(M)ein »kulturweit« Blog

Ein letztes Mal „kulturweit-Feeling“!

Ein letztes Mal „kulturweit-Feeling“!

Das war’s jetzt also. Inmitten all der Einträge der neuen Kulturweitis, die ihr großes Abenteuer jetzt starten, setze ich mich mit meinen letzten Artikel. Zumindest auf diesem Blog. Da ich großes Gefallen am Blogschreiben gefunden habe, überlege ich, ob es in der einen oder anderen Form weitergehen soll bzw. wird. Nähere Infos dann dazu auf meiner Facebook-Seite, für die, die interessiert sind.

Das Ende. Eigentlich war es ja schon etwas früher vorbei. Als ich wieder nach Hause kam, versucht habe, mich irgendwie wieder einzuleben, was wirklich nicht so einfach war. Aber was heißt schon vorbei? Da ist so vieles, das ich mitnehmen kann. All die Erlebnisse und Erkenntnisse aus Ulcinj, die neuen Freunde, die Erfahrungen, das Gelernte. Die ganzen anderen Freiwilligen, die, die ich schon vorher kannte, die, die mir jetzt auf dem Nachbereitungsseminar ans Herz gewachsen sind, die alle drei Seminare zu etwas Unvergesslichem gemacht haben.

Das Nachbereitungsseminar war ein sehr gelungener Abschluss. Man traf so viele liebe Menschen wieder, die besser als die meisten anderen verstehen konnten, was man erlebt hatte, was schwierig war, worüber man gerne reden möchte. Die, besonders beim absolut wundervollen Workshop „Lauf in ein gutes Leben“, einfach nur zuhören konnten, bestätigen und helfen. Man ist ja nie ganz fertig mit seiner Lebensplanung, außerdem kommt es ja sowieso immer anders als man denkt und auch unsere ambitionierte Sinnsuche, die wir vorerst mit dem gemeinsamen Nenner beendet haben, dass der Sinn des Lebens ist, einen Sinn zu finden, wird hoffentlich noch weitergehen. Vielleicht das nächste Mal in einer gemütlicheren Location als dem Berliner Hauptbahnhof. 🙂 Aber man konnte zumindest ein paar Ideen entwickeln, überdenken und vor allem mit seinen Entscheidungen ins Reine kommen, die so oft und von so vielen Seiten kritisiert werden. Alles in allem also eine runde Sache, dieses Seminar, dem von unserer neu entwickelten Fensterbar, an der es abwechselnd Seifenblasen, Schnaps, Hustenbonbons oder auch mal nur ganz viel Liebe gab, das i-Tüpfelchen aufgesetzt wurde.

Jetzt geht es dann endlich weiter mit einem neuen Lebensabschnitt, das Studium hat zwar noch nicht begonnen, aber ich erdulde jetzt seit einer Woche einen Physik-Vorkurs, habe also eine Form von Alltag wieder gefunden, die mir das Leben zurück in der Heimat hoffentlich nochmal etwas erleichtern wird.

Ich weiß nicht, ob hier jetzt ein Fazit erwartet wird. Wir haben oft darüber gesprochen, dass wir gefragt werden: „Und, wie war dein Auslandsjahr?“. Auf diese Fragen gibt es eigentlich keine Antwort, die man mal so eben geben könnte. Die kann ich vielleicht am Ende meines Lebens geben, wenn ich alles überblicken kann. Sie steckt teilweise in meinem Blog, in meinen Gedichten, in meiner Schwierigkeit mit dem Ankommen zu Hause. Ich kann es nur jedem empfehlen. Ich habe natürlich auch Stimmen gehört, die nicht so begeistert waren, weil verschiedene Umstände nicht gestimmt haben. Vielleicht habe ich auch einfach nur unfassbar viel Glück mit meiner Einsatzstelle gehabt. Aber es war ein unvergessliches Erlebnis, dass mir unglaublich viel gegeben hat, das mir neue Ideen und Gedanken geschenkt hat und mich sehr verändert hat.

Das habe ich exemplarisch an meinem Brief an mich selbst feststellen können, den ich beim Vorbereitungsseminar schreiben durfte, und den ich jetzt, nach einem Jahr, wiederbekommen hatte. Ich habe mich erst nicht getraut, ihn zu öffnen. Ich hatte Angst, dass es entweder extrem peinlich, extrem belanglos oder extrem enttäuschend sein würde. Eigentlich war es nichts von diesen dreien, es war überraschend unspektakulär nach dem ersten Lesen, dann habe ich aber nochmal reingeschaut und festgestellt, dass ich einfach nur einen Schritt weiter bin. Dass ich all die Sorgen, die ich damals zu Recht hatte, heute ein bisschen verlachen kann. Aber ich konnte mich trotzdem noch in die Situation zurückversetzen und meine Gefühle nachvollziehen. Und es war dann doch ein schönes Erlebnis.

Ich wünsche allen Freiwilligen der jetzigen Ausreise eine wundervolle Zeit und dass sie anschließend ähnlich positiv zurückblicken können wie es mir jetzt möglich ist.

Es siegt jetzt beim Schreiben doch die Wehmut über die Vorfreude auf die Zukunft. Bilder ziehen in meinem Kopf vorbei, alles was so gewesen ist, das Schöne und das Herausfordernde, aber diese Bilder sind alle sicher in Kopf und Herz verwahrt und werden bei Bedarf wieder rausgekramt!

In diesem Sinne:

„kulturweit-Feeling, aufgeregt und müde…“

„Annerschtwu is annerscht!“ – Vom Heimkommen…

Eigentlich unglaublich, dass es schon wieder mehr als drei Wochen her ist, dass ich mich abends in Mannheim mit meinem viel zu schweren Koffer und meinem Saxophon auf dem Rücken aus dem Zug quälte und Ausschau nach meinen Eltern hielt. Der Abschied aus Ulcinj ist mir wirklich nicht leicht gefallen, obwohl ich mich sehr auf zu Hause gefreut habe, und es wurde mit der Zeit nicht unbedingt leichter. Doch von vorne.

Nachdem ich an meinem letzten Abend in Ulcinj, anstatt das Fußballspiel Deutschland gegen Nordirland zu schauen, lieber bei meiner Vermieterin auf dem Balkon saß und Kirschlikör getrunken habe, machte ich mich am nächsten Morgen gemeinsam mit Armin auf den Weg Richtung Norden. Wir fuhren drei Tage lang durch Montenegro, Kroatien, Slowenien und zuletzt Italien, wo ich mich in Bozen in den Zug gen Heimat setzte. Nochmal vielen Dank fürs Mitnehmen, es hat wirklich Spaß gemacht!

Schon die Zugfahrt war wirklich faszinierend. Man dachte, man hat ein Jahr in einem vergleichsweise unterentwickelten Land verbracht, was z.B. die Infrastruktur angeht, obwohl die Busse nie mehr als 5 Minuten zu spät waren. Dann überquert man die Grenze, sitzt in einem Zug der Deutschen Bahn und hört folgende Durchsage: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass dieser Zug einen Triebwerksschaden hat und heute in Stuttgart endet. Wahrscheinlich gibt es einen Ersatzzug, aber wir haben noch keine Informationen, wann und wo.“ Da saß ich mit meinem Gepäck für ein Jahr, das mir ein starker Polizist auf meine Nachfrage, er sei doch mein Freund und Helfer, ob er mir mal eben helfen könnte, ins Gepäckfach gewuchtet hatte, und musste nochmal umsteigen. Willkommen zurück in Deutschland!

Als ich dann völlig übermüdet, ich war am Morgen ja immerhin noch in Slowenien gewesen, aber doch relativ heil angekommen war und zu Hause nur noch ins Bett, in MEIN Bett, fiel, überwog doch die Freude, nach langer Zeit wieder zu Hause zu sein. Man gerät doch schneller wieder in den Alltag als man denkt.
Ich klapperte nach und nach alle Freund_innen und Verwandten ab (obwohl ich zugeben muss, dass ich noch nicht alle geschafft habe), ich stieg nahtlos wieder in die Orchesterproben ein (ich merke erst jetzt, wie sehr ich euch vermisst habe!) und wurde nach einem Jahr Pause gleich für einen vierstündigen Auftritt am nächsten Wochenende verpflichtet, ich betrachtete selig die schönsten Sonnenuntergänge der Welt über dem Pfälzer Wald und ich genoss wieder die Kochkünste meiner Mama, die nach einem Jahr voller Spaghetti mit Ketschup und Grießbrei wirklich wohltuend waren.

Die ersten Tage waren wirklich toll, voller Wiedersehensfreude, die eigentlich durch nichts getrübt wurde. Doch natürlich war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Weil ich in Ulcinj immer ohne Probleme mitten in der Nacht alleine durch die Straßen wandeln konnte, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dachte ich voller Optimismus, dass ich das so beibehalten könne. Ich fuhr also nach dem Viertelfinalspiel gegen Italien mit dem Fahrrad durch die Nacht nach Hause, als mir eine Reihe sehr unschöner Dinge passierten. Zwei Mal „Du Nutte“ aus fahrenden Autos, diverse Male „Sieg Heil“, Beschimpfungen, wenn ich nicht auf Schlachtrufe reagiert habe und Leute, die mich daraufhin bis nach Hause verfolgten. Von wild gewordenen Autofahrern mal ganz abgesehen. Das war das nicht ganz so tolle Willkommensgeschenk. Ich denke über die politische Bedeutung von „Sieg Heil“ muss ich hier nicht ernsthaft schreiben. Ich habe immer wieder Stimmen gelesen, die das Sommermärchen 2006 als die Geburtsstunde des neuen Nationalismus in Deutschland bezeichnen. Ich habe das nie so gesehen, ich dachte immer, dass man die Leute doch mit den Fahnen wedeln lassen soll. Auch gerade weil ich selbst Fußballfan bin, vielleicht nicht der größte Nationalmannschaftsfan, aber ich weiß, wie toll das Gefühl sein kann, in einer Kurve zu stehen, mit einer Fahne in der Hand, weil plötzlich alle gleich sind und alle gemeinsam jubeln. Da macht Einkommen, Aussehen, Geschlecht, Religion, Hautfarbe, Herkunft und alles andere, was Menschen sonst unnötigerweise trennt, plötzlich keinen Unterschied mehr. Und man hat ja auch diese Bilder bei der EM gesehen, Fangruppen, die gemeinsam feiern. Doch ich bin mir da plötzlich nicht mehr so sicher, wenn „Sieg Heil“ plötzlich ein adäquates Mittel zum Ausdruck von Freude über Fußball wird.
Die Respektlosigkeit, mit der man mir begegnet ist, weil ich nicht in die andauernden Schlaaaaand-Rufe einstimmen wollte, besorgt mich, weil im kollektiven Freudentaumel kein Platz zu sein scheint für die Fans der anderen Mannschaft, oder einfach für Menschen, die keine Fußballfans sind. Ich hatte wirklich Angst, eine Dimension von Angst, die ich ein Jahr beinahe gar nicht erlebt habe, hat mich geschockt und sehr zum Nachdenken gebracht. Wenn ich bedenke, wie sich viele Menschen Sorgen gemacht hatten, als ich gesagt habe, ich gehe nach Montenegro und wie ich mein Jahr dort und speziell den Kontrast zu Deutschland jetzt erlebt habe, müsste ich fast schmunzeln, wenn es nicht so wenig zum Lachen gewesen wäre.

Doch auch diese Geschichte hatte eine schöne Seite. Ich habe festgestellt, wie viele wirklich gute Freunde ich habe. Die vielen Nachrichten, die vielen Angebote, ich könne das nächste Mal bei ihnen kucken und dort übernachten, oder sie würden mich nach Hause bringen, die geteilte Fassungslosigkeit über das Geschehene (gibt auch noch vernünftige Menschen), haben mich schnell wieder aufgerichtet. Meine Freunde wissen, wie sehr ich Fußball liebe und wie gerne ich ihn in Gesellschaft schaue. Das nächste Mal fuhr ich in kompetenter Begleitung nach Hause (nochmal danke an Elke und Jochen), wobei wir dann auch nur den Autokorso der Verlierer, ergo der Stau an der roten Ampel zu sehen bekamen, was von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, ungleich angenehmer war. Dann meldet sich aber meine Fußballfan-Seele und fragt leise: „War es das wert?“ Ganz ehrlich, keine Ahnung. 😀

Ansonsten plane ich fleißig mein Nach-kulturweit-Leben. Unibewerbung ist längst verschickt, Wohnung auch schon fast gefunden, und ehrlich gesagt freue ich mich richtig drauf. Ein Jahr Ulcinj war super, und ich weiß, dass ich zurückkommen werde. Aber es ist Zeit für etwas Neues, das habe ich auch gegen Ende deutlich gespürt. Mein Projekt war abgeschlossen und ein Schuljahr ist eine runde Zeit, finde ich.
Apropos Projekt, seit einiger Zeit ist jetzt auch meine Projektbeschreibung beim PAD online. „Projekt des Monats“, klingt toll und der Bericht ist auch wirklich nett geworden. Ich verstehe immer noch nicht so ganz, warum ich diesen Preis gewonnen habe, aber ich werde mich nicht beklagen… 😀

Trotz allem vermisse ich Ulcinj und die Menschen, die ich dort kennenlernen durfte. Eine Nachricht von heute Morgen zeigt mir, dass ich nicht vergessen wurde. Artan, mein Lieblingskollege, schickte mir einen Link auf Facebook, dass der 1. FC Kaiserslautern, mein Verein, Miroslav Klose zurückholen wolle. Das hatte ich natürlich schon längst mitbekommen, aber es war sehr schön zu sehen, dass Artan mich und unsere endlosen Fußballgespräche nicht vergessen hat!

