2018

Der Wecker klingelt. Vom Balkon schwappt etwas Dunkelheit ins Zimmer, ein Vogel singt draußen im Mandarinenbaum. Es ist 5 Uhr morgens in Medellín und die Lebensgeister schlafen noch.
Ich bin wieder da, und das bedeutet: Wer zuerst wach ist, der macht Kaffee. Zur vollen Stunde in der U-Bahn die Nationalhymne mitsummen. Die WG ist wieder voll und die Arbeit manchmal anstrengend.

Hat sich denn überhaupt etwas bei mir geändert zum Jahreswechsel? Im November letzten Jahres bin ich zum Terminal aufgebrochen. Es fühlt sich an, als hätte ich 3 Jahre auf Reisen verbracht und wäre danach mit gepacktem Rucksack ins nagelneue 2018 hineingestolpert. Obwohl mein Backpacking-Trip an die Atlantikküste und in den Südwesten von Kolumbien wie im Flug vergangen ist, so hat er mich doch komplett aus dem Alltag herausgeworfen.
Was nicht schlecht war: Im Gegenteil. Ich habe tausend neue Facetten von Kolumbien kennengelernt, Erfahrungen mit einsamen Orten und hohen Bergen gemacht und mich beeindrucken lassen von der Natur um mich herum. Ich habe in Hostels gelebt, mich an kalte Duschen gewöhnt, nachts am Strand die Sterne beobachtet und uralte Statuen besichtigt. So viele Erlebnisse schwirren mir durch den Kopf, dass ich sicher noch einige Beiträge auf dieser Seite teilen werde.

Ein solches Ereignis ist zum Beispiel meine kolumbianische Silvesterfeier. Ich bin mit den anderen kulturweit-Freiwilligen nach Cali gereist. Die Feria ist gerade zu Ende, die feierwütige Meute immer noch feierwütig, der Kater scharf gekontert. Wir feiern in einem italienischen Haushalt mit 30 Salsafreaks, essen erlesene Nudelsalate und dürfen den obligatorischen Mitternachtsmoment auf dem Hügel von San Antonio genießen.
Das Jahr 2017 ist endgültig vorbei – mein Abiturjahr, mein Von-Zuhause-Auszieh-Jahr, mein Lass-Uns-Auf-Skype-Kontakt-Halten-Jahr. Ich habe die Alpen mit dem Fahrrad überquert, in Slowenien gutes Schwarzbier getrunken und auf Sylt nach Quallen gefischt. Ein schönes Jahr.
Und dann fängt irgendwer mit dem Countdown an, die Weihnachtsbeleuchtung glimmt, Jugendliche ballern mit Schwarzpulvergeschossen in der Stadt. Cali liegt vor uns ausgestreckt mit seinen Hochhäusern und dem kolonialen Straßenschachbrett von San Antonio. In der Ferne sieht man Feuerwerk. Wir schauen uns gespannt an.
3…2…1…
Jubel, Umarmungen, Küsse. Die übliche Prozedur. Alles beim Alten, sollte man meinen.

Aber wo stehe ich in diesem ersten Moment 2018? In Cali, einer Stadt, die wir vor einigen Monaten nur aus den Gruselgeschichten von „Narcos“ kannten. Wir stehen in einem Land, das als eines der gefährlichsten Länder der Welt galt, und in dem mir in meiner ganzen Zeit als Alleinreisender nicht das geringste Übel widerfahren ist. Ich bin tausende Kilometer von Deutschland entfernt und befinde mich inmitten von Menschen, die ich vor einigen Monaten nicht kannte. Und ich bin glücklich dabei!

2018 beschert mir gleich zu Beginn zwei letzte Reisewochen in Popayán, San Agustín und der Tatacoa-Wüste. Dann kehre ich zurück, wasche zwei Tage lang meine Sachen und stürze mich in die Schularbeit. Es hat sich vieles geändert, was meine Aufgaben betrifft: Ich habe jetzt mehr zu tun, fühle mich aber wohl dabei und bin eingearbeitet. Und außerdem muss ich nun ab und zu um 5 Uhr aufstehen, was ich aber durch drei Cafeteria-Besuche am Vormittag wettmache.

Die Liste mit Reisezielen in Kolumbien ist übrigens noch länger geworden. Und inzwischen weiß ich meinen kolumbianischen Alltag sehr zu schätzen, habe ein sicheres Umfeld und ein gutes Gefühl bei der Arbeit. Im neuen Jahr möchte ich gerne sagen: Jetzt geht’s erst richtig los!
Aber das stimmt nicht. Ich will nicht nochmal anfangen. Ich bin schon absolut mittendrin.