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Was ich als Freiwilliger so mache

Zwischenseminar – Odessa

Fünf Tage können eine lange oder eine kurze Zeit sein, es kommt ganz auf die Umstände an. Für mich vergingen sie wie im Flug. Obwohl ich alle kulturweit Freiwilligen lediglich während des zweiwöchigen Vorbereitungsseminars kennengelernt hatte, fühlte sich das Wiedersehen wie das langjähriger Freunde an.

Allein der Komfort mit Muttersprachlern eine Konversation zu halten wird unterschätzt. Trotz hochqualifizierter Lehrer und leistungsstarker Schüler gibt es einen minimalen Unterschied in einer Unterhaltung. Vielleicht ist es der vertraute deutsche Akzent oder auch Umgangssprache und Slang, auf jeden Fall war es erfrischend.

Unsere Seminarthemen waren grundsätzlich von kulturweit vorgegeben, doch bestand die Möglichkeit auf individuelle Themen einzugehen. Wir verbrachten die ersten Treffen damit, unsere Erfahrungen auszutauschen, Probleme anzusprechen und Kekse zu essen.

Unsere Teamer bestanden aus Matze und Mika und insgesamt waren wir achtzehn Freiwillige. Ursprünglich sollten wir zwanzig sein, doch zwei Freiwillige aus Belarus hatten noch nicht das erforderliche Visum erhalten, was die erneute Einreise gestattet.

Die Berichte der anderen waren abwechslungsreich und in keinster Weise langweilig. Bestimmte Erfahrungen hatte zwar jeder von uns gemacht, aber jeder auf unterschiedliche Art und Weise. Besonders die Aktivitäten, die die Freiwilligen an ihren Schulen ausführten, weckten mein Interesse. Eine Freiwillige sprach beispielsweise von einem organisierten Briefwechsel zwischen einer Klasse in ihrer Einsatzstelle und einer Schulklasse ihrer alten Schule in Deutschland.

Auch Probleme konnten unterschiedlich auftreten. Speziell angesprochen wurden Probleme mit der Unterkunft, Kultur und Einsatzstelle. Wie sage ich nein? Mit dieser Frage waren erstaunlich viele der Freiwilligen konfrontiert.

Darüber hinaus war eins der größten Probleme tatsächlich Unterbeschäftigung und nicht Überarbeitung. Viele Freiwillige berichteten davon, stundenlang in der Schule zu sitzen ohne eine Aufgabe zu haben. Ansätze für Projekte werden abgelehnt. Auch nach einem Gespräch mit der Ansprechperson findet keine Veränderung der Situation statt. Was ist die Lösung?

Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach und individuell für jeden Freiwilligen, jedoch haben wir der Problematik viel Zeit gewidmet und hoffentlich manchen Freiwilligen weitergeholfen.

Wir richteten unseren Blick auch in die Zukunft und sprachen über unsere geplanten Freiwilligenprojekte. Manche hatten erst Ideen, andere waren bereits mitten in der Planung. Meine Idee, etwas mit Poetry Slam zu machen, wurde gut aufgenommen.

Abgesehen von der Arbeit hatten wir ebenfalls ein paar kreative Treffen am Abend. Improvisationstheater stand auf dem Programm! Schon während unserer gemeinsamen Treffen hatten wir die ein oder andere Übung, um Problematiken aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und dabei eine Menge Spaß. Für die Abendaktion existierte keine Anwesenheitspflicht, trotzdem erschien der Großteil der Freiwilligen.

Der aufregendste Programmpunkt war die Stadtführung durch Odessa. Das Hotel lag abseits vom Stadtzentrum. In der Nähe befanden sich mehrere Einkaufsmöglichkeiten für hungrige Personen, doch lohnenswert wurde der tägliche Spaziergang aufgrund der Nähe zum Meer. In der Mittagspause schlenderte man genüsslich am Strand entlang und bestaunte die mutigen Menschen, die sich trotz kalter Temperaturen ins Wasser wagten. Die Innenstadt zu erreichen war umständlich.

