Mission accomplished!!!

Bevor ich meinen Freiwilligendienst angetreten habe, habe ich mich oft gefragt, was ich denn damit erreichen will. Auch im Laufe meines Aufenthalts in Ulcinj begegnete ich dieser Thematik immer mal wieder bei meinen Selbstreflexionen.

Ob es mir gelingt, die Welt zu retten? Oder zumindest endlich selbstständig zu werden? Oder nur meinen Schüler_innen irgendetwas Brauchbares mit auf den Weg zu geben? Was kann ich denn in einem Jahr schaffen? Nun ja, an Ersterem arbeite ich noch. Das zweite ist mir zumindest in Ansätzen gelungen, wenn ich nicht mal wieder versuche, Bratkartoffeln zu machen und dabei fast meine Wohnung, ganz sicher aber meine Bratpfanne zerstöre!
Doch jetzt, wo ich mein Freiwilligenprojekt vorerst beendet habe, erlaube ich mir, schon eine ganze Weile vor dem Ende meiner Zeit in Montenegro, ein positives Fazit zu ziehen.

Ich muss vorneweg sagen, dass ich von dem Thema „Freiwilligenprojekt“ zunächst nur genervt war. Es hing immer so drohend über einem, dass man sich unbedingt etwas ausdenken muss, nur um den Vorgaben zu entsprechen. Entsprechend hilflos waren meine Bemühungen beim Zwischenseminar im November. Ich wollte eigentlich durch die Gegend fahren und Fußballspiele besuchen. Ich finde diese Idee immer noch grandios, was ich allerdings nicht mit einberechnet hatte, war das Abschneiden meines Herzensclubs in Deutschland. Der Niedergang des FCK, und angesichts eines Abstiegskampfs in der zweiten Liga bei einem vierfachen deutschen Meister kann man durchaus von einem Niedergang sprechen, nagt an meinem Fußballherz und hinterlässt tiefe Furchen, die durch alles, was mir über Fußball begegnet, nicht gestopft, sondern weiter ausgehöhlt werden. Kurz gesagt, die Motivation, sich Fußballspiele anzusehen, ging und geht gegen Null. Also verwarf ich diesen Plan und machte mir erstmal keine Gedanken mehr. Man hatte uns ohnehin versprochen, die Projekte würden uns so oder so einfach begegnen. Das habe ich immer skeptisch gesehen, doch ich verließ mich darauf.

Das war eine sehr gute Entscheidung, denn das, was ich jetzt als mein Projekt betrachte, ist mir auch zugestoßen.

Es begann mit der Nachricht von Kurt, er bzw. ein Freund von ihm hätte in Deutschland ein paar Bücher gesammelt, die wir in Ulcinj der Bibliothek schenken würden. Nach und nach kamen mir/uns Ideen, wie man ein bisschen Leben in diese Tatsache bringen könnte. Wir beschlossen, auch ein paar der Bücher mit in die Schule zu nehmen, damit die Schüler_innen davon profitieren können. Immerhin existiert auch eine Schulbibliothek, warum nicht also auch dort ein paar deutsche Bücher hinstellen…

Weil uns aber eine Schülerin deutlich mitteilte, dass eigentlich keiner, aus welchen Gründen auch immer, gerne in die Bücherei geht, besorgten wir ein Regal für den Deutschraum, das als unsere eigene kleine deutsche Bibliothek dienen sollte.
Wir entschieden, die Bücher während des Austauschs mit dem Bus nach Ulcinj zu bringen. Das war die beste Gelegenheit und dazu auch noch kostenlos. Als wir allerdings erfuhren, was sich da an der Bücherfront zusammengebraut hatte, wurden wir doch etwas unsicher. 30 Kisten!
Doch der gemeine Busfahrer aus Ulcinj scheint grundsätzlich ein Tetris-Genie zu sein, sodass wir tatsächlich alle Kisten, unser Gepäck und uns wieder mit nach Ulcinj nehmen konnten. Dort halfen uns ein paar Schüler bereitwillig an einem Samstag, die Kisten in die Bibliothek zu schleppen, wo ich sie dank der Hilfe meiner hochgeschätzten Büchereidamen in Rekordzeit sortieren konnte, wie ich bereits in diesem Eintrag berichtete.

