Sonne muss in der Seele sein und bleiben

  • 19. April 2021

Diesmal keine automatische Übersetzung, sondern ein Satz meiner Bulgarischlehrerin als Titel.

Mit ihr und einigen anderen Freiwilligen in Bulgarien verbringe ich momentan täglich drei Stunden auf Google Meets. Und versuche nicht vollständig zu verzweifeln. Kyrillisch kann ich mittlerweile schon etwas besser lesen. Bulgarisch fühlt sich aber immer noch sehr fremd für mich an. Ich versuche mich aber nicht komplett vor dieser fremden Sprache zu verschließen und ihr doch irgendwie den Zutritt zu meinem Herzen zu ermöglichen haha

Auch wenn ich mir wünschen würde, dass Bulgarisch die lateinische Schrift verwenden würde, bin ich doch auch sehr fasziniert vom Kyrillischen. Das Erscheinungsbild der Schrift sieht ganz anders aus, als ich es gewohnt bin. Ein bisschen so als würde man in GROSSBUCHSTABEN SCHREIBEN. Aber nicht laut und schreiend. Filigraner? Bedachter? Freundlicher? Es braucht noch nicht mal eine extravagante Font, auch in Arial wirkt es für mich besonders. Vermutlich würde ich auch das trockenste Verwaltungsformular als irgendwie faszinierend wahrnehmen. Außerdem stelle ich an dieser Stelle die steile These auf, dass Menschen, die kyrillische Schrift benutzen, mehr Druckertinte verbrauchen als Menschen, die lateinische Schrift verwenden. Das Schriftbild wirkt auf mich jedenfalls gesättigter / kräftiger. Ich werde das mal höchst wissenschaftlich untersuchen.

Nachdem also meine Beschäftigung mit der Schönheit der Schrift mein Herz schon etwas geöffnet hat, probiere ich es auch noch mit Musik. Glücklicherweise sind hier alle, die ich bisher gefragt hab, ganz eifrig dabei, mir bulgarische Musik zu schicken. So bin ich jetzt schon tief in die bulgarische Untergrund-Hiphop Szene eingedrungen, habe mir Stücke vom berühmten bulgarischen Chor angehört und mir ein nicht ganz ernstgemeintes Musikvideo aus den 2000er Jahren angesehen. Wir haben viel zu lachen. Mir geht zwar eher die Melodie als der Text in die Ohren. Aber unterbewusst öffnet sich vielleicht doch mein Herz für die bulgarische Sprache und lässt so Sonne in mein tiefgefrorenes deutsches Herz.

Ansonsten hat sich hier bei mir ein bisschen (manchmal öder) Alltag eingeschlichen. Auf der Arbeit gibts grad nicht viel zu tun. Das ist aber auch ganz gut so, weil ich mit dem Sprachkurs ganz schön gefordert bin. Neulich hatten wir ein offline-Event mit Zoom-Zuschaltungen aus Frankreich, Belgien, Luxemburg und Deutschland. Die Corona-Zahlen sind hier immer noch hoch und mir ist das alles nicht so geheuer, deshalb hab ich als Zoom-Host aus meiner Wohnung teilgenommen. Außerdem habe ich jetzt endlich mein eigenes Zimmer, mit richtigem Bett und Tisch und Tür. Das weiß ich gerade sehr zu schätzen. Außerhalb meines WG- und Arbeitskosmos beschränkt sich mein Kontakt zu anderen Menschen ziemlich. Die meiste Zeit ist das für mich vollkommen okay, in den letzten Wochen habe ich dann aber auch gemerkt, wie gut es tut, mal Zeit mit anderen Menschen / Wesen zu verbringen:

  • Vor einem Supermarkt habe ich mich in einen Straßenhund verliebt. Mein frisch gekauftes Trockenfutter wollte er nicht, dafür war er ganz gierig nach Streicheleinheiten. Das tat ihm vermutlich genauso gut wie mir. Was für ein schönes, friedliches und dankbares Wesen! Ich drehe seither bei meinen Spaziergängen meist eine Extrarunde zum Supermarkt, aber bisher hab ich ihn nicht mehr gesehen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen mit diesem lieben Hund.
  • Letztes Wochenende konnte ich mein Ritual des Spazierengehens am Sonntagmorgen, wenn die Stadt noch schläfrig ist, mit jemanden teilen. Ein Bekannter, der hier aufgewachsen ist und die letzten Jahre in Hamburg gelebt hat. Das war schön und ein bisschen so als würde ich in den Spiegel schauen. Er tut sich zudem mit dem Deutschen ungefähr so schwer wie ich mir mit dem Bulgarischen, hach ja.
  • Außerdem gabs noch einen glücklichen Zufall: Ich habe dieses Wochenende einen Bekannten aus Lettland getroffen, den ich von einem Erasmus+Projekt in Frankreich von 2018 kenne. Verrückter Zufall. Er wohnt momentan in Varna und war fürs Wochenende in Ruse. Vermutlich wären wir uns hier nicht über den Weg gelaufen. Gerade als er im Zug nach Ruse saß, hat er aber meinen Facebook-Post in der „Vegans in Bulgaria“ Gruppe gelesen und wir haben uns spontan verabredet. So hab ich ihm ein bisschen was von der Stadt gezeigt, wir haben uns zwei Ausstellungen angesehen, viel in der Sonne gesessen und übers Leben philosophiert. Wenns wärmer wird, gibts den Gegenbesuch in Varna!

Ich kanns manchmal gar nicht glauben, was ich für ein Glück mit den Menschen habe, denen ich bisher begegnet bin. Liebe, herzliche, witzige Menschen, die gerne mit mir Zeit verbringen und ich mit ihnen, die ähnliche Dinge beschäftigen wie mich und die mich hin und wieder auf eine gute Art herausfordern. Das macht es mir leicht, mich hier nicht alleine zu fühlen. Trotzdem, nicht immer ist alles rosa-rot. Manchmal vermisse ich auch irgendwas. Auch wenn ich es nicht wirklich benennen kann.

 

Kleiner Nachtrag zur kyrillischen Schrift: Die Stiftung deutsch-russischer Jugendaustausch beschäftigt sich auf ihrem Instagramaccount auf eine sehr ästhetische Art mit der kyrillischen Schrift. Klickt mal in die Storyhighlights „How to Kyrillisch“ rein –>

 

Nachfolgend ein paar musikalische Perlen

Mein momentanes Lieblingslied:

Bulgarische Folklore:

Der berühmte bulgarische Chor + Beatboxing

 

Und zum Abschluss noch eine Zeitreise in die 2000er Jahre einer Band hier aus Ruse. Abgesehen von der kurzen Hundekampfszene und den Maschinengewehren zu Beginn, find ichs mega witzig. Ohrwurm garantiert…sektsiya