„Annerschtwu is annerscht!“ – Vom Heimkommen…

Eigentlich unglaublich, dass es schon wieder mehr als drei Wochen her ist, dass ich mich abends in Mannheim mit meinem viel zu schweren Koffer und meinem Saxophon auf dem Rücken aus dem Zug quälte und Ausschau nach meinen Eltern hielt. Der Abschied aus Ulcinj ist mir wirklich nicht leicht gefallen, obwohl ich mich sehr auf zu Hause gefreut habe, und es wurde mit der Zeit nicht unbedingt leichter. Doch von vorne.

Nachdem ich an meinem letzten Abend in Ulcinj, anstatt das Fußballspiel Deutschland gegen Nordirland zu schauen, lieber bei meiner Vermieterin auf dem Balkon saß und Kirschlikör getrunken habe, machte ich mich am nächsten Morgen gemeinsam mit Armin auf den Weg Richtung Norden. Wir fuhren drei Tage lang durch Montenegro, Kroatien, Slowenien und zuletzt Italien, wo ich mich in Bozen in den Zug gen Heimat setzte. Nochmal vielen Dank fürs Mitnehmen, es hat wirklich Spaß gemacht!

Schon die Zugfahrt war wirklich faszinierend. Man dachte, man hat ein Jahr in einem vergleichsweise unterentwickelten Land verbracht, was z.B. die Infrastruktur angeht, obwohl die Busse nie mehr als 5 Minuten zu spät waren. Dann überquert man die Grenze, sitzt in einem Zug der Deutschen Bahn und hört folgende Durchsage: „Ich muss Ihnen leider mitteilen, dass dieser Zug einen Triebwerksschaden hat und heute in Stuttgart endet. Wahrscheinlich gibt es einen Ersatzzug, aber wir haben noch keine Informationen, wann und wo.“ Da saß ich mit meinem Gepäck für ein Jahr, das mir ein starker Polizist auf meine Nachfrage, er sei doch mein Freund und Helfer, ob er mir mal eben helfen könnte, ins Gepäckfach gewuchtet hatte, und musste nochmal umsteigen. Willkommen zurück in Deutschland!

Als ich dann völlig übermüdet, ich war am Morgen ja immerhin noch in Slowenien gewesen, aber doch relativ heil angekommen war und zu Hause nur noch ins Bett, in MEIN Bett, fiel, überwog doch die Freude, nach langer Zeit wieder zu Hause zu sein. Man gerät doch schneller wieder in den Alltag als man denkt.
Ich klapperte nach und nach alle Freund_innen und Verwandten ab (obwohl ich zugeben muss, dass ich noch nicht alle geschafft habe), ich stieg nahtlos wieder in die Orchesterproben ein (ich merke erst jetzt, wie sehr ich euch vermisst habe!) und wurde nach einem Jahr Pause gleich für einen vierstündigen Auftritt am nächsten Wochenende verpflichtet, ich betrachtete selig die schönsten Sonnenuntergänge der Welt über dem Pfälzer Wald und ich genoss wieder die Kochkünste meiner Mama, die nach einem Jahr voller Spaghetti mit Ketschup und Grießbrei wirklich wohltuend waren.

Die ersten Tage waren wirklich toll, voller Wiedersehensfreude, die eigentlich durch nichts getrübt wurde. Doch natürlich war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Weil ich in Ulcinj immer ohne Probleme mitten in der Nacht alleine durch die Straßen wandeln konnte, ohne mir Sorgen machen zu müssen, dachte ich voller Optimismus, dass ich das so beibehalten könne. Ich fuhr also nach dem Viertelfinalspiel gegen Italien mit dem Fahrrad durch die Nacht nach Hause, als mir eine Reihe sehr unschöner Dinge passierten. Zwei Mal „Du Nutte“ aus fahrenden Autos, diverse Male „Sieg Heil“, Beschimpfungen, wenn ich nicht auf Schlachtrufe reagiert habe und Leute, die mich daraufhin bis nach Hause verfolgten. Von wild gewordenen Autofahrern mal ganz abgesehen. Das war das nicht ganz so tolle Willkommensgeschenk. Ich denke über die politische Bedeutung von „Sieg Heil“ muss ich hier nicht ernsthaft schreiben. Ich habe immer wieder Stimmen gelesen, die das Sommermärchen 2006 als die Geburtsstunde des neuen Nationalismus in Deutschland bezeichnen. Ich habe das nie so gesehen, ich dachte immer, dass man die Leute doch mit den Fahnen wedeln lassen soll. Auch gerade weil ich selbst Fußballfan bin, vielleicht nicht der größte Nationalmannschaftsfan, aber ich weiß, wie toll das Gefühl sein kann, in einer Kurve zu stehen, mit einer Fahne in der Hand, weil plötzlich alle gleich sind und alle gemeinsam jubeln. Da macht Einkommen, Aussehen, Geschlecht, Religion, Hautfarbe, Herkunft und alles andere, was Menschen sonst unnötigerweise trennt, plötzlich keinen Unterschied mehr. Und man hat ja auch diese Bilder bei der EM gesehen, Fangruppen, die gemeinsam feiern. Doch ich bin mir da plötzlich nicht mehr so sicher, wenn „Sieg Heil“ plötzlich ein adäquates Mittel zum Ausdruck von Freude über Fußball wird.
Die Respektlosigkeit, mit der man mir begegnet ist, weil ich nicht in die andauernden Schlaaaaand-Rufe einstimmen wollte, besorgt mich, weil im kollektiven Freudentaumel kein Platz zu sein scheint für die Fans der anderen Mannschaft, oder einfach für Menschen, die keine Fußballfans sind. Ich hatte wirklich Angst, eine Dimension von Angst, die ich ein Jahr beinahe gar nicht erlebt habe, hat mich geschockt und sehr zum Nachdenken gebracht. Wenn ich bedenke, wie sich viele Menschen Sorgen gemacht hatten, als ich gesagt habe, ich gehe nach Montenegro und wie ich mein Jahr dort und speziell den Kontrast zu Deutschland jetzt erlebt habe, müsste ich fast schmunzeln, wenn es nicht so wenig zum Lachen gewesen wäre.

