Fray Bentos ist eine Kleinstadt am Ufer des Río Uruguay, ganz im Westen des Landes. Hier ist das Leben tranquilo, wie die Einwohner:innen nicht müde werden, uns zu versichern.
Es gibt unser Museum zur Industriellen Revolution in Uruguay – die ehemalige Fleischextrakt-Fabrik – und ein anderes über den Künstler Luis Alberto Solari, dann noch das Theater Miguel Young (“Shung”, wie man hier sagt) und das war es auch schon. Zumindest fühlt es sich ein wenig danach an.
Ganz so ist es dann aber auch wieder nicht. Es sind zwar bisher nur anderthalb Wochen vergangen, aber dennoch fühlt es sich ein wenig an, als wäre ich schon ewig hier. Denn obwohl das Leben hier tranquilo ist, ist viel passiert.
Zunächst einmal wohne ich jetzt irgendwo langfristig und nicht mehr temporär, wie es in Montevideo der Fall war. Das heißt, ich musste mich einrichten, den Koffer endlich auspacken, putzen, einkaufen und für mich kochen – und zwar für den Rest des Jahres (und wahrscheinlich auch meines Lebens). Da meine Mitfreiwillige und ich außerhalb der Stadt wohnen, nimmt der Weg zu den verschiedensten Orten doch einen größeren Teil des Tages ein. Ich störe mich aber nicht daran, jeden Morgen eine Dreiviertelstunde gehen zu müssen, denn der Weg führt mich durchs Grüne, an Schafen, Kühen, Pferden und Vögeln vorbei.
Die Paisaje Cultural Industrial Fray Bentos, also das ehemalige Fabrikgelände, umfasst ein großes Areal mit vielen verschiedenen Strukturen. Schon von Weitem sieht man einen Schornstein in den Himmel ragen und auch das kantige Gebäude des Frigorífico, des Kühlhauses für die Tonnen und Tonnen an Fleisch, dominiert diesen Uferabschnitt.
Unsere Kollegen nahmen uns sehr herzlich auf, aber unser Chef war zum Zeitpunkt unserer Ankunft noch im Urlaub, weshalb niemandem so wirklich klar war, was wir tun sollten. Dementsprechend verbrachten wir diese ersten Tage damit, den anderen Museumsmitarbeitern hinterher zu dackeln und ein Verständnis für den Ort zu entwickeln.
Als dann unser Chef wieder da war, wurden wir dem Intendente des Departamento Río Negro vorgestellt, wir erhielten eine Führung durch das oben erwähnte Theater Young und wir nahmen an einem Vortrag einer Professorin aus Genua zu nachhaltigen Energiekonzepten in Bezug auf Welterbestätten teil. Der Vortrag war in Italienisch, Fragen wurden auf Spanisch gestellt und auf wundersame Weise verstanden sich alle prächtig.
Am Wochenende wurden wir vom Samtagsmarkt der Stadt enttäuscht, denn wir hatten doch mit größerem Marktgeschehen gerechnet, so in der Hauptstadt des Departamento. Dafür investierten wir in einem der vielen Geschäfte entlang der Calle 18 de Julio in eine Auflauf- und Kuchenform und buken auch gleich Brownies in meinem Gasofen. Die Kuchenform war wohl eine unsere besten Entscheidungen bisher, aber einen Gasofen zum Laufen zu bringen, stellte uns doch vor größere Herausforderungen, denn man muss irgendwie gleichzeitig den Knopf drücken, an der korrekten Öffnung das Gas entzünden und das alles bei fragwürdigen Lichtverhältnissen – wir haben diese Herausforderung aber erfolgreich gemeistert und die Brownies schmeckten dementsprechend besonders gut.
Dieser Samstag blieb ereignisreich, denn als wir am Abend uns ein kostenloses Konzert einer kleineren Band im Theater anschauen gehen wollten, stießen wir zufällig auf die Marcha por la Diversidad, also den CSD von Fray Bentos. Statt der Band schauten wir uns dann Dragqueens und lokale Künstler:innen an und waren auch noch auf der Afterparty, wo wir unsere ersten Fraybentin@s kennenlernten.
Neue Leute kennenzulernen gestaltet sich bisher nicht allzu einfach, denn ich weiß einfach nicht, wo andere Leute in meinem Alter oder mit meinen Interessen sind. Auf der anderen Seite bin ich noch kaum zwei Wochen hier, weshalb es nicht verwunderlich ist, dass ich noch nicht die ganze Stadt kenne.
Kenza und ich haben auch schon unseren ersten Ausflug raus aus Fray Bentos hinter uns. Mit dem Bus ging es nach Mercedes, eine nahegelegene Stadt und Hauptstadt des Departamento Soriano. Dort schauten wir uns die wunderschöne Rambla am Río Negro an, wenn wir auch nicht zur Isla del Puerto konnten, da das Wasser zu hoch stand. Hier gibt es auch eine große Kathedrale und einige Einkaufsläden, die zum Bummeln einladen. Ein nasser und dreckiger Labrador versuchte auch sein Bestes, uns zu adoptieren, wir sind ihn aber doch noch losgeworden. Hundebesitzer zu werden, steht nicht auf meiner To-Do-Liste für Uruguay.
Vielleicht kann man jetzt besser nachvollziehen, was ich meinte, als ich sagte, dass es sich anfühlt, als würde ich schon viel länger hier leben. Es passiert so viel und ich bin gespannt, was noch passieren wird.