Jung, allein, im Ausland – was vermisst du? (English version below)

Ein guter Freund, der gerade ein Auslandsjahr in Vietnam macht, bat mich, ihm, für den ersten Artikel seines neuen Blogs, einige Zeilen über die Frage zu schreiben, was ein Freiwilliger während seines Auslandsjahres vermisst.

Runes Blog findet ihr unter: http://www.aswildaswise.com/

Auch mit euch möchte ich folgenden Text gerne teilen:

Jung, allein, im Ausland – was vermisst du?

Das gewohnte Essen, den großen Kleiderschrank, die Kinderfotos im Flur des Elternhauses
– am schmerzlichsten vermisst du jedoch selbstverständlich die Familie, den Freund oder die Freundin und alle anderen liebgewonnenen Menschen. Aber nicht nur sie fehlen, auch über Jahre gewonnene Routinen: Straßen in- und auswendig gekannt. Das Café dort an der Ecke, in das man schon mit fünf Jahren an Mamas Hand ging. Der Geruch des Waschmittels von Zuhause, das Geräusch des Windspiels über der Tür, das Bellen des Hundes im Garten. Das Klima, vielleicht den Wind oder Sonnenschein. Small Talk an einer Ampel, entspannt und ohne Sprachbarriere; ein alter Freund, auf dem Marktplatz wiedergetroffen. Die Möglichkeit, dich nicht zu verstellen, ganz du selbst und auch einmal ohne Grund schlecht gelaunt zu sein; jemand, der sieht, dass es dir nicht gut geht, auch ohne dass du darauf hinweist – eine Umarmung.

Doch auch wenn es manchmal so scheint, als wäre all dies unerreichbar, Lichtjahre entfernt, so ist es doch nur eine Erinnerung weit. Und während wir uns erinnern, schreiben wir neue Notizen in das Tagebuch unseres Lebens, ziehen weiter und bleiben doch stehen, jederzeit bereit, zurückzukehren – und wenn auch nur auf einen Kaffee und ein Stück hausgemachten Apfelkuchen in das Café dort an der Ecke.

Young, alone, abroad – what do you miss?

The food you’re used to, the big wardrobe, the kids photos in the corridor of your parents’ home – but the hardest you certainly miss your family, your boyfriend or girlfriend and all the other people you hold dear. Not only they are missing, but also the last years’ routines; the streets you know by heart. The café at the corner where you already went by your mother’s hand when you were only five; the smell of the washing powder they use at home; the sound of the wind chime above the door; the dog barking in the garden. The weather – wind or sunshine maybe. Small talk at the traffic lights, relaxed and without any language barrier; an old friend met on the town square. The possibility of no disguise, of being fully yourself, of being bad-tempered without any reason; somebody realizing you’re not well even without being told – a hug.

But even if it sometimes seems completely out of reach, lightyears away – it’s only a short memory to go. And whilst remembering we write new notes into our life’s diary, go on and stand still, always ready to return, if only for a coffee and a piece of home baked apple pie, into that café at the corner.

Die kleine Schwester von Paris

Nach langen Überlegungen, was ich mit meinen Herbstferien anfangen sollte, entschied ich mich, nach Budapest zu fahren. Geplant waren ursprünglich nur einige Tage, schließlich blieb ich die gesamten Ferien. Ich hatte das Glück, dass ich bei Fabian, einem deutschen Studenten, den ich im Zug kennengelernt hatte, übernachten konnte.

Tagsüber streifte ich meist allein mit meiner Kamera durch die zauberhafte Stadt, bis mir in meiner viel zu dünnen Jacke wirklich zu kalt geworden war und ich vor dem schneidenden Wind ins Warme floh, erst in die Straßenbahn oder U-Bahn, dann in die Wohnung. Oft blieb ich dort jedoch kaum und zog mit Fabian gleich wieder los, zu einer WG-Party, zu Freunden, in eine Kneipe – so lernte ich nicht nur die für Budapest typischen Ruinenbars kennen, sondern auch eine Menge wirklich netter Leute.

Viel mehr möchte ich an dieser Stelle zu den Herbstferien auch nicht schreiben, stattdessen lasse ich die vielen folgenden Fotos für sich sprechen.

