19.000 Schritte Richtung Heimatgefühl

Montag  kurz nach 19:00 Uhr, der Moment in dem ich endlich aus der Schule nach Hause kam. Ja, man mag es kaum glauben, ich auch immer noch nicht. Geplant war das nämlich überhaupt nicht und auch noch am Vormittag nichts absehbar. Da war ich erst einmal froh überhaupt die 5. Stunde überstanden zu haben. Wieso? Vertretungsunterricht in der 5. Klasse. Klingt erst einmal nicht so schlimm, die Lehrerin hatte auch alles vorbereitet. Tusche und Federn, damit die Kinder Altdeutsch üben können (Ja, selbst das lernen die Kinder hier). Bei Tusche hätte ich schon das erste Mal stutzig werden sollen. Nun gut, die Stunde kam. Ich habe die Tische vorbereitet und die Federn und Tuschefässer ausgeteilt. Die Kinder waren zu Beginn durchaus motiviert und die Mädchen übten sich fleißig in Schönschrift. Doch dann waren da ja noch die Jungs, genau die Jungs. Statt Buchstaben wurden Häuser, Bäume, Autos etc. gemalt. Gut, solange sie den Unterricht nicht stören sollen sie machen, dachte ich mir. Dann artete die Sache jedoch ein wenig aus. Statt auf den Blättern war die Tinte auf einmal im ganzen Raum verteilt. Auf dem Boden, den Tischen, Stühlen, selbst in den Gesichtern der Jungs. Von den Händen sprechen wir lieber gar nicht erst. Wie das passieren konnte? Keine Ahnung. Das Ende vom Lied war eine große Säuberungsaktion meinerseits. In der Zwischenzeit sollten sich die „Jungs“ wieder ein wenig herrichten gehen und als sie zurück kamen haben sie von mir gesondert Aufgaben bekommen. Ich habe also gelernt: Gebe niemals 5-Klässlern Tusche in die Hand. Kaum aus dieser Stunde raus teilte mir eine der Lehrerinnen mit, dass an diesem Tag der „Märchenwettbewerb“ ist, für den ich mit den Kindern geübt habe. Das Ganze gehe in einer Stunde los und ich soll doch bitte dabei sein. Das Problem: der Wettbewerb fand in der Stadtbibliothek ab. Die ist aber zu Fuß eine gute Stunde von der Schule entfernt. Da kein Platz mehr im Auto frei war sollte ich doch mit dem Bus hinfahren. Endlich da angekommen musste ich natürlich erst einmal unsere Kinder suchen. Gesagt, getan. Das ging dann auch erstaunlicherweise ziemlich flott. Das war’s dann auch mit der Schnelligkeit für den Rest der Veranstaltung. Statt 14:00 Uhr ging es erst 14:45 Uhr los. Dann mussten die 6.-und 5. Klässler noch aufgeteilt werden, da sie den Wettbewerb getrennt bestreiten sollten. Ich bin mit unseren 4 Fünftklässlern hoch in den 4. Stock der Bibliothek, wo sie ihre 10 Aufgaben des Wettbewerbs bestreiten sollten. Es ging um 3 Märchen, die natürlich vorher zichmal besprochen worden sind, doch einige Aufgaben waren tatsächlich so schwer, dass auch ich nicht die richtige Lösung gefunden hätte. Dann kam die fragwürdigste Aufgabe des ganzen Wettbewerbs, die sicherlich nicht einmal annähernd etwas mit einem der Märchen zu tun hatte. Jede Gruppe (bestehend aus je 4 Personen) hatte jeweils 5 Versuche um mit einem Miniplasteball in einen Minibasketballkorb zu treffen. Nicht nur, dass dies unendlich lange gedauert hat, sondern keine der anwesenden 11 Gruppen hat auch nur einen einzigen Treffer versenkt. So gab es also 0 Punkte für jede Gruppe. Sehr motivierend. Zwischendurch gab es dann eine Pause. Es war ein kleines Büffet für die Kinder mit Blätterteigspeisen vorbereitet worden und sie fielen wie die Heuschrecken darüber  her. Binnen Sekunden war das ganze Büffet leer. Da ich jedoch sehr aufmerksame Schülerinnen habe, haben diese an mich gedacht, so dass auch ich nicht „verhungern“ musste. Danach ging’s zurück um die restlichen Aufgaben zu erledigen.

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Gegen 16:30 waren die Kinder dann fertig und der Josef Michaelis, Autor eines der behandelten Märchen „Der Maulwurf und die Feldmaus“, sollte eine kleine Lesung aus seinem Werk geben. Dafür mussten wir jedoch noch auf die Sechstklässler warten, die sich reichlich verspäteten und erst 17:15 (17:00 sollte das Ganze vorbei sein) fertig waren. Dann ging’s endlich in das Auditorium, wo dann die Leseprobe stattfand. Nachdem auch ich gerafft habe, dass der Mann der da gerade vorne liest berühmt in Ungarn ist bin ich wie ein Groupie die Treppenstufen heruntergelaufen, um ein Autogramm zu ergattern und siehe da nun habe ich eines.

