Vom Privileg zu gehen anstatt zu flüchten.

Lasst uns über Privilegien reden. Nein, ich möchte hier strukturellen Rassismus nicht zum Hauptthema machen. Stattdessen möchte ich darüber schreiben, wie es ist gehen zu können, wenn man möchte. Sich in seinen schicken Leihwagen zu setzen und einem Wochenendausflug entgegen zu fahren, während hinter einem hunderte Menschen in der Kälte warten. Menschen, die ihren Platz auf der Straße, auf der sie sich bewegen, nicht selbst gewählt haben. Menschen, die von anderen Menschen an ihren Platz gewiesen werden. Anderen Menschen mit Schlagstöcken und Teasern.

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Ein Schritt

Mein Weg zu diesen Worten hier war lang. Vor acht Tagen machten wir, zwei Deutsche und ein bereits seit längerem hier in Serbien ansässiger Franzose, uns auf in Richtung Süden. Das Ziel: Skopje bzw. zuvor die südserbische Grenzstadt Presevo. Dort ging mein Weg weiter, passierte den Zustand des Schocks, der auf die ersten Eindrücke in Presevo folgte. Der Schock, der aus der schieren Masse an Menschen resultierte, die dort in der Kälte auf ihre Registrierung warteten, um schließlich in Busse zu steigen und an die Nordgrenze Serbiens zu fahren. Diese Menschen warteten, teilweise mit wärmenden Decken, teilweise ohne Schuhe an den Füßen, eingepfercht zwischen Bauzäunen. Das war das statische Element dieses Bildes: Menschen, die versuchen sich warm zu halten und Stunden lang ausharren. Das dynamische Element der Hauptstraße Presevos: Ankommende Menschen, die versuchen sich zu orientieren: Wo gibt es Internet? Wie geht es weiter? Und natürlich die Taxifahrer.

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Sie fahren

Diese Taxifahrer lassen sich nicht gerne fotografieren. Vielleicht zeigt das bereits, dass das was sie machen nicht ganz richtig sein kann. Erwischt man sie doch einmal mit der Kamera, im Gespräch oder in den Verhandlungen mit einem der Geflüchteten, weisen sie einen wortreich darauf hin, dass sie diesen Menschen nur helfen. Sie müssen weiter kommen. Und die Taxifahrer bringen sie weiter. Klingt gut. Das Problem dabei: Oft fangen sie die Menschen vor der Registrierung ab, was bedeutet, dass sie sich ohne Aufenthaltserlaubnis in Serbien bewegen – mit allen möglichen rechtlichen Konsequenzen. Dass der Preis dieser Taxifahrer immer fair ist, das wage ich auch zu bezweifeln.

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Ein weiterer Schritt

Statik und Dynamik fließen ineinander, während der Schock sich langsam legt. Inzwischen sind wir auf unserer zweiten Runde, die Straße hoch und wieder runter. Wir beschließen, dass es besser ist nach unserer letzten positiven Energie zu suchen und sie diesen Menschen mit einem Lächeln zu schenken. Nach einigen kläglichen Versuchen klappt es tatsächlich. Wir bekommen ein Lächeln zurück, die Menschen hinter den Zäunen fordern uns sogar auf, Fotos von ihnen zu machen. Sie posieren für uns, während sie sich an einem kleinen Feuer aus Müll die Hände wärmen oder außerhalb der Zäune warten, wie es weiter gehen wird.

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Vom Weggehen

Wir machen Fotos, wir sprechen mit Einigen, die das Gespräch suchen. Die Geschichten ähneln sich stark. Die Situation auch: Sie sitzen hier fest, warten. Unsere Geschichte ist anders. Unsere Situation auch. Wir gehen die Straße auf und ab, machen Fotos, wünschen einen guten Morgen, sprechen mit Freiwilligen. Als wir einige Stunden später merken, dass die Polizei die Straße neben den Zäunen geräumt hat und alle Wartenden hinter einer von ihnen bestimmten Linie hinsetzen lässt, gehen wir weg. Weg vom Geräusch der Teaser. Wir müssen nicht warten.

