„Die Ukraine kann eben beides“

„Die Ukraine kann eben beides“

Im letzten Post habe ich erzählt, was ich alles so in einer Woche Kiew gesehen und erlebt habe. Für mich persönlich war es irgendwie eine ganz besondere Reise. Nicht nur, dass ich das erste Mal mehr oder weniger alleine gereist bin, sondern auch, dass sich mein Bild auf die Ukraine verändert bzw. erweitert hat. Ich bin total froh, dass ich diese Reise gemacht habe, sonst würde ich wahrscheinlich nach meinem Aufenthalt denken, die Ukraine wäre nur so, wie ich es in meinem „Dorf“ , es ist ja eigentlich eine Kleinstadt, erlebe. In Kiew habe ich aber gesehen, dass die Ukraine auch ganz anders kann. Glamouröse Malls, Klamottenläden wie in Deutschland, riesige Supermärkte.

Und jetzt verstehe ich auch die SchülerInnen, die mir sagen, dass Drohobytsch doch so langweilig sei und es woanders viel cooler sei. Natürlich war mir vorher schon klar, dass es in Kiew anders aussieht als hier und man mehr unternehmen kann, aber jetzt kann ich wirklich nachvollziehen, dass für die SchülerInnen das Leben in Kiew deutlich ansprechender ist als in Drohobytsch. Der Unterschied zwischen einer Kleinstadt und Großstadt ist in der Ukraine eben anders bzw. größer als in Deutschland (das ist natürlich nur mein Eindruck, den ich durch die Reise bekommen habe).

Auf Dauer würde ich das wahrscheinlich auch so sehen, aber für mein Freiwilligendienst bin ich sehr froh, in einer kleineren Stadt gelandet zu sein.

Beim Vorbereitungsseminar, als ich all die anderen Freiwilligen kennen gelernt habe, die in die ganze Welt verteilt gingen, hatte ich keinen Wehmut, dass es für mich „nur“ in die Ukraine geht und in kein Land, in das ich immer mal bereisen wollte. Als ich in Kiew ankam, zum Hostel ging und die ganzen tollen, großen Gebäude sah, dachte ich das erste Mal darüber nach, wie mein Auslandsjahr in so einer Großstadt wie Kiew wäre. Da müsste ich wahrscheinlich nicht immer die selben Spaziergänge machen, könnte jedes Wochenende ein anderes Museum besuchen und etwas Neues entdecken, was in meiner Stadt nach zwei Wochen schon nicht mehr möglich war. Aber jetzt, nach der Woche Kiew bin ich so froh, hier in Drohobytsch zu sein. Natürlich hat so eine Großstadt viele Vorteile, aber halt auch Nachteile. Ich hätte keinen 15 minütigen Schulweg, bräuchte bestimmt länger zum Schwimmbad, Fitnessstudio oder zu Verabredungen und würde wahrscheinlich am Ende doch immer die selben Spaziergänge machen. Alles ist zu Fuß erreichbar, ich habe nicht die Qual der Wahl in welches Café oder Restaurant ich gehe. Von meinem Zuhause bin ich das alles gewöhnt. Deswegen ist die Vorstellung für mich, eine Stunde mit der Bahn zur Schule zu brauchen, und all das, was sonst noch zum „Großstadtleben“ dazugehört, fast unvorstellbar, weil ich eben in einer Kleinstadt aufgewachsen bin. Der Erfahrung in einer Großstadt zu leben, wäre für mich etwas Neues gewesen und bestimmt auch spannend gewesen, was ich auch gerne erlebt hätte. Und es wäre bestimmt ein weiterer Schritt aus meiner Komfortzone gewesen, aber da ich mein neues Zuhause auf Zeit eben nicht aussuchen konnte, bin ich am Ende froh, in einer Kleinstadt gelandet zu sein.

Und mir ist bewusst geworden, wie unterschiedlich unsere Erfahrungen doch sind, die wir in unserem jeweiligen Ort machen, gemacht haben und machen werden. Und das, obwohl wir bei der selben Organisation, im selben Land leben, die selben Traditionen kennen lernen und den selben Job haben. Im Bezug auf die Arbeit in der Schule unterscheiden sich teilweise unsere Aufgaben, dementsprechend auch unsere Erfahrungen, aber besonders das Leben außerhalb der Schule ist bei uns Freiwilligen so unterschiedlich. Aber das macht es auch irgendwo spannend, wenn man sich austauschen kann und einem genau das dann bewusst wird. Dabei muss ich mir nur immer klar machen, dass keine Erfahrung „besser“ oder „wichtiger“ ist, dementsprechend soll ich über die Erfahrungen, die ich machen kann, froh sein, ganz egal, wie diese im Vergleich zu den Erfahrungen von den anderen stehen.