Was ich sonst noch aus diesem Jahr mitnehme? Sicherlich eine gewisse Abenteuerlust. Schon nach den paar Wochen wird es mir zu Hause zu langweilig und ich plane eine kleinere Unternehmung, die hoffentlich zustande kommt. Wenn ja, gibt es hier sicherlich noch ein paar Bilder, denn es soll Richtung Osten gehen und es war kulturweit, das die Sehnsucht in diese Richtung bei mir erst richtig geweckt hat. Ansonsten ist dieser Blog auch schon fast an seinem Ende angelangt. Es wird sicherlich nochmal einen kleinen Eintrag nach dem Abschlussseminar geben, in dem ich nochmal ordentlich Bilanz ziehen kann, aber ich möchte mich an dieser Stelle schon mal bei meinen treuen Leser_innen bedanken. Ich habe mich über jede Nachricht gefreut, euer Zuspruch hat mich durch dieses Jahr begleitet und hat mir letztendlich auch das Selbstbewusstsein gegeben, einen journalistischen Beruf anzustreben, weil mir des Öfteren deutlich gemacht wurde, dass Schreiben nun nicht meine größte Schwäche ist. 😀
Vielen Dank dafür und vielen Dank, dass ihr durch das Lesen alle meine Geschichten und Erlebnisse mitgemacht habt, vielleicht aus größerer Entfernung, aber so habe ich mich, wenn auch mal alleine, nie einsam gefühlt.

Ulcinj – eine ultimative Liebeserklärung

Es ist so weit. Mein wundervolles Jahr in Ulcinj endet. Morgen werden wir in Richtung Norden aufbrechen und ich muss die Stadt, in die ich mich so verliebt habe, bis auf weiteres hinter mir lassen.

Ich hatte einen sehr schönen Abschiedsabend, mit meinen Kollegen, Rexhep und Zenepa. Einfach zusammensitzen, essen, trinken, leidenschaftlich Diskussionen führen und nebenbei ein bisschen Fußball schauen. Und dann macht auch noch der Spieler mit albanischen Wurzeln das erste Tor für die deutsche Nationalmannschaft. Ich bin ziemlich sicher, das war nur für mich!

Es heißt Abschied nehmen. Abschied nehmen von alldem, was dieses Jahr zu dem gemacht hat, was es für mich war. All die großen und kleinen Dinge und Ereignisse, all die Menschen, die mir im Gedächtnis bleiben werden, die ich mitnehme, wo auch immer mein Weg mich hinführen mag.

Ein kleiner (oder vermutlich etwas größerer Überblick):

An erster Stelle mal meine Kollegen Armin und Kurt, die maßgeblichen Anteil daran hatten, dass es ein gutes Jahr war. Ihr habt mir viel Verantwortung und tolle Aufgaben gegeben und meine unglaubliche Renitenz und Leidenschaft in allen Diskussionen über Gott und die Welt ertragen und mich trotzdem immer wieder zum Essen eingeladen. Kurt, morgen zahl‘ ich! Sie standen mir immer mit Rat und Tat zur Seite, haben mir unheimlich viel beigebracht, wir haben viele tolle Abende im Plaža verlebt und Hassan das Auskommen über den Winter gesichert.

Ich verabschiede mich auch von meinen anderen Kollegen und Kolleginnen. Von Naim, Gazmir, Irma, Milka und ganz besonders von Luljeta, mit der ich in Freudenstadt viel Spaß hatte und von Artan, den ich schon sehr früh in mein Herz geschlossen hatte. Er war der beste Montenegrinisch-Lehrer, den ich mir vorstellen konnte und den ich verdient hatte, und hat mir seinen Sohn für den 1. FC Kaiserslautern versprochen. Ich bin zuversichtlich, dass ich in ungefähr 15 Jahren einem Spieler mit dem Namen „Kurti“ zujubeln darf. Ich werde das im Auge behalten.

Ich verabschiede mich von meinen Schüler_innen. Nun ist meine Schulzeit ja noch nicht allzu lange her und wenn ich mich an uns als Schüler_innen erinnere, kann ich nur dankbar sein für das, was mir da vorgesetzt wurde. Nette, freundliche, hilfsbereite, lustige, motivierte, begabte, intelligente Köpfe mit einem unglaublichen Potential. Ich wünsche jedem und jeder einzelnen nur das allerbeste, ich hatte viel Spaß mit ihnen und werde sie vermissen. Und meinen Siebtklässler_innen einen besonderen Dank für das „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Es hat mich sehr berührt und ich werde mich immer daran erinnern!

Ich nehme Abschied von meiner Vermieterfamilie, zu der ich nicht mehr schreiben muss, als den Satz, mit dem sie mich im September willkommen hießen: „Unsere Granatäpfel sind deine Granatäpfel.“ Genauso habe ich mich bei Sascha, Ivana, Milica, Marco und Ivan immer gefühlt!

Ich verabschiede mich von Jussuf, der mich an meinem Ankunftstag vom Flughafen abgeholt hat und sich mir als Josef vorgestellt hat, um, wie er mir später verriet, den kulturellen Schock zu mindern, der meine Verwandtschaft durch die Gegend kutschiert hat und der immer ein paar liebe Worte für mich hatte, wenn ich ihm in der Stadt begegnet bin.

Ich nehme Abschied von meiner persönlichen Marktfrau, meiner Bäckereiverkäuferin, meiner Käsethekenverkäuferin und dem Fahrkartenabreißer an der Busstation, die mich nach kurzer Zeit kannten und jedes einzelne Mal zu strahlen anfingen, wenn sie mich nur sahen.

Ich nehme Abschied vom Meer, das für mich als Kind des Pfälzer Walds nicht der natürliche Habitus ist, das ich aber unendlich liebgewonnen habe.

Ich verabschiede mich von Zenepa, der stellvertretenden Bürgermeisterin, die durch alles, was sie tat, für mich zum Vorbild und zur Inspiration wurde, die immer zur Verfügung stand, wenn wir sie für unsere Projekte gebraucht haben und die, und die, obwohl sie nie Zeit hat, immer eine Umarmung und ein Küsschen für mich übrig hatte. Es ist einfach nur gut, dass es sie gibt!

Ich nehme Abschied von meinen Büchern, die das Leben meiner Schüler bereicherten, mir einen Projektpreis brachten und mich zu vierfachem Diebstahl anstifteten.

Ich nehme Abschied von Ardita und den anderen Damen in der Bibliothek, die mir beim Büchersortieren geholfen haben und verhinderten, dass ich an den Büchern kleben bleibe bzw. allzu viele stehlen kann.

Ich verabschiede mich von meinen Mitfreiwilligen, ganz besonders von denen, die mich hier besucht haben oder die ich besuchen durfte, also Christina, Sarah, Eva, Amelie und Merve (nochmal danke für die Babygläschen und die Lästereien!) und von meinen anderen Balkan-Homies, mit denen ich ein super Zwischenseminar hatte. Ich freue mich aufs Seminar im August!

Ich nehme Abschied von der unbeschreiblichen Natur Ulcinjs und Montenegros, die mich immer wieder sprachlos zurücklässt, egal, wie oft ich sie sehe. Valdanos, die Tour zum großen Strand hier in Ulcinj, Kolašin, Berane, Kotor, etc. in ganz Montenegro. Es ist wirklich eine Reise wert!

Ich nehme Abschied von Dragan, dem Mann aus dem Laden gegenüber, der mich mit seinem Geschäft davor gerettet hat, allzu viel schwere Einkäufe den Berg hochschleppen zu müssen. Auch er und seine Frau hatten immer nette Worte und ein warmherziges Lächeln für mich.

Ich nehme Abschied von meiner Balkon-Katze mit den strahlend grünen Augen, die zuverlässig immer kam, wenn ich mich mal einsam gefühlt habe und die geduldig mit mir geschmust hat. Außerdem hat sie mir zum Abschied vertrauensvoll ihre Babys vorgestellt, so etwas Niedliches habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.

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Auch von den zahlreichen anderen Katzen verabschiede ich mich, von der frechen, die ich zur Angst vor meiner Wasserflasche erziehen konnte und von der, die bei Armin in der Nähe wohnt und mit ihrem schwarzen Fleck an einer ungünstigen Stelle ein bisschen so aussieht wie Adolf Hitler.

Ich verabschiede mich von der Saline, die ich mir erst kurz vor Schluss erschlossen habe, die mir aber zu einem Herzensanliegen wurde und von der ich hoffe, dass es Zenepa, Azra und den anderen gelingt, sie zu retten.

Ich verabschiede mich von Rexhep, der immer noch nicht von dem Plan ablässt, mich mit einem seiner Brüder, am liebsten mit dem Hoxha, zu verheiraten. Da werde ich ihn enttäuschen müssen, sonst ist er aber ich wirklich lieber Kerl.

Ich verabschiede mich vom Ruf des Muezzins, der mich so zuverlässig durch den Tag begleitet hat, der einen Hauch Exotik und Orient in diese Stadt trug und der mir als Zeitmesser fehlen wird.

Ich nehme Abschied vom Papillon, Venus, Avanti, Tropical, Aragosta und Teuta, den Restaurants und Cafés, in denen ich mich hauptsächlich rumgetrieben habe, und natürlich ganz besonders vom Plaža, dem „Place to be“ für alle Tageszeiten. Ich habe dort so viel Zeit verbracht und so viel Geld gelassen wie in keinem anderen Restaurant und ich habe es nicht bereut. Die beste Pizza Vegetariana im ganzen Umkreis, die frischste Limonade der Welt und das beste Risotto meines Lebens! Die nettesten Kellner und Köche und die meisten Bier aufs Haus! Und wenn man von den Kellnern mit drei Küsschen verabschiedet wird, heißt das, dass man eine gute Zeit hatte.

Ich nehme Abschied von kulinarischen Köstlichkeiten. Von Gemüse, das man waschen musste, weil Dreck dran war und nicht irgendwelches Chemie-Zeug, von Eierschachteln voller Hühnerfedern, von herrlich krummen Gurken. Von den schmackhaftesten Tomaten und Orangen, die vielleicht verhindern, dass ich die in Deutschland jemals wieder genießen kann. Abschied von Shopska, Procorde und Nikšićko pivo, viel Schnaps unbekannter Herkunft, Tee mit Zitrone, Salzstangen mit Erdnuss-Füllung und ganz besonders Trilece, dem Paradies auf Erden komprimiert in einem kleinen Stück Nachtisch.

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Ich verabschiede mich von meinen beiden Roma-Mädels, Drita und ihrer Schwester, die gegen eine kleine Gebühr immer einen lustigen Spruch und ein Highfive für mich hatten und mich mit ihrem perfekten Deutsch beglückten, obwohl sie nie eine Schule von innen gesehen haben und wahrscheinlich auch nicht mehr sehen werden.

Ich verabschiede mich von meinem Deutsch-Stammtisch, der nicht so richtige laufen wollte, mir aber trotzdem immer wieder interessante Bekanntschaften verschafft hat. Ich drücke Azra alle verfügbaren Daumen und großen Zehen für ihren neuen Job in der deutschen Botschaft in Podgorica!

Ich nehme Abschied von Serbien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien und besonders Albanien, die Länder der Region, in die es mich im Laufe der Zeit mal verschlagen hat und die alle meinen Horizont erweitert haben.

Ich verabschiede mich von meinem Lieblingsstrand Liman 1 mit seinem günstig gelegenen Felsen im Wasser auf dem ich oft saß, Gedichte schrieb oder nur in die Welt hinaus schaute. Hier habe ich viele Stunden in der Sonne und auch im Sturm verbracht und konnte die Gedanken schweifen lassen.

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Ich nehme Abschied von meinem Balkon, den ich nach zu langer Abwesenheit über den Winter wiedererobert habe und auf dem ich so unfassbar viel Zeit verbrachte, dass es eigentlich schon tragisch ist. Aber er war mein Paradies im Paradies und bot mir den wunderschönsten Ausblick, den ich mir vorstellen kann.

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Ich verabschiede mich vom drittschönsten Sternenhimmel der Welt, der mir viel Schlaf gestohlen hat, weil er einfach so wunderschön war, dass ich ihn ständig anschauen musste.

Ich nehme Abschied vom halben Türknauf an der Tür des Gymnasiums, der mich in den ersten Tagen hier begrüßt hat und bei dem ich jedes einzelne Mal schmunzeln muss, wenn ich ihn sehe.

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Ich nehme Abschied von Herbert, dem Plüsch-Elch, den wir erst vor kurzem als Klassenmaskottchen eingeführt haben und den ich genau wie die meisten Schüler sofort ins Herz geschlossen haben. Herbert, es tut mir leid, dass du jetzt drei Monate ganz alleine im Schrank sitzen musst.

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Ich verabschiede mich vom hässlichsten Denkmal der Welt, das mich immer nervt, wenn ich es sehe, weil es so unfassbar hässlich ist, das aber trotzdem irgendwie zu Ulcinj gehört und deshalb nicht fehlen darf.

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Ich verabschiede mich von allen Zufallsbekanntschaften, vom Müllwagenfahrer, der mich jeden Morgen vom Müllwagen aus anhupt, von all den Leuten, die mir begegnet sind und es mit einem strahlenden Lächeln, einem Handkuss und/oder einem gestolperten „Guten Tag“ immer wieder verstanden, mir das Gefühl zu geben, allein meine Anwesenheit mache ihr Leben ein kleines Stück besser.

Kurz (oder lang) und gut: Ich nehme Abschied von Ulcinj, einer wahnsinnig tollen Stadt, in der alle Religionen, Nationalitäten und Sprachen friedlich nebeneinander leben, einer Stadt, die mich so herzlich aufgenommen hat, wie ich es mir nie erträumt hätte, einer Stadt, in der ich weiß, dass ich angekommen bin, seit ich beim Klang einer Autohupe nicht mehr sicher sein kann, dass ich nicht gemeint bin, einer Stadt, in der ich mich auch um ein Uhr nachts in der dunkelsten Gasse sicher gefühlt habe, einer Stadt, in der man nicht sein Müsli an der Supermarktkasse liegen lassen kann, ohne dass es einem eine Woche später feierlich überreicht wird, einer Stadt, die mich inspiriert hat, einer Stadt, die ich schon vermisse, obwohl ich noch hier bin und in die ich wie meine liebe Alex einer Schwalbe gleich sicherlich immer wieder zurückkehren werde. Ulcinj verliert man nicht!