Mit dem gemieteten Bus machten wir uns auf den Weg und unsere Tourführerin erzählte bereits während der Fahrt von der Geschichte der Ukraine. Wir besichtigten zahlreiche besondere Plätze, genossen den Blick auf den Hafen, standen am Rande der potemkinschen Treppe und bestaunten das Opernhaus. Die Freizweit am Ende der Tour nutzen wir dazu, durch die Straßen des Zentrums zu spazieren und uns einen Eindruck von der Architektur und den Menschen auf den Straßen zu machen.

Das Zwischenseminar war ein anregendes Ereignis, man kam voller Erlebnissen, die man teilen wollte und ging voller neuer Ideen, die man starten wollte.

Die ersten Wochen als Freiwillige

Am Dienstag erhielt ich meinen Stundenplan. Meine wichtigste Aufgabe in der ersten Woche ist, Dalia bei der Vorbereitung auf das Finale von „Jugend debattiert international“ zu unterstützen, welches vom 25. – 30. September in Tallinn in Estland stattfindet. Ich betreibe Recherche im Internet, trage Argumente über die Themen zusammen und treffe mich ein paar Mal mit Dalia, um diese zu besprechen. Dalia ist bereits Landessiegerin von „Jugend debattiert international“ in Litauen. Nur war sie zusammen mit Lina in der letzten Woche für das Finale der „Lesefüchse international“ in Berlin und konnte sich nicht auf die Debatten vorbereiten. Jetzt muss sie gleichzeitig zur Vorbereitung auch noch ganz viel Unterricht nacharbeiten. Das ist sehr viel, allein für ein einziges Fach hat sie zwanzig Arbeitsblätter erhalten. Generell ist mir aufgefallen, dass die SchülerInnen sehr viele Hausaufgaben aufbekommen. Auch meine Gastschwester ist jeden Tag mehrere Stunden mit den Hausaufgaben beschäftigt.

Jeden Tag treffe ich mich in der fünften Stunde mit SchülerInnen aus der achten Klasse, um sie auf ihre Prüfung für das DSD Stufe A2 vorzubereiten. Es gibt einen vorgefertigten Fragenkatalog mit Gesprächsthemen. Die SchülerInnen sollen in der Lage sein, über diese zu reden und sich mit dem passenden Vokabular auszudrücken. So sitze ich jeden Tag mit der verschiedenen Gruppen, bestehend aus jeweils drei Schülern, für 15 Minuten an einem Tisch in der Nähe des Lehrerzimmers. Es ist interessant, wie schnell ich die Fähigkeiten der Schüler einzuschätzen lerne. Natürlich kann ich mich auch irren, doch ich habe das Gefühl, sie akkurat einschätzen zu können. Es ist eine ganz neue Erfahrung, nicht selbst Schüler zu sein, sondern vor Schülern zu sitzen und den Takt anzugeben. Ich werde mir plötzlich der Verantwortung bewusst, dass ich diese Schüler zwar nicht unterrichten, aber sie vorbereiten und ihnen helfen soll. Meine Arbeit mit ihnen kann einen Unterschied machen. Muss es zwar nicht, aber ich habe die Chance ihnen etwas zu vermitteln, vielleicht gerade das, was ihnen im Endeffekt helfen wird. Nach dieser Erkenntnis, die von außen betrachtet jetzt nicht unglaublich weltverändernd erscheint, hat sich meine ganze Vorgehensweise während meines Freiwilligendienstes geformt.

