Begegnungen in Tarnovo

  • 27. Mai 2021

Ich hab mich wieder in den Zug gesetzt. Zugfahren macht immer noch so viel Spaß. Ich mag diesen Zustand im Dazwischen. Nicht hier, nicht dort sein. Diesmal bin ich nach Veliko Tarnovo gefahren. Erst wollte ich ganz früh los, damit ich „so viel wie möglich aus dem Tag rausholen kann“. Am Ende habe ich mich aber wieder – diesmal ganz bewusst und nicht als Folge des Verschlafens – für die spätere und langsamere Verbindung entschieden. War ne gute Entscheidung.

Es gibt so Orte, da fährt man hin und weiß direkt, dass man gerade genau am richtigen Ort ist. So war Tarnovo für mich. Die Stadt war richtig gut zu mir. Wie in Varna vor ein paar Wochen war ich nicht mal zwei volle Tage vor Ort, aber scheinbar ist das eine gute Dauer für mich, um einen ersten Eindruck einer Stadt zu bekommen.

Die Stadt war ziemlich voll. Vermutlich der Kombi aus Feiertag, warmen Wetter und der Lichtershow geschuldet. Am ersten Tag bin ich viele Treppen hoch- und runtergestiegen, war am Fluss, bin ungeplanter Weise in den Genuss der Lichtershow (Video am Ende des Beitrags) gekommen, habe einem Konzert auf der wohl kleinsten Bühne überhaupt gelauscht und wurde von Viktor in ein witziges Gespräch verwickelt.

Viktor ist Archäologe und hat bei Ausgrabungen in der Nähe von Tarnovo Kollegen aus Deutschland kennengelernt. Da zückte er direkt seine Visitenkartesammlung und zeigte mir die Karten von deutschen Archäologenkollegen. Außerdem wollte er mir weiß machen, dass ich wie eine Bulgarin aussehe – ich sei nicht so bleich und hätte keine blauen Augen. Als ich nach einiger Zeit weitergehen wollte, drückte er mir noch eine antike Münze in die Hand, die er bei Ausgrabungen gefunden hatte. Er war etwas enttäuscht und genervt als ich ihm die Münze nicht abkaufen wollte. Am nächsten Tag haben wir uns zufälligerweise wieder getroffen. Er rief mir ganz freudig „Steffi, guten Tag!“ entgegen und berichtete mir, dass er die Münze an eine deutsche Familie für den dreifachen Preis, den er mir vorgeschlagen hatte, losgeworden ist. Ein guter Tag für ihn. Wir haben uns noch ein bisschen über Corona unterhalten, er hat mir einen Storchennest auf einem Dach gezeigt, mir Geschichten über vorbeilaufende Bekannte von ihm erzählt und mir am Ende wieder eine neue, alte Münze angeboten 😀

Am zweiten Tag habe ich meinen erst kürzlich installierten Schrittezähler außerdem noch mal ein neuen Rekordwert erreichen lassen. Eigentlich wollte ich am Morgen einen Bus nach Hotnitsa nehmen. Ein Freund hatte mir die Wasserfälle dort empfohlen. Der Fahrplan dafür war online nicht aktuell und ich bin einfach mal auf gut Glück zum Busbahnhof gefahren. Dort angekommen habe ich eine Frau nach dem Bus gefragt. Irgendwas hat sie geantwortet. Was, habe ich nicht verstanden. Aber ich war ganz optimistisch, dass sie mir mitteilen wollte, dass der Bus hier in wenigen Minuten abfahren würde. Tja, fragt sich, wie lange ich dort ausgeharrt hätte, wenn mich ein lieber Opi nach einer Weile nicht angesprochen hätte. Er ist mit mir zum Ticketschalter gehetzt, den ich irgendwie gar nicht wahrgenommen hatte und hat sich nach einem Bus nach Hotnitsa erkundigt. Ergebnis: kein Bus nach Hotnitsa. Mist. Ich glaube, der Opi war sogar noch enttäuschter als ich. Es tat ihm richtig leid und er hat mich in einen Bus zurück Richtigung Stadtzentrum verfrachtet.

Dort angekommen habe ich mir erstmal ein Frühstück gegönnt und einen neuen Plan geschmiedet. Direkt zu Fuß, ohne Auto oder Bus, kann man einen kleineren Wasserfall erreichen. Kartala. Auf gings also die steilen Gassen durch die Stadt. (Wie das hier wohl im Winter ist oder wenn man nicht so gut zu Fuß ist?). Nach den Gassen folgten Trampelpfade und irgendwann ging der Weg nicht wie auf Google Maps angezeigt weiter. Stattdessen befand sich vor mir eine eingezäunte Schießanlage und ich hörte Schüsse. Yey. Also drum herum. Dort bin ich erst einem Pfau, dann einem Hund begegnet. Letzterer lag ganz ruhig vor der Toreinfahrt einer großen Villenanlage. Mein Glück. Bellende Hunde und ich sind nicht unbedingt Freunde. Irgendwann bin ich dann im Wald bei den Wasserfällen angekommen. Gutes Gefühl, ein Ziel zu erreichen. Erstmal die Füße abkühlen. Dem Bach bin ich noch ein Stück den Hang hinab gefolgt. Dann bin ich erst einen viel zu steilen Weg nach oben, um mir irgendwann einzugestehen, dass ich besser wieder umkehren sollte. Beim Hinabgehen bzw. – rutschen bin ich einer Schlange begegnet. Sie war aber ganz klein.

Nach meinem schweißtreibenden Ausflug zum Wasserfall musste ich mich erstmal ausruhen. Danach gings noch auf die Festungsanlage. Was für ein schöner Blick auf Tarnovo in der Abendsonne. Der krönende Abschluss meines zweiten und letzten Tages in Veliko Tarnovo: Durch Zufall habe ich die Feierlichkeiten des Abijahrgangs der Stadt miterlebt. Ein Spektakel! Am Ende des Tages lag ich dann mit 27 770 Schritten auf dem Zähler dezent platt aber zufrieden im Bett.
Dienstagmorgen gings wieder zurück nach Russe. Auf dem Weg zum Bahnhof bin ich einer Schulklasse auf Wanderschaft begegnet. Ein Junge hatte einen Schäferhund (in echt) und ein Maschinengewehr (aus Plastik) dabei. Grotesker Anblick.