“I accidently won a price…”

Als ich den kulturweit-Blog geöffnet hatte, sprang mir meine Schande gleich in die Augen. Der letzte Eintrag ist einen Monat her. Das ist wohl die längste Auszeit, die ich mir, bis auf die Winterferien, überhaupt gegönnt habe. Nicht, weil es nichts zu erzählen gibt, aber ich war ein bisschen mit mir selbst beschäftigt.

Ich stehe mittlerweile in Kontakt mit meiner Nachfolgerin Helene und ich stellte fest, dass das Schuljahr noch gerade mal drei Wochen hat. All das trägt erheblich dazu bei, dass mir die Endlichkeit meines Lebens hier immer mehr bewusst wird. Ich plane langsam meine Heimreise, überlege, was ich noch alles machen muss, um Helene das Leben im September ein bisschen zu erleichtern und zähle mittlerweile nicht mehr Monate, sondern schon Wochen.

Kurz und gut, ich schwebte permanent zwischen Vorfreude auf zu Hause und fiesem Heimweh, Trauer bzw. Melancholie und auch einfach ein bisschen Arbeit. Dazu hatte ich zweimal Besuch, es gab also so allerlei, was mich vom Schreiben abgehalten hat. Weil ich mir nicht sicher war, ob ich mich an alles erinnern kann, was in der Zwischenzeit passiert ist, wandte ich einen, wie ich finde, ziemlich schlauen Trick an. Da ich mich gut kenne und weiß, dass ich selten etwas für mich behalten kann, las ich mir einfach ein paar WhatsApp-Chats der letzten drei Wochen durch und notierte alles, was ich über die Zeit für unbedingt erwähnenswert hielt und ich dann auch hier nochmal offiziell allen verkünden möchte. Diese Liste arbeite ich jetzt einfach mal ab und schaue, welche Romane dann am Ende mal wieder dabei rauskommen.

Über den Monatswechsel durfte ich mich über ein verlängertes Wochenende freuen. Meine Theorie: Die Tatsache, dass der 1. Mai dieses Jahr auf einen Sonntag fällt, hat die Verantwortlichen so geschockt, dass wir den Feiertag nicht nur montags nachholten, sondern Dienstag auch noch frei war, um sich von der Feierei zu erholen. Triumphierend über diese ausgiebige Freizeit teilte ich das meiner Mutter via WhatsApp mit, mit der Aufforderung an die deutsche Politik, das doch auch mal in Deutschland einzuführen. So weit, so gut, aber ein paar Stunden später antwortete mir meine Mutter mit einem Link zu einem Artikel, in dem Politiker_innen fordern, Feiertage, die auf ein Wochenende fallen, nachzuholen. Es scheint ja doch jemand mitzulesen. Wenn das hier ebenso ist und man auf mich hört, ich habe auch etwas gegen TTIP, wünsche mir einen Stopp der Waffenexporte, die Abschaffung des Kapitalismus und den Weltfrieden. Let’s go!

Dieses lange Wochenende nutzte dann tatsächlich Amelie aus Slowenien dazu, mich hier zu besuchen. An dieser Stelle nochmal: Es tut mir leid, dass ich so eine miserable Gastgeberin bin! Das Wetter war doof, das Internet funktionierte nicht, sie musste mit mir Romeo und Julia kucken und meine Kochkünste lassen immer noch sehr zu wünschen übrig. Trotz allem habe ich die Gespräche und das laaaaaaaange Ausschlafen mit dir sehr genossen! Ich freue mich aufs Nachbereitungsseminar!

In dieser Woche fand auch in der Grundschule der Vorlesewettbewerb statt. Wir hatten in den 8.Klassen vorher jeweils eine Vorentscheidung gemacht und den besten 7.Klässler noch dazu genommen und dann fand der Schulwettbewerb statt. Die Schüler_innen waren mächtig aufgeregt und erheblich schlechter als vorher in der Klasse, aber dennoch fanden wir drei Sieger. Demnächst findet dann der landesweite Wettbewerb mit den Schüler_innen aus Berane statt, der Sieger/die Siegerin darf dann zur nächsten Runde nach Belgrad. Ich werde noch ein bisschen mit meinen Schülern trainieren, damit auch ja einer von ihnen gewinnt! Der Ehrgeiz hat mich gepackt!

Ansonsten geht das Schulleben ganz normal weiter, ich habe mal wieder Unterricht gehalten, aber seit ich mich gegen den Lehrerberuf entschieden habe, bin ich da nicht mehr so ehrgeizig und es war relativ unspektakulär.