!!!Danke//Thank you//Hvala//Faleminderit!!!

„Marmor, Stein und Eisen bricht, aber unsere Liebe nicht…“

Ja, es ist vorbei. Und ja, ich habe ein bisschen geheult. Gestern war der letzte Schultag und ich habe mich von meinen Schüler_innen verabschiedet. Und sie sich auch von mir, aber wie…

Die meisten gaben mir einfach die Hand, wünschten mir alles Gute und sagten, ich solle mal wieder nach Ulcinj kommen. Doch die Siebtklässler_innen, meine geheime Lieblingsklasse, verabschiedete mich mit einer Geste, die mich sehr berührt hat. Am Ende der Stunde stellten sie sich in einer Reihe vor der Tafel auf und sangen für mich „Marmor, Stein und Eisen bricht“, ein Lied, das Kurt und ich das Jahr über immer mal wieder mit ihnen geübt hatten.
Jetzt habe ich eine wunderschöne Video-Erinnerung und laufe nicht Gefahr, auch nur einen oder eine von ihnen zu vergessen.

Ein kurzer Überblick über das, was bis zum Schuljahresende noch so passiert ist:

Almir, einer meiner Lieblingssiebtklässler, hat tatsächlich den landesweiten Lesewettbewerb gewonnen, der eigentlich für die achten Klassen ist. Aus Ulcinj gingen drei Schüler ins Rennen, aus Berane sechs Schüler_innen. Unsere Trainingslager haben sich tatsächlich ausgezahlt, mit einer sehr niedlichen Performance des Anfangs von „Das Vamperl“ setzte er sich deutlich gegen die älteren Teilnehmer durch und darf nun im Herbst zur Regionalausscheidung nach Belgrad fliegen. Ein wundervolles Abschiedsgeschenk und ich habe nicht mal die Jury bestochen, nur ein bisschen emotional Einfluss genommen 😀

Ein paar Tage später wurde ich prompt mal wieder ein bisschen krank. Ich hütete ein paar Tage mit Fieber, Husten und Schnupfen das Bett und mittlerweile bin ich fast komplett wiederhergestellt.

Fast komplett sage ich, weil ich nämlich in den letzten Tagen und Wochen wieder mal feststellen konnte, dass ich offensichtlich absolut deliziös schmecken muss. Ich werde jede Nacht von diversen Viechern angeknabbert, das ist echt nicht mehr schön. Als Artan, mein Kollege, mich wieder zu Gesicht bekam, empfahl er mir beim Anblick meines verstochenen Gesichts, es doch mal mit Rakija zu probieren. Wenn man sich damit einschmiere, kämen keine Mücken mehr. Ich habe dann doch lieber auf den Praxistest verzichtet und die Fenster meiner Wohnung weitestgehend geschlossen gehalten.

Meine Krankheitszeit habe ich dann endlich mal genutzt und mein Interview zu meinem Preis gegeben. Die nette Frau vom PAD wollte dienstags mit mir Skypen. Bedauerlicherweise funktionierte ausgerechnet an diesem Tag das Internet hier nicht. Blöderweise bedeutete das, dass ich ihr ja auch nicht mitteilen konnte, dass es mit dem Skypen nichts wird. Ich schrieb also meiner Mutter eine 46ct-SMS nach Deutschland inklusive meines Email-Passworts, damit sie der Frau vom PAD Bescheid sagen kann, dass ich nicht zu erreichen bin.

Gott sei Dank klappte das und das Internet wurde über Nacht reanimiert. Ich war den ganzen Mittwoch irre aufgeregt, es war dann aber doch halb so wild. Mein Bruder hatte Recht als er zu meiner Beruhigung diagnostizierte, ich wäre schon immer gut im Schwafeln gewesen. Ende Juni wird dann die Projektbeschreibung online gestellt, dann gibt es hier auch einen Link für euch, damit ihr seht, was ich so die ganze Zeit getrieben habe.

Wenn ich von Schülerverabschiedungen schreibe, muss ich auch von den Neuntklässler_innen berichten. Sie habe die Grundschule abgeschlossen und waren deshalb schon ein wenig früher weg als die anderen. Und sie feierten vor einer Woche abends ihren Abschied am kleinen Strand. Traditionell machen sich alle wahnsinnig schick, laufen ein paar Mal an der Strandpromenade auf und ab und dann geht’s auf die Party. Wir positionierten uns geschickt in einem Restaurant am Fenster, damit wir die Schüler_innen pizzaessend bewundern konnten. An diesem Wochenende hatten wir Besuch aus Belgrad und die beiden wussten nicht, was auf sie zukommt. Während wir noch auf die Schüler_innen warteten, berichteten sie vom Vortag, als die Viertklässler_innen ihr Abitur auf dieselbe Art gefeiert hatten. Sie waren der festen Überzeugung, es wäre eine Massenhochzeit. Und so sahen die Schüler auch aus. Die Jungs alle schnieke im Anzug, die Mädels in schicken Kleidern und unter ihrer Schicht Make-up schlicht nicht mehr zu erkennen. Nicht so ganz mein Fall, aber für die Schüler_innen so ziemlich das größte Ereignis ihres bisherigen Lebens.

Ja, jetzt habe ich es also fast schon hinter mir. Der letzte Blogeintrag aus Ulcinj ist schon in der Entstehung, weil er eine perfekte Liebeserklärung an diese Stadt sein soll und mir immer wieder Sachen einfallen, die unbedingt noch reinmüssen. Er kommt dann kurz vor meiner Abreise. Diese wird in ca. eineinhalb Woche, als so um den 21./22. rum sein. Dann fahre ich mit Armin in Richtung Norden, sehe noch ein bisschen was vom Balkan und werde dann ab Triest mit dem Bus nach Hause fahren. In ca. 2 Wochen kann mit mir gerechnet werden… 🙂

Weil ich sehr traurig bin, dass ich Ulcinj hinter mir lassen muss und das auch im nächsten Blogeintrag deutlich rauskommen wird, will ich an dieser Stelle schon mal festhalten: Ich freue mich auch auf zu Hause. Auf meine Freunde, meine Familie, mein Orchester, mein Bett. Ich freue mich auch auf das, was danach kommt, aufs Studium und alles was folgt. Aber diese zwei Wochen bemitleide ich mich jetzt nochmal ausgiebig, dass ich hier weg muss.

Dass ich aber wiederkomme, steht eigentlich außer Frage. Jeder, von dem ich mich verabschiede, fordert das von mir, und ich denke, ich werde sie nicht enttäuschen. Dass der Schuldirektor mir allerdings versprochen hat, mir dann einen Mann zu suchen, muss ich mit ihm nochmal diskutieren. Die Heiratsangebote reißen nicht ab, und als ich das meinem Bruder erzählt habe, erklärte er sich bereit, vorbeizukommen und über die Anzahl der Kamele zu verhandeln, die er dann für mich bekommen würde. Seine Antwort auf die Frage, wie viele er denn wollen würde, fand ich ausgesprochen nett: „Mindestens 66 Kamele für deine Schönheit, 40 Kamele für die Hausarbeit, die du verrichten wirst und ein Kamel auf dem wir den Tillmann (meinen kleinen Bruder) in der Wüste aussetzen.“ Sehr freundlich, aber es macht mir Sorgen, dass mein Bruder scheinbar ausgesprochen gut über die Marktpreise informiert ist 😀

Jetzt sitze ich also noch ein paar Tage auf dem Balkon in der Sonne, lese Dostojewski und versuche angestrengt, nicht aus Versehen zu heiraten. Das nimmt mich schon genug in Anspruch und verhindert hoffentlich allzu verfrühte Traurigkeit über den nahenden Abschied.

„…Alles, alles geht vorbei, doch wir sind uns treu!“

Rettet die Saline!

Es ist ein Thema, das nicht zum ersten Mal in diesem Blog auftaucht: die Saline in Ulcinj.

Einst zur Salzproduktion gegründet, ist sie heute eine der wichtigsten Raststationen für Zugvögel auf ihrem Weg in den Süden und zurück. Es wäre von immenser Wichtigkeit, dieses Gebiet endlich unter angemessenen Schutz zu stellen, um das Überleben all dieser Vögel verschiedenster Arten zu sichern.

Unglücklicherweise ist der Schutz der Vögel nicht das oberste Interesse derer, die in diesem Staat scheinbar die Strippen ziehen. Man munkelt, dass es bis in die obersten Machtregionen Montenegros großes Interesse gibt, das Gebiet der Saline in Bauland für Hotels zu verwandeln. Da werden dann auch schon mal die Pumpen, die das Meerwasser in die Saline pumpen, kaputt gehauen, die Flamingo-Eier geklaut oder mit anderen Mitteln versucht, die Saline ja nicht erhalten zu müssen.

Für mehr Hintergrund-Infos hier nochmal der Link zum Artikel der Badischen Zeitung:

http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/die-schandtaten-der-regierung-montenegros–120913088.html

Um diese Katastrophe zu verhindern, haben engagierte Menschen wie die liebe Zenepa, stellvertretende Bürgermeisterin von Ulcinj und Vollzeit-Inspiration, heute eine Gesellschaft zur Rettung der Saline gegründet: die „Društvo Dr. Martin Schneider-Jacoby“, benannt nach einem deutschen Ornithologen, der sich vor seinem Tod sehr für den Schutz der Saline engagiert hat.

Ich war gestern schon, zum ersten Mal übrigens, auf dem Gelände der Saline und im doch sehr heruntergekommenen Museum, um gemeinsam mit Zenepa und Azra zumindest den gröbsten Dreck zu entfernen, die Tische und Stühle zu stellen und alles vorzubereiten. Das gestaltete sich etwas schwierig, da das Museum weder Wasser noch Strom hat. Aber bis auf eine tote Maus im Blumenkasten konnte uns nicht aus der Bahn werfen.

Heute war es dann soweit. Die Veranstaltung war unglücklicherweise komplett auf Montenegrinisch, selbst die deutsche Botschafterin hielt ihre Ansprach nicht auf Deutsch, sodass ich nur in Grundzügen verstand, um was es ging. Soweit ich das verstanden habe, hat sich erstmal nur die Gesellschaft offiziell gegründet, die Statuten wurden, wenn auch unter Prostest, weil es sie nicht auch auf Albanisch gibt, angenommen und die Protagonisten in ihre Ämter gewählt. Hoffen wir, dass sie etwas bewegen können.

Viel interessanter, weil auf Englisch, war die anschließende Führung, die wir und fünf Amerikaner von Azra exklusiv durch die Saline bekommen haben.

Sie erklärte uns erst einiges über die Geschichte der Saline, warum sie gegründet wurde, was die aktuellen Probleme sind und wie man es besser machen könnte. Es ist wirklich ein kompletter Irrsinn: Eine Saline ließe sich ohne größere Probleme mit Gewinn betreiben, wenn man alle Möglichkeiten ausnutzt. Man kann das Salz verkaufen, sie touristisch nutzen, den besonderen Schlamm, der eine Vorstufe zum Erdöl ist und sich laut Azra in Erdöl verwandeln wird, sofern man ihn noch 2000 Jahre liegen lässt, verkaufen, weil er gut gegen Rheuma helfen soll, die Shrimps, die den Flamingos ihre besondere Farbe verleihen, gezielt züchten und an die Pharmaindustrie verkaufen und vieles mehr. Die Palette der Möglichkeiten scheint unendlich, und doch wollen irgendwelche Idioten lieber Hotels darauf bauen.

Es ist mir sowohl auf rationaler als auch auf emotionaler Ebene unverständlich, wie man dieses einmalige Gelände wirklich zerstören wollen kann. Auch wenn wir zur falschen Tageszeit dort waren und nur wenige Vögel zu Gesicht bekamen, ist die Schönheit wirklich unglaublich und der Irrsinn, der hinter den Intentionen gewisser Personen und Gruppen steckt, ebenfalls.

Hier ein paar Eindrücke, zieht mal mein geringes Talent zum Fotografieren ab, vielleicht kommt dann in Ansätzen etwas von der besonderen Atmosphäre rüber.

Das Förderband, welches das abgebaute Salz in die Lagerhalle transportierte

Das Förderband, welches das abgebaute Salz in die Lagerhalle transportierte

Die Lagerhalle mit Salz, das seit der Schließung der Saline vor ein paar Jahren vor sich hin rottet

Die Lagerhalle mit Salz, das seit der Schließung der Saline vor ein paar Jahren vor sich hin rottet

Das Museum mit dem Plakat der Gesellschaft

Das Museum mit dem Plakat der Gesellschaft

Die Maschinen zum Säubern des Salzes

Die Maschinen zum Säubern des Salzes

Die ersten Salzfelder, die auf Grund der fehlenden Pumpen fast nicht mehr bewässert werden

Die ersten Salzfelder, die auf Grund der fehlenden Pumpen fast nicht mehr bewässert werden

Ein Feld mit einer ganz speziellen Pflanze, die auf dem Salz wachsen kann

Ein Feld mit einer ganz speziellen Pflanze, die auf dem Salz wachsen kann

Der noch betriebene Kanal

Der noch betriebene Kanal

Die Vorstufe zum Erdöl: schwarzer Schlamm, den man besser nicht anfasst und riecht

Die Vorstufe zum Erdöl: schwarzer Schlamm, den man besser nicht anfasst und riecht

Das Schienensystem, mit dem das Salz transportiert wurde

Das Schienensystem, mit dem das Salz transportiert wurde

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Die auf Salz wachsende Pflanze "Salicornia", die sehr salzig schmeckt

Die auf Salz wachsende Pflanze „Salicornia“, die sehr salzig schmeckt

Übrig gebliebenes Magnesium auf einem Salzfeld

Übrig gebliebenes Magnesium auf einem Salzfeld

Fördermaschine oder Trojanisches Pferd? :D

Fördermaschine oder Trojanisches Pferd? 😀

Stellt euch diese Landschaft noch mit Massen an Vögeln jedweder Art vor, dann wird die Wichtigkeit vielleicht deutlich. Wo sonst leben das ganze Jahr über Flamingos bei zwei Grad plus, wo sonst finden alle Arten von Salzwasservögeln eine Heimat?

