Imbeleko & Weihnachten in King William’s Town

Wie versprochen kommt hier der Bericht mit zahlreichen Fotos von der Zeremonie. Ich warne euch schon mal im Vorfeld: ich habe keine Zensur vorgenommen, weder beim Text noch bei den Bildern. Alle Eindrücke, die ich dort gesammelt habe, sind ungeschönt und mit Details wiedergegeben.

Ich hätte nie gedacht, dass ich die Feiertage über Weihnachten mal so verbringen werde wie in diesem – oder besser gesagt letztem Jahr. An dieser Stelle wünsche ich euch allen ein frohes neues Jahr! Tut mir leid, dass ich es bisher weder geschafft habe, auf alle Textnachrichten zu antworten noch selbst welche zu versenden. Die Zeit in der wir nicht im Auto saßen, haben wir so gut es geht zu zweit genossen.. mal im Pool, mal auf dem Balkon oder in der Hängematte. Mehr zum Urlaub werdet ihr dann im nächsten Beitrag erfahren. Der Besuch in den Villages war mit Abstand das außergewöhnlichste Erlebnis überhaupt und ich bin froh, dass ich meine anfänglichen Bedenken überwinden konnte.

Schafft es der Mietwagen unbeschadet in die Villages?  –  Kann ich drei Tage auf Dusche und fließend Wasser verzichten?  –  Muss ich mit ansehen wie die Ziege geschlachtet und ausgenommen wird?  –  Essen die dort wirklich drei Tage lang nur Fleisch, morgens, mittags und abends?  –  Wie komme ich mit dem Rollenverständnis in den Villages klar?  –  Wie werden die Menschen auf mich/uns reagieren?  –  Müssen wir wirklich in getrennten Betten schlafen?

Xolisa und ich machten uns mit Gepäck für 12 Tage und unserem Ford Fiesta auf den Weg in das Dorf, in dem sein Vater aufgewachsen ist. Zwei Stunden Fahrt auf einer Schotterpiste von King William’s Town entfernt. Dass wir den Wagen voll versichert hatten – auch Frontscheibe und Reifen – hat sich nachdem sich ein riesiger Nagel in den rechten Hinterreifen gebort hatte, mehr als sinnvoll herausgestellt. Zum Glück hat uns das Auto noch zurück in die Zivilisation gebracht, wo wir den Reifen bei einer Tanke provisorisch flicken ließen. Dort meinte man noch zu uns, dass der Nagel ziemlich schräg gesessen habe und wir deshalb schauen müssten, wie lange das hält. Ich hatte ein wenig Sorge, dass der Reifen uns auf dem anschließenden einwöchigen Roadtrip im Stich lässt. Hat er aber nicht. Zum Glück!

Meine zweite Sorge war verbunden mit der Hygiene in den Villages. Für drei Tage auf Katzenwäsche umzusteigen, das Toilettenhäuschen draußen zu nutzen, die Zähne hinterm Haus zu putzen (an einem Abend war der Wind so stark, dass Xolisa die Zahnpasta im ganzen Gesicht statt im Gras gelandet ist…) und 10 Liter Wasser in Töpfen den Berg hochzuschleppen war eine Erfahrung für sich. Definitiv. Im Nachhinein glaube ich, dass ich dies den Umständen entsprechend gut gemeistert habe. Mein Magen hat sich zwar etwas gesträubt, aber das war wohl zu erwarten. Xolisa hat mir jederzeit seelischen Beistand geleistet und mich das ein oder andere Mal beherzt ausgelacht, um mir deutlich zu machen, wie selbstverständlich und alltäglich gewisse Dinge für die Menschen in den Villages sind. Statt Toilettenpapier (zu teuer und der nächste Supermarkt ist sehr weit weg) werden Gras oder Steine benutzt. Der nächtliche Toilettengang wird in einem Topf erledigt und am nächsten Morgen entsorgt. Die größere Wanne, die ihr auf einem der Bilder seht, dient zur täglichen Körperwäsche. Eine andere Wanne wird dazu benutzt, um Geschirr abzuwaschen. Jeder Topf hat seinen eigenen Verwendungszweck.

