Gute Neuigkeiten: Es gibt wieder Hanuta!

Im Grunde hielt ich mich für einen charakterlich einigermaßen gefestigten Menschen. Doch meine innerliche Reaktion, als ich letzten Samstag im Supermarkt entdeckt habe, dass es wieder Hanuta gibt, lässt mich daran zweifeln.

Das alles hat natürlich eine Vorgeschichte. Ich wünschte mir von meinen Eltern, als sie vor ein paar Wochen zu Besuch kamen, ein paar Sachen, die ich hier wirklich vermisse. Sie brachten mir auch alles mit, sogar mit deutschem Brot kamen sie an, aber leider verwechselte meine Mutter Hanuta und Nutella, sodass ich nun einen unerschöpflichen Nutella-Vorrat habe, aber eben immer noch kein Hanuta. Kurt wollte mir dann aus Deutschland welches mitbringen, aber er hatte es auch vergessen.

Ich saß also weiterhin auf dem Trockenen. Mein Plan war, zu warten, bis meine Tante im Mai kommt, aber das ist ja noch eine soooooooo (als ich den Text vor dem Veröffentlichen nochmal durchgelesen habe, habe ich hier noch ein paar oooos hinzugefügt) lange Zeit. Entsprechend euphorisch meine Reaktion am Samstag, als ich es ohne Vorwarnung im Regal liegen sah. Ich schwelge nun also schon seit ein paar Tagen in der perfekten Mischung von Nuss, Schoko und Keks (nein, ich bekomme kein Geld für diese Werbung, das stellt mein Innenleben dar) und musste es auch gleich der ganzen Welt mitteilen. Ich gehörte nicht zu den Leuten, die ihr Essen mit allen teilen müssen, aber diese frohe Botschaft musste verkündet werden.

Nachdem ich jetzt drei Abschnitte nur über Hanuta geschrieben habe, will ich euch doch noch mit weiteren freudigen Entwicklungen beglücken.
Ich habe endlich meinen Rückumzug gemeistert, jetzt bin ich wieder „zurück im Paradies“.

IMG_20160420_121551245

Die Bauarbeiten meiner Vermieter sind endlich abgeschlossen und ich konnte wieder in meine alte Wohnung. Die ist zwar ein bisschen kleiner und ein bisschen weniger komfortabel, aber der Meerblick entschädigt für alles.

Sogar für meine Gehirnerschütterung, die ich mir beim Packen zugezogen habe. Das ist aber auch lebensgefährlich, da könnte einem ja mal einer mitteilen. Wenn ich im Sommer packe und wieder nach Hause fahre, dann nur mit Sturzhelm! Man sollte eben nicht alle Schranktüren offen lassen und dann drunter etwas fallen lasse, sodass es beim Aufstehen zum Unausweichlichen kommen musste. Ich ging nur von einer dicken Beule aus, als ich jedoch, über meinen gewöhnlichen Dachschaden hinaus, seltsame Dinge dachte und tat, entschied ich mich dann doch dafür, zwei Tage im Bett zu bleiben. Da passte es ganz gut, dass Kurt und Armin nach Belgrad zur Fachberatertagung fuhren und ich sowieso frei hatte.

Am Mittwochnachmittag übernahm ich noch den Unterricht der Erstklässler im Gymnasium, wir schauten einen Film, aber Donnerstag und Freitag war Schongang angesagt. Vor allem, weil ich am Samstag mit Merve, der neuen Freiwilligen aus Tirana in Shkodra zum Kaffeetrinken verabredet war. Da ich um den Straßenzustand und die Rambohaftigkeit der Busfahrer weiß, ging es ohne Frühstück los Richtung Shkodra.

Weil wir aufgrund des suboptimalen Busfahrplans nur zwei Stunden Zeit hatten, beschränkten wir uns tatsächlich aufs Kaffeetrinken und Quatschen. Es war sehr schön, aber wirklich zu kurz. Um vier Uhr ging der letzte Bus und ich machte mich auf den Rückweg. Schon dann war der Tag als gelungen zu bezeichnen, aber, um nochmal auf den Anfang zurückzukommen, es war auch der Hanuta-Tag, also alles in allem eine runde Sache!

Am Montag erreichte mich dann die freudige Nachricht, dass ich voraussichtlich nächste Woche Besuch von der lieben Amelie aus Slowenien bekomme. Darauf freue ich mich schon sehr, denn das bedeutet automatisch die besten Gespräche. Wenn man unsere hochphilosophischen WhatsApp-Konversationen über wortwörtlich Gott und die Welt als Maßstab nimmt, kann das nur gut werden. Gesucht wurden (und werden) Antworten auf folgende Fragen:

– Was könntest du länger betrachten, den Himmel an einem schönen Tag oder das Meer?
– Wenn alle die gleichen Werte hätten, würden sie dann durchgesetzt werden?
– Was sind eigentlich deine Werte?
– Was sind Werte generell?
– Zählen die Wolken eigentlich auch zum Himmel?

Alle, die bei unserem Zwischenseminar dabei waren, werden nicht überrascht sein, wenn wir uns an unser absolut legendäres Psycho-Spiel erinnern. Im Zuge dessen hätten wir auch noch gerne eine Antwort auf die Frage:

– Macht es dir Angst, dass es in der Tiefsee Fische gibt, die ohne Licht leben können?

