Die ersten Wochen als Freiwillige

Am Dienstag erhielt ich meinen Stundenplan. Meine wichtigste Aufgabe in der ersten Woche ist, Dalia bei der Vorbereitung auf das Finale von „Jugend debattiert international“ zu unterstützen, welches vom 25. – 30. September in Tallinn in Estland stattfindet. Ich betreibe Recherche im Internet, trage Argumente über die Themen zusammen und treffe mich ein paar Mal mit Dalia, um diese zu besprechen. Dalia ist bereits Landessiegerin von „Jugend debattiert international“ in Litauen. Nur war sie zusammen mit Lina in der letzten Woche für das Finale der „Lesefüchse international“ in Berlin und konnte sich nicht auf die Debatten vorbereiten. Jetzt muss sie gleichzeitig zur Vorbereitung auch noch ganz viel Unterricht nacharbeiten. Das ist sehr viel, allein für ein einziges Fach hat sie zwanzig Arbeitsblätter erhalten. Generell ist mir aufgefallen, dass die SchülerInnen sehr viele Hausaufgaben aufbekommen. Auch meine Gastschwester ist jeden Tag mehrere Stunden mit den Hausaufgaben beschäftigt.

Jeden Tag treffe ich mich in der fünften Stunde mit SchülerInnen aus der achten Klasse, um sie auf ihre Prüfung für das DSD Stufe A2 vorzubereiten. Es gibt einen vorgefertigten Fragenkatalog mit Gesprächsthemen. Die SchülerInnen sollen in der Lage sein, über diese zu reden und sich mit dem passenden Vokabular auszudrücken. So sitze ich jeden Tag mit der verschiedenen Gruppen, bestehend aus jeweils drei Schülern, für 15 Minuten an einem Tisch in der Nähe des Lehrerzimmers. Es ist interessant, wie schnell ich die Fähigkeiten der Schüler einzuschätzen lerne. Natürlich kann ich mich auch irren, doch ich habe das Gefühl, sie akkurat einschätzen zu können. Es ist eine ganz neue Erfahrung, nicht selbst Schüler zu sein, sondern vor Schülern zu sitzen und den Takt anzugeben. Ich werde mir plötzlich der Verantwortung bewusst, dass ich diese Schüler zwar nicht unterrichten, aber sie vorbereiten und ihnen helfen soll. Meine Arbeit mit ihnen kann einen Unterschied machen. Muss es zwar nicht, aber ich habe die Chance ihnen etwas zu vermitteln, vielleicht gerade das, was ihnen im Endeffekt helfen wird. Nach dieser Erkenntnis, die von außen betrachtet jetzt nicht unglaublich weltverändernd erscheint, hat sich meine ganze Vorgehensweise während meines Freiwilligendienstes geformt.

Dreimal in der Woche treffe ich mich mit Karolina aus der siebten Klasse. Sie hat einen deutschsprachigen Vater und kann im regulären Unterricht nicht richtig gefördert werden. Ihr Lese- und Hörverständnis ist sehr gut, nur benutzt sie einen eingeschränkten Wortschatz beim Schreiben von Aufsätzen. Ich habe das Ziel, dass sich die Schüler nicht langweilen, wenn ich mit ihnen arbeite. So arbeite ich mit Karolina anfangs an Aufsätzen. Wir besprechen den Aufbau, die Vorbereitung vorm Schreiben des Aufsatzes, also das Sammeln und Ordnen von Argumenten, und stilistische Ausdrucksmittel, die die Qualität verbessern. Der erste Aufsatz behandelt das Thema Schuluniformen, wobei wir keine Quelle haben und uns auf eigene Erfahrungen stützen müssen. Da sie mir gegenüber in Schuluniform sitzt, hat sie genug Material für ihren Aufsatz. In der nächsten Stunde komme ich vorbereitet mit einem Artikel über den Gebrauch von Handys im Unterricht. Dieses Thema habe ich selbst in der Schule besprochen. Was für eine Ironie 😀 Zur Abwechslung bringe ich daraufhin ein Kreuzworträtsel mit. Es ist erstaunlich schwierig für sie, für alle Beschreibungen das passende Wort zu finden und wir verbringen zwei ganze Schulstunden damit, es zu lösen. Wenn sie nicht von selbst auf die Vokabel kommt, helfe ich ihr, indem ich das gesuchte Wort umschreibe. In der letzten Stunde sind wir einen Artikel über das Finden von geeigneten Aufsatzthemen durchgegangen. Ich möchte Karolina nicht immer vorgeben, worüber sie schreiben soll und fand es eine schöne Abwechslung, sie selbst ein Thema, welches sie interessiert, aussuchen zu lassen. Geplant ist auch die Arbeit mit Musik und Poetry Slam, aber das liegt in der Zukunft.