Die Saline ist in Gefahr und das ist ein Skandal! Umso mehr beeindrucken mich Leute wie z.B. Azra (nochmal danke für die super Führung!) und Zenepa, die sich mit hoher Opferbereitschaft für die Saline und die Vögel und gegen den Irrsinn einsetzen! Ihr seid super!

“I accidently won a price…”

Als ich den kulturweit-Blog geöffnet hatte, sprang mir meine Schande gleich in die Augen. Der letzte Eintrag ist einen Monat her. Das ist wohl die längste Auszeit, die ich mir, bis auf die Winterferien, überhaupt gegönnt habe. Nicht, weil es nichts zu erzählen gibt, aber ich war ein bisschen mit mir selbst beschäftigt.

Ich stehe mittlerweile in Kontakt mit meiner Nachfolgerin Helene und ich stellte fest, dass das Schuljahr noch gerade mal drei Wochen hat. All das trägt erheblich dazu bei, dass mir die Endlichkeit meines Lebens hier immer mehr bewusst wird. Ich plane langsam meine Heimreise, überlege, was ich noch alles machen muss, um Helene das Leben im September ein bisschen zu erleichtern und zähle mittlerweile nicht mehr Monate, sondern schon Wochen.

Kurz und gut, ich schwebte permanent zwischen Vorfreude auf zu Hause und fiesem Heimweh, Trauer bzw. Melancholie und auch einfach ein bisschen Arbeit. Dazu hatte ich zweimal Besuch, es gab also so allerlei, was mich vom Schreiben abgehalten hat. Weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich an alles erinnern kann, was in der Zwischenzeit passiert ist, wandte ich einen, wie ich finde, ziemlich schlauen Trick an. Da ich mich gut kenne und weiß, dass ich selten etwas für mich behalten kann, las ich mir einfach ein paar WhatsApp-Chats der letzten drei Wochen durch und notierte alles, was ich über die Zeit für unbedingt erwähnenswert hielt und ich dann auch hier nochmal offiziell allen verkünden möchte. Diese Liste arbeite ich jetzt einfach mal ab und schaue, welche Romane dann am Ende mal wieder dabei rauskommen.

Über den Monatswechsel durfte ich mich über ein verlängertes Wochenende freuen. Meine Theorie: Die Tatsache, dass der 1. Mai dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, hat die Verantwortlichen so geschockt, dass wir den Feiertag nicht nur montags nachholten, sondern Dienstag auch noch frei war, um sich von der Feierei zu erholen. Triumphierend über diese ausgiebige Freizeit teilte ich das meiner Mutter via WhatsApp mit, mit der Aufforderung an die deutsche Politik, das doch auch mal in Deutschland einzuführen. So weit, so gut, aber ein paar Stunden später antwortete mir meine Mutter mit einem Link zu einem Artikel, in dem Politiker_innen fordern, Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, nachzuholen. Es scheint ja doch jemand mitzulesen. Wenn das hier ebenso ist und man auf mich hört, ich habe auch etwas gegen TTIP, wünsche mir einen Stopp der Waffenexporte, die Abschaffung des Kapitalismus und den Weltfrieden. Let’s go!

Dieses lange Wochenende nutzte dann tatsächlich Amelie aus Slowenien dazu, mich hier zu besuchen. An dieser Stelle nochmal: Es tut mir leid, dass ich so eine miserable Gastgeberin bin! Das Wetter war doof, das Internet funktionierte nicht, sie musste mit mir Romeo und Julia kucken und meine Kochkünste lassen immer noch sehr zu wünschen übrig. Trotz allem habe ich die Gespräche und das laaaaaaaange Ausschlafen mit dir sehr genossen! Ich freue mich aufs Nachbereitungsseminar!

In dieser Woche fand auch in der Grundschule der Vorlesewettbewerb statt. Wir hatten in den 8.Klassen vorher jeweils eine Vorentscheidung gemacht und den besten 7.Klässler noch dazu genommen und dann fand der Schulwettbewerb statt. Die Schüler_innen waren mächtig aufgeregt und erheblich schlechter als vorher in der Klasse, aber dennoch fanden wir drei Sieger. Demnächst findet dann der landesweite Wettbewerb mit den Schüler_innen aus Berane statt, der Sieger/die Siegerin darf dann zur nächsten Runde nach Belgrad. Ich werde noch ein bisschen mit meinen Schülern trainieren, damit auch ja einer von ihnen gewinnt! Der Ehrgeiz hat mich gepackt!

Ansonsten geht das Schulleben ganz normal weiter, ich habe mal wieder Unterricht gehalten, aber seit ich mich gegen den Lehrerberuf entschieden habe, bin ich da nicht mehr so ehrgeizig und es war relativ unspektakulär.

Wir haben mittlerweile entschieden, welche unserer Erstklässler_innen nächstes Jahr mit nach Freudenstadt dürfen. Freude und Enttäuschung waren je nachdem groß, aber es haben sich dann doch alle mit den Tatsachen arrangiert. Nach einer Mail aus Deutschland war ich dann aber kurzzeitig sehr froh, dann nicht mehr dabei sein zu müssen. Die deutsche Lehrerin teilte uns einen (!) Tag nach der Bekanntgabe mit, es gäbe schon bei der Kontaktaufnahme Probleme. Sie leitete uns eine Mail einer besorgten Mutter weiter, unsere Schülerin hätte ihrer Tochter auf Snapchat nicht geantwortet, sie scheint ja überhaupt keinen Kontakt zu wollen, unter diesen Umständen kann sie ihre Tochter nicht mitfahren lassen. Wir stutzten, redeten mit unserer Schülerin, die völlig aufgelöst war, weil sie nur ein Problem mit ihrem Smartphone hatte und klärten das Ganze in zwei Minuten. Es ist mir ein Rätsel, wie man so sein kann. Ein besonders krasser Fall von Helikoptereltern, klar, aber mir fällt da gar nichts zu ein. Mir tut dieses Kind einfach nur leid. Ich hoffe, dass das Problem jetzt geklärt ist und unsere Schülerin trotzdem eine gute Zeit in Deutschland haben wird. Gut fand ich allerdings die Idee von Armin, der überlegte, einfach mal bei den Eltern in Deutschland anzurufen, wenn sie sich weiter sperren, und sich als Vertreter des Auswärtigen Amtes vorzustellen, der er als Fachschaftsberater ja auch ist, und die Eltern von der transkulturellen Wichtigkeit dieses Austauschs zu überzeugen. Fast schade, dass es dazu nicht kam, da hätte ich gerne dabeigesessen.

Noch während Amelie da war, erreichte mich eine existenziell wichtige Nachricht von meinem Bruder. Weil er anscheinend bei seinem Informatik-Studium nicht ausreichend ausgelastet ist und die ganze Zeit zu Unrecht über Stress gejammert hat, bestellte er sich im Internet irgendwo billig Computerspiele aus unserer Jugend. Unter Anderem „Die wilden Kerle – Abenteuer in den Graffitiburgen“, ein Spiel, das mich nachhaltig traumatisiert hat, da wir monatelang an einer Stelle nicht weiterkamen, bis wir es schließlich aufgaben. Jetzt versuchte mein Bruder es erneut, und bestimmt 8 Jahre später, kam er drauf, dass man den Müllsack an einer Stelle nur benutzen kann, wenn man Müll reinpackt. Ich frage mich gerade, warum ich euch das erzähle, aber es ist tatsächlich ein Trauma, das durchbrochen wurde. Kurzzeitig dachte ich, dass ich sofort nach Hause fliegen muss, aber ich kam wieder zur Vernunft und kann jetzt doch noch die paar Wochen warten. Dann allerdings…

Mit Amelie (das geht hier gerade chronologisch ein bisschen durcheinander, das ist der langen Zwischenzeit geschuldet, tut mir sehr leid) war ich zusammen mit Kurt abends einmal im Plaža, wo neuerdings ein Schüler von uns Gläser spült. Es war sehr schön, wie immer, keine Frage, aber dass einem dann am nächsten Tag in der Schule von eben diesem Schüler nochmal feinsäuberlich die ganze Bierbestellung aufgezählt wird, verdeutlicht noch einmal, wie klein Ulcinj ist und dass in der dörflichen Atmosphäre eben nichts unbemerkt bleibt. Von Anfang an habe ich mich aus Angst vor seltsamen Gerüchten nicht getraut, mir meine geliebten Baby-Gläschen zu kaufen, die ich in Deutschland in der Schule in den Pausen immer selbstbewusst gelöffelt habe.

Nachdem Amelie wieder weg war, bekam Kurt Besuch von seinen Schwiegereltern, die ich auch mal kennenlernen durfte. Als ich in irgendeinem Zusammenhang erwähnte, dass ich aus der Pfalz komme, erzählten sie mir so nebenbei, dass sie ja auch mal fünf Jahre in der Pfalz gelebt hätten. Ich war gleich begeistert und fragte wo genau. „In Frankenthal, das ist eine eher kleine Stadt.“ Da trifft man, 1700km von der Heimat entfernt, auf Leute, die deine kleine 50.000-Einwohner-Heimatstadt nicht nur kennen, sondern auch dort gelebt haben. Es ist eben doch eine missverstandene Weltmetropole.

Gleichzeitig mit ihnen kam auch Rexhep mal wieder nach Ulcinj, ein kosovarisch-deutscher Architekt, der vor ein paar Jahren in Ulcinj aus Versehen ein Haus gekauft hat, das er jetzt renoviert. Zu meinem Schrecken lässt er nicht von seinem (hoffentlich nicht ganz ernsten) Plan ab, mich hier zu verheiraten, aber von seinen kleinen Macho-Attitüden abgesehen, ist er doch ein lieber Kerl.

Er lieferte auch eine der besten Geschichten der letzten Zeit. Als nämlich Heidrun, Armins Freundin, letzte Woche mal wieder nach Ulcinj kam und mit ihr auch wie immer das schlechte Wetter, und wir uns alle kollektiv beklagten, meinte er nur trocken, dass es, als seine Freundin das letzte Mal kam, ein Erdbeben gab. Dann laufe ich doch lieber durch den Regen und werde mich auch nie wieder beschweren!

Und weil Mai grundsätzlich die beste Zeit ist, Ulcinj zu besuchen, war dann auch bei mir wieder Besuch angesagt. Meine Tante kam aus Deutschland und brachte mir, auf geheime Anweisung meiner Mutter, wundervolles deutsches Brot mit, dass mir den absehbaren Abschied von Ulcinj ein bisschen erleichtert hat, denn wie oft beschrieben, fehlt das hier eindeutig! Ich holte sie gemeinsam mit Jussuf, dem besten Taxifahrer von Ulcinj, in Podgorica vom Flughafen ab. Auf dem Weg erzählte ich Jussuf ganz stolz, dass ich, für meine Verhältnisse, schon ein bisschen Farbe bekommen habe. Er hielt seinen Arm neben meinen, lachte nur, und jedes Mal, wenn ich ihn seitdem gesehen habe, lacht er mich aus und sagt nur: „Weiß wie Schafskäse!“ Völlig verzweifelt schrieb ich das einer Freundin, die einfach ganz wundervoll antwortete: „Es gibt Menschen, die können nicht braun werden. Pinguine können auch einfach nicht fliegen.“ Ach Corinna, ich hab‘ dich lieb! :*

Mit meiner Tante spulte ich ein bisschen was vom üblichen Ulcinj-erster-Besuch-Programm ab, was aufgrund von schlechtem Wetter und einer kleinen Kreislaufkrise meinerseits nur bedingt funktionierte. Ich hoffe aber, dass es ihr trotzdem gefallen hat, der Balkonausblick entschädigt ja auch tatsächlich für vieles.

Während meine Tante hier war, kam das Ergebnis des Projektwettbewerbs des PAD. Ich hatte einfach mal auf gut Glück teilgenommen, rechnete mir auch nicht wirklich etwas aus, da ich ja im Grunde auch „nur“ Bücher in ein Klassenzimmer gestellt hatte. Wie erwartet war ich nicht unter den Preisträger_innen, ich hakte die Sache damit ab.

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Kurt meine Projektbeschreibung unabhängig davon zum PAD weiterleitete. Und so bekam ich vor kurzem eine von Armin weitergeleitete Mail, mein Projekt sein „Projekt des Monats“ des PAD, und man würde sich bald bei mir melden, um ein Interview zu führen, dann würde das Projekt vorgestellt werden und ich bekäme eine offizielle Urkunde.

Um meine Gefühlswelt widerzuspiegeln, möchte in an dieser Stelle gerne festhalten, was ich meiner Mutter daraufhin auf WhatsApp schrieb. Da sie nicht sofort antwortete, uferte das Ganze zu einem virtuellen Selbstgespräch aus:

„Upps.
Ich hab aus Versehen was gewonnen…
Hoppla
Was mache ich denn jetzt?
Ich kann überhaupt kein Interview geben
Ich kann das nicht
Hilfe!
Ach du Sch****!
Die bisherigen Projekte sind alle so mega große Sachen
HILFE!!!
Bitte! Ich kann das nicht!
Bei den bisherigen Projekten sind es immer wahnsinnig internationale Projekte, europaweit, alles von Lehrern gemacht!
Aaaaaaaaaaah!
Ich will nach Hause!
Hol mich ab!“

Antwort meiner Mutter:
„?“

Ich denke, ihr bekommt einen Eindruck. Die Panik hat sich mittlerweile etwas gelegt, ich habe selbst auch noch nichts vom PAD gehört, aber ich weiß immer noch nicht, wie man ein Interview gibt, ich habe das noch nie gemacht. Mit meinem Bruder, dessen virtuelle Unterhaltung mit mir der mit meiner Mutter sehr ähnelt, einigte ich mich dann darauf, dass ich ja schon immer ganz gut schwafeln konnte, dass ich das also mit links schaffen werde. Mal sehen.