Ich bin jedenfalls voller Vorfreude!

So nach und nach kommt auch tatsächlich die beste Zeit, Ulcinj zu besuchen. Mir wurde zugetragen, dass es wohl schon todesmutige Schwimmer gibt. Ich habe noch keinen Versuch gestartet, aber lange wird es nicht mehr dauern. Meine Haut ist von Dauerzustand des Sonnenbrands tatsächlich schon zu einer Art von Bräunung übergegangen, was für mich sehr untypisch ist, da ich eigentlich immer nur rot werde und dann wieder weiß.
Dann kann ich zumindest ein bisschen angeben, wenn ich im Sommer nach Hause komme.

Zu Hause, das ist das richtige Stichwort, was ich mir in einer, wie ich finde, mal wieder atemberaubenden Überleitung selbst gegeben habe.

Der Film, den ich mit meinen Einsern geschaut habe, war Almanya. Es geht um die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland. Erzählt wird es anhand einer türkischen Familie. Gerade die dritte Generation ist im Film auf der Suche nach ihrer Identität und ihrer Heimat. Das nahm ich zum Anlass, die Schüler über ihre Heimat schreiben zu lassen. Die Ergebnisse waren wirklich interessant.
Die montenegrinischen Schüler haben in der Mehrzahl, aber auch nicht alle, Montenegro als Heimat bezeichnet. Es ist Patriotismus vorhanden und auch ein noch recht junges Nationalbewusstsein, sie waren vor allem stolz auf die Schönheit ihres Landes.
Die albanischen Schüler, die zwar montenegrinischen Staatsbürger sind, als Nationalität aber trotzdem immer Albanisch angeben, haben alle Ulcinj als Heimat bezeichnet. Sie sind hier geboren und haben hier ihr ganzes Leben verbracht, viele haben keine Beziehungen nach Albanien. Deshalb ist die Heimat dann kein Land, sondern eine Stadt, deren Multikulturalismus unverrückbarer Teil der Identität ihrer Bewohner zu sein scheint.

Auch wenn ich jetzt schon ziemlich viel Zeit hier verbracht habe und das Leben mittlerweile zur Normalität wurde, bin ich davon immer wieder beeindruckt. Das friedliche Nebeneinander, aber vor allem das Miteinander, die Vermischung von Traditionen und Sprachen, die Offenheit und die Toleranz, sind immer wieder inspirierend.

Ich habe in diesem Blog viele Worte darüber verloren, wie toll das Land Montenegro ist. Ich habe viel von Ulcinj geschwärmt, aber auch von Montenegro im Ganzen. Heute bin ich jedoch durch Kurt auf einen Artikel gestoßen, der mir wieder deutlich gemacht hat, dass die Begeisterung für das Land Montenegro zwar berechtigt ist, für die Menschen, die Natur, das Essen und all das, man die Bezeichnung „Land“ aber strikt von der Bezeichnung des „Staats“ trennen muss.
Was politisch und wirtschaftlich hier geschieht, ist das größte Hemmnis für alle wundervollen Menschen, die dieses Land beherbergt. Hier ist ein Link zu einem Artikel über die Saline in Ulcinj, die eines der größten und wichtigsten Vogelschutzgebiete Europas sein sollte und die, durch kriminelle Machenschaften bis hinein in die höchsten politischen Ebenen, zu einer Hotelanlage werden soll.

http://www.badische-zeitung.de/ausland-1/die-schandtaten-der-regierung-montenegros–120913088.html

Der Verlust wäre enorm, sowohl für die Umwelt und die Vögel als auch für das touristische Ansehen Ulcinjs und Montenegros.

Diese Verbrechen stehen exemplarisch für vieles, was in den letzten Jahren hier passiert ist. Speziell das Baugewerbe in Verbindung mit der Tourismusindustrie ist so mächtig und korrupt, weil so enorm viel Geld im Spiel ist, dass scheinbar alles möglich scheint. Und es scheint nicht so, als hätte der Irrsinn ein Ende. Die Küste wird immer mehr zugebaut, ausländische Investoren kaufen viele Hektar Land, es wird teilweise Brandrodung betrieben und die Umweltschützer scheinen machtlos.

Zenepa, die stellvertretende Bürgermeisterin von Ulcinj, erzählt immer mal wieder, mit was sie sich rumschlagen muss, um katastrophale Projekte zu verhindern. Es ist ein Kampf gegen Windmühlen, denn die reiche Elite im Land agiert offenbar skrupellos und vor allem schnell, sodass oft nicht mal das schlimmste verhindert werden kann.

Jeder der Montenegro in seiner ursprünglichen Schönheit sehen will (was sich im Übrigen wirklich lohnt), sollte das bald tun, denn wenn die aktuelle Entwicklung nicht gestoppt wird, könnte es sein, dass nicht mehr viel davon übrig bleibt.

Das macht mich unheimlich wütend und traurig, denn ich habe mich in dieses Land und in diese Stadt verliebt und würde sehr gerne wieder kommen. Wenn mich dann allerdings in Ulcinj eine Hotelhölle von Budva’schen Ausmaßen erwartet, ist es nicht mehr das Ulcinj, was ich viel zu bald verlassen werde.

Zur Werkzeugleiste springen