Dreimal in der Woche treffe ich mich mit Karolina aus der siebten Klasse. Sie hat einen deutschsprachigen Vater und kann im regulären Unterricht nicht richtig gefördert werden. Ihr Lese- und Hörverständnis ist sehr gut, nur benutzt sie einen eingeschränkten Wortschatz beim Schreiben von Aufsätzen. Ich habe das Ziel, dass sich die Schüler nicht langweilen, wenn ich mit ihnen arbeite. So arbeite ich mit Karolina anfangs an Aufsätzen. Wir besprechen den Aufbau, die Vorbereitung vorm Schreiben des Aufsatzes, also das Sammeln und Ordnen von Argumenten, und stilistische Ausdrucksmittel, die die Qualität verbessern. Der erste Aufsatz behandelt das Thema Schuluniformen, wobei wir keine Quelle haben und uns auf eigene Erfahrungen stützen müssen. Da sie mir gegenüber in Schuluniform sitzt, hat sie genug Material für ihren Aufsatz. In der nächsten Stunde komme ich vorbereitet mit einem Artikel über den Gebrauch von Handys im Unterricht. Dieses Thema habe ich selbst in der Schule besprochen. Was für eine Ironie 😀 Zur Abwechslung bringe ich daraufhin ein Kreuzworträtsel mit. Es ist erstaunlich schwierig für sie, für alle Beschreibungen das passende Wort zu finden und wir verbringen zwei ganze Schulstunden damit, es zu lösen. Wenn sie nicht von selbst auf die Vokabel kommt, helfe ich ihr, indem ich das gesuchte Wort umschreibe. In der letzten Stunde sind wir einen Artikel über das Finden von geeigneten Aufsatzthemen durchgegangen. Ich möchte Karolina nicht immer vorgeben, worüber sie schreiben soll und fand es eine schöne Abwechslung, sie selbst ein Thema, welches sie interessiert, aussuchen zu lassen. Geplant ist auch die Arbeit mit Musik und Poetry Slam, aber das liegt in der Zukunft.

Agnė und Gabija sind Geschwister. Sie sind seit einem Jahr wieder in Litauen, davor haben sie ein Jahr in Deutschland gelebt. Gabija ist in der sechsten Klasse und Agnė ist jetzt in der fünften Klasse. Agnė wurde bereits vor ihrem Schulwechsel von Lina in Deutsch unterrichtet und sitzt nun in einer Klasse, wo alle das deutsche Alphabet lernen während sie in der Lage ist, eine relativ normale Konversation zu führen. Ich habe die Aufgabe, ihre Sprachkenntnisse nicht einrosten zu lassen. Die ersten Treffen bestanden aus Konversationen zum besseren Kennenlernen. Außerdem wollte ich herausfinden, wie gut und weit ihre Sprachkenntnisse reichen. Ziemlich weit, wie sich herausstellte. Ich bin mit ihr ein paar Gesprächsthemen der Achtklässler durchgegangen und sie konnte Fragen zur Schule und Hobby selbstsicher beantworten. Hier und da fehlte gelegentlich eine Vokabel, aber Agnė ist sehr motiviert zu sprechen, strahlt während der ganzen Stunde und ist mit ihrer konstant guten Laune einfach ansteckend. Auch mit ihr habe ich ein einfaches Kreuzworträtsel bearbeitet, welches ihr sehr schwer fiel, sodass wir es schließlich gemeinsam lösten. In einer anderen Stunde haben wir auf YouTube das Märchen Dornröschen als Puppenspiel geschaut und darüber gesprochen.

In meiner zweiten Woche sollte ich Vilma in einer achten Klasse während eines Deutschtests vertreten. Die Aufgabe hörte sich einfach an. Reingehen, die Klasse zur Ordnung rufen, zwei Vokabeln vorlesen lassen, den Test austeilen, keine Fragen beantworten und aufpassen, dass keiner schummelt. Tja, so einfach war das dann aber nicht. Glücklicherweise kannte ich die SchülerInnen, weil ich sie bereits in der vorherigen Woche bei der DSD Vorbereitung hatte. Es war für mich auch eine lustige Erfahrung, weil sie alle zur Begrüßung aufstanden und ich sie dazu auffordern durfte, sich zu setzen. Die Autorität eines Lehrers zu haben kann schon Spaß machen, auch wenn es nur ein kleines Detail wie das respektvolle Aufstehen am Anfang der Stunde betrifft.

In meiner freien Zeit soll ich nach Unterrichtsmaterialien und Aufgaben für Hörverständnis B1 suchen und ebenfalls ein Theaterstück auf Deutsch finden, was nicht länger als 30 Minuten dauert und ein angemessenes Sprachniveau hat. Zudem soll ich eine Präsentation über mich selbst erstellen, um mich in verschiedenen Klassen vorzustellen. Ich beginne ebenfalls mich mit verschiedenen SchülerInnen zu treffen, die an dem Wettbewerb „Lesefüchse international“ teilnehmen. Außerdem werde ich mich noch mit einer Schülerin aus der zwölften Klasse treffen, die ihr Deutsch aufbessern will, nachdem sie das Fach abgewählt hat. Mein Arbeitspensum ist also gedeckt.