Am selben Tag kamen auch die Lehrer_innen aus ganz Europa, die zusammen mit Kurt an dem Erasmus-Projekt zu IPads im Unterricht teilnehmen. Die frohe Kunde meines Preises verbreitete sich dank Kurt recht schnell, sodass ich die Geschichte diverse Male in diversen Sprachen erzählen durfte. Ich begann meistens mit „I accidently won a price…“.

Das Projekt bescherte mir am Montag einen freien Tag, weil ich bei den Workshops nicht dabei sein musste, aber die Abende waren dafür umso lustiger.

Sonntags zeigte sich, dass sich Lokale in Ulcinj bei strömendem Regen schnell in Erlebnisrestaurants umwandeln. Wir beobachteten erst draußen die Gasse der Altstadt, auf der sich die Treppe in einen großen Wasserfall verwandelt hat, bevor uns die doch sehr undichte Decke zu wunderschönen Gesangseinlagen („Raindrops keep falling on my head“) inspirierte.

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Vom Wirt gab es als Entschädigung eine Flasche Rotwein umsonst und alle Gäste aus Europa erlebten Montenegro pur!

Sehr schöner Abend, und wer sich an seine Lehrer_innen als hauptsächlich spießige, unlustige und nervige Menschen erinnert, dem darf gesagt sein, wenn sie mal unter sich sind, geht es doch recht munter zu!

Dienstags veranstalteten wir dann unsere Showstunde mit den IPads. Wir luden die besten Schüler_innen aus den Klassen 1 und 2 ein und sammelten alle möglichen Interviewpartner, die wir finden konnten. Dann durften die Schüler_innen sich Fragen überlegen, mit den IPads die Interviews filmen und die Ergebnisse dann präsentieren. Es war wirklich toll, alle Gäste waren (verständlicherweise) von unseren Schüler_innen begeistert und die hatten auch viel Spaß. Das zeigt, dass man mit moderner Technologie Begeisterung wecken kann, die sonst nicht denkbar wäre.

Dazu wäre es allerdings von Vorteil, wenn die Stromversorgung zuverlässig wäre. Das ist in Ulcinj nicht immer der Fall. Oft gibt es mehrere Stromausfälle pro Woche, die, je nach Ursache, mal 20 Sekunden und mal 7 Stunden dauern können. Am Anfang hat mir das noch Kopfzerbrechen bereitet, mittlerweile nimmt man es nur noch zur Kenntnis. Umso lustiger war es für mich am Wochenende auf Facebook und über regionale Medien vom Stromausfall in meiner Heimatstadt in Deutschland zu lesen. Die Leute sind z.T. fast durchgedreht. Das war wirklich von meiner Sicht aus betrachtet äußerst amüsant.

Und wenn es mal keinen Strom gibt, kann man sich mit anderen angenehmen Dingen beschäftigen. Z.B. kann man schwimmen gehen. Das habe ich gestern zum ersten Mal in diesem Jahr getan. Weil Montenegro seinen 10. Geburtstag gefeiert hat, hatte ich schulfrei und stiefelte vormittags zum Strand. Als ich allerdings meinen Fuß ins Wasser streckte, dachte ich daran, wieder umzukehren. Es war wirklich noch arschkalt! Dann half mir allerdings die Tatsache, dass Liman 1, mein Lieblingsstrand, ein Kiesstrand ist. Ich stand bis zu den Knien im Wasser, rutschte aus und plumpste direkt rein. Als ich sowieso schon nass war, entschied ich mich dann doch zu schwimmen und es war ganz wundervoll. Ich genoss noch ein bisschen den Sonnenschein, bevor ich wieder auf den Heimweg machte und mal anfing, meine Unibewerbung auszufüllen, damit ich, wenn ich in etwa einem Monat nach Hause komme, nur noch das Nötigste machen muss.

Bis dahin versuche ich, die Zeit hier mit so wenig Heimweh und so wenig Abschiedsschmerz wie möglich zu genießen, was schwer genug ist und mich sicherlich ausreichend in Anspruch nehmen wird, auch wenn meine liebe bayerische Schwalbe Alex mich auf hervorragende Art und Weise getröstet hat, ich sähe ja bei ihr, dass man Ulcinj nicht verliert…
Das hilft!

Gute Neuigkeiten: Es gibt wieder Hanuta!

Im Grunde hielt ich mich für einen charakterlich einigermaßen gefestigten Menschen. Doch meine innerliche Reaktion, als ich letzten Samstag im Supermarkt entdeckt habe, dass es wieder Hanuta gibt, lässt mich daran zweifeln.

Das alles hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich wünschte mir von meinen Eltern, als sie vor ein paar Wochen zu Besuch kamen, ein paar Sachen, die ich hier wirklich vermisse. Sie brachten mir auch alles mit, sogar mit deutschem Brot kamen sie an, aber leider verwechselte meine Mutter Hanuta und Nutella, sodass ich nun einen unerschöpflichen Nutella-Vorrat habe, aber eben immer noch kein Hanuta. Kurt wollte mir dann aus Deutschland welches mitbringen, aber er hatte es auch vergessen.

Ich saß also weiterhin auf dem Trockenen. Mein Plan war, zu warten, bis meine Tante im Mai kommt, aber das ist ja noch eine soooooooo (als ich den Text vor dem Veröffentlichen nochmal durchgelesen habe, habe ich hier noch ein paar oooos hinzugefügt) lange Zeit. Entsprechend euphorisch meine Reaktion am Samstag, als ich es ohne Vorwarnung im Regal liegen sah. Ich schwelge nun also schon seit ein paar Tagen in der perfekten Mischung von Nuss, Schoko und Keks (nein, ich bekomme kein Geld für diese Werbung, das stellt mein Innenleben dar) und musste es auch gleich der ganzen Welt mitteilen. Ich gehörte nicht zu den Leuten, die ihr Essen mit allen teilen müssen, aber diese frohe Botschaft musste verkündet werden.

Nachdem ich jetzt drei Abschnitte nur über Hanuta geschrieben habe, will ich euch doch noch mit weiteren freudigen Entwicklungen beglücken.
Ich habe endlich meinen Rückumzug gemeistert, jetzt bin ich wieder „zurück im Paradies“.

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Die Bauarbeiten meiner Vermieter sind endlich abgeschlossen und ich konnte wieder in meine alte Wohnung. Die ist zwar ein bisschen kleiner und ein bisschen weniger komfortabel, aber der Meerblick entschädigt für alles.

Sogar für meine Gehirnerschütterung, die ich mir beim Packen zugezogen habe. Das ist aber auch lebensgefährlich, da könnte einem ja mal einer mitteilen. Wenn ich im Sommer packe und wieder nach Hause fahre, dann nur mit Sturzhelm! Man sollte eben nicht alle Schranktüren offen lassen und dann drunter etwas fallen lasse, sodass es beim Aufstehen zum Unausweichlichen kommen musste. Ich ging nur von einer dicken Beule aus, als ich jedoch, über meinen gewöhnlichen Dachschaden hinaus, seltsame Dinge dachte und tat, entschied ich mich dann doch dafür, zwei Tage im Bett zu bleiben. Da passte es ganz gut, dass Kurt und Armin nach Belgrad zur Fachberatertagung fuhren und ich sowieso frei hatte.

Am Mittwochnachmittag übernahm ich noch den Unterricht der Erstklässler im Gymnasium, wir schauten einen Film, aber Donnerstag und Freitag war Schongang angesagt. Vor allem, weil ich am Samstag mit Merve, der neuen Freiwilligen aus Tirana in Shkodra zum Kaffeetrinken verabredet war. Da ich um den Straßenzustand und die Rambohaftigkeit der Busfahrer weiß, ging es ohne Frühstück los Richtung Shkodra.

Weil wir aufgrund des suboptimalen Busfahrplans nur zwei Stunden Zeit hatten, beschränkten wir uns tatsächlich aufs Kaffeetrinken und Quatschen. Es war sehr schön, aber wirklich zu kurz. Um vier Uhr ging der letzte Bus und ich machte mich auf den Rückweg. Schon dann war der Tag als gelungen zu bezeichnen, aber, um nochmal auf den Anfang zurückzukommen, es war auch der Hanuta-Tag, also alles in allem eine runde Sache!

Am Montag erreichte mich dann die freudige Nachricht, dass ich voraussichtlich nächste Woche Besuch von der lieben Amelie aus Slowenien bekomme. Darauf freue ich mich schon sehr, denn das bedeutet automatisch die besten Gespräche. Wenn man unsere hochphilosophischen WhatsApp-Konversationen über wortwörtlich Gott und die Welt als Maßstab nimmt, kann das nur gut werden. Gesucht wurden (und werden) Antworten auf folgende Fragen:

– Was könntest du länger betrachten, den Himmel an einem schönen Tag oder das Meer?
– Wenn alle die gleichen Werte hätten, würden sie dann durchgesetzt werden?
– Was sind eigentlich deine Werte?
– Was sind Werte generell?
– Zählen die Wolken eigentlich auch zum Himmel?

Alle, die bei unserem Zwischenseminar dabei waren, werden nicht überrascht sein, wenn wir uns an unser absolut legendäres Psycho-Spiel erinnern. Im Zuge dessen hätten wir auch noch gerne eine Antwort auf die Frage:

– Macht es dir Angst, dass es in der Tiefsee Fische gibt, die ohne Licht leben können?

Ich bin jedenfalls voller Vorfreude!

So nach und nach kommt auch tatsächlich die beste Zeit, Ulcinj zu besuchen. Mir wurde zugetragen, dass es wohl schon todesmutige Schwimmer gibt. Ich habe noch keinen Versuch gestartet, aber lange wird es nicht mehr dauern. Meine Haut ist von Dauerzustand des Sonnenbrands tatsächlich schon zu einer Art von Bräunung übergegangen, was für mich sehr untypisch ist, da ich eigentlich immer nur rot werde und dann wieder weiß.
Dann kann ich zumindest ein bisschen angeben, wenn ich im Sommer nach Hause komme.

Zu Hause, das ist das richtige Stichwort, was ich mir in einer, wie ich finde, mal wieder atemberaubenden Überleitung selbst gegeben habe.

Der Film, den ich mit meinen Einsern geschaut habe, war Almanya. Es geht um die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland. Erzählt wird es anhand einer türkischen Familie. Gerade die dritte Generation ist im Film auf der Suche nach ihrer Identität und ihrer Heimat. Das nahm ich zum Anlass, die Schüler über ihre Heimat schreiben zu lassen. Die Ergebnisse waren wirklich interessant.
Die montenegrinischen Schüler haben in der Mehrzahl, aber auch nicht alle, Montenegro als Heimat bezeichnet. Es ist Patriotismus vorhanden und auch ein noch recht junges Nationalbewusstsein, sie waren vor allem stolz auf die Schönheit ihres Landes.
Die albanischen Schüler, die zwar montenegrinischen Staatsbürger sind, als Nationalität aber trotzdem immer Albanisch angeben, haben alle Ulcinj als Heimat bezeichnet. Sie sind hier geboren und haben hier ihr ganzes Leben verbracht, viele haben keine Beziehungen nach Albanien. Deshalb ist die Heimat dann kein Land, sondern eine Stadt, deren Multikulturalismus unverrückbarer Teil der Identität ihrer Bewohner zu sein scheint.

Auch wenn ich jetzt schon ziemlich viel Zeit hier verbracht habe und das Leben mittlerweile zur Normalität wurde, bin ich davon immer wieder beeindruckt. Das friedliche Nebeneinander, aber vor allem das Miteinander, die Vermischung von Traditionen und Sprachen, die Offenheit und die Toleranz, sind immer wieder inspirierend.

Ich habe in diesem Blog viele Worte darüber verloren, wie toll das Land Montenegro ist. Ich habe viel von Ulcinj geschwärmt, aber auch von Montenegro im Ganzen. Heute bin ich jedoch durch Kurt auf einen Artikel gestoßen, der mir wieder deutlich gemacht hat, dass die Begeisterung für das Land Montenegro zwar berechtigt ist, für die Menschen, die Natur, das Essen und all das, man die Bezeichnung „Land“ aber strikt von der Bezeichnung des „Staats“ trennen muss.
Was politisch und wirtschaftlich hier geschieht, ist das größte Hemmnis für alle wundervollen Menschen, die dieses Land beherbergt. Hier ist ein Link zu einem Artikel über die Saline in Ulcinj, die eines der größten und wichtigsten Vogelschutzgebiete Europas sein sollte und die, durch kriminelle Machenschaften bis hinein in die höchsten politischen Ebenen, zu einer Hotelanlage werden soll.

http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/die-schandtaten-der-regierung-montenegros–120913088.html

Der Verlust wäre enorm, sowohl für die Umwelt und die Vögel als auch für das touristische Ansehen Ulcinjs und Montenegros.

Diese Verbrechen stehen exemplarisch für vieles, was in den letzten Jahren hier passiert ist. Speziell das Baugewerbe in Verbindung mit der Tourismusindustrie ist so mächtig und korrupt, weil so enorm viel Geld im Spiel ist, dass scheinbar alles möglich scheint. Und es scheint nicht so, als hätte der Irrsinn ein Ende. Die Küste wird immer mehr zugebaut, ausländische Investoren kaufen viele Hektar Land, es wird teilweise Brandrodung betrieben und die Umweltschützer scheinen machtlos.