Zusammenfassend kann ich jedoch sagen, dass mir die Zeit in Budapest unglaublich gut tat. Ich habe mich nicht nur in die Stadt verliebt und konnte ohne Termine und Verpflichtungen einfach umherstreifen, entdeckte ständig Neues, sondern konnte mich auch mal wieder entspannt auf Deutsch unterhalten – im gleichen Atemzug über Partys und hochpolitische Themen -, einfach mal wieder tanzen und mich im Kreise eigentlich fremder Personen wirklich wohlfühlen. Es war eine richtig gute Zeit!

Nachdem wir den ersten Abend bereits lange aus gewesen waren und am folgenden Tag in Ruhe eingekauft und gekocht hatten, bekam ich den ersten richtigen Eindruck von der Stadt im Dunkeln; meine Schritte führten mich zuerst in Richtung Heldenplatz, dann stieg ich in die nächstbeste Metro, die an die Donau fuhr – atemberaubend schön!

Zurückschreckend vor den vielen kulturellen Highlights, die Budapest zu bieten hat, begann ich meine Erkundungstour ganz entspannt mit einem ausgedehnten Bummel über die Margareteninsel und streifte anschließend noch etwas das Pester Donauufer entlang:

Mittlerweile trieb mich meine Neugier doch zu dem Touristenhighlight in Budapest – das Burgviertel in Buda. Zu sehen gibt es dort die Fischerbastei, die Matthiaskirche, weite Ausblicke über Buda, die Donau und Pest, hübsche kleine Gassen mit alten Häusern und niedlichen Cafés und Läden und nicht zuletzt den Burgpalast. Ursprünglich hatte ich mir alles für einen Tag vorgenommen, da ich mich jedoch insbesondere bei den Ausblicken zu lange aufhielt, den Aufstieg in einem großen Umweg machte und abends noch verabredet war, verschob ich den Burgpalast auf einen anderen Tag – ich hatte ja noch so viele…

Abends spazierten Finn, ein neu gewonnener Freund, und ich noch durch Pest; er zeigte mir die Stephansbasilika und das Parlament von nahem und später setzten wir uns noch in eine Bar und schnackten.

Tags darauf zog ich erneut los, das Burgviertel zu erkunden. Dort blieb ich, bis es dunkel geworden war, und die Stadt zu meinen Füßen ein Lichtermeer.

Mittwoch, der 02. November, die Hälfte meiner Zeit in Budapest vorbei, und noch lange nicht alles entdeckt. Doch an diesem Tag lag etwas anderes Spannendes an: Besuch in der deutschen Botschaft in Budapest.

Nach einem ausführlichen Bummel durch die zentrale Markthalle, in der ich mich auch mit ausreichend Picknick für den Nachmittag eindeckte, traf ich um 14 Uhr Isabella und Greta vor der Tür der deutschen Botschaft. Diese ist übrigens in traumhafter Lage in einem Gebäude auf dem Burgberg untergebracht; langsam bekam ich das Gefühl, mich dort auszukennen…

Im Anschluss an das informative Gespräch in der Botschaft verabschiedete ich mich gleich wieder von Isi und Greta (die beiden waren noch zum Essen verabredet) und machte es mir mit meinem Picknick gemütlich; nun, so gut das in der Kälte eben ging. Halb erfroren bummelte ich noch ein wenig durchs Burgviertel und genoss die Lichter, bis ich schließlich Gefahr lief, ganz zu erfrieren, und in das nächstbeste öffentliche Verkehrsmittel floh. Da es noch recht früh war, verschlug es mich in ein Shoppingcenter, wo ich schließlich auch endlich einen neuen Wintermantel für mich fand – und was war der kuschelig warm!

Nach so vielen Tagen auf der Budaer Seite blieb ich am Donnerstag in den Straßen von Pest. Ich sah mir den Heldenplatz bei Tag an, unterhielt mich vor den Toren von Burg Vajdahunyad ein Stündchen mit einem netten jungen Mann, spazierte durch das Stadtwäldchen, warf einen Blick auf und in das Széchenyi-Heilbad und nahm schließlich die Metro in Richtung Jüdisches Viertel.

