Die Wahl

Die Wahl

Guten Abend zusammen,

obwohl man ja nicht unbedingt von einem „guten“ Abend sprechen kann – kein guter Abend für Deutschland, kein guter Abend für die Demokratie, kein guter Abend für Toleranz und Weltoffenheit. Auch hier, 10.000 km weg von der Heimat, sitzen Schock und Fassungslosigkeit tief über das Wahlergebnis einer rückwärtsgerichteten, nationalistischen, klimawandelleugnenden, fremdenfeindlichen, intoleranten und rechten Partei, der sechs Millionen Menschen ihre Stimme –  ihr wichtigstes demokratisches Gut – gegeben haben.

In der letzten Woche ging es mir oft durch den Kopf, dass uns Freiwillige diese Wahl doch besonders interessieren müsste. Reisen wir doch im Namen Deutschlands in viele Länder dieser Erde. Werden wir doch finanziert von offiziellen Mitteln des deutschen Staates. Vertreten wir doch ganz besonders die Werte unseres Landes: Toleranz, Weltoffenheit, Völkerverständigung. Und dann sitzt ab sofort eine Partei als drittstärkste Kraft im deutschen Parlament, die alle diese Werte, die wir teilen und repräsentieren, verneint!? Eine Partei, die Abschottung, Isolation und Fremdenhass gegenüber dem internationalen Austausch vorzieht!? Nein, diese Partei gehört nicht zu dem Deutschland, dass ich kenne und liebe und für das ich hier bin, das ich hier vertrete. Dieses Deutschland ist weltoffen, freundlich, bunt, fortschrittlich, tolerant und freiheitlich. Und dieses Deutschland möchte ich hier, in Namibia, einem Land, dass unter der Kolonialherrschaft des alten Deutschlands enorm gelitten hat, zeigen! Gerade im Angesicht dieses Wahlergebnisses erscheint unsere Aufgabe als Freiwillige doch noch viel wichtiger. Wir sind der Beweis, dass Verständigung unter Völkern, Austausch von Kulturen und grenzüberschreitende Freundschaften nur ein Gewinn für uns alle ist. Wir zeigen doch, dass eine Politik der Abschottung, wie sie von vielen weiteren aktuell betrieben wird, falsch ist und dass das Fremde doch nur ein Schatz ist, der darauf wartet gefunden zu werden. So nehme ich es zumindest war und mache jeden Tag neue, wertvolle Erfahrungen und wachse!

So erlebte ich meine erste ganze Arbeitswoche. Ich besuchte meine Schule das erste Mal. Saß das erste Mal im Afrikaans-Kurs. Sang Karaoke in einer Bar. Bereitete meinen ersten eigenen Unterricht vor. Spielte das Autobahnspiel mit den Schülern der Windhoek High School. Sah Filme von Fatih Akin beim Film-Screening im Goethe-Institut. Bereitete mich auf meine Rolle als Fußballtrainer für das EUNIC-Football-Tournament nächste Woche vor. Hatte meine erste eigene Wohnungsbesichtigung. Kostete verschiedene namibische Gerichte auf dem Heritage-Food-Market im Franco-Namibischen Kulturinstitut. Wusch meine erste eigenen Wäsche und war Bogenschießen in der landschaftlich eindrucksvollen Umgebung Windhoeks. Was kann es schöneres geben, als das Fremde, das Neue, das Ungewisse, das Internationale, der Austausch und das Weltoffene?

Wenn wir schon über Politik sprechen, würde ich gerne einen kleinen Überblick über das politische System Namibias geben, um mal von der deutschen Tristesse wegzukommen. Seit der Unabhängigkeit 1990 ist Namibia eine demokratische semipräsidiale Republik. Der Präsident wird alle fünf Jahre neu gewählt. Aktuell ist Hage Geingob Präsident der Republik Namibia. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, dem Nationalrat mit den Vertretern der Regionen und der Nationalversammlung, dem gewählten Parlament. Die Mehrheit im Parlament hält die Partei SWAPO (South-West Africa People’s Organisation), die vorher als Befreiungsorganisation für Namibias Unabhängigkeit von Südafrika kämpfte. Premierministerin ist Saara Kuugongelwa-Amadhila von der SWAPO. Auch wenn die SWAPO sehr dominant im politischen System ist und somit fast ein Einparteiensystem herrscht, ist Namibia eine funktionierende Demokratie, in der verschiedene Institutionen diese auch fördern, trotzdem gibt es autoritäre Tendenzen. Als Judikative wacht das Supreme Court über die Einhaltung der Verfassung.

Wieder etwas neues gelernt:) In der nächsten Woche fange ich endlich richtig an in der Schule. Und viele weitere Erfahrungen warten darauf gemacht zu werden. Zum Beispiel: Meine erster Umzug hier!

Jetzt gilt es erstmal das Wahlergebnis zu verarbeiten und weiterzumachen! Denn hier weiter das bunte, moderne Deutschland zu repräsentieren ist die beste Antwort auf den heutigen Tag!

In diesem Sinne wünsche ich Euch eine schöne Woche und alles Gute, bei allem was Ihr macht!

Liebe Grüße ins kalte Deutschland aus der namibischen Sonne:) (Ich schicke Euch etwas Wärme mit, die könnt Ihr vielleicht gebrauchen!)

Euer Jonathan

 

 

 

Dieser Artikel hat 1 Kommentar

  1. Ganz toll geschrieben Jonathan! Ich wünsche dir noch eine tolle Zeit mit vielen wertvollen Eindrücken! LG Tanja

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