Zenepa, die stellvertretende Bürgermeisterin von Ulcinj, erzählt immer mal wieder, mit was sie sich rumschlagen muss, um katastrophale Projekte zu verhindern. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, denn die reiche Elite im Land agiert offenbar skrupellos und vor allem schnell, sodass oft nicht mal das schlimmste verhindert werden kann.

Jeder der Montenegro in seiner ursprünglichen Schönheit sehen will (was sich im Übrigen wirklich lohnt), sollte das bald tun, denn wenn die aktuelle Entwicklung nicht gestoppt wird, könnte es sein, dass nicht mehr viel davon übrig bleibt.

Das macht mich unheimlich wütend und traurig, denn ich habe mich in dieses Land und in diese Stadt verliebt und würde sehr gerne wieder kommen. Wenn mich dann allerdings in Ulcinj eine Hotelhölle von Budva’schen Ausmaßen erwartet, ist es nicht mehr das Ulcinj, was ich viel zu bald verlassen werde.

Mission accomplished!!!

Bevor ich meinen Freiwilligendienst angetreten habe, habe ich mich oft gefragt, was ich denn damit erreichen will. Auch im Laufe meines Aufenthalts in Ulcinj begegnete ich dieser Thematik immer mal wieder bei meinen Selbstreflexionen.

Ob es mir gelingt, die Welt zu retten? Oder zumindest endlich selbstständig zu werden? Oder nur meinen Schüler_innen irgendetwas Brauchbares mit auf den Weg zu geben? Was kann ich denn in einem Jahr schaffen? Nun ja, an Ersterem arbeite ich noch. Das zweite ist mir zumindest in Ansätzen gelungen, wenn ich nicht mal wieder versuche, Bratkartoffeln zu machen und dabei fast meine Wohnung, ganz sicher aber meine Bratpfanne zerstöre!
Doch jetzt, wo ich mein Freiwilligenprojekt vorerst beendet habe, erlaube ich mir, schon eine ganze Weile vor dem Ende meiner Zeit in Montenegro, ein positives Fazit zu ziehen.

Ich muss vorneweg sagen, dass ich von dem Thema „Freiwilligenprojekt“ zunächst nur genervt war. Es hing immer so drohend über einem, dass man sich unbedingt etwas ausdenken muss, nur um den Vorgaben zu entsprechen. Entsprechend hilflos waren meine Bemühungen beim Zwischenseminar im November. Ich wollte eigentlich durch die Gegend fahren und Fußballspiele besuchen. Ich finde diese Idee immer noch grandios, was ich allerdings nicht mit einberechnet hatte, war das Abschneiden meines Herzensclubs in Deutschland. Der Niedergang des FCK, und angesichts eines Abstiegskampfs in der zweiten Liga bei einem vierfachen deutschen Meister kann man durchaus von einem Niedergang sprechen, nagt an meinem Fußballherz und hinterlässt tiefe Furchen, die durch alles, was mir über Fußball begegnet, nicht gestopft, sondern weiter ausgehöhlt werden. Kurz gesagt, die Motivation, sich Fußballspiele anzusehen, ging und geht gegen Null. Also verwarf ich diesen Plan und machte mir erstmal keine Gedanken mehr. Man hatte uns ohnehin versprochen, die Projekte würden uns so oder so einfach begegnen. Das habe ich immer skeptisch gesehen, doch ich verließ mich darauf.

Das war eine sehr gute Entscheidung, denn das, was ich jetzt als mein Projekt betrachte, ist mir auch zugestoßen.

Es begann mit der Nachricht von Kurt, er bzw. ein Freund von ihm hätte in Deutschland ein paar Bücher gesammelt, die wir in Ulcinj der Bibliothek schenken würden. Nach und nach kamen mir/uns Ideen, wie man ein bisschen Leben in diese Tatsache bringen könnte. Wir beschlossen, auch ein paar der Bücher mit in die Schule zu nehmen, damit die Schüler_innen davon profitieren können. Immerhin existiert auch eine Schulbibliothek, warum nicht also auch dort ein paar deutsche Bücher hinstellen…

Weil uns aber eine Schülerin deutlich mitteilte, dass eigentlich keiner, aus welchen Gründen auch immer, gerne in die Bücherei geht, besorgten wir ein Regal für den Deutschraum, das als unsere eigene kleine deutsche Bibliothek dienen sollte.
Wir entschieden, die Bücher während des Austauschs mit dem Bus nach Ulcinj zu bringen. Das war die beste Gelegenheit und dazu auch noch kostenlos. Als wir allerdings erfuhren, was sich da an der Bücherfront zusammengebraut hatte, wurden wir doch etwas unsicher. 30 Kisten!
Doch der gemeine Busfahrer aus Ulcinj scheint grundsätzlich ein Tetris-Genie zu sein, sodass wir tatsächlich alle Kisten, unser Gepäck und uns wieder mit nach Ulcinj nehmen konnten. Dort halfen uns ein paar Schüler bereitwillig an einem Samstag, die Kisten in die Bibliothek zu schleppen, wo ich sie dank der Hilfe meiner hochgeschätzten Büchereidamen in Rekordzeit sortieren konnte, wie ich bereits in diesem Eintrag berichtete.

Am Dienstag war es dann so weit: Wir konnten die von mir aussortierten Bücher in die Schule bringen. Dort lagerten wir sie erstmal in den Kisten, bevor ich sie am Freitag ins Regal sortieren wollte.
Als ich allerdings am Freitag in den Raum kam, wurde mir bewusst, dass das etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, als ich gedacht hatte. Es herrschte totales Chaos. Ich befürchtete das schlimmste, bis mir Kurt beichtete, dass es unsere Schüler_innen waren, die am Mittwochnachmittag, als ich nicht dabei war, alles durcheinander gebracht hatten. Sie kamen, sahen und stürzten sich voller Begeisterung auf die Bücher. Am liebsten wollten sie alle gleich drei oder vier mit nach Hause nehmen und sich fünf oder sechs weitere für die Sommerferien reservieren.
Ich scheuchte erstmal alle weg und sortierte vor mich hin. Ich stellte fest, dass schon einige Bücher fehlten. Es erschreckte mich, kann man den Jugendlichen doch nicht trauen? Die Auflösung kam heute, als Armin mir eine Liste von Büchern schickte, die sich seine Schüler_innen gleich gekrallt hatten.
Als ich fertig mit Sortieren war und die Bücher, die wir auf Wunsch der Schüler_innen neu gekauft hatten, auch noch in meine schlaue Liste aufgenommen hatte, fehlte ein wichtiges Buch, was sich ein Schüler unbedingt gewünscht hatte. Er wollte ein Buch, das erklärt, wie Autos funktionieren und ich fand ein ganz tolles von Frag-doch-mal-die-Maus. Ich überlegte schon, wie ich es ihm schonend beibringen sollte, da kam er auch schon ins Klassenzimmer, ging ohne seine Sachen abzulegen an den Schrank, holte das Buch, dass es am Mittwoch dort versteckt hatte, damit es kein anderer ausleiht, heraus, lief zu mir und machte mir unmissverständlich deutlich, dass er dieses Buch jetzt auf der Stelle ausleihen muss und nicht mehr warten kann. Die Schüler_innen waren am Ende der Pause nicht auf ihre Plätze zu bekommen, weil jeder mindestens ein Buch ausleihen musste und unsere Sammlung genauestens inspiziert werden musste. Sogar schlechte Schüler, die sonst nicht durch übermäßige Motivation auffallen, nahmen sich ein Buch mit.
In der Grundschule ein ähnliches Bild, auf unsere Ankündigung, sie könnten sich etwas ausleihen, wollten am liebsten gleich alle auf einmal zu mir in den Nebenraum stürmen und den Schrank plündern.

Soll das die schon so oft aufgegebene Generation von verblödeten, handysüchtigen Ignoranten mit Literaturallergie sein? Ich habe ja ehrlich gesagt selbst nicht an eine so überwältigende Resonanz geglaubt. Ich rechnete natürlich fest mit unseren Überfliegern, die so gut Deutsch sprechen, dass sie sich im Unterricht dauerhaft langweilen. Aber diese Menge an jungen Menschen, die unbedingt Lesen wollen, überraschte selbst mich, die ich eigentlich immer nur das Beste von unseren Schüler_innen erwarte! Der Schrank in der Grundschule ist halbleer und auch das Regal im Gymnasium weist deutlich sichtbare Lücken auf.

Ich kann also sagen, egal, was ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe und was mir vielleicht nicht geglückt ist, ich habe meine Schüler zum Lesen gebracht. Ich habe eine Mission erfüllt, ihnen etwas mit auf den Weg gegeben und wenn nur ein Bruchteil der Schüler_innen beim Lesen bleibt, haben wir schon gewonnen.

Hiermit betrachte ich mein Freiwilligenprojekt als vorerst abgeschlossen! Vorerst, weil in meinem Kopf immer noch neue Ideen herumspuken, was man noch machen könnten. Dafür reicht vermutlich meine Zeit hier nicht mehr aus, aber ein bisschen rumspinnen hat noch nie geschadet.

Ansonsten geht hier alles seinen gewohnten Gang. Die Zeugnisnoten sind alle verteilt und die Zeugniskonferenzen vorbei! Noch kamen keine Beschwerden, scheint also diesmal alles in Ordnung zu sein.
Ich lebe so vor mich hin und warte jeden Tag darauf, dass es endlich Sommer wird und man es nicht nur in der Sonne ohne Jacke aushalten kann.

Eine lustige Geschichte muss ich noch erzählen. Jeden Dienstag und Freitag ist in Ulcinj Markt. Nach anfänglichen Berührungsängsten gehe ich jetzt doch ab und zu hin, um Obst und Gemüse zu kaufen. Diesen Freitag wollte ich mir Gurken und Tomaten besorgen. Dieser Plan ging dann aber nur bedingt auf. Ich hatte zwar Gurken und Tomaten, aber dazu auch noch Birnen, Orangen, Äpfel, Erdbeeren und Frühlingszwiebeln. Die Hälfte davon habe ich nicht mal bezahlt, aber ich kann nicht erklären, wie mich die Marktfrau (ich habe schon meine persönliche, die mich kennt und immer sehr freudig begrüßt) jedes Mal wieder dazu bringt, mehr zu kaufen als ich eigentlich will. Ich weiß nicht, ob sie mir aus der Ferne Vitaminmangel diagnostiziert hat, das halte ich für relativ unmöglich, oder ob ich nur ein Opfer ihrer geschickten Verkaufsstrategie bin, was ich auch für relativ unwahrscheinlich halte, weil sie mir das meiste Zeug immer schenkt. Nach Hause kam ich dann auf jeden Fall hiermit:

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Ich wünsche euch allen ein gesundes Wochenende!

Warum Mamas Butterbrote immer besser schmecken als meine eigenen…

Es ist diese eine Frage, die mich seit langem beschäftigt. Ich wusste es schon immer und seit ich mir meine Brote grundsätzlich alleine schmieren muss, wurde ich in diesem Glauben immer mehr bestärkt! Brote, die meine Mama schmiert, schmecken immer, IMMER, besser, als die, die ich mir selbst mache. Jetzt könnte man meinen, das sei so ein Heimwehding, von der Ferne betrachtet idealisiert man so Manches. Oder man meint, das wäre so ein Faulheitsding, weil ich einfach nicht selbst aufstehen will. Ich muss zugeben, an beiden Theorien, speziell an der zweiten, mag durchaus etwas dran sein. Doch ich hatte über Ostern eine Woche Zeit, den direkten Vergleich zu ziehen und kann wieder einmal konstatieren: Egal ob Tomate oder Käse, ob Eier oder Nutella oder mein heißgeliebtes Käse-Ketchup-Brot, wenn Mama es macht, ist es einfach auf einem anderen Level! Ich kann gar nicht beschreiben, was so anders ist, aber man ist nach dem ersten Bissen gleich im Brothimmel!
Das mag vielleicht auch daran liegen, dass meine Eltern, als sie letzten Sonntag kamen, neben Sojawürstchen und Nutella (obwohl ich Hanuta wollte, das hat meine Mama irgendwie verwechselt…), auch zwei deutsche Vollkornbrote mitbrachten. Ein Genuss nach dem ganzen Weiß- und abgepackten Fitnessbrot. Ich sollte viel öfter Besuch aus Deutschland kriegen und jeder muss ein Brot mitbringen! 😀

Weg von vermissten kulinarischen Genüssen, hin zu der schönen Zeit, die wir zusammen verbrachten.

Ich befürchtete erstmal generell das schlimmste. Mein Vater war nie so ganz autofest, trotzdem plante ich todesmutig einige Busfahrten und ließ ihn und meine Mutter von Jussuf, dem besten Taxifahrer aus ganz Montenegro, vom Flughafen abholen. Ausgestattet mit viiiiieeeeel Reisekaugummi ging es auf die wilde Fahrt und bis auf die Tatsache, dass sie meine Haustür nicht fanden, ging eigentlich alles gut. Die Kotztüten blieben leer, wie übrigens auch während der gesamten Zeit! Ich bin echt stolz auf meinen Papa, dass er sich ohne zu maulen in jeden noch so klapprigen Bus auf jede noch so kurvige Straße gewagt hat, still auf seinem Kaugummi rumgekaut hat und nur über Muskelkater im Kiefer klagte.

Am Montag hatte ich netterweise frei, da Sporttag war. Ich zeigte meinen Eltern die Stadt, wir gingen durch die Altstadt, am kleinen Strand entlang, wo wir von einem interessanten Mann angesprochen wurden, der uns kurz die Welt erklärte, uns seine Reeperbahngeschichten erzählte und sich von mir versprechen ließ, dass ich auf jeden Fall studieren würde, damit ich unabhängig werde, und danach hoch zum schönsten Platz in ganz Ulcinj. Dann holte uns leider der Regen ein, sodass wir es nicht mehr zum hässlichsten Denkmal der Welt schafften, aber das ist wohl zu verschmerzen. Der interessante Mann gab mir auch noch seine Visitenkarte, damit ich ihn anrufen könne, wenn ich ein Problem habe, damit war mein Vater endgültig beruhigt, es scheint hier doch alles relativ ungefährlich zu sein.
Wir eilten nach Hause und verbrachten einen gemütlichen Abend in meiner leider immer noch viel zu kalten Wohnung.