Agnė und Gabija sind Geschwister. Sie sind seit einem Jahr wieder in Litauen, davor haben sie ein Jahr in Deutschland gelebt. Gabija ist in der sechsten Klasse und Agnė ist jetzt in der fünften Klasse. Agnė wurde bereits vor ihrem Schulwechsel von Lina in Deutsch unterrichtet und sitzt nun in einer Klasse, wo alle das deutsche Alphabet lernen während sie in der Lage ist, eine relativ normale Konversation zu führen. Ich habe die Aufgabe, ihre Sprachkenntnisse nicht einrosten zu lassen. Die ersten Treffen bestanden aus Konversationen zum besseren Kennenlernen. Außerdem wollte ich herausfinden, wie gut und weit ihre Sprachkenntnisse reichen. Ziemlich weit, wie sich herausstellte. Ich bin mit ihr ein paar Gesprächsthemen der Achtklässler durchgegangen und sie konnte Fragen zur Schule und Hobby selbstsicher beantworten. Hier und da fehlte gelegentlich eine Vokabel, aber Agnė ist sehr motiviert zu sprechen, strahlt während der ganzen Stunde und ist mit ihrer konstant guten Laune einfach ansteckend. Auch mit ihr habe ich ein einfaches Kreuzworträtsel bearbeitet, welches ihr sehr schwer fiel, sodass wir es schließlich gemeinsam lösten. In einer anderen Stunde haben wir auf YouTube das Märchen Dornröschen als Puppenspiel geschaut und darüber gesprochen.

In meiner zweiten Woche sollte ich Vilma in einer achten Klasse während eines Deutschtests vertreten. Die Aufgabe hörte sich einfach an. Reingehen, die Klasse zur Ordnung rufen, zwei Vokabeln vorlesen lassen, den Test austeilen, keine Fragen beantworten und aufpassen, dass keiner schummelt. Tja, so einfach war das dann aber nicht. Glücklicherweise kannte ich die SchülerInnen, weil ich sie bereits in der vorherigen Woche bei der DSD Vorbereitung hatte. Es war für mich auch eine lustige Erfahrung, weil sie alle zur Begrüßung aufstanden und ich sie dazu auffordern durfte, sich zu setzen. Die Autorität eines Lehrers zu haben kann schon Spaß machen, auch wenn es nur ein kleines Detail wie das respektvolle Aufstehen am Anfang der Stunde betrifft.

In meiner freien Zeit soll ich nach Unterrichtsmaterialien und Aufgaben für Hörverständnis B1 suchen und ebenfalls ein Theaterstück auf Deutsch finden, was nicht länger als 30 Minuten dauert und ein angemessenes Sprachniveau hat. Zudem soll ich eine Präsentation über mich selbst erstellen, um mich in verschiedenen Klassen vorzustellen. Ich beginne ebenfalls mich mit verschiedenen SchülerInnen zu treffen, die an dem Wettbewerb „Lesefüchse international“ teilnehmen. Außerdem werde ich mich noch mit einer Schülerin aus der zwölften Klasse treffen, die ihr Deutsch aufbessern will, nachdem sie das Fach abgewählt hat. Mein Arbeitspensum ist also gedeckt.

3 Gedanken zu „Die ersten Wochen als Freiwillige

  1. Roman Kastner

    Jaa, da ist mir meine Mutter wohl zuvor gekommen 😉 Ich fand deinen Exkurs über die Schummelstrategien sehr amüsant; einige „Verhaltensmuster“ konnte ich durchaus wiedererkennen…Du hast Recht – die neue Rolle des Lehrers, die wir beide innehaben, ist wirklich sehr vielseitig! Klar kostet man die Autorität aus, die man genießt – man gehört jetzt immerhin zu den Personen, die auch etwas zu sagen haben! Aber wenn es dann an das eigenständige Arbeiten mit den Schülern geht kenne ich das von die empfundene Gefühl der Verantwortung sehr genau – die Kinder vor einem formen sich grade teilweise ihre berufliche Zukunft, und sie vertrauen darauf dass wir ihnen die richtigen Inhalte beibringen und so den Pfad für sie bestimmen… Da ist man dann doch ganz froh wenn man sagen kann: “ Lasst euch das lieber nochmal von eurem Lehrer erklären, der ist dafür ausgebildet und hat viel mehr Ahnung“ 🙂 Ähnliches Gefühl kommt bei mir auf, wenn ich nach konkreten Tipps zum Studium in Deutschland gefragt werde – glaub mir, die in Situation kommst du auch noch – heikel!
    Aber ich bin fest davon überzeugt dass du das alles meisterst und die Kinder bei dir in Guten Händen sind 🙂 Ich werde fleißig weiterlesen! Dir alles Gute

  2. Julia Kastner

    Hallo Leandra,

    ich lese Deine Beiträge mit großem Interesse und freue mich für Dich, dass es Dir in Kaunas gut geht. Dein Programm scheint ziemlich ausgefüllt zu sein – das ist doch gut!
    Was machst Du an den Wochenenden? Ich hoffe, das manche deutschsprachige Leute Dich auch mal besuchen 😉 – in der Adventszeit soll es da sehr schön sein!
    Ich erinnere mich gern an unseren Urlaub in Litauen letzten Sommer und vermisse das dunkelbraune, fast schwarze süßlich schmeckende litauische Brot – kann ich Dir nur empfehlen! Das benutzt man sogar bei der Herstellung einiger Pralinen oder fügt dem Joghurt zu – mir hat es geschmeckt. (gibt’s im Supermarkt)
    Liebe Grüße und weiter viel Spaß,
    Julia, Romans Mutter

    1. Leandra Wegener Beitragsautor

      Hallo Julia,

      danke für Deinen Kommentar. Zu meinen außerschulischen Aktivitäten kommt auch bald ein Beitrag.
      Ich kenne das Brot von dem Du sprichst. Meine Gastmutter backt das Schwarzbrot selbst und es schmeckt sehr gut.
      Danke für die lieben Grüße. Ich wünsche dir auch viel Spaß bei was immer du gerade tust!
      Leandra

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