Dieses fand ich jedoch nicht auf Anhieb. Stattdessen lief ich durch eine bei Tag recht ausgestorbene Partygasse und stolperte auf der Suche nach einem Café in einen Club, in dem gerade für den Abend vorbereitet wurde. Schließlich stand ich aber doch im Jüdischen Viertel, einer ausgesprochen charmanten Ecke von Budapest. Mein Plan, die Große Synagoge und vielleicht auch noch eine weitere zu besichtigen, ging jedoch nicht auf – Eintrittspreis und Uhrzeit in Kombination sprachen dagegen. Ich musste am nächsten Tag wiederkommen.

Und so kam ich am nächsten Tag wieder – bei mittlerweile nicht mehr ganz so strahlend sonnigem Herbstwetter wie in den ersten Tagen schien es genau das Richtige, erst die Große Synagoge und das anschließende Jüdische Museum zu besichtigen, dann die Staatsoper. Letztere ist übrigens an Prunk und Pracht der Opéra Garnier in Paris ebenbürtig, nur die Decke ist, wenn auch schick, so doch kein Vergleich mit der Chagall-Decke in Paris.

Samstag, mein letzter Tag und grau. Meine Schritte führten mich zur Kathedrale, die ich von innen besichtigte, bevor ich auf den Kirchturm stieg, auf dem ich lange blieb. Wieder am Boden angelangt, begann es zu regnen, aber egal, ich wollte noch einmal zur Donau. Vorbei an den Klothildenpalästen stiefelte ich über die Freiheitsbrücke, am Gellért-Bad vorbei und, Schutz suchend vor dem Regen, verschlug es mich in eine merkwürdige kleine Höhlenkirche, bevor ich auf den Gellértberg kletterte… Doch seht selbst:

Nach vielen Worten und Bildern habe ich nun erneut das Ende meiner Zeit in Budapest erreicht. Ich hoffe, euch hat die Reise in Bildern und Gedanken mit mir gefallen! Und wer plant, demnächst Budapest zu besichtigen – was sich allemal lohnt! -, findet hier vielleicht die eine oder andere Anregung…

♡ Silja

23. Oktober

Der 23. Oktober ist einer von immerhin drei ungarischen Nationalfeiertagen.  An diesem Tag begann im Jahr 1956 der Volksaufstand mit einer von Studenten organisierten Großdemonstration in Budapest. Diese forderten bürgerliche Freiheitsrechte, Parlamentarismus, nationale Unabhängigkeit und schließlich das Wiedereinsetzen von Imre Nagy als Staatsoberhaupt.

Dieser war von 1953-55 Ministerpräsident gewesen; durch die Förderung von Landwirtschaft und Konsumgüterindustrie stieg der Lebensstandard unter ihm erheblich. Sein von Stalin eingesetzter und von Chruschtschow seines Amtes enthobener Vorgänger, Mátyás Rákosi, hatte vor allem die Schwerindustrie subventioniert. Nagy führte auch die Terrorherrschaft Rákosis nicht fort. Dieser hatte tausende Regimegegner ohne Gerichtsverfahren verhaften und in Arbeitslager bringen oder ermorden lassen. Mehr noch: In seiner Amtszeit 1952-53 waren rund 10 Prozent der ungarischen Bevölkerung angeklagt worden. Unter Nagy hingegen besserte sich die Situation im Ungarn der 1950er stetig. 1955 gelang es jedoch Rákosi als Oberhaupt der kommunistischen Partei, Nagy des Amtes als Ministerpräsident zu entheben und ihn aus der Partei auszuschließen.

Symbol des Volksaufstandes: die ungarische Nationalflagge, in der das in der Mitte herausgeschnittene sozialistische Wappen fehlt

Die Unzufriedenheit in Ungarn stieg nun erneut an und führte schließlich im Oktober 1956 dazu, dass die ursprünglich friedliche Studentendemonstration über Nacht in einen teils blutigen Volksaufstand überging; selbst Polizei und Militär schloss sich den Regimegegnern an. Imre Nagy wurde noch in derselben Nacht vom Zentralkomitee der Partei der Ungarischen Werktätigen zum Ministerpräsidenten berufen.

Die ungarischen Bürger lehnten sich gegen die sowjetische Unterdrückung auf – mit Erfolg, wie es zwei Wochen lang schien.

