Bogotá ist jetzt eine der 10 Städte mit dem schlechtesten Transportsystem. Leider sind wir sogar auf Platz 6. Es ist sehr einfach geworden, ein Auto zu kaufen, immer mehr Leute haben eins oder sogar zwei, um Pico y Placa zu vermeiden (System, das abwechselnd Autos mit gerader bzw. ungerader Endziffer des Nummernschildes Fahrverbot während der Hauptverkehrszeiten auferlegt). Die Luftverschmutzung ist sehr hoch, der Verkehr und die Staus sind enorm. Die Distanzen sind größer geworden, nicht von der Strecke her, aber von der Zeit, die man für sie braucht. Ich laufe deswegen fast nur. Die einzige Strecke, die ich mit dem Auto fahre, ist von meinem Haus bis hierher, zur Schule, und wieder zurück. Ansonsten gehe ich, wohin ich auch gehen muss, immer zu Fuß.

Die Unsicherheit hat auch sehr stark zugenommen. Früher, erinnere ich mich, konnte man in aller Ruhe auf die Straße gehen, ohne jegliches Bedenken, ohne Furcht. Heute fühle ich mich nicht sicher, wenn ich rausgehe und schaue mich nach allen Seiten um, ob jemand sich mir nähert. Ich habe Angst, wenn es jemand tut. Dieses Gefühl der Unsicherheit hat Folgen: wir sind weniger sensibel für die Schmerzen und Sorgen unserer Mitmenschen geworden. Wir fragen uns ständig: stimmt das wirklich, was mir der Andere gerade erzählt? Oder ist es gelogen? Macht er das wirklich? Oder will er mich berauben? Deswegen verändert man seine Reaktion auf die Dinge, die man in der Straße sieht.

In der Schule beobachte ich, dass sich bei den Kindern eins verändert hat: die Spiele. Heute klebt ein Kind an seinem Handy oder Videospiel. Das macht sie sehr impulsiv, sie sind intoleranter und ungeduldig, weil sie alles immer sofort wollen. Außerdem macht es sie auch introvertierter. Die gleichen Videospiele und Fernsehsendungen haben auch viel Aggressivität provoziert. Viele Kinder glauben, die Welt wäre wie ihr Videospiel. Die Muster, die ihnen dort gezeigt werden, vom Kämpfen, von der Gewalt, die übernehmen sie manchmal leider.

Natürlich sind die Kinder heute auch viel aufgeweckter. Ich würde sogar sagen, intelligenter, weil sie ganz andere Mittel haben, um ihre Intelligenz zu entwickeln. Die Kinder seit 2000 sind  privilegierter, weil ihre Eltern gebildet sind. Es sind Eltern mit einer anderen Mentalität. Eltern, die ihren Kindern sagen: du willst etwas lernen? Dann musst du das und das machen. Eltern, die versuchen ihre Kinder ständig zu fördern. Zu meiner Zeit war das vielleicht weniger so, weil ein Großteil der Mütter und Väter selbst nicht über Bildung verfügten. Heute ist es anders und daher ist vielen Eltern klar, dass eine gute Bildung eine wichtige Rolle spielt. Die Technologie ist damit auch verknüpft. Die Eltern bieten ihren Kindern alle möglichen technologischen Mittel an, um verschiedenste Denkprozesse zu fördern. Was einerseits gut ist, bringt andererseits auch wieder Probleme mit sich. Generationen sind natürlich immer anders. Früher hat man mehr Kinderlieder gesungen, zusammen mit anderen Kindern gespielt. Mir scheint, dass heute die menschliche Interaktion deutlich weniger ist.

 

Colombia the Beautiful #2 Parque Nacional Natural Tayrona

Geräusche, Gerüche, Gegrüne um mich herum- alles anders. Eine so wunderschöne Form von anders, wie ich sie vorher noch nie erlebt habe. Welcome to the jungle.

Der Weg vom Eingang bis zu unserem Camp könnte nicht eindrucksvoller sein. Schon am Eingang zum Nationalpark begrüßten uns Affen lautstark aus den Baumwipfeln heraus. Es geht los, ein Bisschen der Strecke mit Auto, ein Bisschen per Pferd, ein Bisschen zu Fuß. Alle Sinne konstant auf Hochleistung. Ich will alles aufsaugen, mir jedes kleine Detail einprägen, was dieses unglaubliche Naturgebilde um mich herum ausmacht. Dicke, spiralförmig ineinander verschlunge Lianen hängen von den Bäumen herab. Blatt wird von Blatt abgelöst, Blätterranke von Blätterranke, Baum von Baum. Riesige, helle, perfekt geformte Felsblöcke durchbrechen die wunderschöne grüne Farbmonotonie. Einen Farbklecks in Vogelform sehe ich kurz auftauchen und dann blitzschnell wieder im Blätterdickicht verschwinden.
Mal ist es laut von Vogelstimmen und Windesbrausen, mal sind plötzlich alle Geräusche gedämpt und machen Raum für grillenähnliches Gezirpe. Ab und zu fällt ein Sonnenstrahl durch den dichten Blätterhimmel über mir und beleuchtet vor mir das, was vor Kurzem wohl noch ein Weg war. Jetzt sieht es eher aus wie ein langgestrecktes, kreatives Kunstwerk aus Matsch und Schlamm. Der Künstler? Regenzeit-Regen, der derzeit zuverlässig und großzügig die grüne Schönheit um mich herum mit Wasser versorgt. Danken sollten wir ihm also und uns nicht über das Bisschen aufgeweichte Erde beschweren (in der man aber schon mal bis zu den Knien versinken kann).
Doch als wäre das der Schönheit noch nicht genug, locken nach Dschungel-Durchquerung am Ende auch noch perfekte Karibikwellen und feinster Sandstrand als Belohnung.

