Colombia the Beautiful #3 Sierra Nevada del Cocuy

Noch im Halbschlaf steigen wir aus unserem Nachtbus aus. Es ist erst 6 Uhr morgens, Sonntag, und dementsprechend verschlafen empfängt uns El Cocuy mit Kälte und kleinen, leeren Strassenzügen aus weissen Häusern mit Sockeln in Einheitstürkisgrün. Nur ein einzelner Mann eilt schon putzmunter zu dieser frühen Stunde auf uns zu. Er hat seine Chance gewidmet: blonde Haare, grosser Rucksack, das sind doch bestimmt Touristen, die ihre nächsten Tage in den Bergen, im Parque Nacional El Cocuy verbringen wollen. Er liegt richtig. Dankbar sind wir dafür, von ihm eine kleine Einführung in die Sierra Nevada, die örtlichen, schneegekrönten Berge, zu erhalten. Das geht am Besten natürlich am riesigen Modell, das den Hauptplatz des Dorfes schmückt. Wie erwartet ist es noch immer nicht möglich, nachts innerhalb des Nationalparks zu bleiben. Nach monatelanger kompletter Schliessung sind wir froh, überhaupt dieses kolumbianische Höhenparadies betreten zu dürfen. Die Gründe der Schliessung bleiben nicht ganz klar. Laut Regierung war es ein Konflikt mit der lokalen Bevölkerung, die im Park leben, vor Ort hören wir die Theorie, dass vielleicht doch illegale Gruppierungen verwickelt sind, die auf ihren Routen das Nationalparkgebiet passieren.

Eindeutig hingegen: es heisst Adios, Zeltplätze mit Gletscherblick. Vielleicht ist es aber auch ganz gut, am Ende jeder Wanderung wieder auf etwas sauerstoffreichere Höhen abzusteigen. Denn wir dürfen uns trotzdem auf zwei Tagestouren freuen, die bis auf 4900 Meter hochführen. Doch erstmal ist ein Bisschen Schlaf nachzuholen, der im Nachtbus ein wenig kurz kam, und den restlichen Tag wenigstens schon einmal zur Akklimatisierung auf 2700 Metern zu nutzen.

Denn schon am nächsten Tag geht es los, noch vor vier stehen wir auf. Währen die Sonne langsam aufgeht, hoppeln wir 2 Stunden im Jeep über die unbefestigten Gebirgsstrassen, bis hin zu einer Berghütte, wo wir loslaufen und auch die nächste Nacht verbringen können. Unser Ziel des Tages lautet El Blanco, der Weisse, ein sehr passender Name für einen riesigen Gletscher. Seit der Wiedereröffnung des Parks ist das Wandern ohne Guide nicht mehr möglich, und so leitet uns ein netter Einheimischer aus El Cocuy namens Yamid sicher durch die noch vom Morgennebel verschleierte Paramo-Landschaft.

Frailejones, die wunderschönen Anden-endemischen Sukkulenten, säumen unseren Weg. Mit zunehmender Höhe wird dieser zunehmend karg, aber bleibt konstant schön. Aussichten belohnen die Anstrengung und Arbeit, die mehr Lunge und Herz als tatsächlich die Beine zu leisten scheinen, denn die Luft wird dünner. Und plötzlich fängt es auch noch der für Kolumbien untypischste Niederschlag an: tatsächlich schneit es. Leider wird dieses Bisschen Schnee nie das zu kompensieren schaffen, was dem Gletscher oben schon an Grösse fehlt. Weggeschmolzen ist ein Grossteil der einstigen Eisflaeche von El Blanco und hat ein rotes, abgeschliffenes Gestein hinterlassen, was allen Besuchern die Folgen der Erderwärmung drastisch verdeutlicht.

Hinunter geht es deutlich schneller als hinauf, zumal uns eine gemütliche Berghütte mit der Aussicht auf eine warme Dusche, ein Feuer im Kamin und heissem agua de panela lockt. Letzteres besteht, wie der Name schon vermuten lässt, aus zwei blossen Zutaten: Wasser und Panela, einer aus Zuckerrohrsaft gekochten und anschliessend getrockneten Masse. Es gibt nichts besseres!

Auch am nächsten Tag geht es wieder hoch hinauf, bis zur grossen Lagune der Sierra Nevada, die von begletscherten Gipfeln und schroffen Felsformationen umgeben ist. Die Mittagspause legen wir direkt am Fusse des Grössten der Gletscher ein. Trotz vor Kaelte tauber Finger lohnt sich der Picknickplatz, denn mit Blick auf Eismassen schmeckt ein Avocado-Brot gleich doppelt so gut. Die Laune auf dem Rückweg kann uns noch nicht einmal das Einsetzen eines ergiebigen Regens verderben. Denn die Paramos Kolumbiens haben nicht umsonst den Beinamen „Fuentes de agua“, Wasserquellen, sondern speichern und distribuieren das wertvolle Regenwasser unglaublich gut. Nur 1,7% der Fläche Kolumbiens ist von Paramos bedeckt, dennoch entstammen aus ihnen beeindruckende 85% des im Land vorhandenen Trinkwassers. Ein vom ganzen Land sehr willkommener Regen also.

Am dritten Tag sind wir zurück im Dörfchen und treffen durch Zufall auf unseren Guide. Er freut sich und lädt uns gleich zu einer kleinen Dorftour ein. Bei strahlendem Sonnenschein schlendern wir die ehemalige Hauptstrasse entlang, die heute erholsam ruhig ist.
Kartoffeln, die aus der Region Boyacá in viele viele Teile Kolumbiens exportiert werden, liegen in grossen Säcken vor einer der vielen helltürkis gestrichenen Türen. Ein Motiv wie für die Postkarte.

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