Doch auch diese Geschichte hatte eine schöne Seite. Ich habe festgestellt, wie viele wirklich gute Freunde ich habe. Die vielen Nachrichten, die vielen Angebote, ich könne das nächste Mal bei ihnen kucken und dort übernachten, oder sie würden mich nach Hause bringen, die geteilte Fassungslosigkeit über das Geschehene (gibt auch noch vernünftige Menschen), haben mich schnell wieder aufgerichtet. Meine Freunde wissen, wie sehr ich Fußball liebe und wie gerne ich ihn in Gesellschaft schaue. Das nächste Mal fuhr ich in kompetenter Begleitung nach Hause (nochmal danke an Elke und Jochen), wobei wir dann auch nur den Autokorso der Verlierer, ergo der Stau an der roten Ampel zu sehen bekamen, was von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, ungleich angenehmer war. Dann meldet sich aber meine Fußballfan-Seele und fragt leise: „War es das wert?“ Ganz ehrlich, keine Ahnung. 😀

Ansonsten plane ich fleißig mein Nach-kulturweit-Leben. Unibewerbung ist längst verschickt, Wohnung auch schon fast gefunden, und ehrlich gesagt freue ich mich richtig drauf. Ein Jahr Ulcinj war super, und ich weiß, dass ich zurückkommen werde. Aber es ist Zeit für etwas Neues, das habe ich auch gegen Ende deutlich gespürt. Mein Projekt war abgeschlossen und ein Schuljahr ist eine runde Zeit, finde ich.
Apropos Projekt, seit einiger Zeit ist jetzt auch meine Projektbeschreibung beim PAD online. „Projekt des Monats“, klingt toll und der Bericht ist auch wirklich nett geworden. Ich verstehe immer noch nicht so ganz, warum ich diesen Preis gewonnen habe, aber ich werde mich nicht beklagen… 😀

Trotz allem vermisse ich Ulcinj und die Menschen, die ich dort kennenlernen durfte. Eine Nachricht von heute Morgen zeigt mir, dass ich nicht vergessen wurde. Artan, mein Lieblingskollege, schickte mir einen Link auf Facebook, dass der 1. FC Kaiserslautern, mein Verein, Miroslav Klose zurückholen wolle. Das hatte ich natürlich schon längst mitbekommen, aber es war sehr schön zu sehen, dass Artan mich und unsere endlosen Fußballgespräche nicht vergessen hat!

Was ich sonst noch aus diesem Jahr mitnehme? Sicherlich eine gewisse Abenteuerlust. Schon nach den paar Wochen wird es mir zu Hause zu langweilig und ich plane eine kleinere Unternehmung, die hoffentlich zustande kommt. Wenn ja, gibt es hier sicherlich noch ein paar Bilder, denn es soll Richtung Osten gehen und es war kulturweit, das die Sehnsucht in diese Richtung bei mir erst richtig geweckt hat. Ansonsten ist dieser Blog auch schon fast an seinem Ende angelangt. Es wird sicherlich nochmal einen kleinen Eintrag nach dem Abschlussseminar geben, in dem ich nochmal ordentlich Bilanz ziehen kann, aber ich möchte mich an dieser Stelle schon mal bei meinen treuen Leser_innen bedanken. Ich habe mich über jede Nachricht gefreut, euer Zuspruch hat mich durch dieses Jahr begleitet und hat mir letztendlich auch das Selbstbewusstsein gegeben, einen journalistischen Beruf anzustreben, weil mir des Öfteren deutlich gemacht wurde, dass Schreiben nun nicht meine größte Schwäche ist. 😀
Vielen Dank dafür und vielen Dank, dass ihr durch das Lesen alle meine Geschichten und Erlebnisse mitgemacht habt, vielleicht aus größerer Entfernung, aber so habe ich mich, wenn auch mal alleine, nie einsam gefühlt.

1 Kommentar

  1. Jan Doria · 20. Juli 2016

    „einen journalistischen Beruf“? Das würde mich dann schon etwas genauer interessieren. Und du hast eine Wohnung? Herzlichen Glückwunsch, wie hast du denn das geschafft?

    Freue mich auch auf das Nachbereitungsseminar und auf ein Wiedersehen mit dir.

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