An den nächsten beiden Tagen musste ich jeweils vormittags noch arbeiten, weil mal wieder die Zeugnisse anstehen und die Noten doppelt und dreifach und in allen denkbaren Farben auf alle erdenklichen Weisen kundgetan werden müssen. Jedes Mal darf ich mir mehr Belehrungen anhören, ich dürfe die Noten im Internet nicht alle am gleichen Tag eintragen, da würden sich die Eltern beschweren und dass ich das Klassenbuch leider jetzt nicht haben kann, es würde gerade dringend woanders gebraucht. Wenigstens weiß ich immer besser bescheid und es geht mit jedem Mal schneller. Auch wenn ich nach Ablauf meines Freiwilligendienstes bestimmt allerhand vermissen werden, das wird mir garantiert nicht fehlen!

Ich ließ mir davon jedoch nicht die Laune verderben. Dienstags bestellte ich meine Eltern nach der Schule in unser Stammcafé Venus, damit sie Kurt kennen lernen konnten. Sie waren auch fast pünktlich, wurden auf dem Weg allerdings wieder sehr schnell als Deutsche identifiziert und musste ein Schwätzchen halten.
Mein Vater und Kurt verstanden sich wie erwartet ausgezeichnet und so saßen wir länger als üblich zusammen, da dann auch noch Jussuf, der Taxifahrer zu uns stieß.

Irgendwann machten wir uns dann aber doch auf den Weg, da wir erst auf den Markt und dann zum großen Strand wollten. Wir kauften allerhand für ein Picknick und wanderten los, die wunderschöne Strecke an der Küste entlang. Das Wetter war uns wohlgesonnen, nur der Wind war nicht ohne, was sich später noch als Problem herausstellen sollte. Wir saßen nämlich, am großen Strand angekommen, auf einer kleinen Erhöhung unter einem Rettungssitz. Hier wähnten wir uns sicher vor den schon relativ heftigen Wellen. Doch wie das manchmal ist und wie ich es auch durchaus schonmal erlebt habe, gibt es immer die eine Welle, die doch höher ist und die unsere Erhöhung leider komplett überschwemmte, sodass wie mit nassen Hosen den Heimweg antreten mussten. An der Küste erhoben sich die Wellen auch schon ganz schön hoch, sodass man an manchen Stellen den Moment zwischen zwei Wellen abwarten musste, in dem man dann so schnell wie möglich durchrennen musste. Es war eine sehr lustige Angelegenheit, lachen konnten wir vor allem darüber, als wir es einigermaßen trocken geschafft hatten.

Dann zog der Himmel aber auch schon zu. Das war auch kein Wunder, sollte doch Heidrun, Armins Freundin, an diesem Tag ankommen. Egal wann sie kommt, auch mitten im Sommer, das Wetter ist immer schlecht. Das geht, wie mir zugetragen wurde, wohl schon ein paar Jahre so. Da wir aber vorgewarnt waren, waren wir an der Regenjackenfront bestens ausgestattet. Abends trafen wir uns nochmal mit Kurt, der am Mittwoch nach Deutschland fliegen wollte. Vorher stellte ich meine Eltern noch Ivana, meiner Vermieterin vor.

Das schlechte Wetter hielt auch den ganzen Mittwoch über an. Vormittags in der Schule war an normalen Unterricht zeitweise nicht zu denken, weil die plötzlichen Hagelschauer die Schüler verständlicherweise mehr faszinierten als das, was wir so veranstalteten. Den Plan, nach Valdanos zu wandern, verwarfen wir, ich zeigte meinen Eltern nur noch den besten Shopska (Salat aus Tomaten, Gurken, Zwiebeln und weißem Käse) in ganz Ulcinj und dann kuschelten wir uns wieder in die Decken. Das Wetter war so schlecht, dass Kurt, wie ich im Nachhinein erfuhr, erst Donnerstag fliegen konnte, weil der Flug abgesagt wurde.

Weil es am Donnerstag immer noch recht grauslig sein sollte, beschlossen wir, eine entspannte Zugfahrt einzulegen. Wir fuhren zu einer absolut unmenschlichen Zeit, um 7.15 Uhr in Ulcinj mit dem Bus nach Bar. Dort stiegen wir um 9 Uhr in den Zug nach Kolasin. Die Zugfahrt ist wirklich absolut spektakulär! Hier ein paar Bilder des Ausblicks, allerdings während der Fahrt und durch schmutzige Scheiben fotografiert.

Ausblick auf den Skutarisee

Ausblick auf den Skutarisee

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Die höchste Eisenbahnbrücke Europas

Die höchste Eisenbahnbrücke Europas

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Ja, es lag echt noch Schnee!

Ja, es lag echt noch Schnee!

In Kolasin angekommen stellten wir ziemlich schnell fest, dass wohl doch der Weg das Ziel war. Wir suchten zuerst die Busstation, um später nicht umherzuirren, dabei stellte sich heraus, dass die Busstation aus einem Schild bestand, auf dem die Abfahrtszeiten zu lesen waren. Nicht mal Tickets konnte man kaufen. Da wir sowieso nicht wussten, was wir machen sollten, gingen wir etwas essen. Wir fanden ein unfassbar uriges Lokal und bestellten das ursprünglich montenegrinischste, was es für Vegetarier gab. Kacamak, eine Art Grumbeerstambes, wie man bei mir zu Hause sagt, mit montenegrinischem Käse, Maismehl und Sahne angereichert (schmeckt extrem lecker, macht extrem satt), gegrilltes Gemüse und den obligatorischen Shopska. Jeder von uns wollte sich angesichts der langen Busfahrt, die vor uns lag, eigentlich ein bisschen zurückhalten, klappte dann aber nicht so richtig und weil alles so lecker war, aßen wir doch alles auf.
Die Busfahrt zurück war etwas ungemütlich, der Busfahrer ist mit Rambo noch nett, mit gesengte Sau realistisch beschrieben. Wir kamen dann doch heil, aber ziemlich kaputt wieder in Ulcinj an.

Am nächsten Tag machten wir einen Ausflug nach Albanien, nach Shkodra. Weil die Busse nicht so super gut fahren, hatten wir nur ein bisschen Zeit, tranken einen Tee, liefen ein bisschen durch die Innenstadt und fuhren dann wieder zurück. Abends trafen wir uns mit Armin und Heidrun und so lernten meine Eltern auch noch meinen anderen Kollegen kennen. Weil ich Armin und meinen Vater, den anderen Armin, kenne und weiß, dass sie grundverschieden aber gleichzeitig meinungsstark sind, fürchtete ich mich ein bisschen, aber es verlief alles außerordentlich friedlich.

Am letzten Tag fuhren wir noch nach Kotor, dem absoluten Must-see in Montenegro. Zu der erneut unmenschlichen Zeit um 7.15 Uhr ging unser Bus, der uns mehr oder weniger heil nach Kotor brachte. Dort nahmen wir direkt den Anstieg zur Festung in Angriff.

Da müssen wir hoch...

Da müssen wir hoch…

Tapfer erklommen wir den hohen Berg und fühlten uns eigentlich recht wohl, bis wir irgendwann an diesem Schild ankamen:

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High Risk Zone, das klang nicht unbedingt vertrauenserweckend. Mit einem etwas mulmigen Gefühl liefen wir weiter. Wir hatten das Schild schon fast vergessen, als wir an diesem vorbei liefen:

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Increased Risk Zone klingt nicht unbedingt so, als wollte man unbedingt weiter laufen. Tapfer taten wir es aber doch und wurden, oben angekommen, mit dem wohl schönsten aller Ausblicke belohnt:

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Der Abstieg war zwar nicht so anstrengend, sorgte aber für einen netten Wadenmuskelkater, von dem ich tatsächlich heute noch etwas habe.

Hat ein bisschen was von der chinesischen Mauer...

Hat ein bisschen was von der chinesischen Mauer…

Unten angekommen, durchkreuzten wir noch schnell die Altstadt…

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… kauften meinem Vater Olivennachschub auf dem Markt und waren dann rechtzeitig vor dem Regen wieder an der Busstation, wo uns der ausnehmend unfreundliche Mann am Ticketschalter keine Tickets verkaufen wollte, die wir dann beim Busfahrer nachkaufen mussten.

Wir kamen abends in Ulcinj an, stiefelten ein letztes Mal meinen Berg hoch, meine Eltern packten, ich sortierte, was sie schon mal mitnehmen sollten und hoffe, dass der Frühling sich erpressen lässt, endlich mit voller Wucht zuzuschlagen, ich habe nämlich jetzt keine Wintersachen mehr! 😀

Am nächsten Morgen wurden meine Eltern pünktlich von Jussuf abgeholt, der Versuch einen Abschiedsselfies scheiterte gnadenlos, und dann war die Woche auch schon um. Ich holte erstmal Schlaf nach, dann räumte ich ein bisschen auf, dann wusch ich Wäsche, dann arbeitete ich noch ein bisschen vor mich hin. Montag war ja noch Ostern, also hatte ich noch frei, ich tat erfrischenderweise nichts, was leider ein Fehler war, ich vergaß nämlich prompt, dass ich mit zwei Schülern zu Essay-Schreiben verabredet war. Das fiel mir erst auf, als ich beim Aufräumen die Unterlagen fand. Ich hoffe einfach mal, dass sie mich auch vergessen haben 😀

Heute ging es dann wieder in die Schule, ich musste vom Gymnasium in die Grundschule, um etwas zu holen. Auf dem Weg begegneten mir Biene Maja und Willi. Ich dachte: Ah ja, Biene Maja und Willi. Dann lief ich ein paar Schritte weiter, dann machte es Klick und ich dachte: Hä, Biene Maja und Willi? Ich ging erstmal weiter meiner Wege. Später erzählte ich es Kurt, der mir erstmal empfahl, morgens nicht mehr so viel zu trinken. Dankenswerterweise klärten die Schüler mich auf, die Figuren waren anlässlich einer Ladeneröffnung dort. Ich hatte schon angefangen an mir zu zweifeln, allerdings hauptsächlich, weil die beiden mich im Straßenbild zunächst überhaupt nicht gestört hatten.

Nach der Schule transportierten wir die Bücher aus der Bibliothek in die Schule, wo ich sie in den nächsten Tagen einsortieren werde, damit die Schüler sie dann endlich ausleihen können. Zu meiner Freude gab es schon mehrere ungeduldige Nachfragen, wann es denn endlich soweit sei! Das macht Freude!

Ansonsten liegt im Moment eher weniger an, was nach dieser anstrengenden Zeit auch mal ganz heilsam ist.

Ich habe das Rätsel um die besseren Butterbrote zwar immer noch nicht gelöst, aber das ist ja auch eigentlich ganz schön so, denn dann habe ich noch etwas, auf das ich mich freuen kann, wenn ich im Sommer wieder nach Hause fahre! 🙂

Von der Schwierigkeit, Deutsche zu sein

Das wird wohl der schwierigste Blogeintrag, an den ich mich jemals herangewagt habe. Ich fange an zu schreiben, und bin noch nicht sicher, als was dieser Text enden wird, ich bin noch nicht mal sicher, was ich genau schreiben werde und ob ich ihn überhaupt veröffentlichen werde.

Wie ich in meinem vorletzten Eintrag berichtet habe, war ich zum Schüleraustausch in Deutschland. Ich habe diesen neuen Eintrag auch schon angedeutet, weil das Spektrum an Themen und Emotionen so groß ist, dass es sicherlich eines eigenen Eintrags bedurfte.

Was ich vorneweg dringend sagen möchte ist, dass das Thema bzw. die Themen, über die ich schreiben möchte, sehr komplex sind. Es ist nicht immer leicht, die richtigen Worte zu finden, die niemand aus keiner Perspektive falsch interpretieren könnte. Wenn euch beim Lesen Fragen kommen sollten, Sachen, die ihr nicht versteht oder die seltsam klingen, dann sprecht mich bitte an, sagt mir das, damit ich selbst darüber nachdenken und mich dazu äußern kann.
Ich lebe seit September in einem fremden Land. Ich kann mittlerweile stolz sagen, dass es mir nicht mehr ganz so fremd ist, wie es mir zu Beginn erschien. Ich habe hier Menschen kennengelernt, ich habe versucht, mich mit Politik und Geschichte zu beschäftigen und ich habe begonnen, die Sprache zu lernen. Trotzdem, so war ich mir sicher, wird dieses Land nie meine erste Heimat werden. Ich war immer gerne zu Hause und bin es noch. Ich habe die Zeit an Weihnachten sehr genossen, als ich viele mir liebe Menschen gesehen habe. Auch die Austauschzeit war trotz allen Widrigkeiten eine schöne Erholung von der ständigen Konfrontation mit Neuem. Ich liebe diese Konfrontationen, ich wachse daran, aber ich freue mich dann doch, im Supermarkt mal wieder vertraute Produkte kaufen zu können, bei denen ich die Zutatenliste nicht erst nach 2 Stunden intensiver Wörterbuchrecherche verstehe. Das ist einfach das Holz, aus dem ich geschnitzt bin. Die Welt entdecken, schön und gut, aber irgendwann möchte ich wieder zu Hause ankommen, denn dort ist es einfach schön.

Bewusst möchte ich den Aspekt der Privilegien, in denen ich leben darf, an dieser Stelle ausblenden. Der Beitrag wird sowieso kompliziert genug. Ich bin mir bewusst, dass all das, was mich beschäftigt, nie so essentiell und existenziell sein kann, wie das, was so viele andere Menschen erleiden müssen, welche Ausmaße von Schrecken sich für diese vielen Menschen zum Alltag entwickelt haben. Der Hauptgrund, warum ich mich entschieden habe, dass ich dringend etwas loswerden muss, ist aber, dass es sich im Moment essentiell und existenziell anfühlt.