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Noch ein Schritt

Schließlich verlassen wir das Gelände rund um die Registrierungsstelle, vorbei an den Dutzenden an Bussen, die auf ihre Fahrt nach Norden warten. Wir sprechen darüber, ob es richtig war, hier her zu kommen. Darüber, wie es sich anfühlt nicht mehr tun zu können. Währenddessen trinken wir Kaffee in einem albanischen Café in der Altstadt Presevos. Ich versuche, Meike (ihren Beitrag zum Thema findet ihr hier) mit einem Zitat über Privilegien zu beruhigen, dass unsere Trainerin uns beim Vorbereitungsseminar vorgelesen hat, doch ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut.

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Mein Weg zu diesen Worten geht weiter. Als ich das Zitat später in meiner heimeligen Wohnung in Belgrad google, stoße ich auf Artikel zur Privileg -Thematik. Sie berühren mich, wie sie es vor diesem Wochenende vielleicht nicht getan hätten. Und schließlich finde ich ein ähnliches Zitat im Beitrag „Privilege: A User´s Guide“ von Gianpiero Petriglieri:

Use it well. Use it wisely. Whether you have a little or a great amount, privilege gives you power to be heard, to shape norms, to give means and opportunities to others. That is, power to give access to privilege. The best way to use privilege, therefore, may be to put it in the service of a purpose larger than its extension, and in the process expand the privilege of others beyond your next of kin.

Mein Weg zu diesen Worten hier habe ich gefunden. Ich hoffe sie finden ihren Weg auch zu euch.

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Das Copyright aller hier verwendeter Fotos liegt bei mir. Bitte seht von der Weiterverbreitung ohne meine Zustimmung ab – nicht nur mir, sondern auch den Abgebildeten zuliebe.

3 Gedanken zu „Vom Privileg zu gehen anstatt zu flüchten.“

  1. Halt durch, Eva! Mir gings auch schon vor 2 Jahren (Albanien) schlecht, als ich mir angucken musste, was ich als Freiwilliger im Vergleich zu einem Albaner verdiene (auch mal auf das Arbeitspensum bezogen) und wie gut es mir generell dort ging. Ich will nicht wissen, wie es dir jetzt im Balkan mit der Flüchtlingssituation erst ergehen mag. Aber du hast schon richtig erkannt, was du dieser Ungerechtigkeit versuchen kannst, entgegenzusetzen. Nämlich Hilfe durch menschliche Nähe/ Kulturaustausch zum besseren, gegenseitigen Verständnis. Ich wollte dir hier nochmal den Tipp geben, nicht zu sehr auf das Geld zu achten, das du ausgibst. Es gab einige von uns, die sich damit brüsteten, wieviel Kohle sie nach dem Freiwilligendienst plus hatten. Verteil das Freiwilligen-Geld im ganzen Balkan!

  2. Liebe Eva,

    eine Roma Familie, die seit fast 5 Jahren in Deutschland gelebt und mit der ich über 3 Jahre lang gearbeitet habe wurde letzte Woche abgeschoben und befindet sich nun in Subotica. Die Familie steht ohne alles da und verbringt die Nacht auf der Straße. Ich weiß, die Situation in Serbien ist angespannt… Kennst du vielleicht jemand in Subotica? Evt. auch Freiwillige oder Deutsche? Es wäre toll, wenn wir Kontakte vor Ort finden könnten, um der Familie zu helfen. Falls du etwas weißt würde ich mich freuen, von dir zu hören! Meine Email-Adresse: kathi_pfluegel@yahoo.de Danke, Kathi!

    P.S: ich weiß wir kennen uns nicht, aber ich saß gerade vor dem Rechner und habe überlegt, wie ich der Familie helfen kann. Und habe zufällig einen Kulturweitblogeintrag in Facebook gesehen. Ich wäre beinahe selber mit Kulturweit ins Ausland, musste dann aber aus privaten Gründen die Stelle doch absagen… ich weiß es ist verrückt, aber vielleicht war es ja ein Geistesblitz, der weiterhelfen kann!

    1. Liebe Kathi,

      ich danke dir für deinen Kommentar und leite ihn gerne weiter an eine der Kulturweitfreiwilligen in Subotica…vielleicht ergibt sich da ja eine Möglichkeit zur Hilfe.

      Liebe Grüße aus Belgrad,
      Eva

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