Als ich nach meiner Ankunft am Bahnhof Samstags Abend durch den „Ocean Plaza“ (ein großes Einkaufszentrum in Kiew) gelaufen bin, war ich richtig geschockt. Nicht nur, weil mir bewusst wurde, wie lange ich dann doch schon in Drohobytsch bin und dieses ganze „glamouröse“ was es, wie ich finde am besten beschreibt, nicht mehr gesehen habe und gewöhnt bin, und eben, dass es so was auch in der Ukraine gibt. Für mich war das in dem Moment echt eine ganz andere Welt, in der ich mich gar nicht mehr so wohl gefühlt habe. Das Einkaufszentrum war aber tatsächlich sehr groß und stark geschmückt und mit vielen teuren Läden, das kann man nicht mit dem Einkaufszentrum in Köln-Weiden vergleichen, in das ich sonst gehe.

Aber trotzdem ist mir da nochmal bewusst geworden, wie sehr ich mich an mein neues Zuhause gewöhnt habe. Dieses „glamouröse und internationale“ (damit meine ich die Produkte, wie Klamotten, die man zum Beispiel in Deutschland, den USA und sonst überall kaufen kann) gibt es hier in Drohobytsch überhaupt nicht, und vermissen tu ich es eigentlich gar nicht. Mir fällt es schwer, dieses Gefühl oder diese Beobachtung zu beschreiben. Ich glaube, so richtig nachvollziehen kann man es nur, wenn man es erlebt hat. Natürlich ist Drohobytsch nicht so am Ende der Welt, wie man jetzt denken könnte, aber bestimme Sachen, wie Klamotten oder auch Lebensmittel, gibt es hier einfach nicht.

Als ich vor ein paar Wochen einen großen Supermarkt gefunden habe, hätte ich nicht gedacht, dass es noch fast drei Mal so große, wenn nicht sogar noch größere, Supermärkte gibt. In Kiew gibt es die aber:)

Und eine Sache, die ich hier mittlerweile richtig genieße, ist, dass ich hier gar keine Möglichkeit habe, shoppen zu gehen. Erst in Kiew, als ich wieder vor den ganzen Klamotten stand, ist mir bewusst geworden, wie angenehm es eigentlich ist, wenn es keine Klamottenläden in der Nähe gibt. Als ich in den Läden stand, hatte ich plötzlich das Gefühl, ganz viele Sachen ganz dringend zu brauchen (was mir in den Wochen davor nie aufgefallen ist und auch jetzt komme ich ganz gut ohne die ganzen Sachen aus). Wenn es erst gar keine Möglichkeiten gibt, shoppen zu gehen, muss man eben gar nicht darüber nachdenken, etwas zu kaufen, was am Ende echt entspannt ist.

Das ist, jetzt wo ich es in Kiew erlebt habe, eine Sache, die ich hier an meiner Stadt, wenn ich zurück in Deutschland bin, bestimmt vermissen werde: gar nicht erst in Versuchung zu geraten etwas zu kaufen. Dieses Gefühl etwas zu brauchen, was meistens erst im Laden entsteht, wenn man den Artikel sieht, was man im Alltag jedoch nicht vermisst, ist mir nochmal bewusst geworden und hilft mir (hoffentlich) auch zurück in Deutschland da etwas achtsamer zu handeln.

Und ab und zu trifft man in Kiew auch auf Leute, die Deutsch sprechen können:

Weil Marlene und ich um 10 Uhr abends noch Hunger bekommen haben, sind wir zum nicht weit entfernten McDonalds gegangen. Wir haben uns natürlich auf Deutsch unterhalten und kurze Zeit später hat uns unser Sitznachbar angesprochen. Er war ein ehemaliger Schüler einer DSD-Schule in Kiew, hat schon in Deutschland gearbeitet und konnte auch ganz gut Deutsch sprechen.

In einem Secondhandshop hat eine andere Kundin kurzerhand einen ukrainischen Spruch auf einem Kleidungsstück auf Deutsch übersetzt, als wir nachgefragt haben. Viel konnte sie nicht auf Deutsch sagen, aber witzigerweise kannte sie genau den Spruch.

Die Verkäufer im Supermarkt hatten teilweise auch Verständnis mit uns und haben den Betrag, den wir zahlen, mussten auf Deutsch sagen können.

Die Reise hat bei mir die Lust auf Mehr geweckt. Dadurch, dass diese Reise reibungslos abgelaufen ist und ich jetzt weiß, wie das Reisen hier in der Ukraine so ungefähr funktioniert, freue ich mich schon auf die nächsten Ausflüge.

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