Am Tag vor der Zeremonie wurde die Ziege abgeholt, die Xolisas und Sethus Eltern für stattliche R1700 (etwa 100 Euro) erstanden haben. Sethus Aufgabe war es dann, die Ziege mit Wasser zu versorgen und auf sie aufzupassen. Am nächsten Morgen dann die Nachricht: die Ziege habe sich befreit und sei weggelaufen. Die Männer mussten sich also auf die Suche machen und das Tier wieder einfangen. Das Tau, mit der die Ziege am Baum festgebunden war, hatte wohl nachgegeben. Sethu war sehr besorgt, dass die Zeremonie ins Wasser fallen würde, aber glücklicherweise war die Ziege nicht zu weit und konnte nach einer schweißtreibenden Jagd wieder gefangen werden. Sie wusste wohl ganz genau, was am nächsten Tag mit ihr passieren sollte…

DER TAG DER ZEREMONIE (IMBELEKO)

Alle waren schon früh wach. Die Frauen der Familie sammelten Holz und die jungen Männer suchten nach speziellen Sträuchern, auf denen später das Fleisch ’serviert‘ werden sollte (siehe Foto). Zudem wurde sichergestellt, dass genug Wasser da ist und das ‚Equipment‘ für die Schlachtung der Ziege bereitliegt. Die Aufgabe Xolisas Mama war es, Kuhmist einzusammeln, diesen mit Wasser zu mischen und auf dem Boden der Hütte, in der die Zeremonie stattfinden sollte, zu verteilen. Dieser ‚Bodenbelag‘ sollte dafür Sorgen, dass nicht zu viel Staub ins Haus kommt. Außerdem hält es das Haus auch nachts über warm. Nach kurzer Zeit trocknete die Masse und wurde fest. In der Mitte war eine Feuerstelle, wo später am Tag der Pott (Imbiza yesiXhosa) mit dem Ziegenfleisch gekocht werden sollte. Auf dem Boden wurden dünne Strohmatten ausgelegt, auf dem die Frauen den ganzen Tag sitzen mussten. Da ich ein Gast war und deshalb gewisse Privilegien besaß, durfte ich eine Matratze nutzen. Der Rauch in der Hütte war teilweise nicht auszuhalten. Zählte aber als eines der noch praktizierten Rituale. Ebenso wie die weiße Farbe (Ifutha), die sich die Frauen ins Gesicht und auf den Körper schmierten. Was für einen Hintergrund dies hat, habe ich leider noch nicht herausgefunden.

Später am Tag versammelten sich die Männer draußen beim Kraal (Ubuhlanti). Dies ist der Ort, wo nach dem Glauben der amaXhosa eine spirituelle Verbindung mit den Vorfahren hergestellt werden kann. Gekennzeichnet ist der Kraal durch die Anhäufung eines Kreises aus Ästen (siehe Foto). Sethus Vater und die Person, die in der Gemeinde für die Schlachtung von Tieren auserkoren wurde, brachten die Ziege in die Hütte, wo bereits alle Frauen warteten. Sie zeigten Sethu die Ziege und baten sie darum, die Opfergabe an die Ahnen zu akzeptieren. Kurze Zeit später, nachdem die Männer die Ziege zurück zum Kraal gebracht hatten, riefen sowohl die Männer draußen als auch die Frauen in der Hütte laut „Camagu“, was so viel bedeutet wie „so soll es sein“. Die Zeremonie war erfolgreich, da die Ziege gleich beim ersten Mal laut aufschrie als sie mit dem Speer gepiekt wurde. Dies wird so verstanden, als dass die Vorfahren Sethu als Mitglied der Familie akzeptieren und zufrieden damit sind, wie die Zeremonie vollzogen wurde. Im Anschluss wurde die Ziege geschlachtet und zerlegt. Ein Teil der Ziege (ich wollte nicht wissen welches) wurde dann in die Hütte gebracht und ohne Gewürze über dem Feuer gegrillt. Das Fleisch musste Sethu im Anschluss essen. Xolisa half ihr dabei, weil es erstens ganz schön viel Fleisch und zweitens nicht besonders lecker war. Am ersten Tag wurden die meisten Teile der Ziege im Pott gekocht, verspeist und der Rest des leblosen Körpers in die Hütte gebracht. Dieser sollte dann morgen früh zubereitet werden…

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Zwar musste ich den Akt der Schlachtung nicht selbst mit ansehen, aber dafür jegliche Innereien (alles wurde gekocht, nichts aussortiert) und den ausgenommenen Körper des Tieres. Der Gestank war zum Glück ‚dank‘ des Rauches in der Hütte nicht wirklich wahrzunehmen. Die folgende Nacht verbrachten Sethu, ihre Mutter und die erste Ehefrau des Bruders von Xolisas Vater in der Hütte, um über die Überbleibsel der Ziege zu wachen. Ein kleines Stück der Ziege habe ich dann auch probiert als Sethu es mir anbot. Schmeckte ganz gut, aber an mehr habe ich mich dann nicht rangetraut. Als wir später zurück im Haus waren, gab es Hühnchen zum Abendessen.. als ob zuvor nicht schon genug Fleisch auf dem Teller war. Es stimmt also, dass in den Tagen, an denen eine Zeremonie stattfindet, überwiegend Fleisch gegessen wird. Morgens, mittags und abends. Soll ja nichts schlecht werden bei der Hitze.