Als wir an der satt grünen, mit Palmen übersähten Wiese unseres Camps ankommen, wird es schon fast dunkel. Bis um sechs haben wir noch Zeit, unsere drei Hängematten zu beziehen, die Moskitonetze über ihnen auf Lochlosigkeit zu prüfen, und schnell unter die angenehm kalte Dusche zu springen, denn dann senkt sich schon die absolute Dunkelheit über den Dschungel. Fast absolut zumindest. Das kleine Restaurant im Camp hat Strom und so versammeln sich alle Tayrona-Verliebten unter dem Vordach, um in einer Wolke aus Mückenspray mit dem Mitgebrachten ihr Abend-Picknick zu machen, Karten zu spielen oder- man glaubt es kaum- Musikvideos zu sehen, denn selbst tief im Nationalpark gibt es doch tatsächlich einen Fernseher. Dementsprechend entkommt man auch hier dem guten alten Reggaeton nur schwer. Nach Hitze, Äquatorialsonne und Anreise tagsüber überrascht uns schon um acht die liebe Müdigkeit und treibt uns in unsere Hängematten. Zwar anfangs noch etwas ungewohnt, kann mich meine nach kurzer Zeit doch überzeugen, dass sie eigentlich echt bequem ist. Und dass es definitiv keinen schöneren Ort zum Schlafen für die nächsten zwei Nächte gibt als sie, mitten im Parque Nacional Tayrona, drei Minuten vom Karibikstrand entfernt, von der einzigartigen Natur lediglich getrennt durch ein Moskitonetz.

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Bukaru- a camp in paradise

Paradise 2.0

Sunset views

Kolumbien kulinarisch

Nach der Schule komme ich nach Hause. Schon beim Aufschließen der 2 Schlösser unserer Haustür verrät mir die Geräuschkulisse von drinnen, dass Besuch da ist. Ein heiteres Stimmengewirr gemischt mit Gelächter, das Klappern von Tassen, vielleicht mit Kaffee oder mit heißer Schokolade gefüllt. Ein Bruder meines Gastvaters, der seit ein paar Jahren in Texas lebt, ist heute Morgen gelandet und jetzt zu Besuch. Obligatorisches Küsschen auf die linke Wange, kurze Vorstellung, eine nette, offene Begegnung und schon bin ich in ein Gespräch verwickelt.

Wie gefällt dir denn das Essen in Kolumbien? Eine der Fragen, die mir seitdem ich hier bin fast am häufigsten gestellt wird. Bandeja Paisa? Ajiaco? Leider meinerseits dann das Geständnis, dass ich Vegetarierin bin und daher die heiß geliebten Fleischgerichte wohl nie geschmacklich kennenlernen werde. Erstaunen auf der Seite meines Gegenübers: wie, Vegetarierin? Wirklich? Aber Hühnchen isst du? Oder vielleicht Fisch? Wie, auch nicht? Und das geht?

Ja, und wie! Denn ja, Fleisch ist beliebt, aber zum Glück alles andere als alternativlos. Anstelle von einer Empanada de Carne kann ich immer eine Arepa con queso finden. Oder ein Pandebono, oder ein Buñuelo, oder eine Almojabana. Anstelle von Steak gibt es ein Spiegelei. Fleisch wird nur selten mit den anderen Bestandteilen eines Essens zusammengekocht- zumindest von meiner lieben Gastmutter fast nie. Dementsprechend sind Reis, Linsen oder Bohnen, gebratene Kochbanane und Salat an sich und ohne Fleisch einfach schon mehr als genug und mehr als gut. Eben genanntes findet man beim Öffnen der Töpfe auf einem Herd in Kolumbien wohl am Allermeisten. In meiner Gastfamilie fast jeden Tag. Aber ehrlich gesagt, mal durch ein Ei oder Avocado ergänzt, könnte ich Reis und Bohnen ohne jegliches Problem jeden Tag essen. Reis und Bohnen hier schmeckt auch einfach besser als in Deutschland.

Und, wer hätte das gedacht? Es gibt ein Land, das noch kartoffelverrückter ist als Deutschland. Verständlich, wenn das Farbspektrum von hellbraun bis dunkellila, die Größe von weintraubenklein zu stattlich groß und der Geschmack von lecker zu noch leckerer reicht. Reis und Kartoffeln werden beide, wie eigentlich so ziemlich alles, im Land angebaut. Sie sind Lieblingskohlenhydrate und schließen einander überhaupt nicht aus! Und auch wenn es Nudeln gibt, heißt das nicht, dass man die Nudeln nicht auch zu Reis und Kartoffeln essen kann. Low Carb Diet wäre hier daher wahrscheinlich deutlich schwieriger als Vegetarismus 😉 Der ist zwar gerade für die älteren Generationen oft nur schwer verständlich, aber ich habe natürlich auch schon vegetarische Kolumbianer*innen getroffen.

Portionen sind groß. In vielen Haushalten gilt: wer viel gegessen hat, hat gut gegessen. Gekrönt wird ein gutes Mittagessen von einem guten, frischen Saft. Hier weiß man, aus so gut wie jeder der 1000 genialen Früchte einen genialen Saft zu machen. Die Qual der Wahl nur jedes Mal: en agua oder en leche?

Die generelle Antwort an meinen aufgeschlossenen Gesprächspartner also: me gusta!