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Anstatt das die Sache dann jedoch Fahrt aufnahm haben die Veranstalter noch einmal 1h für die Auswertung gebraucht und um die Ergebnisse preiszugeben. 18:15 gab es dann endlich die „Siegerehrung“ (1,5 später als geplant). Leider haben die Fünftklässler keinen Platz gemacht dafür die Sechstklässler jedoch einen super 2. So hat sich das Warten wenigstens ein bisschen gelohnt und nach 45min Fußweg war ich dann endlich kurz nach 19:00 Uhr auch wieder in der Wohnung. 12h nachdem ich sie am Morgen verlassen hatte. Das nenne ich mal Einsatz 😉 Am Freitag habe ich übrigens noch einmal Vertretungsunterricht in der besagten 5. Klasse gehabt (und in einer 8. Klasse) und siehe da ohne Tusche läuft es tatsächlich ganz gut.

Da sage noch einmal Jemand, dass Frauen nicht handwerklich begabt wären. Da in der Dusche kaum noch das Wasser ablief habe ich die Sache selbst in die Hand genommen und siehe da. Ihr wollt das Ausmaß, was zum Vorschein kam, gar nicht wissen nachdem ich den Abfluss freigelegt hatte. Haare, über Haare und ein furchtbarer Gestank (Bilder spare ich mir an dieser Stelle). Aber immerhin läuft es jetzt wieder richtig ab und man kann Duschen ohne Angst zu haben eine Überflutung auszulösen.

Am Donnerstag habe ich mich mit Ágnes getroffen. Ja, tatsächlich mit Àgnes! Meiner ersten waschechten Àgnes. Die einzig wahre Àgnes überhaupt. Es hieß also endlich Besuch aus Deutschland (Okay, auch wenn Àgnes nicht meinetwegen hier war aber Hauptsache sie war da). Endlich Jemanden treffen, den man aus der Heimat kennt. Außerdem hieß das auch einen Tag weniger in die Schule gehen. Eine willkommene Abwechslung und den Tag frei zunehmen stellte zum Glück auch kein Problem dar. So ging es also Donnerstag früh zum Busbahnhof in Pécs und natürlich musste ausgerechnet an diesem Tag das Ganze gebaut werden, so dass die Busse natürlich nicht wie sonst losfuhren sondern komplett woanders anzutreffen waren. Danks Gott meiner „deutschen Pünktlichkeit“ (oder meiner Erziehung) war ich schon 15min vor der geplanten Abfahrtszeit da und habe panisch den Bus gesucht. Den durfte ich auf keinen Fall verpassen! Zwar fuhr 1h später noch einer, aber Àgnes und ich hatten ja eine Verabredung in Baja. Nach besagten hektischen Suchen habe ich dann 3min vor der geplanten Abfahrtszeit (und die Busse fahren hier auf die Minute, wenn nicht sogar zu früh) den Bus endlich gefunden und dem Busfahrer erklärt wo ich hinmöchte. Dieser wollte mich aber partout nicht verstehen. Dank einer etwas älteren Dame, die meine Aussprache von Baja (ja, dass mit den a’s und á’s ist hier nämlich etwas anders als in Deutschland und schwerer, als man denkt) anscheinend doch nicht so schlecht fand habe ich dann mein Ticket zum Glück trotzdem bekommen. Für ca. 3€ ging’s somit ins 90km entfernte Baja. Nach 1,5h Busfahrt war ich dann also endlich in Baja. Ich glaube man kann meine Freude, als ich Àgnes gesehen habe, kaum in Worte fassen. Endlich mal wieder ein vertrautes Gesicht in der Menge zu sehen. Jemanden zu haben, der auf einen wartet ist unbeschreiblich. (Das habe ich hier sonst logischerweise nicht. Sonst wartet keiner am anderen Ende). Nach einer herzlichen Begrüßung, einer langen Umarmung und nachdem wir eine Bäckerei angesteuert hatten, um Kuchen zu kaufen (logischer weise 😉 ) ging es dann zur serbisch-orthodoxen Kirche in Baja für die Agnés extra einen Besichtigungstermin organisiert hatte. Es war durchaus interessant so eine Kirche einmal von innen gesehen zu haben, da die Anordnung der Plätze vollkommen anders ist zu dem mir bisher bekanntem. Die Verzierung aus Holz wurde  handgefertigt und die Geschichte der Entstehung dieser Kirche war ebenfalls sehr interessant. Bizarr war jedoch ein wenig, dass man in dieser Kirche noch einen Sarg mit einer Leiche (einer echten Leiche!) findet und einem bei diesem Gedanken schon etwas mulmig wird. Weiter ging es hinunter zur Sugovica und der Donau. Da Baja an der Donau liegt bot sich natürlich ein ausgiebiger Spaziergang an und im Sommer muss es herrlich sein sich einfach an den öffentlich zugänglichen Strand direkt am Fluss legen zu können. Doch auch wir hatten Bombenwetter. 18Grad (in der direkten Sonne vermutlich noch mehr), Windstille und strahlend blauen Himmel. Da hat es gleich noch mehr Spaß  gemacht das Wetter bei einem Spaziergang entlang der Donau zu genießen und sich am Aussichtsturm an der Mündung der Sugovica für eine Weile hinzusetzen und einfach nur das Wetter zu genießen.