Der nächste Tag war geprägt von knallendem Sonnenschein, Gelächter und ausgelassener Stimmung in der Hütte. Wie ihr auf den Bildern seht, trägt Xolisas kleine Nichte ihre Puppe auf dem Rücken. Die Tatsache, dass diese Puppe hellhäutig war, fand ich ziemlich irritierend… Xolisa erklärte mir später, dass die Töchter alle von klein auf lernen, wie man Kinder großzieht. Ihre Mamas und Omas scheuen zumindest nicht davor, ihnen dies praktisch zu zeigen (siehe Foto).

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Morgens früh um acht Uhr wurde wieder Feuer gemacht, der Rest der Ziege gekocht, Samp zubereitet (ein Gericht aus Maismehl) und im Anschluss Tee serviert. Dabei spürte ich zum ersten Mal am eigenen Leib, wie es sich anfühlte in der typischen Frauenrolle zu stecken. Xolisas Mama bat mich darum ihr bei der Zubereitung von Tee für die Männer, die sich draußen in der Sonne von ihrer harten Arbeit erholten, zu helfen. Kein Ding. Als ich dann die Tassen mit Tee, Löffel und Zucker draußen mit einem Tablett verteilte und nur einmal ein „Enkosi (Danke)“ dafür erhielt, ging mir dies doch ein wenig gegen den Strich. Nachdem dann noch ein plattes: „Gibt es keine Milch?“ folgte, wollte ich nur noch raus aus dieser Situation. Es war das erste Mal, dass ich bewusst einen kulturellen Schock erlebte, der noch bis heute anhält. Zum Glück war Xolisa an meiner Seite, der merkte, dass etwas nicht in Ordnung war und mich zum Haus begleitete. Ich nutze meine Magenprobleme, die ich in dem Moment schon fast wieder vergessen hatte, als Ausrede und verschwand bis zum Abend. Wir redeten so lange im Zimmer, bis es mir wieder besser ging. Ich hatte sogar die Chance, Xolisa einige Doppelkopfregeln beizubringen. Hoffen wir, dass er sie so schnell nicht wieder vergisst. Später half ich Xolisas Mama mit dem Abwasch und unterhielt mich mit ihr über ihre Arbeit und Xolisas neuen Job in Lesotho. Sie sagte mir, dass sie sehr dankbar dafür sei, was ihm nun für Möglichkeiten offen stehen und dass sie sehr glücklich ist, dass wir uns gefunden haben.

Allen hat es viel bedeutet, dass wir den weiten Weg (etwa 7 Stunden Autofahrt) auf uns genommen haben, um an diesem besonderen Familienereignis teilzunehmen. Siphosethu war sehr überrascht, dass wir an ihrem wichtigen Tag wirklich dabei sind. Man merkte ihr dies an, als wir gemeinsam auf dem Sofa im Wohnzimmer im Haus der Ehefrau des ersten Bruders ihres Vaters saßen. Der Familienstammbaum der Mgwelo’s ist so groß, dass es seine Zeit brauchen wird, bis ich einen Überblick habe und ansatzweise die Namen der engsten Mitglieder weiß. Selbst Xolisa meinte, dass er längst nicht alle Gesichter kenne noch jeden richtig einordnen könne. Dies konnte ich ihm erst nicht wirklich glauben, bis wir in die Villages kamen und er seine sechsjährige Nichte nicht wiedererkannte (Er fragte sogar noch seine Schwester:„Who is that?“).