Wir haben mittlerweile entschieden, welche unserer Erstklässler_innen nächstes Jahr mit nach Freudenstadt dürfen. Freude und Enttäuschung waren je nachdem groß, aber es haben sich dann doch alle mit den Tatsachen arrangiert. Nach einer Mail aus Deutschland war ich dann aber kurzzeitig sehr froh, dann nicht mehr dabei sein zu müssen. Die deutsche Lehrerin teilte uns einen (!) Tag nach der Bekanntgabe mit, es gäbe schon bei der Kontaktaufnahme Probleme. Sie leitete uns eine Mail einer besorgten Mutter weiter, unsere Schülerin hätte ihrer Tochter auf Snapchat nicht geantwortet, sie scheint ja überhaupt keinen Kontakt zu wollen, unter diesen Umständen kann sie ihre Tochter nicht mitfahren lassen. Wir stutzten, redeten mit unserer Schülerin, die völlig aufgelöst war, weil sie nur ein Problem mit ihrem Smartphone hatte und klärten das Ganze in zwei Minuten. Es ist mir ein Rätsel, wie man so sein kann. Ein besonders krasser Fall von Helikoptereltern, klar, aber mir fällt da gar nichts zu ein. Mir tut dieses Kind einfach nur leid. Ich hoffe, dass das Problem jetzt geklärt ist und unsere Schülerin trotzdem eine gute Zeit in Deutschland haben wird. Gut fand ich allerdings die Idee von Armin, der überlegte, einfach mal bei den Eltern in Deutschland anzurufen, wenn sie sich weiter sperren, und sich als Vertreter des Auswärtigen Amtes vorzustellen, der er als Fachschaftsberater ja auch ist, und die Eltern von der transkulturellen Wichtigkeit dieses Austauschs zu überzeugen. Fast schade, dass es dazu nicht kam, da hätte ich gerne dabeigesessen.

Noch während Amelie da war, erreichte mich eine existenziell wichtige Nachricht von meinem Bruder. Weil er anscheinend bei seinem Informatik-Studium nicht ausreichend ausgelastet ist und die ganze Zeit zu Unrecht über Stress gejammert hat, bestellte er sich im Internet irgendwo billig Computerspiele aus unserer Jugend. Unter Anderem „Die wilden Kerle – Abenteuer in den Graffitiburgen“, ein Spiel, das mich nachhaltig traumatisiert hat, da wir monatelang an einer Stelle nicht weiterkamen, bis wir es schließlich aufgaben. Jetzt versuchte mein Bruder es erneut, und bestimmt 8 Jahre später, kam er drauf, dass man den Müllsack an einer Stelle nur benutzen kann, wenn man Müll reinpackt. Ich frage mich gerade, warum ich euch das erzähle, aber es ist tatsächlich ein Trauma, das durchbrochen wurde. Kurzzeitig dachte ich, dass ich sofort nach Hause fliegen muss, aber ich kam wieder zur Vernunft und kann jetzt doch noch die paar Wochen warten. Dann allerdings…

Mit Amelie (das geht hier gerade chronologisch ein bisschen durcheinander, das ist der langen Zwischenzeit geschuldet, tut mir sehr leid) war ich zusammen mit Kurt abends einmal im Plaža, wo neuerdings ein Schüler von uns Gläser spült. Es war sehr schön, wie immer, keine Frage, aber dass einem dann am nächsten Tag in der Schule von eben diesem Schüler nochmal feinsäuberlich die ganze Bierbestellung aufgezählt wird, verdeutlicht noch einmal, wie klein Ulcinj ist und dass in der dörflichen Atmosphäre eben nichts unbemerkt bleibt. Von Anfang an habe ich mich aus Angst vor seltsamen Gerüchten nicht getraut, mir meine geliebten Baby-Gläschen zu kaufen, die ich in Deutschland in der Schule in den Pausen immer selbstbewusst gelöffelt habe.

Nachdem Amelie wieder weg war, bekam Kurt Besuch von seinen Schwiegereltern, die ich auch mal kennenlernen durfte. Als ich in irgendeinem Zusammenhang erwähnte, dass ich aus der Pfalz komme, erzählten sie mir so nebenbei, dass sie ja auch mal fünf Jahre in der Pfalz gelebt hätten. Ich war gleich begeistert und fragte wo genau. „In Frankenthal, das ist eine eher kleine Stadt.“ Da trifft man, 1700km von der Heimat entfernt, auf Leute, die deine kleine 50.000-Einwohner-Heimatstadt nicht nur kennen, sondern auch dort gelebt haben. Es ist eben doch eine missverstandene Weltmetropole.