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Die deutsche Schule in Baja haben wir auf unserem Weg dahin auch gesehen. Das Koch Valeria gefällt mir aber dann doch deutlich besser 😉 Unser Spaziergang führte uns an der Wasserbühne vorbei dann weiter zur „Eulenburg“ (Bagolyvár), die eigentlich keine Burg ist sondern eher eine Art Villa. Diese wurde erst vor kurzem als Museum umgestaltet, um an die Arbeiten des Malers Ferenc Miskolczy zu erinnern. Der Aufstieg innerhalb des Hauses war durchaus ein wenig halsbrecherisch und da man eine Art „OP-Überzieher“ (nur aus Stoff) über die Schuhe ziehen musste, wurde die Sache noch etwas rutschiger. Da ist man doch schon ein wenig froh gewesen heil wieder unten angekommen zu sein.

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Mittagessen gab es natürlich auch, welches wir ebenfalls bei dem schönen Wetter Draußen (diesmal sogar ohne Jacke) am Fluss genießen durften. Ja, wir haben tatsächlich Glück gehabt. Die nächsten Tage wurde es nämlich zunehmend kälter.  Meine erste Kastanien-Erfahrung habe ich an diesem Tag auch gemacht. Leider konnte ich das Ganze nicht wirklich für mich entdecken, aber es war dennoch ein Geschmackserlebnis. Nachdem wir unseren Weg in die Altstadt gemacht und Baja’s  stadteigene Reichenstraße (die Bautzener unter den Lesern werden wissen was ich meine) erkundet haben ging’s nach einer heißen Schokolade über den Béke tér (der jetzt Szentháromsá tér heißt) ins Rathaus der Stadt. Dieses sieht schon von außen mehr als nur imposant aus und hat auch für Agnes eine wichtige Bedeutung. Und siehe da schon haben wir einen Verwandten von Agnes getroffen, der uns sogar in den Raum gelassen hat, wo die Trauung von Hochzeitspaaren stattfindet. Dort ist auch nachfolgendes Bild entstanden.

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Nach einem Besuch in der Touristeninformation hat Àgnes noch ein Kastanienpüree (wie bereits erwähnt ist dies nicht ganz mein Fall) und ich einen Tee genossen bevor der Tag (viel zu schnell) auch schon wieder vorbei war und wir beide unsere Busse in unterschiedliche Richtungen nehmen mussten. Aber wie Àgnes so schön gesagt hat: „Es gibt immer ein weinendes und ein lachendes Auge.“ An dieser Stelle möchte ich mich noch einmal ausdrücklich bei Àgnes bedanken, dass sie sich die Zeit während ihres kurzen Aufenthaltes in Baja genommen hat, um mir ihre Heimatstadt zu zeigen. Ich hatte wahnsinnig viel Spaß und es war toll mal wieder Jemanden aus der Heimat zu treffen.  Ich habe den Tag sehr genossen und schöner hätte ich ihn mir nicht wünschen können. Danke, danke, danke dafür. Danke für 19.000 Schritte Richtung Heimatgefühl. Danke, für alles an diesem Tag. Ich freue mich schon darauf, wenn wir uns das nächste Mal hier unten (oder auch zu Hause) sehen werden.

Am Mittwoch geht es dann bis Sonntag zum Zwischenseminar an den Stadtrand von Budapest. Mal schauen was uns da so alles erwartet. Deshalb gibt’s den neuen Blogeintrag wohl auch erst im Dezember aber er kommt bestimmt 😉 Die Weihnachtsdekoration im Einkaufszentrum möchte ich trotzdem jetzt schon keinem vorenthalten.

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P.S. Dass es diese Woche nicht so viele Bilder von mir gibt liegt daran, dass ich den Wetterumschwung (Donnerstag noch 20°, heute 4° und Regen) nicht ganz so gut überstanden habe und seit gestern mit Fieber im Bett liege. Also werde ich mich noch ein bisschen auskurieren, so dass es beim nächsten Mal wieder jede Menge neue Bilder (auch von mir) gibt. Bleibt gesund zu Hause und wir sehen uns in einem Monat auf heimischen Grund und Boden 🙂

2 Gedanken zu “19.000 Schritte Richtung Heimatgefühl

  1. Hallo Anna,
    damit es auch alle lesen können, melde ich mich nun auf diesem Weg wieder!
    Danke für deine liebevolle Erzählung über den Tag in Baja!!!
    Hat mir sehr gut getan!!!!

    Àgnes

  2. Damit es auch alle lesen können, melde ich mich nun auf diesem Weg wieder!
    Danke für deine liebevollen Zeilen, die du über den Bajaer Tag geschrieben hast!!! Habe mich sehr gefreut!!!!!

    Àgnes

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