Achterbahn fahren

  • 18. März 2021

Trotz hoher Coronazahlen gab es in meiner ersten Woche in Bulgarien verhältnismäßig wenig Einschränkungen. Vergnüngungsparks sind aber wohl auch hier geschlossen. Achterbahn fahren war ich trotzdem.

So ein Umzug ins Ausland kann herausfordernd sein – das wusste ich. Trotzdem hat mich die Intensität der Stimmungslagen überrascht. Die ersten paar Tage fühlten sich wie das sprichwörtliche Wechselbad der Gefühle an. Wie eine Achterbahnfahrt. Und Achterbahn fahren finde ich eher so mittelmäßig gut.

Im Vorfeld meiner Ausreise fiel immer wieder das Wort „Mut“. Wie mutig ich doch sei, mich auf so etwas einzulassen – gerade jetzt. Studium unterbrechen, Jobs und Wohnung kündigen – mit der Ungewissheit bis drei Tage vor Ausreise, ob ich den Freiwilligendienst überhaupt antreten dürfte.

Und dann lag ich am Morgen nach einem langen Anreisetag auf einer fremden Couch, in einem fremden Land, dessen Schrift und Sprache ich weder lesen noch sprechen kann und frug mich, was das denn eigentlich für eine bescheuerte Idee gewesen ist hierher zu kommen. Ganz grundsätzlich, und gerade jetzt während einer Pandemie. Mut konnte ich da wahrlich nicht fühlen. Dafür ganz viel Unsicherheit und Zweifel.

Glücklicherweise kenne ich mich schon ein gutes Vierteljahrhundert. Unsicherheit und Zweifel sind mir keine Unbekannten und so tat ich was in solchen Momenten zu tun ist: alles was mich gut fühlen lässt. Lieblingstee trinken, den neuen Roman einer meiner Lieblingsautoren (Bendedict Wells) lesen, duschen, essen, spazierengehen. Ich war fest entschlossen gegen meine miese Stimmung anzukämpfen. Denn mit einem großen Zweifel auf der Brust funktioniert nur eine Sache richtig gut: weiter zweifeln.

Nach dem Motto „fake it till you make it“ habe ich also einen optimistischen Gesichtsausdruck aufgesetzt und mich erst aus meinem Bett und später auch aus der Wohnung rausgetraut. Denn Spazierengehen kann ich richtig gut. Und Spazierengehen tut richtig gut! Wie schön, endlich mal was anderes zu sehen! Ich kann mich glücklich schätzen, während der Pandemiesituation was Neues entdecken zu dürfen!

Nachhaltig überzeugen konnte ich mich aber nicht. Die kurzen Momente der Euphorie verschwanden so plötzlich wie sie aufgetaucht waren. Das Donauufer fand ich nicht mal halb so malerisch wie mein geliebtes Havelufer in Potsdam, der Tofu bei BILLA hatte eine komische Konsistenz und innerhalb kurzer Zeit habe ich zwei tote Vögel auf dem Fußweg gesehen. Hier könnte ich nicht glücklich werden, entschied die Schwarzmalerin in mir.

Viele kleine ungewohnte, unbequeme und für mich unbekannte Dinge hatten den Zweifel wieder gefüttert. Der wuchs schließlich unaufhörlich und war zwischenzeitlich so rund und fett, dass ich mir fast sicher war: Hier bin ich falsch. Ich hätte nicht ausreisen sollen.

Während ich schon überlegte, wie ich am unkompliziertesten einen Rückzieher machen konnte, kämpfte sich von irgendwoher doch noch ein Funken Zuversicht. Mach mal ruhig. Du dramatisierst. Das hilft gerade nicht. Mach das Beste draus und wenn es wirklich so richtig kacke und doof ist, kannst du immer noch zurück nach Deutschland.

Die Zuversicht gewann schließlich an Überhand. Und mit ihr machte sich in mir eine fast schon stoische Ruhe breit. So gelassen habe ich mich vielleicht noch nie in meinem Leben gefühlt.

Die Achterbahnfahrt der ersten Tage war ziemlich anstrengend. Darum freue ich mich jetzt umso mehr, mir die Zuversicht an meine Seite geholt zu haben. Die darf gerne bleiben.