Hinsichtlich der Reaktionen auf uns kann ich sagen, dass wir zwar aus Respekt keine Zärtlichkeiten in der Öffentlichkeit austauschten, aber uns generell keine komischen Blicke sondern eher Zuspruch entgegengebracht wurde. Seine Eltern genehmigten uns entgegen der kulturellen Praxis unsere Privatsphäre, indem sie uns das Doppelbett im Haus anboten. Xolisa selbst war zunächst geschockt, aber erleichtert über diese Entscheidung. Er strahlte über beide Ohren, als er mich in meinem traditionellen Xhosa Outfit sah und seine Eltern waren glücklich, dass wir glücklich waren. Sie stellten mich den Gästen der Zeremonie, Familie, Freunden und Nachbarn in der Gemeinde vor und waren erleichtert, dass ich keinen kulturellen Fauxpas beging. Sie erwarteten beide nicht von mir, dass ich für ganze drei (die Tage in den Villages fühlen sich wirklich lang an) Tage bleiben würde. Xolisas Mama erzählte mir von ihrem ersten Besuch in Phole (der Name des Dorfes). Da sie selbst im Township aufgewachsen ist, waren ihr viele traditionelle Rituale nicht geläufig und sie musste sich mit der Zeit erst an die Umgebung und Einstellungen gewöhnen.

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Seit gestern sind wir wieder zurück in Maseru. Es hat alles gut geklappt an der Grenzkontrolle. Xolisa hat eine vorläufige Aufenthaltsgenehmigung bis Ende Januar bekommen. Um dies noch bis Anfang Februar zu verlängern, müssten wir prinzipiell nur nochmal an einem Wochenende in diesem Monat die Grenze überqueren und am selben Tag zurückkehren. Vielleicht um einen kleinen Ausflug nach Ladybrand zu unternehmen. Seinen 23. Geburtstag können wir nun sogar gemeinsam feiern. Zum ersten Mal. Alle anderen Geburtstage haben wir an getrennten Orten verbracht.

Mittlerweile bin ich übrigens wieder bei bester Gesundheit, auch wenn mir die Hitze hier in Maseru echt zu schaffen macht. Kommenden Mittwoch soll die 40-Grad-Marke geknackt werden. Ansonsten erreichen die Temperaturen jeden Tag mehr als 35°C. Die Luft ist trocken und ein erfrischender Wind weht leider nur selten. Ab April kühlt das Wetter langsam ab und die kältesten Monate sind Juni und Juli. Pack also ruhig ein paar mehr warme Klamotten ein, Laura. Wirst du vielleicht brauchen. In den Häusern gibt es nur in größten Ausnahmefällen eine Heizung. Wir haben hier glücklicherweise einen Kamin im Wohnzimmer. Ich persönlich habe angesichts dieser aktuellen Hitze nichts dagegen, wenn die Temperaturen in einigen Monaten wieder fallen. Mal sehen, wie kalt sich der Winter in Lesotho wirklich anfühlt.

Morgen geht es für mich jedenfalls wieder ins Büro. Die Arbeit ruft! Freue mich darauf, meine Kolleginnen und Kollegen wiederzusehen, weiter an meinem Freiwilligenprojekt zu arbeiten und wieder einige Sesotho-Stunden bei ‚Me Florina zu nehmen.

Xolisa wurde am Tag seiner Ankunft von meinen Kolleginnen und Kollegen willkommen geheißen und konnte auch bei unserem Braai bei der Arbeit am 18. Dezember dazustoßen. Wir versammelten uns in dem Konferenzraum, teilten unsere Gedanken über das vergangene Jahr miteinander, gedachten der verstorbenen Angehörigen und bekamen jeweils einen Namen zugelost. Dieser Person werden wir am 20. Januar ein kleines Geschenk mit zur Arbeit bringen. Xolisa wird meiner Ansprechpartnerin ‚Me Bontle eine Kleinigkeit besorgen und ich hatte Ntate Selialia, einem IT-Freiwilligen in der NatCom auf meinem Zettel stehen. Ich liebe Überraschungen!

2 Gedanken zu „Imbeleko & Weihnachten in King William’s Town“

  1. Liebe Mareike,

    was ein außerordentlich spannender Eintrag und ein Einblick in für mich völlig neue Perspektiven, toll sind auch die Bilder!
    Die Winter-Frage wird hier schon fleißig angesprochen: „Das heißt du fährst vom Winter in den Winter zurück in den Winter?“
    Ich persönlich finde kühlere Temperaturen auch besser als 40 Grad aber ich friere auch schnell, die Winterjacke nehme ich sowieso mit 😉
    Ich freue mich schon so! 🙂

  2. Liebe Mareike,
    was für ein interessanter Bericht und so wunderbare Fotos….

    Du hast so etwas landestypisches erlebt, was man sich nicht vorstellen kann. Hast ja alles gut überstanden und bist sicher froh,
    wieder etwas zivilisierter leben zu können, was?
    Ich werde diesen Bericht noch oft lesen und mich an den Bildern erfreuen.

    Liebe Grüße
    Oma

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