Archiv der Kategorie: Allgemein

Ein Volk hinterm Berg

Der Ofen knackt, die Hunde bellen. Die Luft gefriert im Hals. Grob grimmige Männer sprechen in einer Sprache, die nur von einigen Hundert Menschen verstanden wird. Xınalıq liegt auf 2.300 Metern Höhe. Hier Leben der achtjährige Ibrahim und sein kleiner Bruder Salih, sie kennen die Namen der Berge. Weiter durch die Berge käme man auf dem Rücken eines Pferdes, doch unsere Reise endet hier. In Wolle und Fell gehüllte Frauen waschen im eiskalten Quellwasser die Kleider ihrer Männer. Jeder hat einen Esel und einen Niva. Schafe und Ziegen finden bei Dämmerung alleine den Weg in den Stall, denn nachts sinken die Temperaturen in Richtung zweistellig und die Schafdungöfen beginnen ihren Dienst. Wärme ist Wohlstand. Als das Sonnenlicht den Gipfel des Dorfbergs berührt, gibt es Tee, Brot und Ziegenkäse zur Stärkung.

Viele Grüße von Henri

Richtung Westen

Freiheit durch Auto fahren, Auto fahren durch Aserbaidschan. Hier, da und überall möchten wir hin. Goethe sagt, man ist nur
gewesen, wo man
gewandert ist. Ich sa-
ge wandern heißt
gewissenhaft reisen.
Endgültig und unverbesserlich warten die Steingräber von Kelakhana auf das Ende aller Zeiten. Hier möchte ich bleiben, bis ich nicht mehr bin, weil sie noch sein werden. Wir fahren trotzdem weiter. Der Mietwagen muss schließlich irgendwann zurück. Nach einem Tag sind Wochen vergangen. Morgens sehen wir im Rückspiegel die Küste, abends schlafen wir in den Bergen. Jahrhunderte alte Kupferschmieden schmücken das entlegene Dorf. Bis auf den Gipfel folgt uns der Gesang des Azan aus den 5 Moscheen des Orts. Beim Abstieg glänzt ein grüner Stein zwischen den Wurzeln. Kupfer. Plötzlich erkennen wir den grünen Schimmer auch an den Hängen der umliegenden Berge. Das Auto trägt unsere schweren Beine an den Steilklippen des großen Kaukasus bis in den ersten Ort der großen Steppe. Der Horizont zeichnet eine grobe Berglandschaft jenseits der Baumgrenze. Der Hintergrund wird für 4 Tage nicht verschwinden. Das Geschichtsmuseum auf unserem Weg wird für uns geöffnet. Der englischsprachige Angestellte fotografiert und dokumentiert den Besuch der deutschen Delegation sorgfältig und der Museumsdirektor läuft uns für ein Selfie hinterher, wir nehmen ihn noch ein Stück in unserem Auto mit. Fortsetzung folgt.

Seht meinen Film.

Viele Grüße von Henri

Khalfalar

Gott verbannte Adam und Eva aus dem Garten Eden. Mona und Henri haben ihn wiedergefunden. Beeren und Minze im Straßengraben. Haselnusssträucher, Koriander, Quitten- und Apfelbäume in den Gärten. Nach einigen nassen Tagen blüht das Land und die Bäche gurgeln. Es gibt keine Wasserleitungen. An den Quellen des Tales füllen die Dorfbewohner ihre Kanister. Lautes Wasser, grüne Wiesen, weißer Schnee auf den Berggipfeln. Dem spiegelglatten Gipfelsee begegnen wir niedergeschlagen und triumphierend bei der Wanderung mit der ganzen Familie. Wir erfahren am Abend, warum man hier so stolz auf die Gastfreundschaft ist. Emotional unbezahlbare Geschenke werden wir in Tüten und Taschen nach Hause tragen. Danke Nurana, danke an alle.

Viele Grüße von Henri

 

Die Stadt mit dem lustigen Namen

Vor dem Zugfenster ist Schlammwüste. Wir starren nach draußen. Ölpumpen, Raffinerien, Kraftwerke und in der Ferne rostbraune Bohrinseln auf dem Kaspischen Meer. Die anderen Zuggäste schließen ihre Gardinen und öffnen sie erst, als Felder und Dörfer den Stahl und Berge das Wasser verdrängen. Granatäpfel hängen an den Bäumen und Männer stehen in den Türen. Der Zug fährt nur einmal am Tag. Mittags kommen wir in Ganja an. Die Stadt putzt sich nicht für uns heraus, es gibt keine ausländischen Touristen. Wir finden am frühen Abend unseren Lieblingsort in der zweitgrößten Stadt Aserbaidschans. Bei einem Spaziergang durch eine ruhige Siedlung sehen wir am Ende einer Sackgasse die Ruine einer Kirche. Kein Tourist kommt hier hin, das ist direkt klar. Die Kirche steht hier nicht, weil sie älter als das Land ist oder weil ihre Geschichte von einer vergessenen Kultur erzählt. Sie steht hier, weil sie bis jetzt niemandem im Weg stand. Ein Gaszähler des Nachbarhauses ist in die Ziegelfassade gehämmert worden. Die Fenster sind zugemauert. An beiden Seiten haben Nachbarn eine Mauer bis an die Kirche gezogen, um ihr Grundstück zu sichern. Durch ein Loch in der Kirchenmauer sehen wir Müll und Schutt. Zwei kleine Mädchen sitzen kichernd am Nachbarhaus. Sie laufen lachend weg, als ich ihnen zuwinke.