Am Dienstag war es dann so weit: Wir konnten die von mir aussortierten Bücher in die Schule bringen. Dort lagerten wir sie erstmal in den Kisten, bevor ich sie am Freitag ins Regal sortieren wollte.
Als ich allerdings am Freitag in den Raum kam, wurde mir bewusst, dass das etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, als ich gedacht hatte. Es herrschte totales Chaos. Ich befürchtete das schlimmste, bis mir Kurt beichtete, dass es unsere Schüler_innen waren, die am Mittwochnachmittag, als ich nicht dabei war, alles durcheinander gebracht hatten. Sie kamen, sahen und stürzten sich voller Begeisterung auf die Bücher. Am liebsten wollten sie alle gleich drei oder vier mit nach Hause nehmen und sich fünf oder sechs weitere für die Sommerferien reservieren.
Ich scheuchte erstmal alle weg und sortierte vor mich hin. Ich stellte fest, dass schon einige Bücher fehlten. Es erschreckte mich, kann man den Jugendlichen doch nicht trauen? Die Auflösung kam heute, als Armin mir eine Liste von Büchern schickte, die sich seine Schüler_innen gleich gekrallt hatten.
Als ich fertig mit Sortieren war und die Bücher, die wir auf Wunsch der Schüler_innen neu gekauft hatten, auch noch in meine schlaue Liste aufgenommen hatte, fehlte ein wichtiges Buch, was sich ein Schüler unbedingt gewünscht hatte. Er wollte ein Buch, das erklärt, wie Autos funktionieren und ich fand ein ganz tolles von Frag-doch-mal-die-Maus. Ich überlegte schon, wie ich es ihm schonend beibringen sollte, da kam er auch schon ins Klassenzimmer, ging ohne seine Sachen abzulegen an den Schrank, holte das Buch, dass es am Mittwoch dort versteckt hatte, damit es kein anderer ausleiht, heraus, lief zu mir und machte mir unmissverständlich deutlich, dass er dieses Buch jetzt auf der Stelle ausleihen muss und nicht mehr warten kann. Die Schüler_innen waren am Ende der Pause nicht auf ihre Plätze zu bekommen, weil jeder mindestens ein Buch ausleihen musste und unsere Sammlung genauestens inspiziert werden musste. Sogar schlechte Schüler, die sonst nicht durch übermäßige Motivation auffallen, nahmen sich ein Buch mit.
In der Grundschule ein ähnliches Bild, auf unsere Ankündigung, sie könnten sich etwas ausleihen, wollten am liebsten gleich alle auf einmal zu mir in den Nebenraum stürmen und den Schrank plündern.

Soll das die schon so oft aufgegebene Generation von verblödeten, handysüchtigen Ignoranten mit Literaturallergie sein? Ich habe ja ehrlich gesagt selbst nicht an eine so überwältigende Resonanz geglaubt. Ich rechnete natürlich fest mit unseren Überfliegern, die so gut Deutsch sprechen, dass sie sich im Unterricht dauerhaft langweilen. Aber diese Menge an jungen Menschen, die unbedingt Lesen wollen, überraschte selbst mich, die ich eigentlich immer nur das Beste von unseren Schüler_innen erwarte! Der Schrank in der Grundschule ist halbleer und auch das Regal im Gymnasium weist deutlich sichtbare Lücken auf.

Ich kann also sagen, egal, was ich mir für dieses Jahr vorgenommen habe und was mir vielleicht nicht geglückt ist, ich habe meine Schüler zum Lesen gebracht. Ich habe eine Mission erfüllt, ihnen etwas mit auf den Weg gegeben und wenn nur ein Bruchteil der Schüler_innen beim Lesen bleibt, haben wir schon gewonnen.

Hiermit betrachte ich mein Freiwilligenprojekt als vorerst abgeschlossen! Vorerst, weil in meinem Kopf immer noch neue Ideen herumspuken, was man noch machen könnten. Dafür reicht vermutlich meine Zeit hier nicht mehr aus, aber ein bisschen rumspinnen hat noch nie geschadet.

Ansonsten geht hier alles seinen gewohnten Gang. Die Zeugnisnoten sind alle verteilt und die Zeugniskonferenzen vorbei! Noch kamen keine Beschwerden, scheint also diesmal alles in Ordnung zu sein.
Ich lebe so vor mich hin und warte jeden Tag darauf, dass es endlich Sommer wird und man es nicht nur in der Sonne ohne Jacke aushalten kann.

Eine lustige Geschichte muss ich noch erzählen. Jeden Dienstag und Freitag ist in Ulcinj Markt. Nach anfänglichen Berührungsängsten gehe ich jetzt doch ab und zu hin, um Obst und Gemüse zu kaufen. Diesen Freitag wollte ich mir Gurken und Tomaten besorgen. Dieser Plan ging dann aber nur bedingt auf. Ich hatte zwar Gurken und Tomaten, aber dazu auch noch Birnen, Orangen, Äpfel, Erdbeeren und Frühlingszwiebeln. Die Hälfte davon habe ich nicht mal bezahlt, aber ich kann nicht erklären, wie mich die Marktfrau (ich habe schon meine persönliche, die mich kennt und immer sehr freudig begrüßt) jedes Mal wieder dazu bringt, mehr zu kaufen als ich eigentlich will. Ich weiß nicht, ob sie mir aus der Ferne Vitaminmangel diagnostiziert hat, das halte ich für relativ unmöglich, oder ob ich nur ein Opfer ihrer geschickten Verkaufsstrategie bin, was ich auch für relativ unwahrscheinlich halte, weil sie mir das meiste Zeug immer schenkt. Nach Hause kam ich dann auf jeden Fall hiermit:

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Ich wünsche euch allen ein gesundes Wochenende!

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