Natürlich verfolge ich auch in Montenegro, was in Deutschland vor sich geht. Ich schaue Nachrichten, ich kommuniziere mit Menschen, ich lese. Und doch fällt mein Blick auf eine schwer zu beschreibende Art und Weise von außen auf die Dinge. Ich kann nicht mehr hören, was die Leute so erzählen, was sie in der Bahn von sich geben, wie sie sich auf der Straße unterhalten. Ich weiß nur, was öffentlich verbreitet wird und das führt mich zu der Quintessenz des Ganzen:

Ich verstehe mein Land nicht mehr!

Was ist mein Land? Ich hatte immer Probleme mit einer deutschen Identität. Ich habe mir immer eingeredet, dass dieser Teil meines Lebens für mich keine Rolle spielt. Ich habe dieses Land immer kritisch gesehen, wohl auch, weil mich das Konzept von Ländern und Grenzen nie überzeugen wird.

Doch seit einigen Monaten bin ich gezwungen, mich mit dieser Identität abzufinden, bzw. mich zumindest damit zu beschäftigen. Im Ausland bin ich nun mal „die Deutsche“ und Jahrhunderte von Kriegen zwischen Ländern, kultureller Unterdrückung und Propaganda haben nun mal dafür gesorgt, dass die Herkunft eine der wichtigsten Kategorien ist, in die man Menschen einteilt. Ich möchte mich da wirklich nicht ausnehmen, ich finde es immer kolossal spannend, zu erfahren, welche Nationalität meine Schüler haben und daraus irgendwelche Rückschlüsse auf was auch immer zu ziehen.

Jedenfalls fühle ich mich durch meine Zeit im Ausland mehr als Deutsche, als ich es mir je hätte träumen lassen. Umso mehr fasst es mich an, zu sehen, was so vor sich geht in diesem Land.

Vor kurzem fand ich im Schrank der Grundschule beim Aufräumen ein Buch, „Der Schlund“ von Gudrun Pausewang. Wer sich mal richtig gruseln will sollte dieses Buch lesen. Es spielt Anfang der 90er Jahre, in Deutschland läuft es wirtschaftlich nicht besonders, die Zuwanderung steigt auf ein Rekordniveau und dadurch entsteht im Land eine Stimmung, wie man sie nie für möglich gehalten hätte. Neue Parteien werden gegründet, verboten und wieder gegründet, die Bundestagswahl ermöglicht schließlich eine Koalition zwischen den Republikanern und einer neuen ultrarechten Partei. Deutschland wird zur Diktatur, es werden Arbeits- und Umerziehungslager für Ausländer, politische Gegner, Aids-Kranke, Behinderte und andere störende Elemente gegründet. Das Buch erzählt die Geschichte eines Mädchens, das in einer Widerstandsfamilie aufwächst, der Vater muss emigrieren und die anderen Familienmitglieder sterben nacheinander weg. Sie entschließt sich, den Widerstand zu leisten, zu dem sie imstande ist.

Es wurde mir beim Lesen Angst und Bange. Die Zustandsbeschreibung am Anfang stellt zwar nicht eins zu eins unsere Zeit dar, lässt sich aber durch Aktualisierung der gesellschaftlichen Diskurse leicht übertragen. Das Buch beschreibt eine Entwicklung über mehrere Jahre, es war alles nicht sehr detailliert beschrieben, aber man glaubte sofort, dass es morgen genauso passieren könnte. Und das macht mir Angst.

Ich lese von brennenden Heimen und sehe dieses unsägliche Busvideo. Ich lese all die schlauen, menschlichen und wunderbaren Kommentare von Journalisten, Künstlern und ja, auch Politikern und muss sehen, wie wenig andere davon berührt werden. Ich brauche keine dramatischen Liebesfilme mehr zu kucken, zum Heulen reicht heute die Tagesschau. Die Welt geht in Flammen auf und irgendwo zünden Idioten Kreuze an und andere Häuser, in denen Menschen leben. Ich spüre physische Beeinträchtigungen durch diese Angst, ich leide.

Ich sehe die Entwicklung. Vor wenigen Jahren gab es auch Neonazis. Sie waren damals so wenig begrüßenswert wie heute auch, sie begingen genauso furchtbare Taten und terrorisierten Menschen auf ebenso perfide Art und Weise wie heute. Aber es war eine kleine Gruppe, auf die man mit dem Finger zeigen konnte, die man ausgrenzen konnte, die keinen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten.
Heute ist es eine große Gruppe. Es sind jetzt viel mehr, sie handeln täglich, anstatt nur dämlich auf irgendwelchen Kundgebungen ihre Fähnchen zu schwenken wie damals, in der Zeit vor… Ja, vor was eigentlich? Bevor die Kanzlerin ihre Empathie entdeckte? Bevor die von uns verursachten Kriege jetzt so viele Menschen aus ihren Ländern vertreiben, dass wir sie nicht mehr ignorieren und aussperren können? Bevor man in diesem Land wieder ernsthaft über die rechtlichen Grundlagen eines Schießbefehls an der Grenze debattieren darf? Was ist mit diesem Land passiert?

Ich möchte an dieser Stelle Selbstkritik üben. Diese Selbstkritik ist nicht vorgeschoben und soll keine Koketterie sein, ich meine es ernst. Als in kurzer Zeit viele Menschen auf einmal zu uns kommen mussten, haben sich viele Sorgen gemacht. Wenn ich zurückschaue, vielleicht zu Recht. Auch wenn man voll und ganz hinter der Losung „Refugees welcome“ steht, kann man nicht verleugnen, dass es eine große Aufgabe ist und viel Anstrengung erfordert. Dass Integration nicht automatisch passiert und viel Geld kostet. Dass es schwierige Zeiten geben wird, dass der Staat die Hilfe der Menschen braucht und die Zivilgesellschaft in diesem Fall als Institution anerkennen und würdigen muss. Diese Erkenntnisse ändern aber nichts daran, dass ich der Meinung bin, dass es der richtige Weg ist. Man hätte es vielen Menschen einfach nur besser erklären müssen. Die Politik hätte ihren Masterplan, sofern sie einen hat, erläutern müssen, genau aufzeigen müssen, wie es zu schaffen ist. Das ist oftmals versäumt worden und führte dann zu dem, was jetzt als besorgte Bürger schamlos hinter rechtsextremen Hetzern läuft. Das kann mit nichts entschuldigt werden, jeder ist dafür verantwortlich, die Angst nie über die Menschlichkeit zu stellen. Es ist aber der Versuch einer Erklärung. Die Masse an Menschen, die kein Problem hat, eine rechtsextreme, offen rassistische und gewalttätige Partei zu wählen, die Masse, die in Umfragen einen Schießbefehl an der Grenze begrüßen würde, die Masse, die mit unserem demokratischen System nichts mehr anfangen kann, diese Masse ist einfach zu groß geworden, um sie auszuschließen und als die paar Prozent Spinner abzutun, die eine Demokratie aushalten muss. Es sieht ganz düster aus in diesem Land, wenn wir es nicht schaffen, einen Großteil dieser Menschen zurückzuholen, sie wieder in die demokratische Gesellschaft aufzunehmen.

Ich habe immer Menschen verachtet, die stolz darauf waren, Deutsche zu sein. Dafür gab es für mich keinen Grund. Wir haben nichts dafür geleistet und politisch gesehen waren wir auch nicht wirklich integer. Doch als im letzten Sommer so viele Vertriebene auf einmal kamen und viele Deutsche ihre Herzen öffneten, da war ich stolz auf diese Leute! Sie handelten unabhängig von dem, was die Politik jeden Tag anrichtet. Sie sagt „Wir schaffen das!“ und tut nichts dafür, überlässt die Details der Zivilgesellschaft, die sich großartig geschlagen hat und immer noch schlägt. Sie sagt „Wir schaffen das!“ und hält weiter an einer Politik fest, die diese Katastrophe erst verursacht hat. Sie sagt „Wir schaffen das!“ und lässt einen Finanzminister von der Leine, dem scheinbar nur sein ausgeglichener Haushalt heilig ist. Und trotzdem bewundert man diese Frau dafür, dass sie scheinbar bereit ist, mit diesem Satz unterzugehen. Wir haben die Ansprüche an Symbolik und Wahrhaftigkeit in den letzten Jahren auf einen neuen Tiefpunkt gesenkt.

Die Frage ist, wie geht es weiter? Morgen sind Landtagswahlen und so wie es aussieht, wird die AfD in drei Landtage einziehen. Man kann immer über die Ursachen von Rassismus und antidemokratischen Strömungen diskutieren, man kann sagen, dass in Sachsen vielleicht mehr rechte Gewalttaten geschehen als anderswo, aber in meinem Rheinland-Pfalz, wo es sich so schön leben lässt, wo die Menschen schon seit Langem Lieder singen, von der Angst, dass es im Himmel nicht so schön ist, wie auf der Erde und man deshalb auf keinen Fall sterben will, dort steht diese Partei bei unsäglichen 9%. Der Geist verbreitet sich in ganz Deutschland und in ganz Europa, es nützt überhaupt nichts, einzelne Regionen herauszunehmen, solange auch überall anders die Häuser brennen. Wie oft das jetzt geschieht, ist meiner Meinung nach nebensächlich, rechter Terror ist ein gesamtdeutsches Problem und es nach Sachsen oder in den Osten abzuschieben, löst überhaupt nichts, sondern ist ein erbärmlicher Versuch, sich aus der Affäre zu ziehen! Seit mehreren Monaten erleben wir eine dauerhafte Progromnacht, die sich nur auf einzelne Nächte verteilt.

Ich frage mich gerade, was das eigentlich alles mit meinem Freiwilligendienst zu tun hat, was es ist, das rechtfertigt, dass ich dieses Medium nutze, um meine Ansichten zu verbreiten. Aber es hängt schon damit zusammen. Dieser Blog soll ja nicht nur von meinen Erlebnissen berichten, sondern auch von meinem Innenleben. Und das wird maßgeblich von der Situation in Deutschland beeinflusst. Ich habe hier oft von Ulcinj, meiner Stadt, geschwärmt. Wie Menschen aller Religionen und Nationalitäten friedlich zusammenleben. Es klingt wie eine alte Leier, die ihr vielleicht nicht mehr hören könnte, aber diese Stadt liefert mir einen so starken Kontrast, dass es die ganze Situation für mich noch verschärft. Ich bin der Meinung, ich erlebe hier Menschen im Urzustand. Die keinen Grund sehen, jemanden für eine Andersartigkeit zu hassen. Es zerreißt mir das Herz zu sehen, dass es möglich ist, zusammenzuleben, dass Krieg und Gewalt nicht in der Natur des Menschen liegen. Wir können in Deutschland zwar nette Maschinen bauen, wir rühmen uns unserer Fortschrittlichkeit, aber was das Zusammenleben angeht, sind wir Entwicklungsland und können von solchen Pipifax-Staaten wie Montenegro wirklich etwas lernen.

Ich lese in diesen Tagen viele Kommentare auf Facebook. Viele sagen mir, das dürfe man ja auch nicht machen, da treiben sich doch eh nur dumme Leute rum. Aber diese Leute gibt es doch trotzdem?! Was man dort an Verwünschungen, Gewaltandrohungen, Rassismus, Sexismus, Hass und Hetze lesen kann, übersteigt alle Kategorien des Unmenschlichen. Ohne moralisch zu urteilen, ohne zu werten, kann es mir bitte einfach jemand erklären? Warum wird man so? Warum wird man so, obwohl man mit allen bekannten Einschränkungen dennoch ein privilegiertes Leben und sicheres Leben führen kann? Es übersteigt meine Fähigkeit, mich in Menschen hineinzuversetzen. Ich wollte immer verstehen. Werten und Urteilen kann ich später, aber ich will verstehen, was Leute antreibt, weil man nur dann wirklich wirksame Maßnahmen treffen kann und sich von der Ebene der Symbolpolitik verabschiedet. Doch ich bin nicht mehr dazu in der Lage. Wenn ich es mal geschafft habe, den Ekel abzustellen und mich tatsächlich mit den Inhalten zu beschäftigen, bleibe ich ratlos zurück. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich so weit weg bin.

Ich höre jetzt auf, obwohl es noch so viel zu sagen gäbe, unendliche Ebenen und Dimensionen all dessen, was passiert, blieben unberührt, doch ich habe schon lange genug gelabert und gratuliere all jenen, die bis hierher durchgehalten haben. Ich entschuldige mich, ich mute euch immer ganz schön viel zu, aber ich werde bei diesem Thema emotional und dann kann ich mich noch weniger kurzfassen als sonst.

Ich möchte nur noch sagen, dass ich die Situation natürlich nicht gut beurteilen kann. Es kann sein, dass alles halb so wild ist und ich das dramatisiere, weil nur die Extremen der Berichterstattung bis zu mir durchdringen. Ich bekomme natürlich auch etwas vom Engagement mit, von kreativem Protest, von Spenden und von Warmherzigkeit, das kam in diesem Beitrag sowieso viel zu kurz. Vielleicht, und ich hoffe, dass es so ist, ist nicht die Stimmung, sondern nur die Berichterstattung gekippt. All die bewundernswerten Menschen verteilen weiterhin Klamotten und warmes Essen, schreiben weiter wie die Verrückten gegen diesen Irrsinn an, ringen weiter um kleine und große politische Lösungen. Es kann aber auch sein, dass alles noch viel schlimmer ist und ich die Ausmaße nicht so mitbekomme. Weil ich aber im Moment absolut keinen Einfluss auf nichts nehmen kann, wollte ich zumindest mal meine Gedanken loswerden, um nicht in dem Gefühl zu versinken, gar nicht getan zu haben, sollte es wirklich so schlimm stehen.

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