Gleichzeitig mit ihnen kam auch Rexhep mal wieder nach Ulcinj, ein kosovarisch-deutscher Architekt, der vor ein paar Jahren in Ulcinj aus Versehen ein Haus gekauft hat, das er jetzt renoviert. Zu meinem Schrecken lässt er nicht von seinem (hoffentlich nicht ganz ernsten) Plan ab, mich hier zu verheiraten, aber von seinen kleinen Macho-Attitüden abgesehen, ist er doch ein lieber Kerl.

Er lieferte auch eine der besten Geschichten der letzten Zeit. Als nämlich Heidrun, Armins Freundin, letzte Woche mal wieder nach Ulcinj kam und mit ihr auch wie immer das schlechte Wetter, und wir uns alle kollektiv beklagten, meinte er nur trocken, dass es, als seine Freundin das letzte Mal kam, ein Erdbeben gab. Dann laufe ich doch lieber durch den Regen und werde mich auch nie wieder beschweren!

Und weil Mai grundsätzlich die beste Zeit ist, Ulcinj zu besuchen, war dann auch bei mir wieder Besuch angesagt. Meine Tante kam aus Deutschland und brachte mir, auf geheime Anweisung meiner Mutter, wundervolles deutsches Brot mit, dass mir den absehbaren Abschied von Ulcinj ein bisschen erleichtert hat, denn wie oft beschrieben, fehlt das hier eindeutig! Ich holte sie gemeinsam mit Jussuf, dem besten Taxifahrer von Ulcinj, in Podgorica vom Flughafen ab. Auf dem Weg erzählte ich Jussuf ganz stolz, dass ich, für meine Verhältnisse, schon ein bisschen Farbe bekommen habe. Er hielt seinen Arm neben meinen, lachte nur, und jedes Mal, wenn ich ihn seitdem gesehen habe, lacht er mich aus und sagt nur: „Weiß wie Schafskäse!“ Völlig verzweifelt schrieb ich das einer Freundin, die einfach ganz wundervoll antwortete: „Es gibt Menschen, die können nicht braun werden. Pinguine können auch einfach nicht fliegen.“ Ach Corinna, ich hab‘ dich lieb! :*

Mit meiner Tante spulte ich ein bisschen was vom üblichen Ulcinj-erster-Besuch-Programm ab, was aufgrund von schlechtem Wetter und einer kleinen Kreislaufkrise meinerseits nur bedingt funktionierte. Ich hoffe aber, dass es ihr trotzdem gefallen hat, der Balkonausblick entschädigt ja auch tatsächlich für vieles.

Während meine Tante hier war, kam das Ergebnis des Projektwettbewerbs des PAD. Ich hatte einfach mal auf gut Glück teilgenommen, rechnete mir auch nicht wirklich etwas aus, da ich ja im Grunde auch „nur“ Bücher in ein Klassenzimmer gestellt hatte. Wie erwartet war ich nicht unter den Preisträger_innen, ich hakte die Sache damit ab.

Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte, war, dass Kurt meine Projektbeschreibung unabhängig davon zum PAD weiterleitete. Und so bekam ich vor kurzem eine von Armin weitergeleitete Mail, mein Projekt sein „Projekt des Monats“ des PAD, und man würde sich bald bei mir melden, um ein Interview zu führen, dann würde das Projekt vorgestellt werden und ich bekäme eine offizielle Urkunde.

Um meine Gefühlswelt widerzuspiegeln, möchte in an dieser Stelle gerne festhalten, was ich meiner Mutter daraufhin auf WhatsApp schrieb. Da sie nicht sofort antwortete, uferte das Ganze zu einem virtuellen Selbstgespräch aus:

„Upps.
Ich hab aus Versehen was gewonnen…
Hoppla
Was mache ich denn jetzt?
Ich kann überhaupt kein Interview geben
Ich kann das nicht
Hilfe!
Ach du Sch****!
Die bisherigen Projekte sind alle so mega große Sachen
HILFE!!!
Bitte! Ich kann das nicht!
Bei den bisherigen Projekten sind es immer wahnsinnig internationale Projekte, europaweit, alles von Lehrern gemacht!
Aaaaaaaaaaah!
Ich will nach Hause!
Hol mich ab!“

Antwort meiner Mutter:
„?“

Ich denke, ihr bekommt einen Eindruck. Die Panik hat sich mittlerweile etwas gelegt, ich habe selbst auch noch nichts vom PAD gehört, aber ich weiß immer noch nicht, wie man ein Interview gibt, ich habe das noch nie gemacht. Mit meinem Bruder, dessen virtuelle Unterhaltung mit mir der mit meiner Mutter sehr ähnelt, einigte ich mich dann darauf, dass ich ja schon immer ganz gut schwafeln konnte, dass ich das also mit links schaffen werde. Mal sehen.