Der Aufstand weitete sich auf andere Städte aus; im ganzen Land wurden Arbeiter-, Revolutions- und Nationalräte gegründet, auch ein landesweiter Generalstreik wurde organisiert, und es erschienen wieder erste Ausgaben unabhängiger Zeitungen. Imre Nagy bereitete Wahlen vor und führte erneut ein Mehrparteiensystem ein. Außerdem erklärte er am 1. November 1956 die Neutralität Ungarns.

Auf dem Szechény ter in Pécs stand zum Gedenken an die Revolution von 1956 tagelang ein Panzer

Die Revolutionäre lieferten sich blutige Kämpfe mit den in Ungarn stationierten sowjetischen Truppen, und schon bald schien die Revolution gewonnen. Die Sowjetunion jedoch schickte Verstärkung, am 4. November rollten sowjetische Panzer in Ungarn ein, die Sowjetarmee griff an; der Aufstand wurde brutal niedergeschlagen, die Regierung Nagy für ungültig erklärt.

Über 200 000 Ungarn flohen über Österreich in den Westen. Imre Nagy sowie 350 weitere Menschen wurden hingerichtet.

Gesichter der Revolution
Statue von Imre Nagy in Budapest

Heute werden sie als Helden gefeiert; kaum eine Stadt, in der keine Statue von Imre Nagy steht.

 

 

 

Die Statue Nagys blickt direkt auf das Parlament; vor der Brücke liegen Blumen und Kerzen

Besonders am 23. Oktober wird der Opfer gedacht – Imre Nagy, aber auch Menschen wie dem beim Aufstand erst 15jährigen Péter Mansfeld, der aufgrund seiner Jugend zunächst zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, um dann nur 11 Tage nach seinem 18. Geburtstag doch hingerichtet zu werden.

Das große Plakat an den Treppen zeigt Péter Mansfeld

In diesem Jahr waren aufgrund des 60. Jahrestags die Feierlichkeiten besonders aufwendig, noch Tage und Wochen lang fand man Plakate oder Installationen, Kerzen und Blumen.

Auch auf einem Kreisel wird an die Revolution erinnert

Mit den Aufnahmen möchte ich zeigen, wie wichtig der 23. Oktober für Ungarn ist. Vielleicht seid ihr beim Betrachten insbesondere des Videos ähnlich ergriffen wie ich. Mir ist dabei wieder einmal aufgefallen, wie wenig wir in der Schule über die Geschichte anderer Länder gelernt haben, selbst über die jüngste Geschichte der anderen europäischen Nationen – und doch wäre dieses Wissen so wichtig, um die Menschen dort und ihr Denken zu verstehen.

Ein Lebenszeichen

Um ehrlich zu sein – einen Blog führen, das ist nicht mein Ding. Aus diesem Grund fand sich hier auch so lange kein Eintrag mehr. Entweder habe ich wirklich keine Zeit oder ich mache so ziemlich alles andere lieber, manchmal sogar Wäsche falten. Das liegt vermutlich daran, dass ich zwar gerne schreibe, allerdings dazu neige, stundenlang an den Texten zu feilen; und es zwar liebe zu fotografieren und Fotos zu zeigen, es aber hasse, sie zu sortieren. Dennoch ist es mir wichtig, diesen Blog fortzuführen; um euch zu erzählen, was ich erlebe, um ein kleines Erinnerungsbuch auch für mich persönlich zu schaffen, und weil mich ein neuer Artikel stets stolz macht.

Insofern versuche ich in den nächsten Einträgen nachträglich die letzten zwei, drei Monate zusammenzufassen; an dieser Stelle bereits ein paar Stichworte: Herbstferien in Budapest, Nationalfeiertag, Zwischenseminar in Gardony bei Budapest, Kurztrip nach Zagreb, DSD-Prüfungen, neue Freunde, ausgefüllte Tage und daraus resultierender Schlafmangel, Weihnachtsmärkte, Geschenkekauf und Weihnachtskarten, Ausflug mit der Schule nach Graz, Wiedersehen in Deutschland…

In diesem Sinne bis bald

eure Silja

Hier zum Schauen schon mal ein paar bereits im Oktober aufgenommene Fotos von dem wöchentlichen Pécser Kunsthandwerksmarkt – jeden Freitag vor der Synagoge: