Die Geschichte eines kenianischen Mädchens

Eines Tages, als ich im Deutschraum saß und auf Internet wartete, kam eine Schülerin in Form 1, ich nenne sie Anne. Sie fragte, ob sie hierbleiben darf.

Ich hatte nichts dagegen und sie setzte sich. Nach einiger Zeit fing sie an mir etwas zu erzählen was ich anfangs nicht verstand und was mich am Ende sehr traurig stimmte.

Sie hat eine Schwester, eine Mama und eine Oma. Bei der Oma lebt sie in den Ferien und diese Oma scheint mir wie ein Diktator über die Familie zu herrschen. Annes Schwester ist nur ihre Halbschwester, da sie von verschiedenen Vätern sind. Anne kennt ihren Vater nicht und der Vater ihrer Schwester wohnt in den USA, dorthin will auch die Schwester gehen, wenn sie mit der Schule fertig ist.

Anne möchte das nicht, weil sie dann alleine ist. Ihre Mama will wohl auch nicht so viel von ihr wissen, denn wenn sie mal bei ihrer Mutter ist, verzieht sich die Mutter, macht Sport oder sonst irgendwas, aber sie verbringt keine Zeit mit ihrer Tochter. Selbst als diese krank war, ist sie außer Haus gegangen. Am schlimmsten ist aber die Oma.

Anne muss putzen, im Garten arbeiten und was weiß ich alles machen, darf nicht mit Freundinnen spielen, darf keine Bücher lesen, darf im Gottesdienst nicht Klavier spielen, darf nicht zur Jugendgruppe gehen, darf Garnichts. Auch das Essen ist nicht das Beste bei der Oma, das liegt aber nicht daran, dass die Oma kein Geld hat, sondern daran, dass sie so geizig ist.

Selbst das Geld, was Anne als Belohnung für einen Dienst in der Schule bekommen hat, hat Anne nie gesehen, weil es die Oma genommen hat. Und der Pokal, den Anne auch dafür bekommen hat, steht in dem Schlafzimmer der Großmutter, nicht in Annes Zimmer.

Auch in der Schule wird Anne schlecht behandelt. In Kaaga musste sie schon einmal für einen ganzen Tag Mais ernten, für eine Sache, die sich nicht getan hat. Aber die Schülerin, die sie entlasten hätte können hat das erst getan, als der Tag schon vorbei war. Ich würde sagen, dass sie gemobbt wird. Immer wenn es Unruhe gibt, sagen die Schülerinnen ihren Namen, auch wenn sie unschuldig ist.

Als sie mir das alles erzählt hat, sah ich die ganze Zeit, dass ihr das Wasser in den Augen stand und ich sagte ihr, dass sie ruhig weinen soll, wenn ihr danach ist. Das hat sie dann auch gemacht und ich habe sie in den Arm genommen und getröstet.

Da sagte sie mir, dass sie sich nicht an den Tag erinnern kann, als ihre Mutter sie das letzte Mal in den Arm genommen hat. Und weil sie so traurig war, versprach ich ihr meine Flöte zu schenken, wenn ich gehe. Da kam dann der nächste Schock für mich: „Ich habe noch nie etwas von meiner Mama oder Oma geschenkt bekommen.“ Unvorstellbar!!!

Ich verstehe nun, dass sie meine Nähe sucht. Jemanden zum Reden, jemanden, der sie so nimmt wie sie ist, jemandem dem sie vertrauen kann. Mir hat das gezeigt, dass Geld nicht alles ist im Leben. Wenn es in einer Familie an Liebe fehlt, ist es um einiges schlimmer, als Geldmangel.

Liebe kann man nicht kaufen oder verkaufen, man kann Liebe nur geben und empfangen ohne dass Geld im Spiel ist.

Liebe ist etwas sehr kostbares und ich bin froh, dass meine Familie mich liebt und ich meine Familie lieben kann. Und meine Liebe ist so groß, dass ich sie auch mit meinen Freunden teile und ich bekomme so noch viel mehr zurück.

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2 Antworten zu Die Geschichte eines kenianischen Mädchens

  1. Ib Zongo sagt:

    Traurige Geschichte.
    Ich find das immer krass wie unsere Gesellschaft niedergeht. Das kleine Mädchen ist bestimmt froh, dass sie jd wie du jetzt an ihrer Seite hat…

  2. Conny sagt:

    🙁 Allein vom Durchlesen bin ich traurig….Da kann man sich, wie du geschrieben hast, echt glücklich schätzen, wenn man eine tolle Familie hat!

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