Am selben Tag kamen auch die Lehrer_innen aus ganz Europa, die zusammen mit Kurt an dem Erasmus-Projekt zu IPads im Unterricht teilnehmen. Die frohe Kunde meines Preises verbreitete sich dank Kurt recht schnell, sodass ich die Geschichte diverse Male in diversen Sprachen erzählen durfte. Ich begann meistens mit „I accidently won a price…“.

Das Projekt bescherte mir am Montag einen freien Tag, weil ich bei den Workshops nicht dabei sein musste, aber die Abende waren dafür umso lustiger.

Sonntags zeigte sich, dass sich Lokale in Ulcinj bei strömendem Regen schnell in Erlebnisrestaurants umwandeln. Wir beobachteten erst draußen die Gasse der Altstadt, auf der sich die Treppe in einen großen Wasserfall verwandelt hat, bevor uns die doch sehr undichte Decke zu wunderschönen Gesangseinlagen („Raindrops keep falling on my head“) inspirierte.

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Vom Wirt gab es als Entschädigung eine Flasche Rotwein umsonst und alle Gäste aus Europa erlebten Montenegro pur!

Sehr schöner Abend, und wer sich an seine Lehrer_innen als hauptsächlich spießige, unlustige und nervige Menschen erinnert, dem darf gesagt sein, wenn sie mal unter sich sind, geht es doch recht munter zu!

Dienstags veranstalteten wir dann unsere Showstunde mit den IPads. Wir luden die besten Schüler_innen aus den Klassen 1 und 2 ein und sammelten alle möglichen Interviewpartner, die wir finden konnten. Dann durften die Schüler_innen sich Fragen überlegen, mit den IPads die Interviews filmen und die Ergebnisse dann präsentieren. Es war wirklich toll, alle Gäste waren (verständlicherweise) von unseren Schüler_innen begeistert und die hatten auch viel Spaß. Das zeigt, dass man mit moderner Technologie Begeisterung wecken kann, die sonst nicht denkbar wäre.

Dazu wäre es allerdings von Vorteil, wenn die Stromversorgung zuverlässig wäre. Das ist in Ulcinj nicht immer der Fall. Oft gibt es mehrere Stromausfälle pro Woche, die, je nach Ursache, mal 20 Sekunden und mal 7 Stunden dauern können. Am Anfang hat mir das noch Kopfzerbrechen bereitet, mittlerweile nimmt man es nur noch zur Kenntnis. Umso lustiger war es für mich am Wochenende auf Facebook und über regionale Medien vom Stromausfall in meiner Heimatstadt in Deutschland zu lesen. Die Leute sind z.T. fast durchgedreht. Das war wirklich von meiner Sicht aus betrachtet äußerst amüsant.

Und wenn es mal keinen Strom gibt, kann man sich mit anderen angenehmen Dingen beschäftigen. Z.B. kann man schwimmen gehen. Das habe ich gestern zum ersten Mal in diesem Jahr getan. Weil Montenegro seinen 10. Geburtstag gefeiert hat, hatte ich schulfrei und stiefelte vormittags zum Strand. Als ich allerdings meinen Fuß ins Wasser streckte, dachte ich daran, wieder umzukehren. Es war wirklich noch arschkalt! Dann half mir allerdings die Tatsache, dass Liman 1, mein Lieblingsstrand, ein Kiesstrand ist. Ich stand bis zu den Knien im Wasser, rutschte aus und plumpste direkt rein. Als ich sowieso schon nass war, entschied ich mich dann doch zu schwimmen und es war ganz wundervoll. Ich genoss noch ein bisschen den Sonnenschein, bevor ich wieder auf den Heimweg machte und mal anfing, meine Unibewerbung auszufüllen, damit ich, wenn ich in etwa einem Monat nach Hause komme, nur noch das Nötigste machen muss.

Bis dahin versuche ich, die Zeit hier mit so wenig Heimweh und so wenig Abschiedsschmerz wie möglich zu genießen, was schwer genug ist und mich sicherlich ausreichend in Anspruch nehmen wird, auch wenn meine liebe bayerische Schwalbe Alex mich auf hervorragende Art und Weise getröstet hat, ich sähe ja bei ihr, dass man Ulcinj nicht verliert…
Das hilft!

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