Manchmal ist es das günstigste und einfachste einen Uber zu bestellen, um sich damit von A nach B zu bewegen. Vor allem Nachts ist es das Sicherste, um nach Hause zu kommen. Beim Einsteigen weiß ich zuvor nie, wem ich gleich begegene und mit wem ich die nächsten 10 – 30 Minuten verbringe. Ebenso wenig ist beim Einsteigen klar, ob es eine schweigende Autofahrt wird, mit lauter Musik oder mit einer angeregten Unterhaltung bei welcher ich einen kleinen Teil einer Lebensgeschichte kennenlerne. Während meiner Uber-Fahrten habe ich bereits zahlreiche interessante Gespräche geführt und Lebensgeschichten von verschiedensten Menschen erfahren. Eine davon hat mich besonders berührt, die von José aus Venezuela:
Auf einer längeren Uber-Fahrt von außerhalb der Stadt zurück nach Santiago, bin ich in ein sehr intensives Gespräch mit dem Uber-Fahrer gekommen. Zu Beginn haben wir uns über das Leben in Santiago unterhalten und ich habe erzählt was mich nach Santiago bringt. Im Gespräch ist mir direkt aufgefallen, dass sein Spanisch klarer und deutlicher ist, weshalb ich wusste, dass er nicht ursprünglich aus Chile kommt. Jedoch war mir zu dem Zeitpunkt noch nicht bewusst, welche Lebensgeschichte dahinter steckt.
José kommt aus Venezuela und lebt seit 5 Jahren in Santiago – nicht ganz freiwillig. Er musste aufgrund der politischen Situation aus seinem Heimatland fliehen. Als sei das noch nicht schlimm genug, wurden seine Frau und Tochter in Venezuela ermordert. Der Grund: José war politisch aktiv und die Familie hatte eine andere politische Meinung vertreten. Er sagt, er hatte den Umständen entsprechend noch Glück und die Möglichkeit zu fliehen, das haben viele andere nicht. Hier in Chile kann José seinen erlernten Job nicht ausüben, weil sein Abschluss nicht anerkannt wird. Er hat Bauingenieurwesen studiert und im Straßenbau gearbeitet. In Santiago ist er Uber-Fahrer und lebt von einem Tag zum anderen. Er sagt: „Una nueva forma de esclavitud“ (es ist eine neue Art der Sklaverei). Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie traurig mich das macht und wie sehr mich seine Geschichte berührt. José sagt daraufhin nur: „Para mi es la normalidad“. Für ihn war das Leben mit viel Kriminalität und Korruption normal.
Ich möchte wissen, ob er die Möglichkeit hatte einen anderen Teil seiner Familie hier her zu bringen, um mit ihnen gemeinsam zu leben. José antwortet darauf hin nur knapp: „Estoy solo acá“ (Ich bin alleine hier). Mir wird ganz anders und ich finde kaum Worte, um darauf einzugehen. Darauf hin erzählt er mir von seinem Sohn, der in Spanien lebt und dort studiert. Mit Hilfe der Konrad-Adenauer-Stiftung hatte er die Möglichkeit drei Mal nach Deutschland zu reisen und über seine Lebensgeschichte bei Kongressen zu berichten. Beim Zuhören merke ich, dass José voller Stolz ist, wenn er von seinem Sohn erzählt. Gleichzeitig jedoch die Kehrseite – beide haben keine Möglichkeit sich zu besuchen, da das notwendige Geld fehlt. Ich frage ihn, ob er früher oder später nach Spanien gehen möchte, um näher bei seinem Sohn zu leben. José verneint ganz klar und sagt, dass es dort leider keine guten Jobs gibt – vor allem nicht für Personen in seinem Alter. Er träumt davon nach Amerika zu gehen, um dort ein besseres Leben zu haben.
Kurz vor Ende der Fahrt versuche ich die Stimmung noch etwas zu drehen, da ich diese Fahrt so nicht beenden wollte und frage ihn, was er an der Kultur in Venezuela besonders mag. José lächelt und sagt, dass Venezuela voller Musik und Tanz ist – das fehlt ihm sehr. Auch das Essen in Chile findet er langweilig „siempre papas, papas,papas“ sagt er & er hat vollkommen recht – Pommes gibt es wirklich zu jedem Essen. Am liebsten mag er die peruanische Küche. Ich frage ihn, ob er mir etwas venezuleanische Musik zeigt und José freut sich sehr und zögert keine Sekunde. Er macht folgendes Lied an, erhöht die Lautstärke und wir hören einfach den karibischen Klängen zu:
Song der Woche: Estrellas de Fania – Fania all stars
Ich merke wie die Musik ihn ein wenig seiner Kultur näher bringt und er in Erinnerung schwelkt – in guten als auch grausamen. La fuerza de la música, denke ich nur in diesem Augenblick.
Am Ende der Fahrt kann ich gar nicht oft genug wiederholen, wie dankbar ich für das offene Gespräch bin und, dass er mir einen solchen Einblick in seine Lebensgeschichte gegeben hat. José verabschiedet sich und wiederholt dabei immer wieder: „Mucha felicidad“ (Viel Freude). Diese Verabschiedung berührt mich so sehr, dass mir Tränen in die Augen kommen. Jemand der so viel Schreckliches erlebt hat und dir trotzdem offen und ehrlich Freude und Glück wünscht – das geht unter die Haut.