Viele Grüße von Henri

4 Wochen

Bei einem Besuch auf dem „Russischen Markt“ begegnet uns eine neue Stadt. Die Sandsteinfassaden weichen den Marktständen. Die breiten Straßen schrumpfen zu Gassen und Tunneln. Hier findet man, was wir nicht suchen. Die übrigen Stofffetzen unserer Fast-Fashion und die Misshandlung von Tieren, welche in Deutschland so schön versteckt wird. Es stört sich niemand an den Kaninchen und Gänsen, die im Brotdosenstil in Käfigen auf ihr Ende warten.

Bei der Arbeit mehren sich die Erfolgsmomente. Ein Spiel funktioniert, eine Schülerin lernt eine Regel und ein Schüler wächst über die Grenzen seiner Deutschfähigkeiten, um mit mir über den AC Mailand zu sprechen. Trotzdem machen uns viele Klassen Kopfschmerzen. Der Besuch der öffentlichen Schule mit fast 2000 Schüler:innen ist immer wieder anstrengend und nie zufriedenstellend.

Ein Wort passt mehr in diese Welt als jedes andere. Korruption. Das System erlaubt und belohnt jeden Kauf. Wer hat die beste Note? Wer hat seinen Führerschein? Wer geht zur Universität? Es ist der mit dem Geld.

Der Trampelpfad Kultur verschwindet zu oft hinter den hohlen Betonriesen des Ölschatzes, auf dem die Stadt sitzt.

Viele Grüße von Henri

Trauertag

Es ist Trauertag im Land des Feuers und in der Stadt der Winde wehen die Flaggen in großem Gedränge. Viele Vorbeigehende tragen einheitliche Pullover mit politischer Aufschrift zu der andernorts umstrittenen Region (Berg)Karabach. Die Lehrerinnen erklären uns, es sei ein Trauertag anlässlich des Kriegsbeginns vor zwei Jahren. Ein Krieg, den hier scheinbar keiner will. Von 2783 „Märtyrern“, die im Krieg ihr Leben für Aserbaidschan ließen, ist wieder und wieder die Rede. Mittags weckt mich der Muezzin aus einem Tagtraum. Wir erzählen den Schülern vom Tag der Deutschen Einheit und der deutschen Geschichte in den Jahren 1949 bis 1990. Einige verstehen viel, viele verstehen Einheit. Wir haben heute gelernt, dass das Lernen von neuen Vokabeln und Fachbegriffen ein Erfolgserlebnis für uns und die Schüler:innen bringt.

Viele Grüße von Henri

Fremdsprache Deutsch

Im Deutschunterricht. Die Klassen eins bis neun lernen die Deutsche Sprache. Kleinstklassen üben Zeitformen, Begrüßungen, das Alphabet und eben alles, was zu meiner Muttersprache gehört. Einige waren bereits in Deutschland. Einer in Halberstadt, einer in Bremen. Hinter den 3 bis 10 SchülerInnen sitzt mindestens eine Aufpasserin, die der Lehrerin helfen soll. Die Schülerinnen und Schüler haben Fragen. Was ist dein Lieblingsklub? Magst du AC Milan? Die Frage eines Schülers nach Bergkarabachs nationaler Zugehörigkeit wird von der Lehrerin schnell abgewunken. Ich müsse diese Frage nicht beantworten. Ein Schüler meldet sich mit dem Hitlergruß und flüstert mir die zugehörigen Worte zu. Kulturschock habe ich mir anders vorgestellt, aber das macht diesen vermutlich aus.

Viele Grüße von Henri

Baku für Beginner

Kurz vor Dienstbeginn beschäftigen wir uns mit dem Ansehen, -hören und Riechen der 2,2 Millionen Einwohner Stadt am Kaspischen Meer. In Europa findet sich keine vergleichbare Stadt, so viel war schon nach wenigen Minuten klar. Die Metropole ist hell beleuchtet, die Wolkenkratzer wie Straßenlaternen in einer Stadt, die sich in Protz badet. Hektik auf den Straßen, es dauert keine 10 Minuten, bis wieder ein Unfall passiert. Das Handy darf am Steuer natürlich nicht fehlen. Baku ist eine ganz besondere Stadt. Sie sucht sich Inspiration an unterschiedlichsten Stellen. Die Architektur wie Dubai, die Straßen wie Delhi, die Markthallen wie Istanbul und der Müll wie Duisburg-Marxloh. Baku ist schön, trotzdem und genau deswegen.

Viele Grüße von Henri

Auf Wiedersehen

Auf dem Weg zum Flieger. Letzte Nacht gab es Auseinandersetzungen an der Grenze meines Gastlandes Aserbaidschan und dem Nachbarland Armenien. Ich besitze nicht das Privileg, an dieser Stelle ein politisches Urteil über den Konflikt der beiden Staaten zu fällen. Ich freue mich auf meinen Dienst und sehe mich in Baku keiner Gefahr ausgesetzt. 6 Monate sind keine lange Zeit, denke ich mir in der Hoffnung, dass Heimweh und Köln-Sehnsucht keine Belastung sein werden.

Viele Grüße von Henri

Hallo Deutschland

Hallo Deutschland,

das ist mein Blog aus Baku, der Stadt der Winde. Ich bin von September 2022 bis März 2023 in der Republik Aserbaidschan als Deutschlehrer und möchte hier wie viele andere Freiwillige des kulturweit Projekts einen Blog führen.

Viele Grüße von Henri